Protokoll der Sitzung vom 24.07.2008

An anderer Stelle orientiert sie sich dagegen sehr wohl indirekt an Churchill, der nur dann an Statistiken glauben wollte, wenn er sie selbst gefälscht hatte.

(Heiterkeit des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Aber selbst zum Fälschen ist man bei Tiefensee zu faul. Ich zitiere aus der Stellungnahme zu unserem Antrag: Eine länderbezogene Auswertung der Mauteinnahmen sei nicht möglich, da sich die Grenzen der einzelnen Länder häufig zwischen zwei Mautstationen befänden. So lautete die lapidare Auskunft aus seinem Ministerium. Eine blödere Ausrede gibt es wohl kaum.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Es hätte ja völlig genügt, die eindeutig einem Land zuzuordnenden Mauteinnahmen offenzulegen und die Restsumme dann zu beziffern. Das hätten wir gerade noch selbst umrechnen können.

Auch die Entwicklung der Investitionen in die Bundesautobahnen und Bundesstraßen in Baden-Württemberg wird nicht offengelegt. Sie seien kontinuierlich gewachsen, so Tiefensees Ministerium – und das, obwohl wir erfahren, dass sie bundesweit kontinuierlich gesunken sind. Stimmen kann das eigentlich nicht.

Warum wird uns dies alles vorenthalten? Weil Herr Tiefensee seine verfehlte Politik fortsetzen möchte. Das wenige Geld, das aus den gigantischen Einnahmen aus der Mineralölsteuer und der Maut in Straßen investiert wird, wird nämlich immer noch im Osten investiert.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Die von mir schon einmal erwähnte fast unbefahrene A 71 durch den Thüringer Wald ist nur ein Beispiel. Bei uns wird das Geld verdient, und in Wolfgang Tiefensees Heimat und Angela Merkels Wahlkreis in Vorpommern wird es inves tiert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Helmut Kohl als Ziehvater unserer Kanzlerin ist ein geschichtsbewusster Mann. Würde man ihn fragen, würde er uns bestätigen, dass unter dem Verfall der Verkehrswege der Handel leidet. Ohne Handel gibt es keinen Wohlstand und ohne Wohlstand keine Zukunft. Noch ist es nicht zu spät, liebe Genossinnen und Genossen, auch wenn der Tiefensee noch so still ruht. Wecken Sie ihn doch bitte! Wir brauchen dringend ein Straßenbauprogramm West.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Razavi.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst danke ich der FDP/DVPFraktion für diesen Antrag und dem Innenministerium für die aufschlussreiche Stellungnahme.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Der Titel des Antrags hätte allerdings um den Satz ergänzt werden müssen: „Und täglich grüßt der Sündenfall.“

(Beifall des Ministers Heribert Rech – Abg. Heide- rose Berroth FDP/DVP: Wen denn?)

In Folgendem werden mir fast alle in diesem Hause sicherlich zustimmen: Erstens: Ein leistungsfähiger Wirtschaftsstandort wie Baden-Württemberg braucht leistungsfähige Autobahnen und Bundesstraßen. Zweitens: Um diese bauen und erhalten zu können, müssen dauerhaft ausreichende Mittel zur Verfügung stehen. Drittens: Die Erfahrungen der letzten 20 Jahre zeigen, dass dies über die konventionelle Steuer- und Haushaltsfinanzierung nicht möglich ist.

Fakt ist, dass die Mittel, die Baden-Württemberg vom Bund für den Bundesfernstraßenbau bekommt, weder dauerhaft stabil sind noch in irgendeiner Weise ausreichen, bei Weitem nicht. Die Zahlen sprechen für sich: 750 Millionen € fehlen bei den im Bau befindlichen Maßnahmen, Projekte im Volumen von 1,1 Milliarden € sind planfestgestellt, und Vorhaben in Höhe von 0,8 Milliarden € befinden sich gerade in der Planfeststellung. Alles in allem ergibt sich also ein Finanzierungsstau in Baden-Württemberg von weit über zweieinhalb Milliarden €. An neue Vorhaben, meine Damen und Herren, ist dabei schon gar nicht zu denken. Kurz: Der Bundesfernstraßenbau in unserem Land ist chronisch unterernährt.

Deshalb ist es wichtig und richtig, dass unsere Landesregierung den Bund in die Pflicht nimmt und seit Jahren den Sys temwechsel von der Steuer- zur Nutzerfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur einfordert. Dabei hat sie unsere volle Unterstützung; denn nur so kommen wir weg von der Finanzierung nach Kassenlage, und nur so steht uns dauerhaft mehr Geld für den Straßenbau zur Verfügung.

Im Hinblick auf dieses Ziel war die Einführung der Lkw-Maut vor drei Jahren logisch und richtig – allerdings immer vorausgesetzt, dass die Einnahmen daraus zweckgebunden in erster Linie für den Straßenbau eingesetzt werden. Dass diese Zweck bindung im Mautgesetz eindeutig geregelt ist, geht auf unseren damaligen Verkehrsminister Ulrich Müller zurück, der sie mit Beharrlichkeit und Weitsicht im Bundesrat durchgesetzt hat.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Im Mautgesetz heißt es – ich zitiere –:

Das verbleibende Mautaufkommen wird

nach Abzug der Ausgaben für Betrieb, Überwachung und Kontrolle des Mautsystems –

zusätzlich dem Verkehrshaushalt zugeführt und in vollem Umfang zweckgebunden … verwendet.

„Zusätzlich und in vollem Umfang“ – das ist entscheidend. Tatsächlich hat der Bund jedoch die Haushaltsmittel genau um die Höhe der Mauteinnahmen gekürzt und damit das Mautgesetz eindeutig unterlaufen. Das Ganze war und ist ein Nullsummenspiel. Wer geglaubt hatte, dass dem Straßenbau durch die Lkw-Maut mehr Geld zur Verfügung stehen würde, der hat sich getäuscht.

(Zuruf: Wohl wahr! – Abg. Heiderose Berroth FDP/ DVP: Der wurde getäuscht!)

Die Verwendung der Einnahmen aus der Mineralölsteuer sind ein weiterer Sündenfall. Nach dem Straßenbaufinanzierungsgesetz sind grundsätzlich 50 % des Aufkommens aus Kraftstoffsteuern für den Straßenbau zu verwenden. Seit Jahrzehn ten wird dies allerdings durch Haushaltsgesetze so verändert, dass das Mineralölsteueraufkommen auch für sonstige verkehrspolitische Zwecke verwendet werden kann. Das heißt, auch hier hat eine Zweckbindung faktisch nie bestanden. Dasselbe gilt für das Mehraufkommen aus dem Verbrauchsteueränderungsgesetz von 1988 und dem Solidaritätsgesetz von 2001.

Dass es dem Bundesverkehrsministerium bei diesem Tohuwabohu nicht mehr möglich ist, festzustellen, wie hoch das zweckgebundene Mittelvolumen eigentlich ist, verwundert nicht. Allerdings ist dies alles kein Zufall. Dieses Durcheinander, meine Damen und Herren, hat Methode.

Schließlich zur Ökosteuer – Stichwort „Rasen für die Rente“ –: Sie wurde von der alten Bundesregierung eingeführt und von der neuen bisher leider nicht abgeschafft.

Diese Auflistung, meine Damen und Herren, zeigt: Es gab trotz vieler Anläufe und Zusagen noch keinen einzigen Fall,

wo die Zweckbindung von Einnahmen für den Straßenbau geklappt hätte.

Wenn der Bund nun plant, zu Beginn des nächsten Jahres die Lkw-Maut zu erhöhen, so ist dies aus unserer Sicht aus zwei Gründen problematisch. Zum einen werden unsere Transportunternehmen diese Mehrausgaben – besonders angesichts der drastisch steigenden Treibstoffpreise – kaum verkraften können, und zum anderen wissen wir schon jetzt, dass der Bund im Gegenzug die Haushaltsmittel für die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur wiederum absenken wird. Die Mauterhöhung ist also wieder nichts anderes als ein Kompensationsgeschäft.

Die Schlussfolgerung ist für mich eindeutig: Wir brauchen keine Verlängerung dieses Sündenfalls. Was wir brauchen, ist, dass sich der Bund an seine Zusagen hält und dass das Geld, das für den Straßenbau gedacht ist, auch dort ankommt. Dies würde nicht nur die Qualität der Straßeninfrastruktur im Land verbessern; bessere Straßen und weniger Staus würden auch die Akzeptanz in der Bevölkerung dafür steigern, dass die Infrastrukturnutzung nicht gratis zu haben ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Tho- mas Blenke CDU: Gute Rede! Sehr sachlich!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Haller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir beraten heute ein schönes Thema, bei dem wir alle in einem Boot sitzen. Wir kämpfen für das Land gegen den bösen Bund. Wenn wir 20 Jahre zurückblicken, dann ist hier keine Partei vertreten, die nicht schon einmal an einer Bundesregierung beteiligt war:

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Da habt ihr Glück gehabt!)

In den Neunzigerjahren CDU und FDP, dann bedauerlicherweise nur sieben Jahre Rot-Grün und jetzt die große Koalition.

(Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Zu Recht wird festgestellt, dass die Erfahrungen der letzten 20 Jahre gezeigt haben, dass ein annähernd bedarfsgerechter Ausbau nur bedingt möglich ist. Das ist keine parteiliche Frage. Die FDP hat es nicht hingebracht, die CDU nicht – sie hat 13 Jahre den Kanzler gestellt – und wir offensichtlich auch nicht ganz. Wir tun uns natürlich leicht, immer den anderen zu sagen: Macht doch alles besser. Genauso wissen auch die Kommunen immer, was das Land besser machen sollte.

(Abg. Peter Hofelich SPD: Zu Recht! – Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Das ist im Grunde eine einfache Rolle, ohne eigene Verantwortung andere zu beschuldigen.

Aber klar ist: Auch wir treten dafür ein, grundsätzlich mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung zu stellen. Das ist überhaupt keine Frage. Es ist überhaupt keine Frage,

dass gerade der Straßenbau in Baden-Württemberg unterfinanziert ist und dass im Osten bessere Straßen vorhanden sind, als wir sie hier im Westen gerade im Transitland Baden-Würt temberg haben.

(Beifall bei der SPD)

Es ist völlig unstrittig, dass hier zum Teil auch falsche Weichen gestellt wurden. Aber daran waren bei Gott alle beteiligt. Die Vorstellung, man könne die Schaffung blühender Landschaften im Osten aus der Portokasse finanzieren, war die Idee der CDU.

Lassen Sie mich auf zwei, drei Zahlen eingehen. Das Land Baden-Württemberg bekommt zu wenig; da sind wir uns einig. Aber es bekommt immer mehr. Es hat gerade in den Neunzigerjahren verdammt wenig bekommen, etwa 260 Millionen €. Wir haben 2004 350 Millionen €, 2005 450 Millionen €, 2006 500 Millionen € und 2007 560 Millionen € bekommen für die Erhaltung, für den Bau und – das wird immer wieder von der Landesregierung verschwiegen – für die Refinanzierung der vorfinanzierten Maßnahmen. Sie erklären immer nur, was überwiesen wird, und überwiesen wird natürlich nicht das Geld, das der Bund gleich einbehält. Das sind jährlich ca. 60 bis 70 Millionen €, die dann logischerweise aktuell nicht zur Verfügung stehen.

Noch eine zweite Zahl: Der Bund nimmt etwa 41 Milliarden € aus der Mineralölsteuer ein. Er refinanziert damit – das kann man entnehmen – etwa 24 Milliarden €, etwas über 50 %.