Protokoll der Sitzung vom 05.11.2008

Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

a) Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregie

rung – Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Baden-Württemberg, des Gesundheitsdienstgesetzes und der Meldeverordnung – Drucksache 14/3254

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Schule, Jugend und Sport – Drucksache 14/3372

Berichterstatter: Abg. Dr. Frank Mentrup

b) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des

Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Rückstellungen von Kindern von der Einschulung – Drucksache 14/2212

c) Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des

Ministeriums für Arbeit und Soziales – Einschulungsuntersuchung – Drucksache 14/2252 (geänderte Fas- sung)

d) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des

Ministeriums für Arbeit und Soziales – Erkenntnisse über die neukonzipierte Einschulungsuntersuchung – Drucksache 14/2347

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Allgemeine Aussprache eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion festgelegt, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.

In der Allgemeinen Aussprache darf ich Herrn Abg. Schebes ta für die CDU-Fraktion das Wort erteilen. Bitte, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung werden zwei Regelungsinhalte in Gesetzesform gegossen. Das eine ist das Thema Sprachförderung, das andere ist das Thema „Schulpflicht für Asylbewerberkinder“. Ich will in der Zweiten Beratung mit dem zweiten Punkt beginnen.

Wir haben schon bisher das Recht von längerfristig hier verweilenden Kindern von Asylbewerbern zum Schulbesuch. Wir sind davon überzeugt, dass diese Regelung richtig ist, und wir sind zu dieser Regelung durch ein UNESCO-Abkommen verpflichtet. Der unsichere Rechtszustand, der für die Asylbewerber gilt, soll sich nicht so auswirken, dass die Kinder in den

für ihren Bildungserfolg wichtigsten Jahren nicht unterrichtet werden und sich nicht in der Sprache des Landes entwickeln können, in dem sie bis zum Abschluss und bei einem positiven Abschluss des Verfahrens oder einer Duldung darüber hinaus leben dürfen und leben werden. Deshalb haben wir die se Regelung mit dem Recht auf Schulbesuch.

In der Koalitionsvereinbarung für diese Legislaturperiode ist festgelegt, dass wir die Schulpflicht, nicht nur das Schulrecht für Kinder von längerfristig hier lebenden Asylbewerbern und von Flüchtlingskindern einführen wollen. Wir tun dies jetzt mit der Verabschiedung dieses Gesetzes und erweisen uns damit einmal mehr verlässlich in dem, was für diese Legislaturperiode angekündigt ist. Es wird auch umgesetzt.

(Beifall des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP)

Die Lösung, die jetzt zu diesem Punkt vorgelegt wird, ist aus unserer Sicht eine gute Lösung im Ausgleich zwischen ausländerrechtlichen Fragen und einer Schulbesuchsregelung. Deshalb ist auch die Regelung der Schulpflicht erst sechs Monate nach dem Zuzug vorgesehen. Wir halten das für einen richtigen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Fragen und lehnen deshalb den Änderungsantrag der Grünen ab, weisen aber darauf hin, dass in diesem Antrag von einer Wartefrist gesprochen wird, die den falschen Eindruck erweckt, dass vorher kein Schulbesuch möglich wäre. Vor diesen sechs Monaten bleibt es bei der bisherigen Regelung, dass selbstverständlich das Recht auf Schulbesuch besteht.

Für diese Kinder, meine Damen und Herren, aber auch für andere Kinder gilt, dass das Wichtigste für ihren Bildungserfolg ihre sprachliche Kompetenz ist. Diejenigen, die nicht zum regulären Einschulungstermin in die erste Klasse kommen, sondern später hinzukommen, brauchen in der Schule Angebote, damit sie sich die bislang noch fehlende Sprachkompetenz aneignen und so dem Unterricht folgen können. Die Maßnahme, die sich am besten für diejenigen Kinder eignet, die bei uns aufwachsen, ist jedoch die, dass man schon vor der Einschulung Angebote zur Sprachförderung macht und den Kindern diese Sprachförderung zukommen lässt.

Um zu ermitteln, wer eine solche Sprachförderung braucht, ist eine gute Diagnose wichtig. Eine entsprechende Grundlage wird mit der neukonzipierten Einschulungsuntersuchung, die mit unserem Gesetzentwurf nun realisiert wird, bereitet. Wir haben uns mit der Erarbeitung der Regelungen zu einer solchen Diagnose Zeit gelassen. Bereits im Sommer 2006 ist die neue Einschulungsuntersuchung in zehn Landkreisen für einen Zeitraum von zwei Jahren modellhaft erprobt worden. Darauf folgte eine Evaluation; nach dieser Evaluation haben Sie von der Fraktion der SPD und der Fraktion GRÜNE auch in Ihren Anträgen gefragt. Deshalb verstehe ich nicht ganz, Frau Kollegin Lösch, warum Sie bei der Ersten Beratung des Gesetzentwurfs gesagt haben, dieser Gesetzentwurf sei ein Schnellschuss. Wir haben uns mit der Erarbeitung der neuen Konzeption und der Umsetzung ganz bewusst Zeit gelassen und diese erprobt.

Die neue Einschulungsuntersuchung wird in zwei Schritten ablaufen. Bis zu zwei Jahre vor der Einschulung wird es im Rahmen der Einschulungsuntersuchung ein Screening geben. Die Kinder, die dabei auffallen, durchlaufen in der dann folgenden eigentlichen Sprachstandsdiagnose eine vertiefte Un

tersuchung ihrer Sprachkompetenz. Wenige Monate vor der Einschulung – das ist der zweite Schritt – wird die Schulreife festgestellt.

Dies alles machen die kinder- und jugendärztlichen Dienste der Gesundheitsämter. Wir halten diesen Weg für richtig; er hat sich bei der Evaluation der Modelle auch als wirksam erwiesen. Deshalb stellen wir jetzt dahin gehend um, dass in der Einschulungsuntersuchung in Baden-Württemberg flächendeckend auf diesem Weg alle Kinder auch auf ihre Sprachkompetenz hin untersucht werden. Diese Umstellung erfordert für die kommenden Wochen und Monate in den Gesundheitsämtern, dass zwei Jahrgänge von Vorschulkindern untersucht werden. Diejenigen Kinder, die im nächsten Schuljahr eingeschult werden, durchlaufen die Untersuchung nach der alten Konzeption, und diejenigen, die im übernächsten Schuljahr eingeschult werden sollen, werden bereits nach der neuen Konzeption untersucht. Das bringt in den Ämtern viel Arbeit mit sich. Deshalb möchte ich hier wie auch schon im Ausschuss meinen Dank und meine Anerkennung dafür zum Ausdruck bringen, dass diese Aufgabe durch die Gesundheitsämter übernommen wird.

Frau Lösch, Sie haben für die Fraktion GRÜNE – bei der Ers ten Beratung und bei der Beratung im Schulausschuss hat dies auch schon eine Rolle gespielt – darauf hingewiesen, dass die se Untersuchungen von Erzieherinnen gemacht werden sollen. Richtig ist, dass die Diagnose der Sprachkompetenz als Anforderung für die Arbeit im Kindergarten und in der praktischen Umsetzung an Bedeutung zugenommen hat und weiter zunehmen wird. Wir haben daraus auch die Konsequenzen für die Ausbildung der Erzieherinnen gezogen, und zwar in der Fachschulausbildung, bei der Frage des Angebots von Studiengängen und bei der Gestaltung der Zugänge zu solchen Studiengängen.

Aber in der Evaluation ist, wie es auch in der Stellungnahme zum Antrag der Fraktion GRÜNE nachzulesen ist, zum Ausdruck gekommen, dass die Sensitivität – man kann zur besseren Verständlichkeit auch von der „Trefferquote“ bei der Einschätzung der Erzieherinnen sprechen – noch nicht ausreicht, um durch sie zu einer flächendeckenden Sprachstandsdiagnose zu gelangen. Die Diagnosefähigkeit wird weiter verbessert werden, aber jetzt gehen wir den Weg über die Gesundheitsämter. Richtig ist aber auch, dass auf diesem Weg die Kooperation zwischen Kindergärten auf der einen Seite und den Gesundheitsämtern auf der anderen Seite zum Nutzen beider Seiten verstärkt worden ist. So kann sich auch die Diagnosefähigkeit im Weiteren entwickeln.

Ich möchte noch einen weiteren Aspekt zu dieser Frage ansprechen. Aus meiner Sicht ist es nicht unerheblich, ob es eine amtliche Seite ist, die diese Sprachkompetenz bzw. deren Fehlen feststellt. Denn wir brauchen hinterher ja auch für die Sprachfördermaßnahme, dass die Familien von der Richtigkeit des Befunds überzeugt sind. Da ist es sicher nicht unerheblich, dass der Befund von einer amtlichen Seite festgestellt wird. An eine solche Diagnose muss und wird sich eine Förderung anschließen.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Muss!)

Diese ist nicht Regelungsgegenstand des Gesetzentwurfs, weil wir mit der Einschulungsuntersuchung schon jetzt eine recht

liche Regelung haben, die geändert werden muss und auf deren Basis überhaupt nur eine Einschulungsuntersuchung stattfinden kann. Wir haben für diese Frage deshalb jetzt den Weg in das Schulgesetz genommen.

Herr Dr. Mentrup, Sie haben bei der Ersten Beratung ausdrücklich nicht einer Verpflichtung zur Förderung das Wort geredet. Deshalb ist klar, dass einer Verpflichtung zur Einschulungsuntersuchung gegenüber der Frage, wie Förderung gestaltet wird, ganz andere rechtliche Anforderungen zugrunde liegen. Deshalb haben wir jetzt für die Zweite Beratung mit der Einbeziehung von Impfbuch und Untersuchungsheft noch eine weitere Veränderung vorgelegt.

Ich glaube, dass eine Regelung, die darüber hinausgeht, für das Schulgesetz jetzt nicht erforderlich ist und dass wir auch eine verpflichtende Vorgabe für die Sprachförderung nicht brauchen, auch nicht für diejenigen Kinder, die nicht in den Kindergärten sind. Auch in den problematischen Fällen hat sich die Diskussion über die Sprachkompetenz als Voraussetzung für schulischen Erfolg in einer Weise entwickelt, dass wir – auch nach den Erfahrungen mit den Modellen – davon ausgehen können, dass diese Sprachförderung, wenn sie angeboten wird, auch nachgefragt werden wird.

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Diese Förderung wird angeboten. Das ist selbstverständlich. Ein Konzept dazu ist dargestellt. Minister Rau hat schon bei der Ersten Beratung darauf hingewiesen, dass die Landesregierung bei der Landesstiftung den Antrag stellen werde, anknüpfend an die weitreichenden Erfahrungen mit dem Programm „Sag’ mal was“ die Sprachförderung auszuweiten. Staatssekretär Wacker hat im Schulausschuss den Beschluss des Aufsichtsrats der Landesstiftung dargestellt, nach dem im Wirtschaftsplan für das Jahr 2009 8 Millionen € zur Verfügung gestellt werden.

In der Diskussion dort und in der Diskussion in der Öffentlichkeit hat die Frage eine Rolle gespielt, wie der Betrag zustande kommt, nachdem man zunächst von 34 Millionen € für das flächendeckende Programm der Landesstiftung gesprochen hatte. Dieses Programm „Sag’ mal was“ – auch das ist mehrfach dargestellt worden – ist in seiner bisherigen Form auf einen zweijährigen Förderzeitraum, jeweils ausgehend vom Zeitpunkt der Einschulungsuntersuchung, angelegt gewesen. Nun ist jedoch klar, dass es eine einjährige Förderung im Kindergartenjahr vor der Einschulung geben wird. Ich kann dann noch weiterrechnen für das Jahr 2009: Das Kindergartenjahr 2009/2010 beginnt im September. Aber es kommt auf solche Rechnungen für das Wirtschaftsjahr und das, was in der Landesstiftung dafür angesetzt wird, gar nicht an; denn die Landesregierung hat mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass, wenn die Mittel von der Landesstiftung nicht ausreichen, die Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit flächendeckend Sprachförderung angeboten werden kann. Das unterstützen wir auch vonseiten der CDU-Landtagsfraktion.

Damit ist auch die Frage beantwortet, wie die Sprachförderkonzeption finanziert wird. Für die Kinder ist wichtig, dass es sie gibt. Sie wird finanziert werden. Die Finanzierung ist dargestellt.

Deshalb ist es nicht entscheidend, über die Aufgabenträgerschaft zu streiten. Ich sage noch einmal klar auch an die

Adresse der Kommunen: Das Land wird die Mittel für die Sprachförderung zum jetzigen Zeitpunkt über die Landesstiftung zur Verfügung stellen, und zwar mit dem Antragsverfahren und der Abwicklung in der bewährten Manier des Programms „Sag’ mal was“.

Sie von der Fraktion der SPD vergeben sich deshalb nichts, wenn Sie dem Gesetzentwurf jetzt zustimmen. Wenn das Geld nicht da ist oder das Konzept wegen Fragen der Aufgabenträgerschaft nicht funktioniert, dann können Sie uns prügeln, und Sie werden uns dann auch prügeln. Daran ändert eine mögliche Zustimmung von Ihnen jetzt überhaupt nichts.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Gewaltfreie Poli- tik!)

Diese Prügel wären dann auch berechtigt. Aber Sie werden uns nicht prügeln müssen, weil es diese Schwierigkeiten nicht geben wird.

(Zuruf der Abg. Christine Rudolf SPD)

Stimmen Sie deshalb dem Maßnahmenpaket in diesem Gesetzentwurf zu. Die Sprachförderung in diesem Paket ist Bestandteil eines ganzheitlichen Konzepts zur Kindergartenarbeit, mit Orientierungsplan und darin enthaltener Sprachförderung mit Regelungen für die Ausbildung aller Erzieherinnen. Für diejenigen Kinder mit einem speziellen Förderbedarf gibt es das besondere Programm der Sprachförderung, für das wir jetzt in Form der Sprachstandsdiagnose die Grundlage legen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Dr. Mentrup das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich zunächst zu dem Teil des Gesetzentwurfs äußern, der sich mit der Schulpflicht für Flüchtlingskinder und Asylbewerberkinder beschäftigt. Wir unterstützen diesen Teil des Gesetzentwurfs. Wir halten es für richtig, dass eindeutig eine Schulpflicht definiert wird.

Uns ist aber auch ganz wichtig – das ist eben schon angedeutet worden –, dass das nichts daran ändert, dass es ein Schulrecht ab dem ersten Tag der Anwesenheit dieser Kinder gibt. Dieses Schulrecht wurde ja auch schon bisher gelebt, und daher soll es sich nach dieser Schulpflichtregelung – egal, wie sie nun zeitlich terminiert ist – nicht etwa um eine Wartezeit bis zum Schulbesuch handeln, sondern es ist eine Wartezeit bis zum Inkrafttreten der Schulpflicht. Wir gehen weiter davon aus, dass sich alle Beteiligten in Baden-Württemberg bemühen, die Kinder möglichst vom ersten Tag an in die Schule zu integrieren und das Schulrecht erlebbar zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Dem Antrag der Grünen, diese Frist, die im Entwurf einmal bei drei Monaten lag und die auf sechs Monate verlängert wurde – die Regierung hat Fragen nach den Gründen hierfür im

Ausschuss leider nicht beantwortet –, ganz abzuschaffen, können wir zustimmen. Durch die Darlegungen eben ist uns aber deutlich geworden, dass das kein Grund wäre, gegen den Gesetzentwurf insgesamt zu stimmen. Es kommen damit – das ist der verpflichtende Teil – klarere Aufgaben auf die Schulen zu, sich um diese Kinder angemessen zu kümmern. Das tun sie schon heute im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Es wird dann jedoch verpflichtender, wenn es eine Schulpflicht gibt, der sich auch die Eltern ein Stück weit anpassen müssen.