Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Dr. Rülke, ich will mit Ihnen anfangen. Wenn ich, bevor ich mit meinem inhaltlichen Beitrag beginne, eine ganze Liste von Vorbestraften aufzählen würde, die zufällig Mitglied der FDP, und zwar in führender Funktion, sind oder waren,
dann könnte ich in der Zukunft bei inhaltlichen Debatten praktisch Dreck in die Hand nehmen und auf Sie schmeißen
(Beifall bei der SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD: Fangen wir einmal mit Herrn Döring an! – Gegenruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)
Ich habe noch nie gehört, dass Zumwinkel Mitglied der SPD wäre. Aber von Würth, von Lambsdorff, von Döring und von anderen wissen wir, dass sie Mitglied der FDP sind. Also auf diesem Niveau zu diskutieren haben Sie hoffentlich nicht nötig.
(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/ DVP: Was soll denn das jetzt? Ist das die neue Kul- tur? – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen!)
Jetzt noch einmal zu der Geschichte mit dem toten Pferd. Lassen Sie mich einfach sagen: Es ist irre. Wir haben 3,5 Millionen Beschäftigte in den Branchen, bei denen es gerade um den branchenspezifischen Mindestlohn geht – 3,5 Millionen Menschen sind betroffen –,
um durch einen besseren Lohn ein würdigeres Leben zu bekommen. Und da sagen Sie, das sei ein totes Pferd und ein Flop. Ich kann das nicht nachvollziehen.
Liebe Leute, wir haben das Reinigungsgewerbe, wir haben das Leiharbeitsgewerbe, wir haben das Zeitarbeitsgewerbe, wir haben das Postgewerbe und andere Gewerbe, die noch hinzukommen werden, die jetzt einen Mindestlohn beantragt haben. Das ist aber nur ein Teil. Das ist der branchenspezifische Mindestlohn, um den es geht. Die CDU hat diesem Kompromiss ja dankenswerterweise schon in der Koalition auf Bundesebene vom Grundsatz her zugestimmt.
(Abg. Claus Schmiedel SPD zur CDU: Sie sind doch dabei! Das ist doch lachhaft! – Gegenruf des Abg. Volker Schebesta CDU: Ihr seid auch bei vielem da- bei!)
Der andere Teil ist, dass wir zusätzlich einen gesetzlichen Mindestlohn brauchen. Über diesen diskutieren wir heute, und dieser stellt sozusagen die unterste Linie für alles andere, was irgendwo geregelt wird, dar.
Jetzt merkt man ja schon ein bisschen, wie ernsthaft die Argumentation ist. Ich habe genau zugehört und vernommen, dass z. B. in Frankreich 16,1 % betroffen seien und darum dort die Jugendarbeitslosigkeit so riesig sei. Erstaunlich ist, dass der Mindestlohn in Frankreich erst ab 18 Jahren gilt, aber Frankreich immer als schlagendes Argument gegen Mindestlohn angeführt wird. Also, ein bisschen Seriosität in der Debatte darf es schon sein. In Frankreich hat die Jugendarbeitslosigkeit mit Mindestlohn überhaupt nichts zu tun.
Dann gibt es die Geschichte mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland. Liebe Leute, wenn ich in Ludwigsburg ein krankes Kind habe, dann bringe ich das nicht nach Polen zum Arzt.
(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Fordern Sie jetzt einen Mindestlohn für den Arzt? Da bin ich gleich dabei!)
Wenn ich in Künzelsau ein Bürogebäude habe – das haben wir ja gerade in der Diskussion –, dann fahre ich nicht nach Ungarn, um es dort putzen zu lassen, und ziehe damit auch nicht nach Ungarn um, um es dort putzen zu lassen. Wenn ich zum Friseur gehen möchte, dann fliege ich nicht nach Peking. Wenn ich den Reichstag bewachen lasse, dann lasse ich den nicht in Lettland bewachen. Das ist doch einigermaßen klar.
Wir diskutieren in aller Regel über personenbezogene Dienstleistungen, bei denen Mindestlöhne notwendig sind, weil teilweise katastrophale Entlohnungsbedingungen herrschen.
Schlussgedanke – vor allem für die FDP/DVP, aber auch für alle anderen, die dem vielleicht anhängen würden –: Die Überschrift Ihres Antrags heißt: „Mindestlohn – Abschied von der sozialen Marktwirtschaft?“ Entschuldigung, jetzt sage ich Ihnen einfach einmal: Der Markt ist ein unglaublich effizientes Instrument. Gott sei Dank sind wir uns darüber völlig einig.
Es gibt nichts Effizienteres – ich hoffe, Sie verstehen das Wort – als den Markt, der die Verteilung und den Austausch von Waren und Dienstleistungen optimiert bewerkstelligt.
Er ist aber nicht effektiv genug, und vor allem ist er politisch, ethisch, sozial und ökologisch blind und unfähig.
Deswegen haben wir die soziale Marktwirtschaft, auf die Sie sich berufen haben, nicht infrage gestellt. Wer jetzt der Mei
nung wäre, dass man mit ordnungspolitischen Maßnahmen, z. B. Mindestlohn, oder auch ökologischen oder sozialen Dingen die Marktwirtschaft infrage stellen würde, der überhöht die Funktionsfähigkeit und die Qualität des Marktes. Der wird zum Marktkiller, weil er den Markt überhöht für Dinge, die dieser überhaupt nicht leisten kann. Insofern sind Sie eher die Marktkiller als die Marktbefürworter. In diesem Sinne hoffe ich auf Zustimmung.
Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die stillose Tirade des Kollegen Hausmann zeigt, wie getroffen die SPD auf den Vorstoß unseres Kollegen Dr. Rülke reagiert,
(Abg. Claus Schmiedel SPD: Das war beleidigend! Auf die Beleidigung haben wir reagiert! – Gegenruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)
Mir ist bewusst, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass Sie dieses Thema als Symbolthema gewählt haben, weil Sie glauben, mit einer gängigen Formel Ihr Umfragetief ein Stück weit wieder beheben zu können. Wir werden uns in dieser Debatte wechselseitig nicht überzeugen können. Wenn Sie ein wenig dem wirtschaftlichen Sachverstand trauen würden, dann würde ich Ihnen ein ganz knappes Papier zur Lektüre nahelegen, das den Titel trägt „Beschäftigungschancen statt Mindestlohn!“ Dieser Titel sagt schon alles. In diesem Papier warnen die sieben führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland davor, einen Mindestlohn als das Allheilmittel einzuführen.
Ich will einfach einmal ein paar Fragen stellen, die die Leute vielleicht ein bisschen mehr beschäftigen.
Nein, jetzt nicht. – Jetzt will ich einmal ein paar Fragen in den Raum stellen. Wenn man sich so um die „kleinen Leute“ bemüht, dann frage ich: Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass, wenn Sie Mindestlöhne für die Zustellung von Zeitungen oder von Briefen, für den Friseur, für die Putzfrau fordern,
(Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Dann geht er nicht zum Friseur! – Abg. Ute Vogt SPD: Die Leute müs- sen doch davon leben! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Das ist doch dummes Zeug!)
dies nicht der Herr Beck oder der Herr Schmiedel zahlt, sondern dass dann natürlich alle Konsumenten diese Preise zahlen? Jetzt fragen wir einmal: Was ist die Konsequenz? Wenn ich diese Dienstleistungen – gezwungen durch staatliche Vorgaben – zu einem bestimmten Preis erbringen muss, den der Konsument nicht mehr bezahlen kann oder will, was passiert dann?