Protokoll der Sitzung vom 05.11.2008

Ausschuss leider nicht beantwortet –, ganz abzuschaffen, können wir zustimmen. Durch die Darlegungen eben ist uns aber deutlich geworden, dass das kein Grund wäre, gegen den Gesetzentwurf insgesamt zu stimmen. Es kommen damit – das ist der verpflichtende Teil – klarere Aufgaben auf die Schulen zu, sich um diese Kinder angemessen zu kümmern. Das tun sie schon heute im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Es wird dann jedoch verpflichtender, wenn es eine Schulpflicht gibt, der sich auch die Eltern ein Stück weit anpassen müssen.

Das wird sicherlich nachfolgend noch eine Qualitätsdiskussion mit sich bringen, wie wir mit Kindern umgehen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, die aber nicht als Kindergartenkinder kommen, sondern vielleicht erst als Zehnjährige, als Zwölfjährige, als 14-Jährige. Wie wir die Sprachförderung dann innerhalb der Möglichkeiten unserer Schulen anbieten, das ist eine Herausforderung, die es schon heute gibt, aber nachdem wir die Pflicht eingeführt haben, müssen wir uns darum noch dezidierter kümmern. Dazu ist aber im Ausschuss noch ausreichend Gelegenheit.

Ich komme zu einem anderen Punkt, nämlich zur Einführung der Sprachstandsdiagnose im Rahmen der Vorziehung des ers ten Teils der Einschulungsuntersuchung. Wir haben in den vergangenen Jahren nicht nur die Erkenntnis gewonnen, dass etwa 30 % der Kinder beim Eintritt in die Schule einen Sprachförderbedarf haben, sondern wir haben in umfangreichen Projekten auch untersucht, wie eine Sprachförderung aussehen müsste, wie man sie in den Alltag der Kindertagesstätte integrieren kann und welche Verbesserungen sich dadurch erreichen lassen.

Für uns ist dieser Gesetzentwurf ein erster Einstieg in die verbindliche Festlegung – also nicht nur Projektergebnisse zur Kenntnis zu nehmen und es dem Zufall zu überlassen, inwieweit Kinder von dieser Sprachförderung profitieren – eines Bildungsauftrags, wonach eine solche Sprachförderung in jede Kindertagesstätte gehört und jedes Kind erreicht, und zwar rechtzeitig, wenn festgestellt wird, dass das Kind einen Bedarf hat. Diesen Beginn einer umfassenden Verpflichtung wollen wir heute festlegen. Das muss unser Anspruch sein, an dem wir uns messen lassen müssen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Wozu verpflichten nun die neuen Bestimmungen zur Einschulungsuntersuchung? Meldebehörden sind verpflichtet, an die Gesundheitsämter die Namen, Adressen, Geburtsdaten der Kinder zu übermitteln, die jeweils bis zum 30. September vier Jahre alt werden. Verpflichtend ist, dass es in einem ersten Teil einer vorgezogenen Einschulungsuntersuchung zu einer Sprachstandsdiagnose kommt. Anschließend – da kann das Gesetz im Moment nicht mehr machen – ist weiter erst einmal gar nichts verpflichtend. Wenn wir aber eine solche Verpflichtung schaffen, wenn wir die Eltern ein Stück weit verpflichten, eine solche Einschulungsuntersuchung anzunehmen, wenn wir die Eltern verpflichten, sich eventuell anhören zu müssen, dass es einen Sprachförderbedarf gibt, dann gehen wir damit eine mehr als moralische Verpflichtung ein, anschließend als Land ein Sprachförderangebot für diese Kinder vorzuhalten,

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Ja!)

und zwar unabhängig davon, in welchem Kindergarten sie sind, unabhängig davon, ob sie überhaupt in einem Kindergarten sind,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

und unabhängig davon, ob man sich mehr oder weniger rechtzeitig und umfassend um Mittel der Landesstiftung bemüht hat oder nicht.

(Beifall bei der SPD)

Solange wir diesen Anspruch nicht einlösen, erreichen wir hinsichtlich der angestrebten Verbesserung der Sprachfähigkeit der Kinder nur dann etwas, wenn die einzelnen Eltern kraft eigener Autorität und eigenen Verantwortungsgefühls in ihrer Kindertagesstätte nach einer solchen Sprachförderung verlangen, sie dort annehmen oder sich irgendwo anders eine suchen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja! – Abg. Dr. Ul- rich Noll FDP/DVP: Das stimmt doch! – Abg. Elke Brunnemer CDU: Das stimmt!)

Meine Damen und Herren, das kann nicht die Grundlage einer verpflichtenden Einführung einer solchen Sprachförderung als Teil des Bildungsauftrags sein. Das sage ich hier ganz klar.

(Beifall bei der SPD – Abg. Volker Schebesta CDU: Also doch verpflichtend! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Verpflichtend! – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/ DVP: Es ist Aufgabe des Personals, das einzufüh- ren!)

Wenn man sich vergegenwärtigt, dass es nicht nur um eine Einschulungsuntersuchung als solche geht, und sich anschaut, in welchem Kontext dieses Thema Sprachstandsdiagnose gesehen wird, dann muss man sagen: Das ist ein zentrales Element der Einführung eines umfassenden Bildungsauftrags, einer Bildungsverantwortung im Bereich der vorschulischen Förderung. Es gab zwischen Ihnen, Herr Goll, und Ihnen, Herr Rau – er ist gerade nicht da –, einen öffentlichen Streit darüber, zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Intensität diese Sprachstandsdiagnostik einsetzen soll.

Es ist auch ein zentrales Thema des Integrationsplans gewesen, dass es in diesem Bereich zu einer solchen Sprachstandsdiagnose und Sprachförderung kommen soll. Daher ist es für uns völlig unverständlich, warum man jetzt dem Anliegen des Städtetags und des Gemeindetags, den Hinweis auf eine klare Aufgabenträgerschaft für die Sprachförderung in die Gesetzesbegründung aufzunehmen, nicht entsprechen kann. Nicht mehr und nicht weniger haben diese beiden Institutionen verlangt. Es ist überhaupt nicht klar, warum man dem nicht nachkommt.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

In einer Kabinettsvorlage zu diesem Thema, die sich genau mit diesen Einwänden des Gemeinde- und des Städtetags beschäftigt hat, heißt es hierzu – das ist hochinteressant; der Gemeindetag verweist auf das Konnexitätsprinzip – vonseiten des Ministeriums:

Es ist zu unterscheiden zwischen den Kosten der Einschulungsuntersuchung einschließlich der Sprachstandsdiagnose, die nach den eindeutigen Aussagen des Gesetzentwurfs vom Land getragen werden,

da gibt es unterschiedliche Meinungen zu der Höhe dieser Kosten, aber die Verantwortung ist klar –

und der Förderung der sprachförderungsbedürftigen Kinder, zu welcher weder Institutionen des Landes noch der Kommunen durch den Entwurf verpflichtet werden.

Das heißt letztlich, dass man es offen in Kauf nimmt, dass durch diesen Entwurf und durch die begleitende Kommentierung des Entwurfs keinerlei Verantwortungsübernahme durch die Kommunen – womit für das Land ein Ausgleich der Mehrbelastung der Kommunen verbunden wäre – oder durch das Land selbst verbunden ist.

Wir führen also eine verpflichtende Sprachstandsdiagnostik ein und lassen es im Moment noch offen – nichts weiter steht in diesem Satz drin –, wer anschließend für diese Sprachförderung garantieren muss.

Sie bieten an – das haben Sie jetzt sehr wortreich gemacht, Herr Schebesta –, dass das Land dies im Rahmen der Landesstiftungsmittel für die nächsten Jahre sicherstellen will. Sie bieten auch an, dass man bereit wäre, dies mit zusätzlichen Mitteln sicherzustellen, wenn diese Mittel nicht reichen soll ten. Warum nehmen Sie dann den Satz: „Die Sprachförderung ist Teil der Aufgabenträgerschaft des Landes“ nicht in den Begründungstext Ihres Gesetzentwurfs auf? Warum steht dann in einer Kabinettsvorlage, dass mit diesem Gesetzentwurf und dessen Kommentierung noch keinerlei Festlegung über die Verantwortlichkeit verbunden ist?

(Abg. Volker Schebesta CDU: Das ist völlig offen- sichtlich! Da brauchen Sie keine Kabinettsvorlage zu zitieren! – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das ist doch nicht unsere Aufgabe! Wir betreiben doch kei- ne Kindergärten! Der Träger ist verpflichtet!)

Das ist ein perfides Spiel, weil Sie nämlich genau wissen, dass alle Eltern, die aufgrund des für ein Kind diagnostizierten Sprachförderbedarfs an die Kindertagesstätte herantreten, ein Recht hierauf haben und einen solchen Druck machen können, dass diese Sprachförderung auch in der Kindertagesstätte vollzogen werden muss, sodass die Kommunen das Ergebnis der Diskussion mit Ihnen darüber, ob Sie denn nun mehr bezahlen oder weniger bezahlen oder was Sie davon überhaupt bezahlen, am Ende gar nicht mehr abwarten können. Sie werden dann mit ihren Einrichtungen sicherstellen müssen, dass die Sprachförderung geschieht, im Notfall auch auf eigene Kosten. Dieses perfide Spiel sollten wir heute nicht anfangen, indem wir eine Verpflichtung festlegen, der im Grunde keinerlei Resultate und Konsequenzen – ebenso moralisch verpflichtend – folgen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Meine Damen und Herren, der Eindruck, dass hier einfach so beiläufig relativ viel auf die Kommunen abgewälzt wird, wird zudem bestärkt, wenn man sich den Entwurf der Durchführungsrichtlinien anschaut, der seit eineinhalb Wochen beim

Städte- und beim Gemeindetag vorliegt und zu dem die Städte und Gemeinden bis in zwei Tagen eine Rückmeldung geben sollen, ob sie Einwände erheben oder nicht. In diesen Durchführungsrichtlinien steht noch einmal ausführlich, dass es ein erhebliches Maß an zusätzlicher Belastung für die Kindertagesstätten und damit implizit für die Kommunen geben wird.

Da ist zum einen davon die Rede, dass die Kindertagesstätten Listen der Kinder, die sie betreuen, an das Gesundheitsamt geben müssen, damit die Einträge im öffentlichen Melderegis ter mit den Daten der Kinder verglichen werden, die in den Kindertagesstätten angemeldet sind

(Zuruf des Abg. Volker Schebesta CDU)

nein, zu der Einschulungsuntersuchung;

(Abg. Volker Schebesta CDU: Ja, eben!)

von ihr spreche ich ja im Moment –, um zu ermitteln, ob man die Kinder in einer Tagesstätte erreicht oder ob man sie separat einladen muss.

(Zuruf des Abg. Volker Schebesta CDU)

Das ist schon einmal der erste Verwaltungsaufwand.

Dann wird festgelegt, dass die Einschulungsuntersuchung in Abstimmung mit den Kindertagesstätten erfolgen soll, wozu die Kindertagesstätten Warteräume, Untersuchungsräume und, und, und bereitstellen sollen.

Außerdem wird festgelegt, dass die Ergebnisse der Einschulungsuntersuchung nur dann an die Kindertagesstätte weitergegeben werden können, wenn die Eltern damit einverstanden sind. Das ist datenschutzrechtlich ja auch sinnvoll. Ferner steht drin, dass die Anwesenheit einer zusätzlichen Person bei der Einschulungsuntersuchung nur in Abstimmung mit den Eltern erfolgen kann, was von den gesetzlichen Bestimmungen her auch richtig ist.

Es steht aber z. B. nicht drin, dass es durchaus sinnvoll wäre, dass bei der Einschulungsuntersuchung auch eine Erzieherin des Kindergartens dabei ist. Denn sie kann ja ebenfalls Informationen dazu beitragen, wie weit das Kind in seiner Entwicklung ist.

Ich könnte das jetzt weiterführen. Das Ganze gipfelt darin, dass zu der Frage, ob kurz vor der Einschulung eine zweite Einschulungsuntersuchung notwendig ist, noch einmal umfangreiche Dokumentationen aus der Tagesstätte über die Entwicklung des einzelnen Kindes an das Gesundheitsamt gegeben werden sollen, damit man dann beurteilen kann, ob diese zweite Einschulungsuntersuchung überhaupt notwendig ist.

Das heißt, Sie binden in Bezug auf wesentliche Elemente, die zur Qualität der Einschulungsuntersuchung beitragen, die Kindertagesstätten in maximaler Weise ein, sagen aber gleichzeitig – das steht hier auch in allen Begründungen –, dass es für die Tagesstätten eigentlich keinen großen zusätzlichen Aufwand gibt, auch keinen großen zusätzlichen organisatorischen und logistischen Aufwand. Die Kostenangabe bezieht sich in Bezug auf das Thema „Umgang mit Einschulungsuntersuchungen und Sprachförderung“ nur auf die Fortbildung der Erzieherinnen.

Da erhärtet sich einfach der Verdacht und verstärkt sich das Misstrauen, dass hier im Wesentlichen Aufgaben an die Kommunen direkt und indirekt übertragen werden, dass man eine Einschulungsuntersuchung vornimmt, die den Druck der Eltern auf die Einrichtungen und die Kommunen erhöhen wird, hier auch die entsprechende Förderung bereitzustellen, dass Sie aber bei dem, was auch in der interministeriellen – –

(Glocke des Präsidenten)

Ich bin sofort fertig.

Nein, ich wollte Sie nicht bitten, zum Ende zu kommen. Ich habe mit der Glocke geläutet, weil es eine Zwischenfrage gibt. Sie können den Satz ruhig beenden.

Ja, ich führe den Satz noch zu Ende. Dann widme ich mich gern der Frage.

Die interministerielle Arbeitsgruppe hat zu diesem Thema klar festgelegt, dass es eine Pflichtaufgabe des Landes ist, auch die Sprachförderung und nicht nur die Sprachstandsdiagnose zu machen. Genau diese klare Erkenntnis vermeidet man in der Begründung dieser Vorlage. Man vermeidet sie beim Zugriff auf Landesstiftungsmittel, und man vermeidet sie in allen begleitenden Kommentierungen intern. Das ist für uns nicht die richtige Grundlage, um heute diesem Gesetzentwurf zustimmen zu können, meine Damen und Herren.

Wir haben im Ausschuss weitreichende Angebote gemacht, wie man uns hier noch einbinden kann. Denn die Durchführung ist kein so ganz unkritischer Vorgang; dabei ist man auch auf die Zusammenarbeit mit Eltern, Einrichtungen und anderen angewiesen. Es ist auch wichtig, dass dies öffentlich richtig wahrgenommen und auch umgesetzt wird. Dafür sind aber die Grundlagen nicht gegeben. Dann hat es keinen Sinn, an dieser Stelle eine Sprachstandsdiagnostik einzuführen, die eine Verantwortungsübernahme verheißt, dieser aber dann in einem zweiten Schritt nicht gerecht zu werden.

(Beifall bei der SPD)

Herr Abg. Dr. Mentrup, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Schebesta?