Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion und für das Schlusswort fünf Minuten.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben über die Banken- und Finanzmarktkrise gesprochen. Da gibt es Schuldzuweisungen. Die Krise ging sicherlich von den USA aus. Ich bin froh, dass wir heute noch einmal über eine Krise, die die Menschen in diesem Land besonders betreffen wird, reden und die Auswirkungen darstellen können, eine Krise, die absolut hausgemacht ist, nämlich von der Politik, von Schwarz und Rot im Bundestag. Ich nenne das wirklich eine ernsthafte Krise unseres Gesundheitswesens, die mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz und dem Gesundheitsfonds für ganz Deutschland, aber insbesondere für Baden-Württemberg am Horizont steht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt hier wohl fast niemanden, der der Aussage widersprechen würde, dass der Reformansatz grundsätzlich falsch war. Nur nützt es uns nichts, wenn wir uns hier darüber einig sind, aber Sie von CDU und SPD es offensichtlich nicht schaffen, auf Bundesebene den falschen Ansatz einer Reform zu verhindern, die nichts besser macht, sondern alles schlechter, die mehr Bürokratie bringt und letztendlich die Probleme des Gesundheitswesens nicht nachhaltig lösen kann. Daher glaube ich, dass wir alle gut beraten wären, unsere denkbaren möglichen Einflüsse auf der bundespolitischen Ebene zu nutzen.
Bei der Gesundheitsreform habe ich allmählich das Gefühl, dass es da ein echtes Demokratiedefizit gibt. Hier drin kenne ich niemanden, der den Gesundheitsfonds verteidigt.
Ich kenne von den Bundestagskolleginnen und -kollegen – nicht nur bei uns – niemanden, der dies tun würde.
Ja, wer beschließt denn dann so etwas, bitte schön? Wo bleibt denn da noch ein Vertrauen der Bevölkerung darauf, dass da demokratische Prozesse ablaufen?
Die Beitragshoheit, das zentrale Element einer Versicherung – wenn es eine Versicherung ist –, ist weg, der Beitrag wird staatlich festgesetzt.
(Abg. Alfred Winkler SPD: Das machen die anderen! – Gegenruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Nicht die „anderen“, sondern die SPD hat das be- schlossen!)
Die Leistungsgewährung wird von einem berufenen gemeinsamen Bundesausschuss, keinem gewählten, festgesetzt. Alle Determinanten sind jetzt in Staatshand. Wir haben jetzt ein staatliches Gesundheitssystem. Ich möchte den Vergleich wagen: Diejenigen, die es verwalten, das Bundesversicherungs
Wie man mit einem solchen Moloch „vernünftig“ Dinge organisiert, hat die Bundesagentur für Arbeit gezeigt. Wir marschieren strikt genau in die falsche Richtung.
Weil aber die grundsätzlichen Debatten offensichtlich nichts fruchten, haben wir auch schon in der Vergangenheit immer wieder auf die ganz besonders gravierenden Auswirkungen dieser Gesundheitsreform auf Baden-Württemberg hingewiesen.
Jetzt will ich auch für diejenigen, die sich nicht mit allen Gutachten beschäftigen können, einfach einmal ein paar Zahlen in den Raum stellen, die zeigen, was der Gesundheitsfonds für Baden-Württemberg bedeutet. Ich kann mich erinnern, dass wir, bevor das im Bundestag beraten wurde, in einem Antrag das Sozialministerium gefragt haben, welche zusätzlichen Abflüsse der Gesundheitsfonds für Baden-Württemberg bedeuten wird. Die Landesregierung hat sich auf ein Gutachten von Herrn Wasem gestützt. Das Gutachten schildert ein Szenario mit einem Mittelabfluss zwischen 50 und 100 Millionen €. Seit wenigen Tagen wissen wir: Es sind 380 Millionen €.
Zur Ehrenrettung des Sozialministeriums sei gesagt – ich habe den Antrag aufbewahrt –: In der Stellungnahme wird festgestellt, dass alle Gutachten, die zu den Vorhersagen führen, nicht valide sind. Jetzt lichtet sich langsam der Nebel, weil wir Zahlen auf dem Tisch haben.
Anhand von Daten des Statistischen Landesamts haben wir in Baden-Württemberg ganz aktuell – Stand 1. Dezember – etwa 8,9 Millionen gesetzlich Versicherte; der Rest ist privat versichert, Beamte usw. Das betrifft also knapp 9 Millionen Versicherte. Bei einem Durchschnittsversicherten – Stand: Beginn des Jahres 2008; aktuellere Zahlen liegen nicht vor – zahlten Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei dem damaligen durchschnittlichen Beitragssatz von 14,12 % im Schnitt 277 € im Monat. Jetzt haben wir aber eine Erhöhung in mehreren Schritten von durchschnittlich 14,12 % auf 15,5 %. 1,38 Prozentpunkte klingen gar nicht so schlimm. Was bedeutet das aber für Baden-Württemberg?
Jedes Mitglied zahlt beim jetzigen Beitragssatz pro Monat im Durchschnitt 277 € – der eine mehr, der andere weniger. Wir wissen, was wir aus dem Gesundheitsfonds pro Monat und pro Kopf etwa zurückbekommen: knapp 185 €.
Jetzt gebietet die Ehrlichkeit, zu sagen, dass die Mitgliederzahl natürlich nicht automatisch der Versichertenzahl entspricht. Das mildert das Ganze ein bisschen ab. Es sind auch Personen inbegriffen, die gar nichts zahlen: Kinder, beitragsfreie Familienangehörige usw. Je Versichertem fallen im Jahr 2 330 €, im Monat knapp 195 € an. Wir bekommen jetzt pro
10 € mal zwölf mal knapp 9 Millionen Versicherte, also zusammen 1,08 Milliarden €, die aus Baden-Württemberg abfließen.
(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Abfließen! Ein- fach weg! – Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)
Jetzt sage ich auch wieder der Fairness halber: Ein Teil davon ist schon vorher abgeflossen, nämlich 0,9 Milliarden €, also eine knappe Milliarde, über den sogenannten Risikostrukturausgleich. In einem verdienstvollen Antrag hat ein Kollege von der CDU einmal ausgerechnet, dass im Jahr 2006 die Summe aller Ausgleichszahlungen – nicht nur im Gesundheitswesen, sondern alle Zahlungen an andere Bundesländer – 22 Milliarden € ausmachte. Das ist in diesem Antrag nachzulesen.
An dieser Stelle sage ich bei aller Solidarität: Hier muss ein Ende dieser Einbahnstraße sein. Es kann nicht angehen, dass in diesem Ausmaß Versichertengelder, Gelder der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Gelder der Arbeitgeber, nicht mehr für die Strukturen hier in Baden-Württemberg zur Verfügung stehen. Es muss zumindest Schluss sein mit Mehrbelastungen.
Deswegen bin ich sehr dankbar dafür, dass das Sozialministerium – das ich in vielen Punkten an meiner Seite weiß; ich will dessen Angaben gar nicht kritisieren; das Ministerium hat es ja herausgearbeitet – in seiner Antwort auf unsere Große Anfrage feststellt – und dem ist nichts hinzuzufügen –:
Im Zuge der Einführung des einheitlichen GKV-Beitragssatzes zum 1. Januar 2009 werden auf die baden-würt tembergischen Arbeitgeber und Beschäftigten also insgesamt deutlich steigende Beitragslasten zukommen. Ein solcher Anstieg der Lohnzusatzkosten wird die Wettbewerbsfähigkeit baden-württembergischer Unternehmen nach Ansicht des Wirtschaftsministeriums verschlechtern. Gerade in einem schwieriger werdenden konjunkturellen Umfeld könnte dies negative Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation im Lande haben.
Wenn Sie sich noch einmal die Zahlen vergegenwärtigen, dann sehen Sie, welche Dramatik in dieser Entwicklung steckt. Das Gesundheitswesen vor Ort ist sozusagen entmündigt worden und wird vereinheitlicht. Unter dem Stichwort Solidarität wird nicht wahrgenommen, dass wir in Baden-Württemberg natürlich ganz andere Kostenstrukturen haben,
wenn wir ein Krankenhaus bauen oder wenn ein Arzt eine Praxis einrichtet, als es bei denjenigen der Fall ist, die derzeit eher profitieren.
Auch wenn man den Leuten weismacht, man habe jetzt einen Gesundheitsfonds – ich nenne es Bundesagentur –, treuhänderisch vom Bundesversicherungsamt verwaltet, bleiben dennoch natürlich die Krankenkassen mit ihren Strukturen vor Ort erhalten. Ich sage Ihnen übrigens nachher, warum sie erhalten bleiben müssen. Man könnte auch sagen, das könnte man abschaffen, wenn man nun alles von Berlin aus macht.
Den Menschen draußen in diesem Land soll einmal jemand erklären, dass doppelte Bürokratie zu mehr Wirtschaftlichkeit und weniger Kosten führt! Das ist ein Unsinn sondergleichen.
Ein Landesverband hat ausgerechnet, dass sich die Bürokratiekosten allein aufgrund dieses Wettbewerbsstärkungsgesetzes von 1,3 Milliarden € auf 2,5 Milliarden € fast verdoppeln. Das ist Geld, das in die Bürokratie, in die Verwaltung fließt und das letztlich für die Versorgung unserer Patienten fehlt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, weil wir dies alles geahnt haben, haben wir – darauf weise ich schon noch einmal hin – allen Gesetzen, zuletzt auch dem sogenannten Omnibusgesetz, das das Ganze vollends gängig machen sollte, im Bundesrat nicht zugestimmt. Noch, trotz Schäubles Anregung, gilt eine Enthaltung als Nein. Ich sage Ihnen: Aufgrund dieser Fakten bin ich stolz, dass wir dieses indirekte Nein erzwingen konnten. Mancher wird noch froh sein, dass er sozusagen die Hände in Unschuld waschen kann. Nur, das wird uns allen nichts nützen.
Wir wollten diesen Abfluss begrenzen. Insoweit danke ich ausdrücklich dem Sozialministerium dafür, dass es für uns die Konvergenzklausel erkämpft hat. Weil wir schon wussten, dass eben nicht nur 100 Millionen € abfließen, sondern, wie gerade dargelegt, deutlich mehr, nämlich 380 Millionen € – das kann man der Antwort auf die Große Anfrage ebenfalls entnehmen –, hat man eine sogenannte Konvergenzklausel eingebaut und gesagt: „Das sehen wir ein; wenn ihr jetzt schon 1 Milliarde € in den Risikostrukturausgleich und dann noch 380 Millionen € zusätzlich zahlt, dann sehen wir eine schrittweise Abmilderung vor.“ Nur darf niemand meinen, damit seien die 380 Millionen € vom Tisch. Das heißt schlicht und einfach, dass wir im ersten Jahr nur 100 Millionen € von diesen 380 Millionen € zahlen, im nächsten Jahr die nächsten 100 Millionen €, sodass spätestens in vier Jahren diese 380 Millionen € – so der Stand heute; das wird natürlich noch mehr werden – aus dem Land Baden-Württemberg zusätzlich abgeflossen sein werden.