(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Wolf- gang Drexler SPD: So ist es! – Abg. Stefan Mappus CDU: Ja!)
Bildung bekommt in einer globalen Gesellschaft, wo die klügs ten Köpfe der ganzen Welt miteinander im Wettbewerb stehen, ein völlig neues Gewicht, aber ebenso auch die soziale Frage. In einer Gesellschaft, die droht, immer ungleicher zu werden, ist die Frage, ob in der Bildung Chancengleichheit für jeden besteht, das A und O des sozialen Gesichts der Zukunft unserer Gesellschaft. Von dem demografischen Wandel, der viele dieser Debatten auslöst, lassen Sie sich nur treiben, statt ihn wirklich zu gestalten. Sie haben eigentlich nicht verstanden, was in einer Gesellschaft wie unserer, die kinderarm ist, das erste Gebot der Stunde ist, nämlich eine Leitidee, die heißt: Wir müssen jedes Kind, so gut wir können, individuell fördern.
(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Dr. Ul- rich Noll FDP/DVP: Genau das tun wir! – Abg. Hel- mut Walter Rüeck CDU: Willkommen im Klub!)
und nicht das, was Sie machen: sortieren am Ende der vierten Klasse. Herr Ministerpräsident, gerade dieses Sortieren folgt genau dem Einheitsgedanken, mit dem Sie hier angreifen wollen. Es ist genau der Versuch, drei Begabungstypen zu konstruieren, die man in drei einheitliche Schubladen steckt, weil man glaubt, in diesen „homogenen“ Klassen könne man sie besser unterrichten. Das ist die ganze Krux, über die Sie nicht hinauskommen.
(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Es gibt Sachen, die wir für richtig halten!)
Sie teilen ein, sortieren und stecken in Schubladen. Sie haben aber nicht erkannt, dass alle Kinder unterschiedlich sind, dass jeder Mensch unterschiedliche Begabungen hat, dass er auf unterschiedliche Art und Weise, vor allem mit unterschiedlichem Tempo und Aufwand lernt.
Das heißt, die leitende Idee muss eine pädagogische Idee sein, die lautet: Jedes Kind individuell fördern. Schulstrukturen sind nur ein Mittel auf dem Weg dahin.
(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Warum diskutieren Sie dann? – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sie fangen doch immer damit an! – Abg. Stefan Mappus CDU: Sie reden doch von Schulstrukturen!)
Jetzt haben Sie gelernt – das haben wir mit unserem Bildungspakt schon vor Jahren vorgestellt –: Es müssen mehr Ressourcen ins Bildungssystem. Das steht heute in jedem Zeitungsartikel.
(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Sehr gut! Das machen wir!)
Den OECD-Vergleich machen Sie nun. Das haben wir Ihnen mit unserem Bildungspakt längst vorgeschlagen. Auf diesen Bildungspakt greifen Sie jetzt zurück.
Auch Sie müssen letztlich die Rendite aus der demografischen Entwicklung einstellen. Sie machen das aber nicht mit klaren Zahlen offen und klar, sondern der Finanzminister macht das jetzt irgendwie verschwiemelt.
Natürlich brauchen Sie den Kredit, den wir in unserem Bildungspakt vorgeschlagen hatten, wegen der guten Konjunktur und der sprudelnden Steuereinnahmen nicht aufzunehmen. Das hätten wir in einer solchen Situation auch nicht gemacht. Aber wenn dies alles nachlässt und sich die Konjunktur eintrübt, ist Ihr Konzept gar nicht solide finanziert.
(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das stimmt doch gar nicht!)
Ihre Ansage, den Klassenteiler zu senken, ist überfällig. Diese Senkung zielt auf alle Schularten ab, vor allem aber auf die Schularten, von denen der größte Druck ausging.
Das sind die Gymnasien und die Realschulen. Nur 5 bis 7 % der Hauptschulen werden davon überhaupt profitieren. Das heißt, eine Stärkung der Hauptschule, um die es Ihnen geht, erreicht man damit am allerwenigsten.
(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das ist eine Fehl- interpretation!)
Für die Grundschulen zeigt dies erst einmal überhaupt keine Wirkung. Wir fordern seit langer Zeit, dass 25 Schüler pro Klasse die Obergrenze in den Grundschulen sein müssen.
Jetzt wird hinzukommen: Sie wollen über 3 000 Lehrer neu einstellen. Sie werden aber Schwierigkeiten haben, diese Lehrer überhaupt zu finden,
weil der Markt immer leerer wird, weil wir in hoher Konkurrenz zu unseren Nachbarländern wie der Schweiz stehen. Daran sieht man, dass Ihr ganzes Konzept schon vom Schwanz aufgezäumt ist und Sie für die Frage, wie die Lehrer überhaupt zu bekommen sind, gar keine Konzepte vorliegen haben.
Frühe Bildung ist ein zentrales Bildungsthema und damit eine Kernaufgabe der Bildungspolitik im Land. Professor Wassilios Fthenakis, ein Experte für Frühpädagogik, der die baden-württembergischen Verhältnisse aus seiner Arbeit gut kennt, hat gesagt: Die Landesregierung setzt mit Sprachstandsdiagnosen und dem Programm „Schulreifes Kind“ auf ein Konzept, das wissenschaftlich nicht haltbar ist.
Die Verfahren zur Sprachstandsdiagnose sind fachlich und pädagogisch unsinnig und nicht umsetzbar. Das sagen Ihnen alle Praktiker.
Die etwas mehr als 10 Millionen €, die Sie dafür einsetzen wollen, reichen natürlich nicht aus. Experten gehen davon aus, dass wir allein für eine vernünftige Sprachstandsdiagnose 80 Millionen € benötigen würden.
Aber die Frage lautet: Was geschieht, wenn wir die Diagnosen haben? Nichts! Dann fehlen nämlich die Mittel, um die Schwierigkeiten im Kindergarten zu lösen.
Das Konzept „Schulreifes Kind“ gibt es doch nur deswegen, weil Sie den Bildungs- und Orientierungsplan nicht zu der entscheidenden Grundlage machen, sondern wieder sortieren müssen und von dem Gedanken des Sortierens nicht wegkommen. Auch da hat Fthenakis gesagt: Die Kinder werden trotz guter Absichten sozial diskriminiert, und ihr Selbstwertgefühl ist beeinträchtigt. Deshalb fordere ich Sie auf, diese Mittel in das Projekt „Orientierungsplan“ zu stecken und von dem Projekt „Schulreifes Kind“ endlich Abstand zu nehmen.
Um dann etwas Entscheidendes zu bewirken, brauchen wir dort für kleinere Gruppen und für eine Fortbildung der Erzieherinnen, wenn das ernsthaft gemacht werden soll, zusammen einen Betrag in dreistelliger Millionenhöhe. Das muss jedem klar sein. Sonst wird das, was hier gemacht werden soll, nämlich erst einmal das Fundament zu festigen, gar nicht umgesetzt werden können.
Ausgerechnet bei der Frühförderung ist Ihre Finanzierung unsolide. Sie gehen dazu zur Landesstiftung, die die Sprachförderung finanzieren soll.
Damit übernimmt diese Landesstiftung zum ersten Mal eine Daueraufgabe des Landes. Damit überdehnen Sie den Gemeinnützigkeitsbegriff. Ich kann nur sagen: Risiko, Risiko, Risiko, das Sie damit eingehen.
Wenn das durch einen Spruch des Finanzgerichts zusammenfällt, wird es zu Steuernachzahlungen kommen müssen. Dann ist die Gemeinnützigkeit der Stiftung infrage gestellt. Wenn dieses steuerliche Risiko platzt, ist das wirklich ein Desaster für den Landeshaushalt und für die Kinder im Land und die ganzen Träger. Das muss man einfach einmal deutlich sagen.
Jetzt ist es so: Bei den Hauptschulen kommen Sie mit Ihrem Befreiungsschlag noch nicht einmal aus dem Sechzehner heraus. Wenn ich schon an das Gestochere im Kabinett denke: Der Finanzminister sagt zuerst, 700 Hauptschulen – die einzügigen – müssten geschlossen werden. Dann kommt Hauk und sagt, das gehe nicht, wir hätten schon keine Bäcker, Postler und Pfarrer mehr auf dem Land. Dann kommt Mappus und macht einen Strich darunter und sagt: Das wird alles nicht gemacht.
Jetzt wird ein Konzept vorgelegt, bei dem der Schwarze Peter ausschließlich den Kommunen zugeschoben wird. Wenn man das anschaut, was Sie jetzt vorhaben, merkt man: Das ist nichts anderes, als dass die Kommunen natürlich weiterhin unattraktive Hauptschulen machen können. Aber ich frage: Welcher Bürgermeister wird so etwas tun? Das heißt, Sie sind jetzt einfach nur von der Peitsche zum Zuckerbrot übergegangen, aber der Effekt wird haargenau derselbe sein: Die Bürgermeister müssen das machen, was Sie ihnen praktisch vorgeben. Das ist völlig klar.