Protokoll der Sitzung vom 23.07.2008

Jetzt wird ein Konzept vorgelegt, bei dem der Schwarze Peter ausschließlich den Kommunen zugeschoben wird. Wenn man das anschaut, was Sie jetzt vorhaben, merkt man: Das ist nichts anderes, als dass die Kommunen natürlich weiterhin unattraktive Hauptschulen machen können. Aber ich frage: Welcher Bürgermeister wird so etwas tun? Das heißt, Sie sind jetzt einfach nur von der Peitsche zum Zuckerbrot übergegangen, aber der Effekt wird haargenau derselbe sein: Die Bürgermeister müssen das machen, was Sie ihnen praktisch vorgeben. Das ist völlig klar.

Sie sagen jetzt: Aus pädagogischen, sozialpolitischen und unterrichtsorganisatorischen Gründen werden zweizügige Hauptschulen angestrebt. Das bedeutet aber das Aus für 60 % der Hauptschulen. Das heißt, die 700 Hauptschulen sind wieder im Gespräch, und Fusionieren heißt ja in der Regel: Aus zwei mach eins. Auch das heißt Schließen. Allerdings haben, wie gesagt, die Kommunen den Schwarzen Peter.

Nun sind wir Grünen dafür, dass mehr Kompetenzen in der Schulpolitik und in der Schulverwaltung auf die kommunale Ebene verlagert werden. Das macht aber nur Sinn, wenn die Kommunen auch etwas bestimmen können und nicht nur Ihre Befehle ausführen sollen. Das ist der ganz entscheidende Unterschied.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/ DVP: Genau das sollen sie können!)

Wenn aber Schulträger vor Ort neue integrative Schulmodelle entwickelt haben, die den Verhältnissen vor Ort angepasst sind, und auch wieder mehr Kindern aus der Gemeinde eine Perspektive geben, stehen Sie auf der Bremse.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Wo denn?)

60 vorliegende Anträge auf neue Schulmodelle, Herr Kollege Noll, bekommen eine Absage von der Regierung. Das ist der Punkt.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Deswegen ändern wir das ja!)

Die Senkung des Klassenteilers wird in der Tat die Lehrer und Lehrerinnen motivieren, denn diese werden dadurch in erster Linie entlastet. Aber anstatt diese Motivation jetzt aufzunehmen und daraus etwas zu machen, bleibt es nur dabei. Das hätte nur dann den Namen „Bildungsoffensive“ verdient, wenn die Akteure vor Ort, die Schulen, die sich an die örtlichen und regionalen Verhältnisse angepasst haben, die von den Schulgemeinschaften und den Kommunen getragen werden, selbst gestalten könnten. Dies hätte eine echte Aufbruchstimmung erzeugt.

Das ist genau das, was Sie jetzt schmerzlich vermissen, dass trotz Ihrer gigantischen finanziellen Anstrengungen keine Aufbruchstimmung entsteht. Das hätte natürlich eine buntere Bildungslandschaft bedeutet. Genau davor haben Sie Angst. Das hätte zu mehr Bildung für dieses Geld geführt. Sie dagegen geben nur mehr Geld in die Bildung.

Die Werkrealschule ist überhaupt nichts Neues. Alle zweizügigen Hauptschulen können die zehnte Klasse und den Werk realschulabschluss anbieten.

(Zuruf der Abg. Theresia Bauer GRÜNE)

Auch das ist nichts Neues. Wir haben auch Hauptschulen im Land, auf deren Türschild „Werkrealschule“ steht, die aber schon seit Jahren keine zehnte Klasse anbieten, weil dafür nicht genügend Schüler an dieser Schule sind. Nur ein Drittel der Schülerinnen und Schüler, die den Zusatzunterricht in Klasse 8 erhalten haben, setzen die Schullaufbahn in Klasse 10 der Werkrealschule fort. Die meisten – zwei Drittel – ziehen die zweijährige Berufsfachschule vor. Das heißt, die Werkrealschule ist für die Mehrheit der Klientel, für die sie infrage kommt und geschaffen wurde, gar nicht attraktiv. Die se jungen Leute gehen lieber andere Wege. Die Werkrealschule hat also ein Akzeptanzproblem. Sie kleben nur wieder dieses Schild auf die Türen anderer Schulen, und im Kern ändert sich überhaupt nichts.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Fazit: So werden Sie die Hauptschulen nicht retten.

Bei den Ganztagsschulen sehen wir genau dasselbe, Herr Ministerpräsident: Sie bleiben dem Betreuungsgedanken verhaftet.

(Abg. Wolfgang Drexler und Abg. Reinhold Gall SPD: So ist es!)

Auch dabei steht nicht ein pädagogisches Konzept im Vordergrund, das von der Frage ausgeht: Wie kann man Kinder unterschiedlicher Begabung und Herkunft heute so unterrichten, dass alles, was in ihnen steckt, mobilisiert wird?

(Zuruf des Abg. Volker Schebesta CDU)

Das ist der Gedanke der Ganztagsschule: eine rhythmisierte Pädagogik, die auf die unterschiedliche Intelligenz, den Leistungswillen und Ähnliches Rücksicht nimmt und dies über den Tag neu organisiert. Das ist der tragende Gedanke einer Ganztagsschule. Sie dagegen bleiben dem Betreuungs

gedanken verhaftet. Auch da gibt es also keine wirkliche Einsicht in geänderte gesellschaftliche Bedingungen und keinen Aufbruch.

Das Thema „Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung“, das ja eigentlich das Entscheidende ist, um die Leitidee, jedes Kind individuell zu fördern, auch in die Tat umzusetzen, kommt überhaupt nicht vor. Sie kommen bei der Reform der Lehrerausbildung nicht weiter. Deswegen fehlt der Bildungsoffensive die Basis.

Jetzt muss ich noch einmal auf Sie, Herr Kollege Mappus, zurückkommen. Ihr Ausfall gegen den oberschwäbischen Schulleiter Bosch,

(Zuruf von der CDU: Das war doch kein Ausfall!)

bei dem Sie ja praktisch gefordert haben, ihn aus seinem Amt zu entfernen, zeigt wie in einem Brennglas den fatalen Zustand der baden-württembergischen CDU in der Bildungspolitik. Glauben Sie allen Ernstes, dass man im 21. Jahrhundert Schulentwicklung mit dem Beamtenrecht und Bildung in einem Obrigkeitsstaat organisieren kann?

(Abg. Karl-Wolfgang Jägel CDU: Mein lieber Mann! – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Sie stellen sich gar nicht die Frage: Wer sind eigentlich die Akteure einer guten Schule? Die Zahl der Gründungen von Schulen in freier Trägerschaft zeigt dies: Es handelt sich um engagierte Eltern, engagierte Lehrerinnen und Lehrer sowie engagierte Schulleiter, die solche Schulen gründen.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Die Frage ist: Wo ist der Ort und was ist die Gestalt der Schule der Zukunft? Es werden im Stadtteil, im Dorf Gemeinschaften, kleine Gemeinwesen sein, die sich weitgehend selbstständig organisieren und weitgehend selbst angepasste und gute Bildung vor Ort organisieren.

Der Staat wird die Aufgabe haben, Standards zu sichern, Ressourcen zur Verfügung zu stellen, Qualität zu sichern und darauf zu achten, dass keine soziale Sonderung eintritt. Das ist die Aufgabe des Staates. Sie dagegen glauben – Ihr Ausfall zeigt Ihre ganze Gesinnungslage –, man könne mit Befehl und Gehorsam

(Abg. Stefan Mappus CDU: Das ist Quatsch! Das wissen Sie ganz genau!)

anstatt mit Dialog Schulen entwickeln. Ich finde, das ist für eine Partei wie die CDU, die auf ihren Praxisbezug immer so stolz ist, eigentlich erstaunlich.

Jetzt redet da ein erfahrener Schulleiter aus der Praxis, und statt dass Sie mit ihm reden – Sie reden noch nicht einmal auf einer internen CDU-Veranstaltung mit ihm –, soll er mit dem Beamtenrecht kujoniert werden.

(Zuruf von der CDU: Das ist der Rechtsstaat!)

Herr Ministerpräsident Oettinger, das ist doch eigentlich nicht Ihr Regierungsstil. Jetzt zeigen Sie einmal Kante, und laden Sie einfach einmal diesen Schulleiter oder seine Schule de

monstrativ ein oder gehen Sie dorthin und reden Sie mit ihm. Dann haben wir Respekt vor Ihnen.

(Beifall bei den Grünen – Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Kretschmann, ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Ja, ich komme zum Ende. – Das zeigt einfach Ihr Problem, dass Sie nämlich nicht begriffen haben, wie in einer modernen Gesellschaft Schule entsteht, nämlich durch kreative Menschen vor Ort.

Wenn 60 Schulträger fordern, neue Schulmodelle machen zu können, und Sie diese Motivation, etwas Neues zu machen, nicht nützen, dann, muss ich sagen, sind Sie in der Schulpolitik eine Innovationsbremse. Da hilft auch eine halbe Milliarde Euro nichts.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Thomas Blenke CDU: Das war die schwächste Rede seit Lan- gem! Da sind wir Besseres gewöhnt!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Mappus.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Gute Schulen und beste Bildungschancen gehören in Baden-Württemberg zu den klassischen Markenzeichen aller CDU-geführten Landesregierungen der letzten 50 Jahre.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf von der SPD: Oi! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Lügen, ohne rot zu werden!)

Dies hat die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten, wie ich finde, einmal mehr sehr deutlich klargemacht. Ich möchte zuallererst dem Herrn Ministerpräsidenten sehr herzlich dafür danken, dass er vor allem im Rahmen der Finanzierung, wie er es dargestellt hat, diese Reform möglich gemacht hat. Ich danke auch dem Kultus- und Bildungsminister Helmut Rau dafür, dass er im Stillen für eine schwierige Aufgabe eine exzellente Vorbereitung geleistet hat. Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Herr Kretschmann, ich verstehe schon, dass es Sie immer stört – egal, ob bei Erwin Teufel oder bei Günther Oettinger –, wenn Fakten zitiert werden. Aber, meine Damen und Herren, für uns zählen halt Fakten und nicht Ideologien.

Fakt ist: Wer eine baden-württembergische Schule besucht – alle nationalen und internationalen Vergleiche zeigen dies –, der lernt mehr und lernt schneller als Schüler in anderen Bundesländern. Ein baden-württembergischer Schulabschluss ist, meine Damen und Herren, wenn Sie so wollen, das Premiumticket für den erfolgreichen Eintritt in den Arbeitsmarkt, was Sie allein schon daran sehen, dass wir die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Diese Bildung war in der Vergangenheit sehr gut. Wir wollen mit dieser Qualitätsoffensive Bildung dafür sorgen, dass sie dies auch in Zukunft bleiben wird.

Wir investieren noch einmal zusätzlich 528 Millionen € für mehr Lehrer, für kleinere Klassen und für deutlich bessere Unterrichtsqualität. Wir geben den Schulen zusätzliche Ressourcen, die sie vor Ort in zunehmender Eigenständigkeit flexibel und in eigener Verantwortung einsetzen können.