Protokoll der Sitzung vom 08.07.2009

Einzügige Hauptschulen werden auch nach der Einführung der Werkrealschule erhalten bleiben. Allerdings gilt für sie: Sie müssen sich inhaltlich dem neuen Konzept anpassen. Für die Schülerinnen und Schüler muss von jeder Klassenstufe aus ein Überwechseln auf die Werkrealschule möglich sein.

Durch die Verbindung von individueller Förderung mit einer konsequenten Stärkung der Ausbildungsreife schaffen wir einen attraktiven Bildungsgang zum Erwerb der mittleren Reife. Damit werden mehr Schülerinnen und Schüler eine verbesserte Perspektive für eine berufliche Ausbildung haben. Ihnen bleibt auch weiterhin die Option des Anschlusses in den beruflichen Vollzeitschulen offen.

Dieses innovative Konzept wird unsere Stellung als moderns tes Bildungsland weiter ausbauen. Doch vor allem geht es uns um die Schülerinnen und Schüler. Ihre Chancen zu steigern ist das wichtigste Ziel.

Zu unserem Weg hat die Opposition keine konstruktive Alternative zu bieten. Ich bin sicher, dass wir im Interesse der Jugendlichen in unserem Land handeln werden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Schebesta für die Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben für die nächsten Jahre Prognosen, die von einem Fachkräftemangel in weiten Bereichen unserer Wirtschaft ausgehen. Der Industrie- und Handelskammertag Baden-Württemberg hat Ende letzten Jahres eine Prognose veröffentlicht, in der für die nächsten zwölf Jahre bis zum Jahr 2020 ein Mangel von rund 370 000 nicht akademischen Fachkräften, tendenziell am höchsten in den technischen Berufen, vorausgesagt worden ist. Wir haben vom Wirtschaftsministerium ein Gutachten des Prognos-Instituts, in dem davon ausgegangen wird, dass bis zum Jahr 2015 120 000 Personen mit einem beruflichen Bildungsabschluss fehlen werden.

Das ist ein Problem für die Wirtschaft aus unserer demografischen Entwicklung heraus, und darauf müssen wir alle eine

Antwort finden. Es ist aber auch ein Zeichen dafür, dass die Chancen für Jugendliche, für Schülerinnen und Schüler in den nächsten Jahren wachsen werden, über alle Schulen hinweg unabhängig von ihrem Abschluss einen Beruf zu ergreifen, der vielleicht heute für diese Gruppe von Schülerinnen und Schülern noch nicht erreichbar ist.

Dafür müssen die Schülerinnen und Schüler das Zeug, das in diesen Berufen verlangt wird, vom Abschluss her und von den inhaltlichen Voraussetzungen, die ihre Ausbildung erfordert, mitbringen. Damit sie diese Chance nutzen können, haben wir die Aufgabe, die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Wir müssen auch dafür sorgen, dass Kinder mit Migrationshintergrund ihre Chance nutzen können und dass das Positive an unserer Ausgangssituation mit der niedrigsten Zahl von Schulabgängern ohne Abschluss aufrechterhalten wird.

Die Werkrealschule ist eine Antwort auf diese Ausgangslage. Wir wollen dafür sorgen, dass noch mehr Schülerinnen und Schüler in unserem Land das Zeug für anspruchsvolle Berufsbilder mitbringen und dass noch mehr Schülerinnen und Schüler in unserem Land einen mittleren Bildungsabschluss schon am Standort ihrer allgemeinbildenden Schule schaffen.

Ich will deshalb einfach noch einmal die Kernpunkte nennen, mit denen wir in den Werkrealschulen dafür sorgen werden, dies zu erreichen: die Betonung der beruflichen Grundbildung, die Wahlpflichtfächer mit beruflicher Orientierung, die enge Kooperation der zehnten Klasse mit den beruflichen Schulen, zwei Schulabschlüsse in der Werkrealschule, ein mittlerer Bildungsabschluss für mehr Schülerinnen und Schüler schon nach zehn Jahren sowie eine individuelle Förderung in der Werkrealschule. Wir sind uns unabhängig von Systemfragen hier im Landtag einig, dass wir mehr individuelle Förderung in den Schulen wollen.

Deshalb ist es ein guter Weg, den Praxiszug und den Werkrealschulzug von der Stundenzahl her zusammenzufassen und die Stunden den Schulen für individuelle Förderung zur Verfügung zu stellen. SPD und Grüne müssten das zumindest begrüßen. Wir würden uns wünschen, sie würden in Jubel ausbrechen, aber zumindest müssten sie dies als Schritt in die richtige Richtung bei der individuellen Förderung bezeichnen. Wir legen jedenfalls großen Wert darauf, diesen Weg zu gehen und mehr individuelle Förderung in den Schulen zu haben.

Es ist eine große Aufgabe der Schulen, darauf einzugehen, die Schülerinnen und Schüler auf zwei unterschiedliche Abschlüsse vorzubereiten und das an mehr Schulen und mit einer neuen Konzeption zu machen. Ich bin aber sicher, dass davon neue Impulse für den Unterricht auch über die Werkrealschule hinaus ausgehen werden.

Selbstverständlich ist das Vorhaben, die Werkrealschule so zu verankern, wie es jetzt im Gesetzentwurf vorliegt, auch eine Antwort auf den Handlungsbedarf bei der Schülerzahlenentwicklung. Die Schülerzahlenentwicklung in Baden-Württemberg hängt zum einen mit der zurückgehenden Kinderzahl zusammen. Deshalb merkt man den Schülerzahlenrückgang auch in den Grundschulen. Der Rückgang ist auch eine Auswirkung davon, dass Eltern nachfragen, welchen Schulabschluss an dieser Schulart ihr Kind erreichen kann, und in der Tendenz dazu neigen, zumindest einen mittleren Bildungsab

schluss zu verlangen. Eine große Rolle spielt dabei der Blick auf das Ende dieses Schulabschnitts, der nicht das Ende einer Bildungsbiografie bedeutet. Eine nicht so große Rolle spielt der Blick auf die Förderung in einer Schulart.

Die Zahlen kennen Sie: 25 % Schülerzahlenrückgang. Das trifft uns in Baden-Württemberg mit unserer großen Zahl an Hauptschulen und auch mit der großen Zahl an Schulen, die z. B. weniger als 100 Schüler haben, ganz besonders.

Mit diesem Angebot der Werkrealschule haben die Schulträger etwas an der Hand, mit dem sie im Interesse der Kinder der Schülerzahlenentwicklung Rechnung tragen können. Dabei sind viele Städte und Gemeinden schon viel weiter, als Sie von der Opposition es sind. Die Städte und Gemeinden gehen nämlich diesen Weg mit und setzen für die Schülerinnen und Schüler aus dem Konzept der Werkrealschule das Positive um, das wir damit auf den Weg bringen. Deshalb hat auch in der Anhörung die Konzeption in dem Schulgesetzentwurf, der der Anhörung zugrunde lag, die überwiegende Zustimmung erfahren. Wenn ich diejenigen herausnehme, die politisch gegen ein gegliedertes Schulsystem positioniert sind, ist eine fast einhellige Position feststellbar.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Nicht überall!)

Es gibt halt politische Unterschiede.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Was ist mit dem Landeselternbeirat?)

Ich habe gesagt: fast einhellig. Aber dass die Lehrer- und Lehrerinnenvertreter von Gewerkschaftsseite, die als Gewerkschaft eine Position in der Schulstrukturfrage haben, nicht sagen, Werkrealschule sei ihr Weg, ist klar. Man kann nicht bestreiten, dass das auch Motivation für eine solche Stellungnahme ist.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: VBE auch!)

Noch einmal Frau Rastätter: Ich habe davon gesprochen, dass es fast einhellig Zustimmung gibt.

Wir haben in den zurückliegenden Wochen vor allem einen Punkt in der öffentlichen politischen Diskussion als Hauptthema gehabt, nämlich die Frage des Übergangs nach Klasse 10. Wir haben heute den Ausgangspunkt, dass für die zehnte Klasse an einer Hauptschule, die den Werkrealschulabschluss bietet, im ersten Halbjahr der Klasse 9 ein Notenschnitt von 2,4 notwendig ist, ein Zusatzunterricht in den Fächern Deutsch, Mathe und Englisch vorausgesetzt wird und die zweijährige Berufsfachschule, an der man auch einen mittleren Bildungsabschluss erreichen kann, heute einen Notenschnitt von 3,0 in den Fächern Deutsch, Mathe und Englisch voraussetzt.

Wir haben uns dafür entschieden, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Voraussetzungen der Berufsfachschule auch für die Werkrealschule vorzusehen. Ich glaube, dass das schon ehrgeizig ist, denn natürlich gibt es in den Berufsfachschulen bisher einen zweijährigen Weg bis zum mittleren Abschluss, und es sind in der neuen Werkrealschule neun Jahre wie bisher plus das eine Jahr der zehnten Klasse. Es ist ein ehrgeiziges Ziel, schon am bisherigen Hauptschulstandort mehr Schülerinnen und Schüler zu einem mittleren Bildungsab

schluss zu bringen. Ich halte es aber für richtig, dieses Ziel auch so zu formulieren. Aber die Auswirkung bei der Werkrealschule darf nicht sein, dass das Niveau des mittleren Bildungsabschlusses an den Werkrealschulen sinkt.

Es ist richtig, dass es in den vielen Gesprächen, die wir – auch ich selbst – in den letzten Monaten zu diesem Thema geführt haben, wirklich keinen einzigen Lehrer gegeben hat, der die zehnte Klasse unterrichtet oder unterrichtet hat und der sagt: Es braucht keine Zugangsvoraussetzungen. Da sind übrigens auch SPD-Lehrer, Grüne-Lehrer, Gewerkschaftslehrer mit dabei.

(Heiterkeit – Abg. Ute Vogt SPD: „Gewerkschafts- lehrer“!)

Ich habe noch keinen einzigen Lehrer, der die zehnte Klasse unterrichtet oder unterrichtet hat, getroffen, der mir gesagt hätte: Die Zugangsvoraussetzungen zur zehnten Klasse könnt ihr weglassen. Es sind ideologische Gründe, wenn Sie sagen, Sie wollten keine Zugangsvoraussetzungen, alle könnten alles schaffen. Alle sollen ihre Chancen nutzen können, ja, aber es sollten Chancen sein und nicht nur der bloße Schein.

Wir haben über den Gesetzentwurf hinaus offene Fragen, die auch nach dem Gesetzgebungsprozess bleiben werden. Ich will zum einen das Thema Ressourcen ansprechen. Vor allem von den kommunalen Landesverbänden wird das Thema Schü lerbeförderungskosten genannt. Im Gesetzestext ist schon der Hinweis darauf gegeben, dass die Schülerbeförderungskosten im Zuge von Verhandlungen mit den kommunalen Landesverbänden auch unter diesem Aspekt beraten werden sollten.

Ferner haben wir das Thema „Schulleitung einer neu zu bildenden Werkrealschule“. Ich glaube, dass es richtig und wichtig ist, alle diejenigen, die an den bisherigen Grund- und Hauptschulen, die zu einer Werkrealschule zusammengefasst werden, tätig sind, in die Verantwortung für die Entwicklung der Werkrealschule, für das gute Starten der Werkrealschule mit einzubeziehen. Deshalb brauchen wir Beispiele dafür, wie das geht, eben auch alle bisherigen Schulleitungen solcher Schulen in die Verantwortung der Schule mit einzubeziehen.

Über solche Fragen werden wir auch über das Gesetzgebungsverfahren hinaus bis zum Start im übernächsten Schuljahr weiter sprechen und Lösungen für eine gute Entwicklung suchen. Ich bin allen, die uns in der Vorbereitung unterstützt haben und die uns Rat gegeben haben, dankbar und will dabei auch ausdrücklich die Zusammenarbeit mit den kommunalen Landesverbänden ansprechen, die uns an vielen Stellen Hinweise gegeben haben, was im Interesse der Schulträger, der Kommunen, richtige Lösungsansätze wären, damit das Kind Werk realschule eine gute Entwicklung für die Schülerinnen und Schüler nehmen kann. Herzlichen Dank dafür.

Alles Weitere im Ausschuss und in der Zweiten Beratung. Wir begrüßen diese Konzeption als wichtigen Schritt für gute Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler in Baden-Würt temberg für ihre Chancen im Berufsleben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Zeller für die Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die neue Werkrealschule ist das Totenglöcklein für ca. 800 einzügige Hauptschulen.

(Beifall bei der SPD)

Der Gesetzentwurf der Landesregierung ist nichts anderes als ein großes Hauptschulschließungsprogramm, ohne dass dabei das Grundproblem gelöst würde. Das Grundproblem, die Grundherausforderung lautet nämlich: Wie können wir unsere Kinder und Jugendlichen besser fördern und ihnen höhere Abschlüsse ermöglichen?

Alle Werkrealschulen sind faktisch weiterhin Hauptschulen. Deswegen ist es auch ein Etikettenschwindel, wenn hier sozusagen von einer neuen Schule die Rede ist. Ich finde, eine Mutter hat Ihren Bildungskurs, Herr Rau, in einem Brief treffend beschrieben. Sie schreibt da:

Wir können doch nicht zulassen, dass aus einem schlechten dreigliedrigen Schulsystem ein noch schlechteres viergliedriges Schulsystem wird.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Da hat sie recht!)

Deswegen haben Sie noch die Gelegenheit: Ziehen Sie Ihren Gesetzentwurf zurück,

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Lachen des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU – Abg. Volker Schebesta CDU: Wo sind denn Ihre Schulge- setzentwürfe?)

und hören Sie endlich auf die Fachleute! Damit meine ich jetzt nicht Sie, Herr Röhm.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Würden Sie einmal, meine Damen und Herren, Herr Röhm – –

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Die Regionalschu- le kommt doch von Ihnen!)

Hören Sie einfach einmal kurz zu! – Würden Sie einmal die Hauptschulrektoren befragen, statt sie ständig vorzuladen, würden Sie eine andere Antwort bekommen. Ich kenne keinen einzigen Hauptschulrektor und auch keine einzige Hauptschulrektorin oder einen Hauptschullehrer, die Ihren Gesetzentwurf gut finden.