weil er einen Teil enthält, den wir auf keinen Fall mittragen. Sie haben das ausgeführt: Sie wollen drei Sonderschularten abschaffen. Diesen Weg gehen wir auf keinen Fall mit. Das kommt für uns überhaupt nicht infrage. Es handelt sich um die Förderschulen für Lernbehinderte, die Schulen für Erziehungshilfe und die Schulen für Sprachbehinderte. Wir wollen diese Sonderschulen erhalten. Denn es gibt noch immer – das wird es auch in Zukunft geben – Eltern, die ihre Kinder in diesen Schulen beschulen lassen wollen, weil sie Kinder haben, die einen Förderbedarf haben, der deutlich über das hinausgeht, was eine allgemeine Schule leisten kann. Wir wollen auch die Sachkompetenz, die in diesen Schulen vorhanden ist, weiter behalten und ausbauen. Wir wollen darauf nicht verzichten.
Wenn man sich das etwas genauer anschaut, sieht man: Mit Ihrem Vorschlag schränken Sie mittelbar auch das Wahlrecht der Eltern ein. Deshalb dürften Sie, Herr Zeller, hier eigentlich nicht Ja und Amen sagen. Denn wenn diese Sonderschulen abgeschafft sind, können die Eltern sie auch nicht mehr auswählen. Das ist eine Begrenzung des Wahlrechts der Eltern. Auch diesen Weg wollen wir nicht mitgehen.
Wir müssen aufpassen, meine Damen und Herren, dass wir die Sonderschulen, die wir im Land haben, nicht schlechtreden und dass nicht dasselbe passiert wie mit der Hauptschule. Da müssen wir sehr vorsichtig sein. Auch die Eltern, die es für nötig erachten, ihr Kind auf eine Sonderschule zu schicken, sollen kein schlechtes Gewissen haben. An dieser Stelle also bitte Vorsicht!
Zur Frage der Förderschulen: Wir haben versucht, uns auch hier kundig zu machen. Ich habe vor einiger Zeit mit Kolle
gin Berroth eine Schule in ihrem Wahlkreis besucht. Da habe ich ganz andere Informationen bekommen als die, die Sie hier jetzt wiedergegeben haben. Es ist sicher richtig, dass ein Teil der Förderschüler – das ist auch das Ziel, das wir mit dieser Beschulung anstreben – wieder in die allgemeinbildende Schule zurückgeführt werden können. Das ist wunderbar. Das wollen wir auch. Aber es gibt eben auch Kinder, für die das nicht möglich ist.
Der dortige Rektor sagte – das hört sich erst paradox an, stimmt aber –: „Je weiter die Bildungsziele für behinderte und nicht behinderte Kinder auseinander liegen, desto leichter ist die Integration.“ Die Gefahr der Stigmatisierung ist gerade für lernbehinderte Kinder sehr groß, weil sie sich auf den ersten Blick nicht von den „normalen“ Kindern unterscheiden und dann sehr schnell in die Rolle dessen geraten, der immer der Schlechteste ist und dann als Einzelschüler in einer integrierten Klasse doch seine Probleme bekommt. Dieser Rektor hat uns dringend gebeten: „Macht uns die Förderschulen nicht kaputt! Wir brauchen sie.“
Ich bestreite auch heftig, dass – wie soll ich das sagen? – das schlechte soziale Standing, das ein Stück weit mit dieser Schülerklientel verbunden wird, generell „vererbt“ wird. Der Rektor hat klipp und klar gesagt: Zentraler Bildungsauftrag dieser Lernbehindertenschulen ist die berufliche Orientierung. Herr Hoffmann hat schon die Instrumente genannt, die wir haben, um gerade diese Schülerinnen und Schüler zu unterstützen, damit sie ein eigenständiges und erfolgreiches Leben führen können.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es! Ge- nau!)
Ich sehe, meine Redezeit ist abgelaufen. Herr Präsident, gestatten Sie mir zum Abschluss noch einen Gedankengang.
Ich möchte kurz noch einmal einen Blick in das europäische Ausland werfen. Das wird uns ja immer als das große Vorbild vorgehalten. Da gibt es Länder, in denen 85 % der Sonderschülerinnen und Sonderschüler eben keine Sonderschulen besuchen, sondern im allgemeinen Schulwesen integriert sind. Aber da muss man etwas genauer hinschauen.
Ich habe Informationen vom Landtag von Schleswig-Holstein. Er hat sich eine Gemeinschaftsschule in Finnland angesehen und zu seiner Überraschung festgestellt: Jawohl, ein Viertel der Kinder werden dort integrativ beschult. Aber drei Viertel der Kinder, die unter dem Etikett „inklusiv“ laufen, werden trotzdem in mehr oder weniger großen Gruppen bis hin zu Sonderklassen aus dem Klassenverband herausgenommen. Das ist in meinen Augen auch ein Stück weit Etikettenschwindel. Hier wird nämlich genauso separiert und genauso ausgesondert, und diese Schüler werden auch nur von speziellen
Unser Ziel ist der Ausbau des inklusiven Unterrichts in unserem Land. Das wissen Sie. Aber wir müssen die richtigen Rahmenbedingungen dafür schaffen. Etikettenschwindel wollen wir nicht.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Man kann bei diesem Thema zum einen zweifelsohne, Frau Kollegin Rastätter, über Gemeinsamkeiten sprechen. Man muss aber auch zum Ausdruck bringen, dass es deutliche Unterschiede zwischen Ihrem Gesetzentwurf einerseits und dem Vorhaben der Landesregierung und vor allem der Istsituation andererseits gibt, die sich sehr gut darstellt, was die Integration von Behinderten in unserem Schulwesen insgesamt betrifft.
Die Rechte der Eltern von Kindern mit Behinderungen und sonderpädagogischem Förderbedarf sowie dieser Kinder selbst haben uns mehrfach beschäftigt und werden sicher auch im Mittelpunkt der Beratungen gerade zu diesem Thema stehen – nicht nur im Rahmen der Debatte über Ihren Gesetzentwurf, sondern auch im Rahmen der Debatte über unseren später noch vorzulegenden Gesetzentwurf, über den wir dann auch gemeinsam zu diskutieren haben.
Zum einen liegen uns die betroffenen Kinder am Herzen. Wir stehen immer wieder aufs Neue vor großen Herausforderungen, um ihren Bedürfnissen zu entsprechen. Auch die gesellschaftspolitischen Vorstellungen zu diesem Thema ändern sich. Zum anderen gibt es im Bereich der sonderpädagogischen Förderung von Kindern mit Behinderungen und Benachteiligungen eine enorme Entwicklungsdynamik, mit der wir uns ebenfalls auseinanderzusetzen haben.
Ich habe am 13. Mai 2009 in diesem Haus gesagt, dass Aktivität und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und sonderpädagogischem Förderbedarf in verantwortungsvoller Weise zu verwirklichen auch heißt, subsidiär spezifische Bildungs angebote in Spezialschulen vorzuhalten. Möglicherweise haben wir auch da noch keinen Widerspruch im Allgemeinen. Aber ich habe gleichzeitig betont, dass es nicht um Radikallösungen gehen kann. Vielmehr geht es um die sorgsame Abwägung der Gesichtspunkte.
Im Übrigen wurde bereits der Expertenrat der Landesregierung skizziert. Der Expertenrat hat sich konstituiert. Diesem Expertenrat gehören alle relevanten Fachleute an: die Vertreterinnen und Vertreter der Behindertenverbände, die Vertreterinnen und Vertreter der Fachverbände, die Vertreterinnen und Vertreter der Häuser – auch das Haus des Behindertenbeauftragten unseres Landes ist vertreten – sowie die Verbände, die wir im Gesetzgebungsverfahren ohnehin mit einzubinden haben.
In einer ersten Aussage haben die Experten – nur insoweit kann ich heute überhaupt von einer Aussage des Expertenrats sprechen – zum Ausdruck gebracht: Es wird schwierig sein, in diesem Bereich Patentlösungen zu formulieren. Denn dieses Thema ist viel zu kompliziert, als dass es über ein einfaches Gesetzgebungsverfahren auf die Schnelle abgearbeitet werden könnte.
Ich weise nur darauf hin, dass es wirklich gut ist, dass wir sorgfältig über die Ergebnisse des Expertenrats sprechen. Wir rechnen mit der Vorlage der Ergebnisse bis zum Ende dieses Jahres. Ich gehe selbstverständlich davon aus, Herr Kollege Zeller, dass der Schulausschuss an diesem Thema besonders interessiert ist. Insofern sollten Sie die Ergebnisse durchaus abrufen, damit wir im Anschluss daran eine vernünftige, ausgewogene Diskussion im Schulausschuss führen können.
Nun zu Ihrem Gesetzentwurf, Frau Kollegin Rastätter. Darin geht es um die Abschaffung der Förderschulen. Das steht in dem Entwurfstext nun einmal so. Das können Sie heute auch nicht leugnen.
Gleichzeitig geht es um die Abschaffung der Schulen für Sprachbehinderte und der Schulen für Erziehungshilfe, aber nicht um die Weiterentwicklung des Systems der sonderpädagogischen Förderung in Baden-Württemberg. Damit widerspricht Ihr Entwurf sehr deutlich unserem bereits dargelegten Standpunkt.
Ich komme auf die Gemeinsamkeiten zu sprechen. Dadurch erübrigt sich vielleicht auch Ihre Zwischenfrage.
Erstens: Sie erkennen eine Hinwendung zu der Auffassung, dass es einen Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungs- und Unterstützungsangebot gibt.
Ich finde zweitens auch Ihre Vorstellung gut, dass die Sonderpädagogik nicht von sich aus aufgrund von Nachfragen zum Kind kommt, sondern ein Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs vorgeschaltet sein muss.
Drittens – ich bin noch nicht am Ende –: Wir sind uns auch darüber einig, dass der Beitrag der Sonderpädagogik zum gemeinsamen Unterricht von den sonderpädagogischen Einrichtungen aus erbracht wird.
Erstens wird im Gesetzentwurf auf der einen Seite allen Kindern mit Behinderungen das Recht auf sonderpädagogische Förderung zugebilligt. Dabei sagen wir, dass die Behinderung allein noch keinen Grund für die Inanspruchnahme eines son
derpädagogischen Bildungsangebots darstellt. Vielmehr – ich glaube, das ist einer der grundsätzlichen Unterschiede, die zwischen uns auch in der Sprachregelung bestehen – ist der sonderpädagogische Förderbedarf und nicht die Behinderung an sich entscheidend.
Auf der anderen Seite wird eine Grundlage für die Abschaffung der Förderschulen, der Schulen für Sprachbehinderte und der Schulen für Erziehungshilfe vorgelegt. Das ist ein diametraler Widerspruch; das passt nicht zusammen.
Zu den Förderschulen ist schon einiges gesagt worden. Auch ich besuche viele Förderschulen und kann Ihnen nur empfehlen, sich sehr intensiv mit den Eltern auseinanderzusetzen, deren Kinder eine Förderschule besuchen. Wenn wir die Bildungsverläufe der Förderschüler beobachten, stellen wir fest, dass nahezu 100 % der Schülerinnen und Schüler, die Förderschulen besuchen, nachfolgende Qualifizierungsmaßnahmen, Bildungsgänge absolvieren. Das heißt, die Chance, sie über die Fortsetzung der Bildungsmaßnahmen in den Berufsprozess einzugliedern, ist gerade durch diese Bildungseinrichtung gegeben. Insofern wäre es ein Fehler – zum Schaden der Kinder –, wenn wir einfach eine Bildungseinrichtung abschaffen würden und uns danach überlegen müssten, wie wir mit diesen potenziellen Schulabbrechern später auf anderen Schularten zurechtkommen.
Zweitens: Der klassische Behindertenbegriff ist bei Fragen der Weiterentwicklung nicht zeitgemäß, und er entsprach noch nie dem Verständnis, das die Sonderpädagogik in BadenWürttemberg von ihrer Aufgabe hat. Entscheidend ist nicht die Behinderung, Schädigung oder Beeinträchtigung, wie sie im sozialmedizinischen Sinn definiert ist, sondern entscheidend sind die Auswirkungen einer Behinderung, Schädigung, Beeinträchtigung oder Benachteiligung auf das schulische Lernen.
Dem entspricht übrigens das Subsidiaritätsprinzip der Sonderpädagogik, wie wir es in Baden-Württemberg praktizieren und weiter aufrechterhalten werden. Schülerinnen und Schüler, die im sozialmedizinischen Sinn nicht zur Gruppe der Menschen mit einer wesentlichen Behinderung zählen, sollen aber, obwohl sie im Einzelfall einen sehr umfassenden und sehr weitreichenden Förderbedarf und damit einen Anspruch auf ein ihren Voraussetzungen entsprechendes spezifisches Bildungsangebot haben können, ein solches Angebot nach Ihrem Entwurf, Frau Rastätter, nicht mehr erhalten. Den Eltern dieser Kinder wird nach Ihrem Entwurf nun einmal keine Wahlmöglichkeit eingeräumt.
Darin vermag ich keine Gerechtigkeit zu erkennen, schon gar keine – um einen Ihrer Lieblingsbegriffe zu verwenden – soziale Gerechtigkeit.
Ich nenne einen weiteren Unterschied. In der Debatte über den besten Weg der Förderung von Kindern und Jugendlichen mit
Behinderungen und sonderpädagogischem Förderbedarf muss Sorgfalt walten. Es darf keiner Diskussion Vorschub geleistet werden, die ausschließlich an Zahlen festgemacht wird und die die bundesweit, insbesondere aber in Baden-Württemberg erreichten fachlichen Standards unberücksichtigt lässt. Hier geht es um junge Menschen, nicht um Zahlen.