Protokoll der Sitzung vom 24.07.2008

Ich setze als Zweites sehr darauf – vielleicht sollte man alles immer ein bisschen gemeinsam denken –, dass wir uns hier im Saal schon intensiv darüber unterhalten haben, was wir mit den Pflegestützpunkten machen. Wir haben ja einen badenwürttembergischen Weg gefunden. Der Weg heißt: Wir wollen vorhandene Beratungsangebote noch stärker ausbauen und keine Doppelstrukturen schaffen.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Bist du da sicher, dass das noch gilt?)

Jetzt kommt mein entscheidender Ansatz, Kollegin Altpeter: Wenn wir das ernst meinen, dann werden wir die Beratungs angebote für zu Pflegende oder deren Angehörige – darum geht es ja häufig – so gestalten, dass Ehrenamt, Kreisseniorenrat und Stadtseniorenrat in diesen Beratungsstellen mit repräsentiert sind. Jetzt kommt der Clou: Das alles sind Leute, die teilweise sogar selbst in Kreistagen sitzen. Das heißt, mein Appell geht zunächst einmal dahin: Weil das Ganze offensichtlich gesetzlich nicht bis ins letzte Detail geregelt werden kann, sollten wir diejenigen, die wirklich wissen, wo Qualität zu welchem Preis geboten wird, noch sehr viel stärker in dieses Beratungsangebot einbinden.

(Beifall des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr gut!)

Ich kann mir nicht vorstellen, dass man z. B. gegen den Rat des Kreisseniorenrats des Landkreises Schwäbisch Hall

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Gerade dort nicht!)

Maßnahmen ergreift, die genau zu dem führen, was offensichtlich in Einzelfällen schon passiert ist; sonst hätten Sie wahrscheinlich nicht danach gefragt.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, die Unterhaltungen nach außerhalb des Plenarsaals zu verlegen.

Wenn wir jetzt glauben, wir könnten über gesetzliche Vorschriften etwas verändern, wird das wohl eher nicht funktionieren. Ich setze erstens auch darauf, dass die Landkreise sich an den guten Beispielen, die es ja in Baden-Württemberg gibt, ohne drohenden Zeigefinger orientieren, indem sie Best-Practice-Beispiele nachahmen, und dass wir zweitens jeweils im Kreistag sehr viel stärker die vorhandenen Strukturen vor Ort nützen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es!)

Ich will einmal den Kreistag sehen, der dann, wenn der Kreisseniorenrat kommt und sagt: „Es ist eine Schweinerei, was ihr hier im Fall Soundso gemacht habt“,

(Zurufe der Abg. Nikolaos Sakellariou SPD und Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

der Verwaltung nicht wirklich Beine macht. So verstehe ich letztendlich auch eine richtig verstandene Bürgergesellschaft.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut!)

Das Wort erhält Herr Staatssekretär Hillebrand.

Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich wollte ich dem Wunsch eines lieben Kollegen aus der SPD-Fraktion nachkommen und es jetzt kurz machen. Ich will seinem Wunsch wenigstens insoweit entsprechen, als ich nicht all das, was rund um die Pflege, Frau Kollegin Mielich, angesprochen worden ist, jetzt abarbeiten werde. Ich will mich vielmehr auf das Thema beschränken, das auf der heutigen Tagesordnung steht. Ich den ke, wir haben noch an anderer Stelle Gelegenheit, uns in vielfältiger Form über die Themen, die da anstehen, zu unterhalten.

Man hätte es ja eigentlich auch noch kürzer machen können, Frau Altpeter. Der Antrag der SPD-Fraktion war durch unsere Stellungnahme eigentlich wirklich umfassend abgearbeitet.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Nein!)

Insofern wäre eine Diskussion heute gar nicht notwendig gewesen. Aber nachdem wir diese jetzt führen, will ich – –

(Abg. Christine Rudolf SPD: Das ist aber Ansichts- sache!)

In der Tat.

(Zuruf des Abg. Stephan Braun SPD)

Herr Braun, an uns liegt es nicht, wenn Sie nicht zeitig nach Hause kommen.

(Zuruf des Abg. Stephan Braun SPD)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, jeder, der es einmal im eigenen Familien- oder Bekanntenkreis erlebt hat, wird mir oder auch Ihnen, liebe Frau Altpeter, zustimmen: Der Umzug in ein Pflegeheim bedeutet im Leben aller Betroffenen das Ende eines langen Abschnitts der selbstständigen Lebensführung. Die Trennung von geliebten Menschen und vertrauter Umgebung, die Notwendigkeit, sich in eine unbekannte, neue Umgebung einzufügen: All das stellt die betroffenen Menschen und ihre Angehörigen vor sehr, sehr große Belastungen. Da stimmt mir auch der Kollege Zimmermann zu – egal, ob er oben oder unten sitzt oder ob er, wie gerade eben, den Saal betritt.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Er ist über- all! – Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Umso wichtiger ist es, bei der Auswahl des Heimes eine von allen akzeptierte Lösung zu suchen und zu realisieren. Hier

bei sind sowohl die Leistungsberechtigten und ihre Angehörigen und im Fall der Bedürftigkeit auch die Sozialhilfeträger gefordert.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wie sieht die rechtliche Situation aus? Das SGB XII räumt pflegebedürftigen Menschen, die einen Platz in einem Pflegeheim suchen, aber auf ergänzende Leistungen der Sozialhilfe angewiesen sind, ein Wunschrecht ein, Frau Altpeter. Dieses Wunschrecht ist aber nicht grenzenlos.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Habe ich vorhin zitiert!)

Die gleiche gesetzliche Bestimmung, also § 9 SGB XII, legt fest, dass die Träger der Sozialhilfe diesen Wünschen in der Regel entsprechen sollen, es sei denn, deren Erfüllung wäre mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden. Wie der Begriff „unverhältnismäßige Mehrkosten“ im Einzelfall auszulegen ist, dazu gibt es für die Sozialhilfeträger ganz konkrete Anhaltspunkte.

Alle Stadt- und Landkreise folgen Regularien, die vom Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung entwickelt und zuletzt Ende 2007 vom Landessozialgericht BadenWürttemberg erneut bestätigt wurden. Diese Regularien sind in die Sozialhilferichtlinien Baden-Württembergs eingeflossen. Sie enthalten Grundsätze als Handlungsempfehlung an die Sozialhilfeträger. Kernaussage dieser von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze ist: Der sogenannte Mehrkos tenvorbehalt erschöpft sich nicht in einem rein rechnerischen Kostenvergleich,

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Eben!)

sondern verlangt auch eine wertende Betrachtungsweise, bei der der Wunsch des Betroffenen sowie alle weiteren Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen sind.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Ausgangspunkt und Auslöser des Antrags der SPD-Landtagsfraktion ist die Anwendung eines Kreistagsbeschlusses des Main-Tauber-Kreises zum Wunschrecht nach § 9 Abs. 2 SGB XII. Dieser Beschluss umfasst eine Regelung, wonach – ich zitiere –

eine Übernahme der Kosten durch den Sozialhilfeträger regelmäßig erfolgt, wenn der günstigste wohnortnahe (freie) Heimplatz gewählt wurde oder das gewählte Heim innerhalb oder außerhalb des Landkreises keine unverhältnismäßigen Mehrkosten verursacht. Dies ist der Fall, wenn die anfallenden Kosten nicht höher sind als 10 % über denjenigen, die bei der Wahl des günstigsten wohnortnahen Heimes entstehen würden. Ansonsten ist eine Übernahme der Kosten nur in Höhe von 110 % des güns tigsten Heimes des jeweiligen Bezirks möglich.

Und – jetzt kommt’s –:

Abweichungen hiervon sind jedoch in begründeten Einzelfällen möglich.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Es kommt auf den Einzelfall an!)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dieser Beschluss steht auch und gerade wegen der Abweichungsregelung nicht im

Widerspruch zu den gesetzlichen Vorschriften. Alle Kreise – das gilt auch für den Main-Tauber-Kreis – haben in ihren Stellungnahmen über den Landkreistag gegenüber unserem Haus, dem Ministerium für Arbeit und Soziales, deutlich gemacht, dass bei der Definition des Begriffs der unverhältnismäßigen Mehrkosten nicht allein die Kosten zugrunde gelegt werden, sondern selbstverständlich die Grundsätze der §§ 9 und 16 SGB XII berücksichtigt werden müssen. Das heißt, die Besonderheit des Einzelfalls und die besonderen Verhältnisse der Familie fließen in die Entscheidung mit ein.

Im Übrigen haben alle Kreise darauf hingewiesen, dass überhaupt erst bei tatsächlich vorhandenen Alternativen, bei tatsächlich vorhandenen freien Plätzen eine entsprechende Prüfung vorgenommen werden kann. Der Main-Tauber-Kreis räumt in jedem begründeten Einzelfall ausdrücklich die Möglichkeit ein, eine abweichende Entscheidung zu treffen. Eine massive Einschränkung des Wunschrechts auf Wahlleistungen, die ein Einschreiten im Rahmen der Rechtsaufsicht erforderlich machen würde, liegt jedenfalls nicht vor.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Rechtsaufsicht ist auf Rechtsaufsicht beschränkt.

(Beifall der Abg. Dietmar Bachmann und Dr. Fried- rich Bullinger FDP/DVP – Abg. Dietmar Bachmann FDP/DVP: Genau!)

Wenn keine Rechtsverstöße ersichtlich sind, dann gibt es überhaupt keinen Anlass für die Rechtsaufsichtsbehörde, tätig zu werden, liebe Kollegin Altpeter.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, zum Schluss möchte ich noch auf zwei Punkte hinweisen.

(Zuruf des Abg. Nikolaos Sakellariou SPD)

Sie haben es provoziert, Herr Sakellariou, dass es so lange gedauert hat.

(Lachen bei der SPD)

Zum einen haben die Kreise bestätigt, dass nur in ganz seltenen Ausnahmefällen keine einvernehmliche Lösung gefunden wird. Dies ist aus der Sicht der betroffenen Menschen – da sollten wir uns in diesem Hohen Haus doch einig sein – sehr ermutigend. Zum anderen sei mir der Hinweis gestattet, dass die Verwendung des Begriffs „Billigheime“ – –