Es ist ja schon ganz interessant – das sollten Sie auch einmal zur Kenntnis nehmen –, dass diejenige Person, die hier das Hohelied des Föderalismus gesungen hat, die hier zuvor gegen Ganztagsschulen war und deren Einführung verzögert hat, während sie gleichzeitig ohne Einschränkung für G 8 plädiert hat und dies teilweise bereits eingeführt hat, jetzt hier ins Land kommt und auf der „didacta“ sagt: „Ihr müsst G 8 ganz anders machen. Es geht nur mit Ganztagsschule. Ihr müsst auch mit der Ganztagsschule ganz anders einsteigen, um die Bildungsherausforderungen der Zukunft zu begreifen.“
Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, was passiert, wenn eine Politikerin, die aus diesem Land kommt, dann plötzlich von außen daraufschaut und sich an übergeordneten Zielen orientiert und nicht nur am Machterhalt und ihrer eigenen Position.
Zweiter Punkt: Die Menschen von außerhalb Baden-Würt tembergs, die sich für Bildungspolitik interessieren, fragen mich: Ihr habt Projekte zur Schulsozialarbeit gemacht, ihr habt Bildungspläne eingeführt, ihr habt ein G-8-Modell kreiert, ihr habt Ganztagsschulmodelle gehabt mit zehn Stunden pro Woche und pro Klasse bei gebundenen Ganztagsschulen. Ihr organisiert den Übergang von der Kindertagesstätte zur Schule neu mit Projekten wie „Schulreifes Kind“, „Schulanfang auf neuen Wegen“, Bildungshaus. Ihr macht einen Orientierungsplan ab 2009 verbindlich.
Wie wird das denn eigentlich alles umgesetzt? Da muss ich sagen: Die Projekte sind entweder auf null gestellt wie bei der Schulsozialarbeit – man hat gesagt, es werde alles auf die Kommunen abgeschoben –,
oder man hat die Projekte umgesetzt, hat aber die Ressourcen reduziert wie bei den Ganztagsschulen, sodass die Schulträger einspringen müssen für Aufgaben, die eigentlich Ihre Aufgaben sind.
Im Modell waren es zehn Wochenstunden, Herr Mappus, und jetzt in der realen Genehmigung sind es fünf Wochenstunden. Sie können mit fünf Wochenstunden bei einer gebundenen Ganztagsschule kein vernünftiges pädagogisches Ganztagsschulkonzept machen. Darum geht es.
Sie haben angekündigt, einen Orientierungsplan einzuführen; damit brüsten Sie sich bundesweit auch. Ich muss dazu sagen: Er wird zwar ab 2009 eingeführt, aber er hat bisher weder in Bezug auf die Bemessung der Personalstellen noch in Bezug auf die Fortbildung, die die Erzieherinnen und Erzieher dafür brauchen, eine Resonanz erfahren.
Das bisschen, das Sie anbieten, finanzieren Sie bis zum Ende dieses Jahres aus Stiftungsmitteln. Das soll dann die Zukunftsaufgabe und die Lösung im Rahmen des normalen Haushaltsplans sein? Das müssen Sie mir erst einmal erklären.
Zur Sprachstandsanalyse und zur Sprachförderung haben Sie noch nicht einmal das Schulgesetz geändert und bisher noch keinen Vorschlag vorgelegt, damit Sie das ab Herbst überhaupt machen können. Das ist die Realität in Baden-Württemberg: große Überschriften und nichts dahinter.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Volker Schebesta CDU: Sie wissen doch auch, dass es dazu schon einen Anhörungsentwurf gibt! Das ist doch schon am Laufen! – Gegenruf der Abg. Ursula Hauß- mann SPD: Herr Schebesta, zuhören!)
Jetzt komme ich zur völligen Verkennung der Realität, die Sie, Herr Rau, an den Tag gelegt haben. Baden-Württemberg war Vorreiter in der Sache: Wir stellen die Lehrerausbildung neu auf und führen Bachelor und Master ein. Was ist jetzt passiert? Eine absolute Bauchlandung, weil Sie es nicht einmal innerhalb Ihres Kabinetts auf die Reihe kriegen und die Universitäten tun, was sie wollen. Aber vor allem blockieren die Unis alles. Sie treten auf – jüngst wieder bei der Frauenunion –
und sagen, individuelle Förderung sei wichtiger als die Schulstruktur. Wie wollen Sie das denn machen, wenn Sie gleichzeitig zugeben müssen, dass über 75 % aller Schulklas
bei PISA 2002 ganz klar erklärt hat, ab einer Klassengröße von 25 Schülern höre die Möglichkeit der individuellen Förderung auf; dies werde zu einem Bildungsrisiko?
In Anbetracht dieser Aussage von Herrn Baumert ist es geradezu zynisch, wenn ebendieser vor einer Woche geäußert hat, Baden-Württemberg verfüge über das effizienteste Bildungssystem. Unser Bildungssystem ist vielleicht ökonomisch effizient, aber mit Gerechtigkeit hat dieser Zustand in den Schulen nichts zu tun.
ich sage aber nur zu zwei Punkten noch etwas –: Ihre Darstellung der Berliner Studie ist einfach falsch.
Der Bildungsforscher Rainer Lehmann hat in einem ersten Interview gesagt, die Tatsache, dass der Leistungsstand von Schülern nach vier Grundschuljahren und zwei Jahren Gymnasium am Ende der sechsten Klasse besser ist als von Schülern am Ende der sechsjährigen Grundschule, sei ein Beweis für die Güte des Gymnasiums und des dreigliedrigen Schulsystems. Nachdem Herr Lehmann das in der „Zeit“ so dargestellt hat, haben sich mehrere Bildungsforscher gewundert,
wie der Kollege Lehmann – sie haben es mit der HamburgWahl in Verbindung gebracht – überhaupt zu einer so oberflächlichen Interpretation kommen kann. Denn wichtig ist doch der Lernzuwachs, den die Kinder vom Ende der vierten bis zum Ende der sechsten Klasse erfahren. Da ist die sechsjährige Grundschule in manchen Bereichen sogar dem Gymnasium überlegen, in den anderen Bereichen gleichrangig. Das ist doch der Punkt.
Sie können doch nicht länger einfach nur zur Kenntnis nehmen, dass, sobald man nach der vierten Klasse in eine weiterführende Schule kommt, das Risiko, sitzen zu bleiben, für einen Jungen doppelt so groß ist wie für ein Mädchen. Ist das Bildungsgerechtigkeit, Herr Rau?
Da müssen Sie sich in der Diskussion doch der Einsicht öffnen – ich könnte es Ihnen auch anhand der Integrierten Gesamtschule in Mannheim und anderer Schulen zeigen –, dass es hier offensichtlich Vorteile gibt.
Wenn Sie die Anträge – Sie müssen nicht unsere Anträge nehmen – aus Meckenbeuren, Heiligenberg, Neuenstein, Wüstenrot und Karlsruhe als Forderung nach „Einheitsschule“ diffamieren,
gleichzeitig aber sagen, die Grundschule mit ihren jahrgangsübergreifenden Gruppen sei ein Erfolgsmodell, weil man dort individuelle Förderung heterogener Lerngruppen hinbekom me, dann müssen Sie entweder sagen, dass auch Letzteres eine Einheitsschule sei, die man abschaffen müsse, oder Sie müssen endlich akzeptieren, dass das, was in der vierjährigen Grundschule klappt, auch denjenigen Kindern zustehen sollte, die die weiterführende Schule besuchen.