Drittens: Der Landesregierung fehlt es an Mut. Herr Köberle, Sie sind auf der richtigen Spur, aber Sie biegen zu früh ab.
Die Umstellung auf eine Nutzerfinanzierung ist richtig. Wenn Sie aber mit der Einführung der Nutzerfinanzierung gleichzeitig die Entlastung von Steuern fordern, haben Sie am Schluss nicht mehr Geld, um den beklagten Investitionsstau beheben zu können. Dann bleibt es ein Nullsummenspiel.
Gestern haben wir eine umfangreiche Bildungsdebatte geführt. Heute vergisst man, dass Steuern – auch die Mineralölsteuer, auch die Kfz-Steuer – eben Steuern sind und keine Abgaben und deswegen nicht zweckgebunden sind. Heute habe ich sogar von der SPD fast die Leidenschaft herausgehört, auch mehr in Straßen zu investieren, wie das der Ministerpräsident vor Kurzem gesagt hat, und nicht in den Bereich Bildung.
Viertens: Verkehr verursacht ein Vielfaches der Kosten – interne und externe Kosten zusammengerechnet –, die durch die Mineralölsteuer und die Mautgebühren finanziert werden könn ten. Der Steuerzahler subventioniert damit den Straßenverkehr und nicht umgekehrt. Das ist außerhalb des Landtags und des ADAC auch nicht mehr umstritten. Wer dies nachlesen möchte, kann es gern in den Schriften des Umweltbundesamts tun. Das Umweltbundesamt hat dies sehr präzise berechnet. Die Studie ist frei zugänglich und im Internet verfügbar. Das heißt – auch wenn es wehtut –: Nach wie vor zahlt der Autofahrer nicht das, was er die Gesellschaft kostet.
Fünftens: Die Vignette als Instrument der Nutzerfinanzierung ist falsch. Sie hat keinerlei Lenkungswirkung. Sie behandelt Wenig- und Vielfahrer gleich, CO2-Schleudern genauso wie Dreiliterautos. Sie wird deshalb in der Bevölkerung keine Akzeptanz finden.
Es ist eine Lösung in Sicht, nämlich eine streckenabhängige Straßenbenutzungsgebühr, die sogar zeitlich differenziert mit einem CO2-Faktor versehen werden kann.
Satellitengesteuert vermeidet sie Mautausweichstrecken. Die Niederländer führen das bis zum Jahr 2016 ein. Warum tun wir das nicht?
Sechstens: In den Sechziger- und Siebzigerjahren gab es den Wahn, autogerechte Städte zu schaffen. Heute glauben noch manche, man müsse autogerecht Landschaften zerstören. Das sind die Gleichen, die von einem „Nettonullflächenverbrauch“ reden.
Die auch ohne unser Zutun steigenden Spritpreise werden den Zuwachs an Verkehr deutlich abbremsen. Beschleunigen wir eine ökologische Verkehrslenkung, dann erübrigt sich manche der ach so dringenden Bundesstraßenverkehrsplanungen. Natur und Mensch werden es uns danken.
Mehr gibt es zu diesem Antrag nicht zu sagen. Machen wir es heute kurz, damit wir uns wie die Lemminge in die Schlange der Urlaubsstaus stellen können.
Ich habe Herrn Staatssekretär Köberle noch unser Gutachten zu den wahrscheinlichen Kosten des Projekts Stuttgart 21 mitgebracht.
(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Jetzt wird wieder zur Sache gesprochen! – Abg. Werner Wölfle GRÜNE: Ich lasse das Gutachten hier liegen!)
Verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Beantwortung des vorliegenden Antrags, lieber Kollege Bachmann, war schwierig. Wir haben es uns nicht leicht gemacht. Sie wissen, dass wir auf Zahlenmaterial angewiesen sind, das uns der Bund zur Verfügung stellen müsste, was er aber nur unzureichend getan hat. Ob das absichtlich geschah oder weil es nicht möglich ist, lassen wir einmal offen.
Für uns wäre es natürlich außerordentlich interessant und für unsere politische Argumentation dem Bund gegenüber sehr hilfreich, wenn wir deutlich machen und mit präzisen Zahlen belegen könnten, dass der Bund mit seiner Verkehrspolitik, mit seiner Mittelverteilung und -zuweisung eigentlich an dem starken Ast sägt, auf dem er ganz wesentlich selbst sitzt. Er ist der Meinung, dass der Süden stark genug ist, um sich selbst zu helfen. Aber wir sind natürlich auf Mittel angewiesen, und uns sind Grenzen gesetzt, sodass wir nicht unbegrenzt Hausaufgaben des Bundes erledigen können. Deshalb war dieser Antrag einmal ein guter Vorstoß. Wir sollten weiter daran arbeiten, dass dieses Zahlenwerk präzisiert wird.
Trotzdem, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wissen wir einiges. Wir wissen, dass das Straßennetz von Bundesautobahnen und Bundesstraßen in unserem Land lückenhaft ist, dass es teilweise veraltet, ausgelastet und überbelastet ist,
mit all den bekannten Folgen nicht nur an einem ersten Ferien- und Urlaubstag, sondern das ganze Jahr über, mit den täglich bekannten und erfahrbaren Folgen.
Wir wissen, dass der Verkehr in Baden-Württemberg – wie könnte es anders sein? –, in diesem wirtschaftlich starken Land, besonders stark ist. Wir haben auf den Bundesautobahnen im Land 20 % mehr Verkehrsaufkommen als im Bundesdurchschnitt und auf den Bundesstraßen 45 % mehr Verkehrsaufkommen, und wir haben neben Sachsen-Anhalt den größten Lkw-Anteil am Verkehrsaufkommen auf unseren Straßen. Der Bund legt immer wieder neue Zahlen, neue Prognosen vor, erst kürzlich im Zusammenhang mit dem Masterplan Logistik. Da werden die Zahlen aber nicht nach unten korrigiert, sondern vor allem im Güterverkehr werden erschreckende Zuwächse für die nächsten Jahre und Jahrzehnte prognostiziert.
Wir wissen, dass wir in alle Bereiche der Verkehrsinfrastruktur investieren müssen. Jeder Verkehrsträger – ob Straße, Schiene, Luftverkehr oder Wasserstraßen – hat seine Stärken, hat aber auch Nachteile und Schwächen, vor allem bezogen auf die Auswirkungen im ökologischen Bereich. Deshalb muss man in alle Bereiche investieren und entlang der Verkehrszuwächse Stärken stärken und Schwächen reduzieren.
Aber eine Tatsache bleibt: Obwohl der Bund und auch das Land große Anstrengungen unternehmen, um Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern – Stichworte Neubaustrecke, Rheintalgleis, Neckarschleusen –, wird die Straße der Verkehrsträger Nummer 1 bleiben. 70 bis 80 % des Verkehrs werden auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auf den Straßen stattfinden.
Wir wissen, dass wir im Bereich des Straßenbaus chronisch unterfinanziert sind. Lieber Kollege Haller, da haben Sie recht. Man kann jeder Bundesregierung vorhalten, dass sie nicht genügend Geld zur Verfügung stellt.
Ich will Ihnen allerdings sagen – man muss Zahlen schon auch anders wahrnehmen, als Sie, lieber Herr Haller, das tun; ich nenne einmal Zahlen der letzten Jahre –: Wir brauchten, um den Bedarf zu decken, den der Bund im Bundesverkehrswegeplan per Gesetz selbst formuliert hat, jährlich 330 bis 350 Millionen €. Wir hatten 2007 ein gutes Jahr. Da haben wir immerhin 285 Millionen € bekommen. 2008 sieht es schon anders aus: Da liegen wir knapp unter 200 Millionen €.
Ganz schwierig wird es im Jahr 2009 und in den darauffolgenden Jahren. Wir orientieren uns an der mittelfristigen Finanzplanung. Nach dieser erhalten wir im Jahr 2009 gerade noch 135 Millionen € und in den darauffolgenden Jahren zwischen 130 und 140 Millionen €.
Nehmen wir konkret das kommende Haushaltsjahr. Auf den Haushalt 2009 schauen nicht nur Landtagskollegen sehr ge
spannt und fragen sehr neugierig, ob ihr jeweiliges Projekt mit dabei ist – sei es Mühlhausen, Elzach, Herbertingen, der Schei bengipfeltunnel,
der Tunnel in Dußlingen und viele andere Projekte mehr. Da könnten wir jetzt eine endlose Liste aufmachen. Wenn wir das Ganze in der Summe nehmen, müssen wir sagen: Die Erwartungen vieler Orte und Regionen im Land richten sich auf einen Finanzbedarf von über 1,1 Milliarden €. Es handelt sich um baureife, planfestgestellte Projekte. Da sehen wir, wie hoch im Verhältnis zu dem, was wir bekommen, die Erwartungen sind. Für das kommende Jahr 2009 bekommen wir also 135 Millionen €.
Vielleicht noch eines – dann erübrigt sich unter Umständen eine Frage –: Wenn wir aber alle laufenden Baumaßnahmen weiterführen, also keinen Bau abbrechen und bei keiner Maßnahme den Arbeitern sagen: „Kommt in ein paar Jahren wieder; wir haben kein Geld mehr“, dann reichen die 135 Millionen € bei Weitem nicht. Dann brauchen wir 275 Millionen €, also mehr als das Doppelte dessen, was uns der Bund zur Verfügung stellt. Welchen Ausweg – –
(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Der Bund hat doch noch nicht einmal jetzt, bei sprudelnden Steu- ereinnahmen, einen ausgeglichenen Haushalt! Es sol- len Schuldenbremsen in die Verfassung! Wie stellen Sie sich das denn vor? – Gegenruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sie fordern doch immer mehr Geld! – Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP – Glo- cke des Präsidenten)
Herr Staatssekretär, bei Herrn Kollegen Haller ist eine Frage offengeblieben. Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich bitte um ein bisschen Geduld. Denn ich beschreibe nicht nur eine Situation. Es ist aber sinnvoll, die Situation zu beschreiben. Sie können nur dann Lösungsvorschläge machen, wenn wir zunächst einmal die Situation analysieren und darstellen.