Protokoll der Sitzung vom 22.04.2009

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion der FDP/DVP und Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums – Konjunkturprogramme in europäischen Mitgliedsstaaten – Drucksache 14/3705 (ge- änderte Fassung)

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung des Antrags fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Für die FDP/DVP-Fraktion darf ich Herrn Abg. Theurer das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP/DVP-Landtagsfraktion hat mit ihrem Antrag den Blick in die europäischen Nachbarstaaten geweitet. Die Krise, ausgelöst durch die Bankenkrise im vergangenen Herbst, hat nun realwirtschaftlich zu einem Abschwung geführt, der auch an den Firmen und Unternehmen in Baden-Württemberg nicht spurlos vorbeigegangen ist. Wir spüren, dass das, was in den vergangenen Jahren die Grundlage unseres Wohlstands und unseres Wirtschaftswachstums war, nämlich die starke Verflechtung der badenwürttembergischen Industrie und des Handwerks in die Weltmärkte, jetzt auch die Grundlage der Probleme ist, weil der Export, weil der Welthandel stark zurückgegangen ist.

Als wir den Antrag gestellt haben, war noch nicht klar, wie die Konjunkturprogramme der Bundesrepublik und der Länder im Vergleich zu jenen der europäischen Mitgliedsstaaten zu beurteilen sind. Mittlerweile stellen wir fest, dass in Europa massiv gegengesteuert wird. Mittlerweile können wir auch festhalten, dass Länder und Bund gemeinsam, auch im internationalen Vergleich, was die Summen angeht, sehr gut dastehen, dass sehr viele öffentliche Mittel mobilisiert werden, um die Konjunktur zu stützen und zu stabilisieren, und das ist auch gut so.

Wenn man, so wie ich es am Montag auf der Hannover Messe getan habe, mit den Firmen spricht und engen Kontakt zu ihnen sucht, so stellt man fest, dass die Konjunkturabkühlung zwar deutlich spürbar ist; bewunderungswürdig allerdings sind der Durchhaltewille und die Kampfbereitschaft der Menschen, die sagen, sie gäben nicht auf, sondern sie wollten mit neuen Produkten, mit Innovationen dazu beitragen, dass das Konjunkturrad wieder anspringt.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das hat mich beeindruckt.

(Unruhe bei der SPD – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Sorgen Sie einmal für Ordnung, Herr Präsident!)

Wenn man sich die Ursachen der Krise klarmacht – diese Diskussion kommt mittlerweile auch bei uns an –, dann muss man feststellen: Die Krise der Banken und der Finanzmärkte ist nicht von den kleinen und mittleren Unternehmen ausgelöst worden. Wenn man genauer hinschaut, zeigt sich, dass die Krise vielmehr – das wird man einmal sagen dürfen und müssen – von Großkonzernen, von Großbanken und ihren Helfershelfern in der Politik ausgelöst worden ist.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Von der Ideologie der FDP! – Gegenruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: So ein Quatsch! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Vom Marktradikalismus der FDP ist sie ausgelöst worden! – Gegenruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Ein ordentliches Maß an Staatsversagen ist auch dabei. Die Bankenaufsicht hat kleine Volksbanken und Sparkassen bis zum Ende durchreguliert, hat aber bei den großen Investmentfonds weggeschaut. Insoweit hat auch die Bundesregierung versagt.

(Beifall bei der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Dr. Ul- rich Noll FDP/DVP)

Wer hat denn dort Verantwortung getragen, Herr Kolle- ge Schmiedel? Wer war denn Chef von Lehman Brothers Deutschland? War das nicht der frühere Kanzleramtsminister Hans Martin Bury von der SPD? Wer war denn Chef der Investmentbank Merrill Lynch Deutschland? War das nicht unser früherer Ministerpräsident Lothar Späth?

An dieser Stelle möchte ich kritisch anmerken: In den vergangenen fünf Jahren, von 2005 bis heute, wurde der Aufschwung durch 19 Steuererhöhungen abgeschöpft und ist nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Aber der Abschwung ist jetzt in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Zeche zahlen doch wieder die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der kleine gewerbliche Mittelstand, der dringend eine Entlastung brauchte. Steuerentlas tungen wären zwischen 2005 und heute möglich gewesen, und Steuerentlastungen, insbesondere bei der Einkommensteuer und bei der Körperschaftsteuer, sind weiterhin notwendig und möglich, meine Damen und Herren. Wer 50 Milliarden € in ein Konjunkturpaket stecken kann, der kann keinem Bürger erklären, dass er kein Geld für Steuersenkungen hat.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Deshalb sind wir froh, dass in der Frage der Mehrwertsteuer jetzt Bewegung festzustellen ist. Die FDP hat seit vielen Jahren und immer wieder dafür plädiert, arbeitsintensive Branchen zu entlasten und nicht zu belasten und dabei auch die europäische Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. In unseren Nachbarländern werden insbesondere in Hotellerie und Gastronomie deutlich geringere Mehrwertsteuersätze verlangt als bei uns. Daher ist es ein Skandal, dass in der Bundesrepublik Deutschland nicht schon früher eine Bewegung in diese Richtung vorhanden war und man nicht versucht hat, gleiche und faire Wettbewerbschancen zu schaffen.

Jetzt höre ich, dass unser Ministerpräsident diese langjährige Forderung der FDP aufgenommen hat. Ich höre, dass es noch Widerstände im Finanzministerium gibt,

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Das kriegt er hin!)

aber ich bin zuversichtlich, dass wir diese auch überwinden. Ich plädiere an dieser Stelle dafür, dass wir uns im Landtag zusammenraufen, um einen fraktionsübergreifenden Konsens zu schaffen, damit wir bundesweit für eine Entlastung der klei

nen und mittleren Betriebe in Hotellerie und Gastronomie, aber auch im Handwerk trommeln und hierfür einen abgesenkten Mehrwertsteuersatz zulassen, so wie ihn bereits 22 von 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union umgesetzt haben.

(Zuruf des Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE)

So viel von mir in der ersten Runde.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Abg. Netzhammer das Wort.

Herr Vizepräsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Das heißt „Herr Präsi- dent“, nicht „Herr Vizepräsident“!)

Der österreichische Wirtschaftsminister Mitterlehner hat dieser Tage gesagt, Österreich habe in seinem Konjunkturprogramm eine Abwrackprämie für Autos beschlossen – aus Solidarität zu Deutschland –, da auch in Österreich viele Unternehmen Zulieferunternehmen für die deutsche Autoindustrie seien. Ich denke, das ist eine erstaunliche Bemerkung. Auch wenn die Abwrackprämie jetzt nicht allen deutschen Automobilherstellern hilft, so zeigt sie doch, dass sich die EU-Länder, was die Krise angeht, als in einem Boot sitzend fühlen.

Die Übersicht über die europäischen Konjunkturprogramme in der Stellungnahme zu dem der Debatte zugrunde liegenden Antrag ist interessant, und zwar auch deshalb, weil zehn von 27 Mitgliedsstaaten überhaupt keine Konjunkturprogramme beschlossen haben. Hier kann man natürlich fragen, warum das so ist. Es ist so, weil sich Länder wie Lettland und Ungarn ein solches Programm überhaupt nicht leisten können. Dies zeigt, wie wichtig es ist, in guten Zeiten die Staatsverschuldung abzubauen, damit man in schlechten Zeiten auch antizyklisch reagieren kann.

(Beifall des Abg. Michael Theurer FDP/DVP)

Da stimmt mir Kollege Theurer sicher zu.

Deshalb war es nicht nur gut, sondern sogar dringend erforderlich, dass Bund, Land und Kommunen in den letzten guten Jahren einen Kurs der Haushaltskonsolidierung gefahren haben

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Vor allem wir!)

und unser Land sogar die Nullnettoneuverschuldung erreicht hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Nur dadurch sind wir in der Lage, die gewaltigen Konjunkturprogramme zu schultern. Es macht aber keinen Sinn, jetzt nach einem dritten Konjunkturprogramm zu rufen, wie es ja bereits geschieht,

(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Sehr richtig!)

wenn die ersten beiden Konjunkturprogramme überhaupt noch nicht voll wirken.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Richtig!)

Auch EU-Kommissar Günter Verheugen hat sich dieser Tage ja dahin gehend geäußert.

Bis heute ist de facto noch sehr wenig Geld aus dem Konjunkturprogramm bei den Unternehmen angekommen – das gilt zumindest für den Teil des Konjunkturprogramms, der die Kommunen betrifft –, weil auch Beschlüsse der kommunalen Gremien eingeholt werden mussten. Dies ist vor Ostern passiert, und die Beschlüsse werden jetzt umgesetzt.

Nun zur Bewertung. Dass Deutschland und Baden-Württemberg mit den Konjunkturprogrammen auf dem richtigen Weg sind, haben Finanzexperten der Europäischen Kommission erst kürzlich in einer Studie belegt: Kein anderes großes EULand wende mehr für die Stabilisierung der Konjunktur auf. Es wird auch bescheinigt, dass man in den Maßnahmen ein hohes Potenzial sehe, die Nachfrage zu stimulieren. Dies wird auch vom Chef des DIW, Klaus Zimmermann, unterstützt, der ja bereits zum Jahreswechsel ein Ende der Rezession und für Anfang 2010 sogar eine leichte Belebung sieht. Diese Einschätzung teilt auch der Maschinenbauverband, der Gott sei Dank aus Ländern wie China, Indien und Brasilien sogar deutliche Hinweise auf eine Zunahme von Bestellungen sieht.

Aber eines muss uns allen klar sein: Mit den Konjunkturprogrammen allein können wir das derzeitige Problem nicht lösen. So sagt auch der Chef des Internationalen Währungsfonds, dass die Konjunkturprogramme nur ein Nebenkriegsschauplatz seien – und weitere Steuersenkungen auch. Die Industrieländer sollten sich endlich um die „toxischen“ Wertpapiere kümmern. Deshalb müssen wir uns – auch wenn uns dies nicht gefällt, auch wenn wir es uns anders gewünscht hätten – konstruktiv mit dem Instrument der Bad Bank auseinandersetzen. Dieses Problem kann nicht durch Konjunkturprogramme gelöst werden. Allein in den deutschen Banken befinden sich „faule“ Wertpapiere im Umfang von 853 Milliarden €. Das Vertrauen der Banken ist noch nicht wiederhergestellt. Das Geld der Banken muss endlich in die Unternehmen fließen. Dann bekommen wir wieder normale Verhältnisse.

Aus diesem Grund ist es nur richtig, dass die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel das Problem jetzt durch Auslagerung der „giftigen“ Wertpapiere in Zweckgesellschaften angeht, um die Banken wieder zu ihrem „Brot- und Buttergeschäft“ zurückkehren zu lassen.

Klar dabei ist aber auch, dass wir eine Lösung brauchen, die die öffentliche Hand, die Steuerzahler so wenig wie möglich belastet. Modelle gibt es hier. Aber auch in diesem Zusammenhang gilt: Wenn die Flut steigt, muss man die Dämme höher bauen.

Zusammenfassend können wir sagen, dass Deutschland, dass Baden-Württemberg im EU-Vergleich im Hinblick auf die Unterstützung der Konjunktur vorbildlich handeln. Über den Berg werden wir aber erst sein, wenn das Problem der „vergifteten“ Wertpapiere in den Bankbilanzen im Sinne einer schadstofffreien Entsorgung positiv gelöst ist.

(Beifall bei der CDU)