Protokoll der Sitzung vom 22.04.2009

Herr Minister Rau, Sie haben eben von diesen Eckpunkten gesprochen und erwähnt, dass Sie sich nach deren Formulierung auch noch mit Experten unterhalten haben. Aber in der Regel ist es so: Wenn man ein neues Konzept entwickelt, werden zunächst mit den Eckpunkten die zentralen Pflöcke eingesetzt, und dann wird über Details und Fragen der Umsetzung diskutiert.

Die zentrale Aussage zu den Eckpunkten war, dass die Schüler mit einem Versetzungszeugnis in die zehnte Klasse überwechseln können. Sie haben das damals damit begründet, dass dies ein durchgängiger, sechsjähriger Bildungsgang ist. Das haben Sie heute wiederholt. Es ist ein durchgängiger, auf sechs Jahre angelegter Bildungsgang.

Es ist ein Novum in der Geschichte aller Schulformen, dass innerhalb eines durchgängigen Bildungsgangs ein Numerus clausus für Schüler und Schülerinnen eingeführt wird.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das stimmt nicht!)

Das ist ein Novum. Das hat es bisher noch nie, in keinem anderen Bildungsgang gegeben, nicht einmal im Gymnasium, wo es sich sogar noch eher anbieten würde,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das stimmt gar nicht!)

nach der Mittelstufe zu sagen: Nicht jeder Schüler wird für die Oberstufe zugelassen.

(Abg. Christine Rudolf SPD: 1845 gab es das viel- leicht einmal!)

Deshalb noch einmal die Frage: Wieso muten Sie ausgerechnet den schwächsten Schülern, die am meisten Zuwendung brauchen, die am meisten individuelle Fürsorge und Unterstützung brauchen, die gerade keinen Selektionsdruck und keinen Auslesedruck brauchen, um gute Lernerfolge zu erzielen, so etwas zu, wenn Sie einen neuen durchgängigen Bildungsgang schaffen? Das haben Sie bislang noch nicht beantwortet.

(Abg. Ernst Behringer CDU: Sie sollen eine Frage stellen und keine Monologe halten!)

Ich möchte Sie auch bitten, die Frage zu beantworten, ob es für diese Schüler psychisch nicht fatal ist, wenn sie nach dem Auslesedruck, dem sie bereits ab dem dritten Schuljahr in der Grundschule ausgesetzt waren, in der sie sich ohnehin schon als Verlierer definiert haben, in der neuen Werkrealschule nun erneut mit einem solchen Auslesedruck konfrontiert werden.

Des Weiteren haben Sie in den Eckpunkten gesagt: Es gibt eine Gleichwertigkeit, und zwar eine Gleichwertigkeit mit unterschiedlichen Profilen. Wenn dies aber eine Gleichwertigkeit ist, warum geben Sie dann nicht wenigstens eine Grundschulempfehlung Werkrealschule/Realschule auf der einen Seite und Gymnasium auf der anderen Seite? Das wäre immerhin eine Zwischenlösung gegenüber dem, was wir Grünen fordern, nämlich die Grundschulempfehlung völlig abzuschaffen.

Aber bei einer Gleichwertigkeit muss ich doch den Eltern auch signalisieren: Wenn sie sich für eine Werkrealschule entscheiden, dann bekommen sie mehr berufliche Profilierung für ihr Kind, und wenn sie sich für eine Realschule entscheiden, bekommen sie mehr allgemeinbildende Profilierung für ihr Kind. Deshalb muss man doch die Empfehlung offenlassen und es den Eltern überlassen, für welche Profilierung sie sich entscheiden.

Wenn Sie das nicht tun, bleibt das Schulsystem hierarchisch in drei Stufen gegliedert, und dann gibt es eben für die Werk realschule keine Gleichwertigkeit.

Das Gleiche betrifft übrigens auch die Übergänge nach der Werkrealschule in das berufliche Gymnasium. Auch hier gibt es eine höhere Hürde für die Schülerinnen und Schüler der Werkrealschule. Die müssen nämlich statt eines Notendurchschnitts von 3,0, wie er für Realschüler gilt, einen Schnitt von 2,4 erzielen.

Insgesamt ist also die Frage: Wie wollen Sie den Eltern verständlich machen, dass eine Gleichwertigkeit besteht, wenn für die Werkrealschüler und Werkrealschülerinnen sowohl durch den Numerus clausus als auch bei der Grundschul empfehlung, als auch beim Übergang auf ein berufliches Gymnasium höhere Hürden und schlechtere Bedingungen gegeben sind?

Drittens möchte ich noch ein Wort – –

(Abg. Winfried Scheuermann CDU: Eine solche Re- gierungsbefragung hat keinen Wert! Wir wollen nichts von Frau Rastätter wissen! – Abg. Stefan Map- pus CDU: Frau Rastätter befragt sich gerade selbst! – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Frau Kollegin, Sie haben schon vier Minuten gesprochen.

Gut. Okay. So viel zu diesen Fragen.

(Beifall bei den Grünen)

Bitte schön, Herr Minister.

Frau Kollegin Rastätter, ich habe es zwar gerade schon einmal auf die Fragen des Kollegen Zeller hin erklärt, aber ich erkläre es Ihnen gern noch einmal. Sie haben individuelle Fürsorge – ich zitiere – „für die schwächsten Schüler“ eingefordert. Genau darum geht es. Deswegen haben wir in der Werkrealschule einen Stundenpool wie in keiner anderen Schulart dafür vorgesehen, dass Schülerinnen und Schüler individuell gefördert werden können. Aber „individuelle Fürsorge“ heißt nicht, dass wir ihnen viele Jahre lang vormachen, dass sie ein Ziel erreichen können, wenn wir kurz vor Erreichen dieses Ziels einfach bilanzieren müssen: Es wird zu einer großen Enttäuschung führen. Das ist völlig falsch verstandene Fürsorge. Wir geben ihnen die Möglichkeit, bis zum Ende der Klasse 9 eine Qualifikation zu erreichen, die für uns die Grundlage dafür bildet, eine positive Prognose für die Klasse 10 stellen zu können.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Das ist Unsinn! In der Realschule müssten Sie das dann auch verlangen! – Abg. Wolfgang Drexler SPD: In der Realschule ver- langt das niemand!)

Ich finde, dass das eine optimale Offenheit ist. Auf diesem Weg kümmern wir uns intensiv um diese Schülerinnen und Schüler.

Deswegen glaube ich, dass das bei Ihnen beliebte Wort „Auslesedruck“ hier völlig fehl am Platz ist. Wenn man Prognosen abgibt über Ziele, die man erreichen kann oder auch nicht, dann ist das ein Gebot der Fairness und nicht Auslesedruck. Die jungen Menschen werden lernen müssen, in ihrem Leben mit dieser Situation umzugehen. Sie können sie nicht in Watte packen, bis sie irgendwann im wirklichen Leben ankommen. Das wirkliche Leben beginnt spätestens in der Schule.

(Beifall bei der CDU – Abg. Heiderose Berroth FDP/ DVP: Das beginnt schon vorher! – Zurufe der Abg. Helen Heberer SPD und Volker Schebesta CDU)

Dann will ich etwas zum Thema „Gleichwertigkeit der Grundschulempfehlung“ sagen. Zwischen Werkrealschule und Realschule stellen wir durch die Bildungspläne und die Abschlüsse eine Gleichwertigkeit her, aber nicht eine Gleichartigkeit. Es sind unterschiedliche Schulprofile. Es ist ganz wichtig, dass wir zwischen Gleichartigkeit – dann bräuchten wir keine zwei –

(Abg. Stefan Mappus CDU: Genau! Wie der Name schon sagt!)

und Gleichwertigkeit unterscheiden. Das kommt auch in der Grundschulempfehlung zum Ausdruck. Es bleibt bei der dreioptionalen Grundschulempfehlung. Ich glaube, auch das ist

ein wichtiger Hinweis für die Eltern, an dem sie sich gut orientieren können.

Zum Thema „Übergänge nach der Werkrealschule“: Da werden Sie sich wundern. Ich habe dazu gerade nichts gesagt, und in dem Gesetzentwurf ist dazu auch nichts gesagt. Das werden wir zu regeln haben, wenn die Gesetzgebung zur Werkrealschule abgeschlossen ist. Ich bin in diesem Punkt sehr offen für die Beratungen, die sich sowohl jetzt in der Anhörung als auch nach der Gesetzgebung anschließen werden.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/ DVP – Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP und Abg. Stefan Mappus CDU: Sehr gut!)

Herr Abg. Schebesta.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Ihr könnt doch in der Fraktion miteinander reden, oder macht ihr das nicht? – Gegenruf des Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Aber nicht öffentlich! – Abg. Stefan Mappus CDU: Aber da seid ihr nicht dabei! – Zuruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU)

Herr Schmiedel, gleiches Recht für alle! Wenn wir eine Regierungsbefragung machen, darf unsere Fraktion auch etwas fragen.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Die CDU-Landtagsfraktion begrüßt die neue Konzeption der Werkrealschule.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Richtig! – Oh-Rufe von der SPD – Abg. Marianne Wonnay SPD: Bei die- ser Erkenntnis hat sich auch dieser Tag gelohnt!)

Es wird Sie nicht überraschen, dass auch ich über die einleitenden Worte Ihrer Redner nicht überrascht gewesen bin, oder?

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Also: Wir begrüßen das.

Alle Schülerinnen und Schüler, ob sie die zehnte Klasse besuchen oder nicht, werden von zweistündigen, berufsfachlichen Profilfächern und davon profitieren, dass von vornherein auf zwei Abschlüsse vorbereitet wird und damit der Unterricht differenziert und individuell fördernd gestaltet wird.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Herr Rau, Sie können sich setzen! Da kommt keine Frage mehr!)

Sie von der Opposition stürzen sich vor allem auf einen Kritikpunkt, auf den ich gern eingehen und dann dazu eine Frage stellen will.

(Abg. Christine Rudolf SPD: Tatsächlich?)

Wir haben uns mit dem Thema „Wer geht in die zehnte Klasse?“ intensiv beschäftigt.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Das ist jetzt interes- sant! Wer geht? Das wissen die doch gar nicht!)

Wir haben dazu auch Fachleute eingeladen und mit ihnen darüber gesprochen.

(Zuruf von der SPD: Tatsächlich? – Abg. Reinhold Gall SPD: Wahrscheinlich welche aus dem Ministe- rium!)

Tatsächlich. – Jetzt will ich Ihnen etwas sagen: