tun wir alle gut daran, nicht an der falschen Stelle zu jubilieren und vor lauter Krokodilstränen zu sagen: „Die Schule hat jetzt endlich Bestand.“ Sie hat jetzt möglicherweise Lehrer. Die behinderten Kinder brauchen aber mehr als Lehrer. Dieses „Mehr als Lehrer“ ist bis heute nicht geklärt. Es ist auch heute nicht zu klären. Deswegen bin ich sehr dafür, mit diesem Thema im Rahmen unseres Gesamtkonzepts in den Schulausschuss zu gehen,
dort diese Schule in den neuen Plan, in die neuen Vorhaben einzubauen, damit wir nicht eine Lex Emmendingen schaffen, die dieser Schule dann gar nichts nützt.
Wir haben nichts davon, wenn dort zwar Lehrer sind, aber außer den Kindern von reichen Eltern kein einziges Kind hinkommen kann, weil die Eltern die Fahrtkosten nicht zahlen können oder weil die Landkreise die Eingliederungshilfe verweigern. Also auch hier bitte im Sinne der Kinder: Gründlichkeit vor Geschwindigkeit. Wir wollen auch Emmendingen.
Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. Die Opposition hat schon genug Gelegenheit gehabt, zu reden.
(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das hätte uns auch ge- wundert! – Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Was ist das für eine Arroganz! Das ist ja unglaublich!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, folgen Sie nachher unserem Antrag. Wir müssen das Thema „Behinderte Kinder“ sehr ernsthaft diskutieren. Wir müssen uns auch um die kümmern, die in diesem Schulsystem in Zukunft mit Integration nicht klarkommen.
Wir müssen uns auch um Emmendingen kümmern, was das Thema „Eingliederungshilfeleistungen der Landkreise“ betrifft.
Wenn wir diese Fragen geklärt haben – das sollten wir im Schulausschuss tun; dafür ist er zuständig –, dann sind wir an Ihrer Seite und auch an der Seite der Kollegen, die den gemeinsamen Antrag unterschrieben haben.
Schlusswort: Tun wir alles zum Wohl der Kinder, handeln wir aber nicht gegen das Wohl einzelner Kinder, und schaffen wir keine Zweiklassengesellschaft bei behinderten Kindern.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin erleichtert, dass das Kultusministerium von Baden-Württemberg jetzt einen ersten Schritt angekündigt hat: die Sonderschulpflicht in der rigorosen Form, wie sie im baden-württembergischen Schulgesetz verankert ist, zumindest zu lockern. Diese Pflicht abzuschaffen: Dahinter setze ich noch ein großes Fragezeichen, auch nach dem, was ich heute vom Kollegen Hoffmann gehört habe.
Ich bin auch für die Eltern von behinderten Kindern und für unsere Gesellschaft erleichtert. Denn der Wunsch nach mehr und intensivem gemeinsamen Unterricht ist seit vielen Jahren immer stärker geworden. Sie alle wissen, welchen Hürdenlauf Eltern in Baden-Württemberg, die einen gemeinsamen Unterricht wünschen, hinter sich zu bringen haben, wie sehr sie in Bittstellerfunktionen gedrängt werden und wie bitter die Erfahrungen vieler Eltern sind. Sie haben an einigen Orten immer wieder keinen Erfolg bei ihren Bemühungen, dass ihre Kinder, die zum Teil einen gemeinsamen, integrativen Kindergarten besucht haben, dieses gemeinsame Lernen und Aufwachsen mit Gleichaltrigen in der Schule fortsetzen können.
Daher: Der erste wichtige Schritt ist getan. Aber wir werden uns über die Ausgestaltung der rechtlichen Neuregelung sehr intensiv streiten müssen.
Ich bin auch erleichtert – das muss ich zugeben –, dass jetzt kein Widerspruch gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg eingelegt wird.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei der integrativen Waldorfschule Emmendingen – Vertreter von ihr und Eltern von Kindern, die diese Schule besuchen, sind heute hier im Landtag – sehr herzlich dafür bedanken, dass sie über viele Jahre hinweg ein hervorragendes inklusives Schulkonzept entwickelt hat und dieses auch beharrlich weiterverfolgt hat, obwohl es immer wieder Hürden zu überwinden gab, immer wieder neu geprüft wurde, immer wieder neue Anträge gestellt wurden. Ich möchte mich auch für das Beharrungsvermögen ganz herzlich bedanken sowie für die Hartnäckigkeit, schließlich auch gerichtlich dafür zu kämpfen, dass sie ihr integratives, inklusives Modell beibehalten darf.
Wenn es jetzt darum geht – Kollege Hoffmann hat schon gesagt, wie es weitergeht, auch wenn jetzt kein Widerspruch eingelegt wird –, das Ganze in ein Gesamtkonzept einzubinden, dann steht für mich aber fest, dass das, was das Gericht gesagt hat, die Grundlage sein muss. Danach nämlich muss die integrative Waldorfschule als private Ersatzschule genehmigt werden. Das heutige Privatschulgesetz sieht schon die Möglichkeit vor, eine Gleichwertigkeit herzustellen. Es muss keine Gleichartigkeit des schulischen Angebots sein. Die Gleichwertigkeit mit dem staatlichen System ist gewährleistet. Das hat das Regierungspräsidium bestätigt. Daher dürfen an der Forderung, die Schule als private Ersatzschule zu genehmi
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ankündigung, die Sonderschulpflicht zu lockern – ich formuliere es einmal so; sie abzuschaffen ist, wie gesagt, mit einem Fragezeichen zu versehen –, ist in Baden-Württemberg nicht freiwillig erfolgt. Ich denke an die Debatten im Schulausschuss, ich denke daran, wie rigoros Sie bis vorletzte Woche an der Sonderschulpflicht festgehalten haben. Dann kam überraschend die Ankündigung des Kultusministers. Sie erfolgte nicht zufällig. Sie kam am Montag, am 4. Mai 2009. Am Mittwoch und am Donnerstag darauf war die große nationale Bildungskonferenz des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Berlin, bei der Vertreter aller Bundesländer zusammenkamen. Dort wurde von allen Experten gesagt: Baden-Württemberg ist das einzige Bundesland, das bis heute so rigoros an der Sonderschulpflicht festgehalten hat. Insofern war die Ankündigung am Montag letzter Woche letztlich die Flucht nach vorn, um sich endlich aus dieser isolierten Situation zu befreien. Das war der Hintergrund dieser Ankündigung.
Ich gebe zu, Herr Kollege Hoffmann: Durch die Möglichkeiten, die wir über kleine Außenklassen haben, und diese restriktiv genehmigten integrativen Schulentwicklungsprojekte haben wir in Baden-Württemberg auch erfolgreich gezeigt, dass von dem gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderungen die gesamte Schule – nicht nur die Kinder – profitiert, weil auch Lernkonzepte entwickelt wurden, von denen alle Kinder profitiert haben.
Wenn wir jetzt die Inklusion umsetzen wollen, heißt das nicht: „Wir bringen die Kinder da irgendwie hinein, und wenn sie nicht dazu passen, dann müssen sie zurück an die Sonderschule.“ Das Gegenteil ist der Fall. Das allgemeine System muss so geändert werden, dass es für Kinder mit unterschiedlichen Befähigungen in ihrer ganzen Vielfalt und Unterschiedlichkeit integrativ ausgestaltet ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Wenn wir behinderte Kinder inklusiv integrieren, dann müssen die Sonderpädagogen mit an die Schule. Dann müssen wir die Rahmenbedingungen an den allgemeinen Schulen ändern, dann müssen wir kleine Klassen schaffen. Das sind die Voraussetzungen, die wir schaffen müssen. Darauf wird auch die Auseinandersetzung hinauslaufen.
Wir Grünen haben einen Gesetzentwurf entwickelt und vorgestellt. Er sieht tatsächlich das Auslaufen von drei Sonderschulformen vor. Darüber können wir heute nicht im Detail diskutieren. Aber wenn wir sehen, dass die Förderschule eine Schule ist, in der inzwischen ausschließlich noch sozial benachteiligte Kinder unterrichtet werden – 75 % mit Migrationshintergrund –, dann müssen wir uns doch fragen, ob wir
uns das in einem Bildungssystem leisten können, das vor allem der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet ist.
Deshalb sage ich: Sonderpädagogen zur Unterstützung an die allgemeinen Schulen und kleinere Integrationsklassen. Dann können wir das machen, was international Standard ist: 80 bis 90 % der Kinder mit Behinderungen sind in erfolgreichen Bildungsländern integriert.
Die Sonderschulen bleiben. Die Eltern, die sich dafür entscheiden, sollen dort weiterhin die bestmöglichen Förderangebote für ihre Kinder bekommen. Die Sonderpädagogik ist hoch entwickelt. Jetzt müssen wir die Sonderpädagogik und die allgemeine Pädagogik zusammenbringen. Dann können wir tatsächlich die bestmöglichen Bildungschancen für alle Kinder, von den Schwächsten bis zu den am höchsten Begabten, erreichen.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Es besteht natürlich Konsens unter uns allen, dass die UNKonvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die seit dem 26. März dieses Jahres nationales Recht ist, sehr positiv zu werten und zu würdigen ist. Ich begrüße es, dass diese Konvention die soziale Einbeziehung und Teilhabe der Menschen mit Behinderungen ausdrücklich fordert. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die sicher in manchem Bereich der Gesellschaft noch ihrer vollständigen Verwirklichung bedarf.
In unserem Schulsystem in Baden-Württemberg beschränken wir die pädagogischen Grundsätze von Einbeziehung und Teilhabe freilich nicht auf Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, sondern legen sie schon längst der gesamten Schullandschaft – einer Schullandschaft, die Vielfalt und Unterschiedlichkeit nicht nur als normal, sondern auch als fruchtbar anerkennt, respektiert und achtet – als Förderprinzip zugrunde.
Verantwortungsvolle Einbeziehung und Teilhabe für Menschen mit Behinderungen und mit umfassendem sonderpädagogischem Förderbedarf zu verwirklichen heißt, subsidiär spezifische Angebote vorzuhalten, die auf Rehabilitation, Kompensation oder auch auf Dauer angelegt helfende und betreuende Funktionen im Bildungsprozess wahrnehmen.
Dies bedeutet weiterhin, Spezialschulen vorzuhalten. Es geht hier also nicht um ein Entweder-oder – das wäre zu billig –, sondern es geht um ein Sowohl-als-auch. Den vor diesem Hintergrund notwendigen Perspektivenwandel vollzieht das baden-württembergische Schulwesen samt Sonderschulwesen kontinuierlich nachweisbar seit Jahren.
Es gilt, so viel gemeinsamen Unterricht wie irgend möglich zu organisieren und gleichzeitig so viel gesonderte Förderung wie notwendig vorzuhalten. Bei allem müssen wir dabei im Blick behalten, dass es um die bestmögliche individuelle Förderung dieser jungen Menschen geht.
Der neue Bildungsbericht, der unlängst vorgestellt wurde, liefert erstmalig einen Gesamtüberblick über einen wichtigen, teilweise bisher wenig bekannten Teil der schulischen Bildungslandschaft in Baden-Württemberg. Darin werden über die Fragen zum gemeinsamen Unterricht hinaus datenbasierte Analysen zu allen wesentlichen Bereichen sonderpädagogischer Förderung und deren Entwicklung vorgelegt. Die Datenlage belegt, dass das Land Baden-Württemberg den frühzeitigen und rechtzeitigen Hilfen für Kinder mit bestehenden oder drohenden Behinderungen und ihre Familien einen besonderen Stellenwert beimisst und damit enorme Leistungen im Sinne der Prävention erbringt und so die Startchancen zum Zeitpunkt des Schuleintritts verbessert.
Außerdem ist erwiesen, dass die sonderpädagogische Förderung in Baden-Württemberg eine Vielfalt von Förderformen entwickelt hat. Es gibt ein dichtes Netzwerk sonderpädagogischer Förderung. Außerhalb der Sonderschulen hat der sonderpädagogische Dienst in den allgemeinen Schulen und in den Kooperationsklassen, die wir formal „Außenklassen“ nennen, eine stetige Erweiterung erfahren. Es ist mittlerweile Standard, dass die sonderpädagogischen Angebote außerhalb der Sonderschulen als ebenso wichtig gesehen werden wie die Förderung in sonderpädagogischen Einrichtungen selbst.
Die datenbasierte Bestandsaufnahme ist – da bin ich wieder bei der UN-Konvention – der von den Vertragsstaaten geforderte Schritt, den eigenen Standort differenziert zu analysieren, Bilanz zu ziehen und damit eine Grundlage für die zukünftige Entwicklung zu schaffen. Tatsache ist – diese Zahlen mögen vielleicht den einen oder anderen noch überraschen, aber wir haben jetzt den statistisch erbrachten Beleg –: Heute besuchen 54 000 Schülerinnen und Schüler in BadenWürttemberg eine Sonderschule. Doch schon fast 22 000 Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen und sonderpädagogischem Förderbedarf besuchen eine allgemeinbildende Schule. Das sind 29 %, also fast ein Drittel aller Schülerinnen und Schüler und damit doppelt so viele wie im Bundesdurchschnitt. 230 Außenklassen zeigen, dass das Land BadenWürttemberg über einen enormen Erfahrungsreichtum auf dem Gebiet des gemeinsamen Unterrichts verfügt.