Protokoll der Sitzung vom 23.07.2008

Übrigens: Dass Sie den alten Begriff „Gesamtschule“ nicht mehr aufnehmen, spricht ja Bände. Sie wollen den Menschen Sand in die Augen streuen.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Das machen Sie doch mit Ihrem Begriff „Einheitsschule“! – Weitere Zurufe von der SPD)

Sie wissen, dass die Gesamtschule als falsch erkannt worden ist und dies bei den Menschen bekannt ist.

(Unruhe bei der SPD)

Deswegen gilt für Gemeinschaftsschule und Einheitsschule: Neue Namen schaffen keine neue Qualität.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Im Grunde genommen gaukeln Sie den Menschen etwas vor, was längst entschieden ist.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

In Baden-Württemberg führen wir eine Qualitätsdebatte, aber keine Schulstrukturdebatte und auch keine Schulschließungsdebatte. Wir wollen mehr Qualität an unseren Hauptschulen durch erstens den doppelten Schulabschluss, nämlich Hauptschul- und Werkrealschulabschluss, also mittlere Reife, zweitens den Ausbau zu Ganztagsschulen, drittens die Stärkung der Basiskompetenzen und viertens eine engere Verzahnung mit den Betrieben und eine intensive Kooperation mit den Hauptschulen und Realschulen. Das ist unser Konzept.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Reinhold Gall SPD: Jedes Modell wird abgelehnt! – Abg. Ur- sula Haußmann SPD: Das war aber dünner Applaus!)

Dazu im Einzelnen: Zunächst zu den Standorten der Hauptschulen. Die zurückliegenden Jahre und Jahrzehnte waren geprägt durch Expansion, durch steigende Schülerzahlen und durch intensiven Schulhausbau. Diese Phase ist wohl dauerhaft vorbei. Wir haben in der Planung für die nächsten Jahre und Jahrzehnte davon auszugehen, dass es nicht mehr steigende Kinderzahlen, nicht mehr neue Schulen, nicht mehr Schulhausneubau und -gründung geben wird, sondern dass durch Erhalt und Umbau sowie Weiterentwicklung bei sinkenden Kinderzahlen die Qualität gesichert und gesteigert werden muss und dass sich hinsichtlich der Quantität nicht alles halten lassen wird.

Die Schullandschaft wird sich verändern. Wir dürfen uns den demografischen Fakten nicht verschließen. Die Schülerzahlen an den Hauptschulen werden nach allen Schätzungen in den nächsten Jahren weiter stetig zurückgehen, und zwar die Schülerzahlen insgesamt und darüber hinaus stärker als in anderen Schularten. Landesweit werden wir im Schuljahr 2012/2013 voraussichtlich ein Fünftel weniger Jugendliche an Hauptschulen haben als noch im Schuljahr 2004/2005.

Wir brauchen also arbeitsfähige und handlungsfähige Einheiten. An vielen Standorten werden wir dauerhaft sinnvolle Schulgrößen nur dann erreichen, wenn es auch zu Verbünden und Fusionen von Hauptschulen kommt. Dies kann an einem Ort geschehen, ist aber auch an unterschiedlichen Standorten möglich. Die Zusammenführung zu leistungsfähigeren und zukunftssicheren Schulen schafft ein differenziertes Bildungs angebot und Qualität und leistet einen Beitrag zur Chancengleichheit im ganzen Land.

Wir streben in der Regel

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Aha! „In der Regel“!)

aus pädagogischen, sozialpolitischen und bildungspolitischen Gründen zweizügige Hauptschulen an. Standorte, die diese sinnvolle Größe bereits haben oder durch Zusammenlegung erreichen, werden wir in ihrer Entwicklung weiter stärken, indem jede Hauptschule in Baden-Württemberg, die zweizügig ist oder mehr Züge haben wird, die Möglichkeit bekommt, nach dem zehnten Schuljahr die mittlere Reife zu vergeben. Diese Schulen werden die Bezeichnung „Werkrealschule“ führen. Jede zweizügige Hauptschule werden wir, wenn dies gewollt ist und ein Konzept vorliegt, als Ganztagsschule genehmigen.

Die den Schulen vor der Zusammenlegung zugewiesenen Lehrerressourcen werden wir den Schulen zu einem Drittel für Maßnahmen der Qualitätssteigerung belassen, die weiteren Mittel werden wir für andere Maßnahmen wie z. B. Schülerbeförderung einsetzen und in den Bildungsetat einfließen lassen.

Die Hauptschule zielt mit ihrem Praxiszug auf eine praktische berufliche Ausbildung. Die Werkrealschule, die die Regel werden wird – eine Hauptschule mit mittlerem Abschluss nach dem zehnten Schuljahr –, kombiniert die Berufsorientierung mit der Möglichkeit, die Schulausbildung in der Oberstufe ei

ner beruflichen Schule, eines Gymnasiums oder in einem Berufskolleg fortzuführen.

Daneben wird gleichwertig zur Werkrealschule, aber nicht gleichartig, der Realschulabschluss die Voraussetzungen für ein breites Spektrum von Möglichkeiten vermitteln: vom direkten Einstieg in die berufliche Ausbildung bis zum Übergang in die Oberstufe einer beruflichen Schule oder des allgemeinbildenden Gymnasiums. Kurzum: Wir wollen nicht Gleichheit, wir wollen nicht Einheit, wir wollen Gleichwertigkeit.

Hauptakteure in der Frage der Standorte sind und bleiben die kommunalen Schulträger. Wir werden diejenigen Schulträger, die sich für größere Einheiten entscheiden, die unsere Angebote nutzen, durch Anreize wie z. B. der Zusage, Ressourcengewinne für Qualitätsverbesserungen zu nutzen, unterstützen, sodass alle Beteiligten davon profitieren.

Auf Antrag der Schulträger werden wir die Schulbezirke auflösen. Ich biete allen Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden an, gemeinsam mit dem Land den Weg hin zu größeren Hauptschuleinheiten und damit zu einem differenzierten und besseren Bildungsangebot für Schüler in Baden-Würt temberg zu gehen. Dazu gehören Schulstrukturen; dazu gehört die inhaltliche und pädagogische Weiterentwicklung. Damit sind wir für alle Schularten auf dem richtigen Weg.

Mit unserem im letzten Jahr beschlossenen Paket werden wir dazu beitragen, dass die Ausbildung der Schüler und Schülerinnen an den Hauptschulen weiter verbessert wird. Prägende Elemente der schulischen Ausbildung sind gezielte Förderung, Lernstandserhebung und Ausbildungsnähe.

Dabei werden wir die Lehrerinnen und Lehrer durch Pädagogische Assistenten, die nachgefragt sind, unterstützen. Nach einem halben Jahr fällt die Bilanz der Arbeit und des Einsatzes von Pädagogischen Assistenten uneingeschränkt positiv aus. Die Pädagogischen Assistenten sind an den Schulen akzeptiert und tragen zu einer wertvollen Unterstützung des Regelunterrichts bei.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Ojemine!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu kommt die Aufwertung der Hauptschullehrkräfte – das ist der vierte Punkt –, die Personalentwicklung und die Stärkung der Schulen generell. Neben einer Weiterentwicklung der Schulstruktur und der pädagogischen Weiterentwicklung planen wir auch Veränderungen für die Lehrkräfte, die an den Hauptschulen unterrichten. Wir wollen, dass an den Pädagogischen Hochschulen in Zukunft ein Ausbildungsgang für Lehrkräfte an Haupt-, Real- und Werkrealschulen geschaffen wird. Das heißt, wir schaffen eine gemeinsame Ausbildung für den Abschnitt ab der fünften Klasse bis zur neunten bzw. zehnten Klasse. Damit rücken wir den Hauptschullehrer näher an den Realschul lehrer heran und schaffen auch insofern Gleichwertigkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wir werden kurzfristig ein Beförderungsamt für 20 % der Hauptschullehrkräfte schaffen. Das bringt nicht nur unsere Wertschätzung gegenüber Hauptschullehrerinnen und Hauptschullehrern zum Ausdruck, sondern ist auch ein wichtiger Leistungsanreiz und eine Möglichkeit guter Personalführung.

Um das Besoldungsgefüge an den Hauptschulen nicht ins Ungleichgewicht zu bringen, werden wir die Besoldung der Leiterinnen und Leiter der Hauptschulen entsprechend anpassen.

Fünftens: Personalentwicklung, Schulleitung, Kompetenz und Flexibilität vor Ort. Das Aufgabengebiet und die Arbeit unserer Führungskräfte an den Schulen aller Schularten sind in den letzten Jahren vielschichtiger und anspruchsvoller geworden. Die Erwartungen des Lehrkörpers, der Eltern und der Schüler sowie die Übertragung von Aufgaben von oben nach unten haben – verglichen mit früheren Zeiten – zu einer größeren Bedeutung der Schulleitung geführt. Dem tragen wir Rechnung, indem wir den Schulleitern und Schulleiterinnen noch mehr Zeit für Verwaltungs- und Managementaufgaben einräumen. Wir werden nicht nur die Sockelanrechnung für kleinere Klassen erhöhen, sondern auch die Anrechnung nach der Zahl der Klassen nach oben anpassen. Im Gegenwert machen wir in Baden-Württemberg 500 Deputate für mehr Verwaltungs- und Managementzeit der Schulleitungen frei.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Schulleiterinnen und Schulleiter sind unsere wichtigsten Partner im Schulbereich,

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Na, na, na!)

die wichtigsten Führungskräfte überhaupt. Deswegen wollen wir diese herausragenden Positionen mit besonders qualifizierten, engagierten und motivierten Lehrkräften besetzen. Um dies zu erreichen, werden wir im Schulbereich Vorbereitungs- und Auswahlseminare anbieten.

Für unsere beruflichen Schulen wollen wir auch künftig Direkteinsteiger mit Berufserfahrung gewinnen, vor allem Ingenieure des Maschinenbaus und der Elektrotechnik, aber auch andere Hochschulabsolventen mit Berufserfahrung.

Machen wir uns doch nichts vor: Auf dem Arbeitsmarkt sind wir mit unserer Dotierung für diesen Personenkreis nahezu chancenlos.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es!)

Die Wirtschaft schnappt uns die besten und die meisten Köpfe weg. Deswegen werden wir im Wettbewerb mit der freien Wirtschaft attraktivere Angebote für diesen Personenkreis schaffen. Wir wollen die Vorweggewährung von tariflichen Entgeltstufen für Direkteinsteiger und stellen dafür einen Gegenwert von 4,5 Millionen € pro Jahr bereit.

Ferner wollen wir die Budgetierung, das heißt die Verantwortung und Handlungskompetenz der Schulen, weiter stärken. Wir werden den Schulen mehr Spielraum geben, damit vor Ort über Personal und Sachmittel entschieden werden kann.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Wir stärken die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Schulen durch die Einführung von Personalausgabenbudgets. Mit der Personalausgabenbudgetierung soll der Einsatz der Ressourcen optimiert werden. Die Schulen sollen mit einem eigenen Budget die Möglichkeit bekommen, selbstständig und eigenverantwortlich befristete Arbeitsverhältnisse einzugehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Prima!)

Wir wollen deshalb den Schulen die Möglichkeit einräumen, Stellen in Mittel umzuwandeln

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Sehr gut!)

und anderweitig frei einzusetzen, z. B. für Werkverträge, im Bereich der PC-Betreuung, in anderen Bereichen. Kurzum: Auch hier stärken wir die Handlungsmöglichkeiten der Schulen vor Ort. Der Start ist zum Schuljahresbeginn 2009/2010 vorgesehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Sechstens: Wir bauen die Ganztagsschulen in Baden-Würt temberg plangemäß weiter aus. Viele Schüler haben Schwierigkeiten, in ihrem außerschulischen Umfeld das in der Schule erarbeitete Wissen zu bewahren und zu vertiefen. Die Ganztagsschule bietet dabei eine Hilfestellung. Bereits im Februar 2006 haben wir uns für einen bedarfsorientierten flächendeckenden Ausbau von Ganztagsschulen entschieden. Der Angebotscharakter und eine flexible Gestaltung des Angebots entsprechend den Bedarfen vor Ort sind uns weiterhin wichtig.

Ganztagsschulen in offener Angebotsform können in allen Schularten des allgemeinbildenden Schulwesens eingerichtet werden. Die Teilnahme an der Ganztagsbetreuung ist freiwillig. Das heißt: Kein Schüler wird dazu verpflichtet. Die Eltern entscheiden von Schuljahr zu Schuljahr über die Teilnahme des Schülers am Ganztagsbetrieb.

Vor wenigen Wochen konnten wir in einer weiteren Antragsrunde 221 neue Anträge auf Einrichtung einer Ganztagsschule genehmigen. Darunter sind 48 Schulen mit besonderer pädagogischer und sozialer Aufgabenstellung, die einen verpflichtenden Ganztagsbetrieb anbieten. 173 Schulen richten neu einen offenen Ganztagsbetrieb ein. Durch die genehmig ten Anträge steigt die Zahl der öffentlichen und privaten Ganztagsschulen in Baden-Württemberg zum nächsten Schuljahr von derzeit 837 auf 1 058 an. Diese 1 058 Ganztagsschulen sind eine wichtige Ergänzung des Bildungswesens in BadenWürttemberg.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Dafür, dass ihr das gar nicht wolltet, ist das schon eine gute Bilanz!)

Ich bin sicher, dass es nicht sehr lange Zeit bei diesen Zahlen bleiben wird, zum einen deswegen, weil zukünftig alle Gymnasien, die dies beantragen, Ganztagsschulen werden können, und zum anderen, weil viele Hauptschulen die Chance nutzen werden, den Unterrichtsbetrieb in größeren Einheiten mit einem Ganztagsangebot als Werkrealschule zu organisieren. Ich gehe von einem deutlichen Wachstum der Zahl der Ganztagsschulen auch in den nächsten Jahren aus. Dies ist unser Angebot für Eltern und Schulträger. Es ist im Grunde genommen ein Angebot gemäß der Nachfrage und dem Bedarf vor Ort.