Protokoll der Sitzung vom 23.04.2009

Wir wissen aus der Forschung, dass das Gehirn auf Vernetzung angewiesen ist. Wissen wird nicht nur an einer bestimmten Stelle, sondern in verschiedenen Gehirnregionen abgelegt. Dabei ist ganz wichtig, in welcher emotionalen Verfassung dieses Wissen erworben wird, ob sich die Kinder wohlfühlen oder ob sie angstbesetzt lernen müssen. Musik – auch das wissen wir aus der Gehirnforschung – ist der stärks te neurale Reiz, der überhaupt möglich ist. In der Regel ist dieser Reiz positiv besetzt.

Deshalb sage ich: Wenn wir Kindern ein Schulumfeld schaffen wollen, in dem sie sich wohlfühlen, in dem sie Spaß am Lernen haben, dann darf dieser positive Reiz der Musik auf keinen Fall fehlen.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Und der Sport auch nicht!)

Ja, der Sport auch nicht. – Auf die enge Relation zwischen aktivem Musizieren und der kognitiven Entwicklung eines Menschen wurde bereits hingewiesen. Wir müssen ehrlich sein: Die Forschung steht noch ganz am Anfang. Wir wissen noch nicht ganz genau, welche kognitiven Effekte in der Entwicklung eines Menschen durch welche Art der musikalischen Betätigung erzielt werden können. Aber eines wissen wir schon heute: Aktives Musizieren fördert das Erkennen von Sprachlauten und von schriftlichen Symbolen. Das heißt, Musik in Kindergarten und Grundschule unterstützt die Kinder intensiv beim Lernen von Lesen, Schreiben und Rechnen. Das ist für uns der wissenschaftliche Grund, weshalb wir uns in Kindergarten und Grundschule noch deutlich mehr Musik als heute wünschen.

(Beifall der Abg. Heiderose Berroth und Beate Fau- ser FDP/DVP)

Wir diskutieren heute nicht zum ersten Mal darüber. Verschiedene parlamentarische Initiativen haben dazu geführt, dass sich – das begrüßen wir sehr – in diesem Bereich schon einiges getan hat. Das geht auch aus der Stellungnahme der Landesregierung zu unserem Antrag hervor. Uns ist ganz wichtig, dass wir, wenn wir mehr Musik in Kindergarten und Grundschule haben wollen, auch eine entsprechende Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher und der Lehrerinnen und Lehrer brauchen. Deshalb begrüße ich es, dass bei der Fortschreibung des Orientierungsplans, die wir gerade vornehmen, nach Auskunft des Ministeriums auch der musikalische Bereich, die musikalischen Bildungsinhalte verstärkt und ausgebaut werden sollen. Das ist der richtige Weg.

Wir begrüßen es auch, dass in der neu zu konzipierenden Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher – mit Blick auf den Orientierungsplan müssen wir auch diese Ausbildung weiterentwickeln – der kreative und der musische Bereich deutlich ausgebaut werden sollen.

Ebenfalls begrüßen wir sehr, dass auch bei der Ausbildung von Grundschullehrern und Grundschullehrerinnen, die künftig in einem eigenständigen Ausbildungsweg erfolgen soll, ein Grundmodul zur musikalischen Ausbildung verpflichtend vorgesehen ist.

Wir wünschen uns – das müssen wir noch auf den Weg bringen –, dass auch in der Elementarpädagogik, die heute schon angesprochen worden ist, der Bereich der elementaren Musikpädagogik weiter ausgebaut wird.

(Beifall der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Jetzt zu Ihrem Antrag, Frau Rastätter. Er kam ein wenig überraschend. Ich habe ihn eben erst zur Kenntnis genommen.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Er lag aber schon heute Morgen da!)

Ja, er lag heute Morgen schon da. Aber man hat hier ja einiges zu tun.

Wir haben die Vorschläge, die wir aus Nordrhein-Westfalen kennen, etwas genauer angesehen. Wir hatten im November des vergangenen Jahres einen Bildungstag, den wir unter das Motto „Musik macht Schule“ gestellt hatten. Der Projektleiter aus Nordrhein-Westfalen war bei uns und hat uns das Ganze vorgestellt.

Grundsätzlich sehen wir die Forderung, den Wunsch, jedem Kind das Erlernen eines Musikinstruments zu ermöglichen, als sehr positiv an. Aber in Nordrhein-Westfalen zeigt sich – dort ist das ja schon sehr weit gediehen –, dass das größte Problem die Finanzierung ist. Auch in Nordrhein-Westfalen fehlen noch 12 Millionen €. In Nordrhein-Westfalen ist man damit also auch noch nicht fertig.

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Hinzu kommt – das wurde zumindest auf der letzten Verbandsversammlung des Landesverbands der Musikschulen sehr deutlich geäußert –: Die Musikschulen stehen diesem Konzept sehr kritisch gegenüber. Ich habe die Äußerung von Herrn Hinderberger noch im Ohr: „Wir wollen kein ‚JeKi‘ für 40 Millionen €. Wir sind bereit, zu kooperieren. Aber wir wollen das auf eine andere Art und Weise.“

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Das ist der An- trag!)

Das mag ja sein. Aber bevor ich hier einem solchen Antrag zustimme, möchte ich noch einmal Rücksprache mit den Musikschulen nehmen. Heute bekommen Sie unsere Zustimmung dazu nicht.

(Abg. Walter Heiler SPD: Was?)

Denn ich weiß, dass der Landesverband der Musikschulen zu diesem Projekt eine sehr kritische Haltung einnimmt.

Ich möchte meine Ausführungen damit abschließen. Für uns ist die intensive Kooperation des Grundschulbereichs und des Kindergartenbereichs mit den Musikschulen in unserem Land in der Tat wichtig. Wir sind sehr froh, dass der Landesverband der Musikschulen zu dieser Kooperation bereit ist. Er hat ein

eigenes Modellprojekt auf den Weg gebracht: „Singen, Bewegen, Sprechen im Kindergarten“. Es wird demnächst evaluiert. Es geht darum, wissenschaftliche Erkenntnisse zu finden: Wie können wir Kinder durch musikalisches Tun schulreif machen?

Der Landesverband der Musikschulen hat angekündigt, aufgrund dieser Evaluation ein didaktisches Konzept zu erarbeiten und dazu auch eine Fortbildungsreihe für die eigenen Musikschullehrer sowie für Erzieherinnen und Erzieher aufzulegen. Das ist für uns ein Weg, den wir in enger Kooperation mit dem Landesverband gern beschreiten wollen. Hiervon versprechen wir uns die besten Ergebnisse für die Realisierung unseres Wunsches nach mehr Musik in Kindergarten und Grundschule.

Die verstärkte Kooperation, zu der der Landesverband der Musikschulen ausdrücklich bereit ist, ist natürlich nicht zum Nulltarif zu haben. Das ist völlig klar.

Ich möchte hier – Herr Staatssekretär Wacker, vielleicht können Sie das weitergeben – an ein Versprechen erinnern, das Ministerpräsident Oettinger dem Landesverband der Musikschulen vor einiger Zeit gegeben hat. Er hat gesagt: „Ihr bekommt in absehbarer Zeit 10 % plus X.“ Ich denke, es ist an der Zeit, dieses Versprechen einzulösen. Ich würde Sie bitten, diesen Wunsch, der von unserer Seite auch deutlich unterstützt wird, an Herrn Ministerpräsident Oettinger weiterzugeben.

Ihnen, meine Damen und Herren, danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Abg. Vossschulte das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Rastätter, Sie haben einen Antrag mit zwei Seiten Begründung vorgelegt. Ich glaube, das ist ein Rekord. Eine so lange Begründung hatten wir noch nie.

(Abg. Jörg Döpper CDU: Doch!)

Zu der Finanzierungsvorstellung, die Sie in dem Antrag zum Ausdruck bringen, komme ich gleich noch. Sie haben einen zweiten Antrag vorgelegt,

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Ja! Haben Sie ihn gelesen?)

der das alles beiseite lässt und dadurch auch sehr vage wird. Man weiß eigentlich nicht mehr so recht, wie das Ganze vor sich gehen soll.

Nicht alles, was wünschenswert ist, ist unbedingt machbar und schon gar nicht unbedingt finanzierbar. Alle Projekte, die Sie angeführt haben, sind fremdfinanziert und nicht über das Land finanziert.

Was Sie über Nordrhein-Westfalen erzählt haben, hat Frau Dr. Arnold eben schon richtiggestellt. Im Zweifel nimmt Nord rhein-Westfalen dafür Mittel, die wir in den Länderfinanzausgleich eingebracht haben.

Die Finanzierung, die Sie vorschlagen, ist nicht seriös. Der Vorschlag stimmt misstrauisch, wenn Sie sagen: Sponsoren müssen einbezogen werden. Haben Sie sich überlegt, was in einer Krise passiert, wie wir sie gerade durchleben? Die Sponsoren stellen ihre Gelder reihenweise ein und stellen sie nicht mehr zur Verfügung. Das ganze System würde zusammenbrechen.

(Beifall des Abg. Manfred Groh CDU – Abg. Dr. Ste- fan Scheffold CDU: So ist es!)

Die Tandemlösung in der Grundschule ist schlichtweg nicht finanzierbar. Sie müssen statt einem Lehrer zwei bezahlen. Auch das ist nicht besonders zuträglich.

Zur Effektivität: Musik und Musizieren sind kein Allheilmittel für unsere Gesellschaft. Die Welt wird nicht unbedingt besser, wenn alle Kinder ein Musikinstrument lernen.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Aber schlechter si- cherlich nicht!)

Mit den zwei Jahren Unterricht im ersten und zweiten Schuljahr, die Sie in Ihrem ersten Antrag fordern, wird ganz sicher kein nachhaltiger Effekt erzielt. Wer einmal ein Instrument gespielt hat, der weiß, dass das tägliche Üben über Jahre hinweg notwendig ist, um einigermaßen Erfolge zu erzielen.

(Zuruf von der CDU: Wohl wahr!)

Zur Freiwilligkeit: Über die Erfahrungen, die andere Länder damit gemacht haben, wird in der Stellungnahme der Landesregierung zu Ihrem Antrag berichtet.

Ich möchte keine Missverständnisse provozieren. Die Professoren Bastian, Spitzer und Pfeiffer haben natürlich recht: Musik ist für die Entwicklung der jungen Menschen sehr förderlich im Hinblick auf Sozialverhalten, auf Aufmerksamkeit, auf Spracherwerb und anderes. Der Spracherwerb wird übrigens auch durch das Auswendiglernen sehr unterstützt. Das ist heute aber nicht mehr so sehr in.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Doch!)

Richtig ist, dass wir heutzutage mehr tun müssen, um Kinder und Jugendliche zum Singen und zum Musizieren zu bringen, weil die private Ausbildung in Musik nicht mehr selbstverständlich ist. Das war in den Fünfziger- und in den Sechzigerjahren anders. Daraus hatte sich u. a. die Hausmusik entwickelt, die es heute kaum noch gibt. Nur noch ganz selten findet man Familien, in denen Hausmusik betrieben wird.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Bei uns!)

Eine Zeit lang wurde das auch sehr abfällig als spießig betrachtet.

(Beifall des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Wir müssen in Kindergärten und Schulen damit anfangen. Das ist völlig richtig; denn hier gilt: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.