Protokoll der Sitzung vom 09.07.2009

Ethik und Religion sind damit gleichwertige, wenn auch nicht gleichartige Fächer.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Deshalb gibt es keinen Grund dafür, dass wir Schüler, die keiner Konfession angehören, dadurch diskriminieren, dass sie den Unterricht in einem Fach besuchen müssen, das nach wie vor als Religionsersatzfach firmiert. Ich finde, dass das nicht geht.

Wichtiger aber ist, dass dieser Ethikunterricht für alle Schüler ab der Grundschule angeboten wird.

(Beifall bei den Grünen)

Natürlich findet eine Werteerziehung im gesamten Unterricht statt und nicht nur im Ethik- oder im Religionsunterricht. Aber das Fach Ethik hat natürlich ein eigenes Profil. Es soll philosophische Ethik, Lebenskunde und Religionskunde umfassen. Das ist etwas, was in anderen Fächern nicht ohne Weiteres mit geleistet wird.

(Beifall des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP)

Dabei wird natürlich auch deutlich, dass sich Religionsunterricht und Ethikunterricht voneinander unterscheiden. Ginge es, wie Sie in der Begründung Ihrer Großen Anfrage sagen, im Religionsunterricht allein um die Vermittlung christlicher Werte, dann gäbe es gar keine Begründung dafür, dass es speziell den Religionsunterricht geben soll. Dann müsste man es so machen wie die Mehrheit in Berlin und ein allgemein verbindliches Werte-Fach für alle anbieten. Das wollen wir aber nicht. Warum nicht? Im Religionsunterricht redet ein gläubiger Religionslehrer von Gott.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Darin besteht der große Unterschied.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Religionsunterricht ist nicht nur ein Fach, in dem Werte vermittelt werden, sondern da wird von Gott geredet,

(Beifall des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP)

und zwar von Menschen, die selbst an Gott glauben. Im Ethik unterricht wird dagegen religionskundlich über Gott geredet. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Das nur als Hinweis, dass Ihre Begründung für den Religionsunterricht aus meiner Sicht stark verkürzt ist.

Aber natürlich haben beide, Religionsunterricht wie Ethikunterricht, die Aufgabe, daneben auch Werte zu vermitteln, und zwar den Glauben im Zusammenhang mit den Werten unserer Verfassung, damit das nicht in einen fundamentalen Widerstreit gerät und die Religion fundamentalistisch oder gar gewalttätig wird, wie wir es an vielen Ecken der Welt sehen. Der Religionsunterricht hat eine integrative Funktion und bietet Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, ihren Glauben zu bekennen und im Rahmen unserer verfassungsmäßigen Ord

nung zu leben. Alles andere würde desintegrativ sein und Gefahren heraufbeschwören, wie wir an anderen Flecken der Erde ja massiv sehen.

Deswegen gibt es keinen vernünftigen Grund, den Schülerinnen und Schülern, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, nicht ab dem ersten Schuljahr auch Ethikunterricht zu erteilen. Dafür gibt es überhaupt keinen vernünftigen Grund.

(Beifall bei den Grünen)

Sie haben auch nie einen vernünftigen Grund angeführt. Wenn Ethikunterricht ab Klasse 7 bzw. Klasse 8 erforderlich ist, wie wollen Sie dann begründen, dass er ausgerechnet früher nicht erforderlich ist, wo wir wissen, dass Werteprägung schon sehr früh stattfindet? Also wäre es gerade in den unteren Klassenstufen erforderlich, dass dort die Kinder über Lebenskunde, Religionskunde und auch über Grundangebote aus der Philosophie etwas über Orientierung in unserer Gesellschaft erfahren. Dies erst ab Klasse 7 oder 8 zu machen hat doch überhaupt keinen Sinn.

Natürlich kostet das etwa 600 Deputate. Da kann man schrittweise einsteigen und zunächst ab Klasse 5 und in einem zweiten Schritt Ethikunterricht in der Grundschule anbieten. Wir haben diese Deputate über unseren Bildungspakt finanziert. Aber, meine Damen und Herren, Werte müssen uns eben auch etwas wert sein,

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Schöner Satz! Jawohl!)

und deswegen muss man das machen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Sehr gut!)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Hoffmann das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Politik hat nicht den Anspruch und auch nicht die Befassungskompetenz, Fragen des Glaubens zu bewerten oder sich gar inhaltlich als Theologen zu versuchen. Vielleicht macht das nachher der Kollege Kleinmann. Er ist ausgebildeter Theologe.

Die Politik hat aber die Pflicht, lieber Herr Kretschmann, sich darüber Gedanken zu machen – und das haben Sie gemacht –, an welcher Stelle Religion und Glauben in der Gesellschaft verankert sind. Wir haben auch die Entscheidung darüber zu treffen, welche Rolle in der Bildungspolitik dabei diese Themen spielen.

Was mich persönlich ein bisschen traurig stimmt, ist, dass wir zuerst unter Punkt 7 über Strompreise reden – nachdem wir vorher über viele andere Punkte gesprochen haben – und danach unter dem drittletzten Punkt, zu dem eine Aussprache vorgesehen ist, das Thema Religion aufrufen. Aber sei’s drum.

(Beifall bei der CDU und der SPD – Zuruf des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP – Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Wer hat denn die Mehrheit im Präsidium? Wer macht die Tagesordnung?)

Ich will zunächst einmal – von uns stammt ja die Große Anfrage – all denjenigen danken, die in unseren Schulen, sei es im Dienst des Landes oder im Dienst der Kirche, jeden Tag Religionsunterricht anbieten. Lieber Herr Kretschmann, Sie haben einen Teil dazu angesprochen, aber eben nicht alles. Ein guter Religionsunterricht ist eine Mischung aus Theologie und aus der Geschichte des Christentums. Aber auch die Vermittlung von Kenntnissen über andere Religionen und das, was dahintersteckt, gehört zu einem guten Religionsunterricht. Viele Kinder, die keiner Konfession angehören, besuchen entweder den katholischen oder den evangelischen Religionsunterricht völlig freiwillig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wil- helm Röhm CDU: Genau! Jawohl! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Und es hat noch keiner Schaden dabei genommen!)

Worum geht es bei der heutigen Diskussion? Es geht um die zentrale Frage, nach welchen Grundsätzen wir dem Thema „Glauben und Religion“ eine Rolle einräumen. Sie haben das Thema Berlin angesprochen. Man kommt ja kaum darum herum. Aber das Beispiel der Stadt Berlin und der dortigen Entscheidung zeigt, worin im Vergleich zu unserer Haltung der große Unterschied besteht, was die Frage angeht, welche Bedeutung man dem Thema beimisst. Da sind wir, glaube ich, gar nicht so arg weit auseinander.

Worum ging es in Berlin? Die Initiative in Berlin war doch letztendlich ein Aufschrei derjenigen, die Religionsunterricht in den Schulen wollen und nicht eine Verdrängung der Religiosität in den rein privaten Bereich, so wie das im Moment in Berlin der Fall ist.

(Abg. Ingo Rust SPD: Herr Hoffmann, es gibt doch Religionsunterricht in Berlin!)

Jetzt hat die Mehrheit anders entschieden. Das bedeutet für uns aber nicht, dass wir den gleichen Weg gehen wollen. Ich will das ganz deutlich sagen: Herr Kretschmann, da unterscheiden sich unsere Haltungen sehr. Für uns ist Ethikun terricht nicht gleichwertig mit Religionsunterricht,

(Beifall bei der CDU – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Bravo!)

und er wird für die CDU auch nie gleichwertig sein. Ich finde, wenn wir uns mit dem Thema beschäftigen, darf man auch einmal sehr klar sagen, dass es einem Staat guttut, wenn er sagt, was er wirklich will. Sie lösen mit einer Diskussion über Ethik und deren Gleichwertigkeit eine Abwertung unserer christlichen Religion aus. Es ist eine solche Abwertung, wenn Sie Ethikunterricht und Religionsunterricht für gleichwertig erklären. Dann ist eben die Religion nicht mehr so viel wert wie bisher. Wir – ich sage das ganz deutlich – privilegieren im Moment in Baden-Württemberg evangelischen, römischkatholischen, jüdischen, syrisch-orthodoxen und altkatholischen Religionsunterricht, wie er in Baden-Württemberg auch angeboten wird.

Daneben gibt es die von Ihnen richtigerweise erwähnten zwölf Modellversuche mit islamischem Religionsunterricht. Dabei haben wir Wert darauf gelegt, dass es sich nicht um radikale Strömungen handelt. Vielmehr geben die Modellprojekte eine Antwort auf die zunehmende Zahl muslimischer Schüler.

Wir sind aber in einer Erprobungsphase, in einer Modellphase, und Sie wissen wie wir, dass wir islamischen Religionsunterricht im Rahmen eines auf vier Jahre angelegten Modellversuchs eingeführt haben und dieser noch nicht ausgewertet ist.

Wir sind auch nicht blind vor Schülerinnen und Schülern, die keiner Konfession angehören und nicht an diesem Unterricht teilnehmen. Es ist dann aber schon die Frage, ob das Thema Ethik die richtige Antwort ist. Ich habe vorhin gesagt, Ethikunterricht sei für uns nicht gleichwertig mit Religionsunterricht. Diese Aussage wertet nicht den Unterricht der Ethiklehrerinnen und -lehrer ab. Die leisten eine wichtige Arbeit, eine Arbeit, die sicher völlig identisch mit dem ist, was Sie eigentlich beabsichtigen.

Was zeigt uns aber das Beispiel Berlin? Ich frage mich ganz ernsthaft: Wie kann man einen Ethikunterricht anbieten, der praktisch ohne Anleitung, ohne Glaubenshintergrund, vielleicht auch ohne christliche Anleitung stattfindet? Woher nehmen wir die Werte, die dort definiert werden? Haben wir schon einmal miteinander Werte definiert?

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Kann das Kultusministerium einen Bildungsplan, der gar keine Leitplanken hat, erstellen und dort Werte definieren? Schon aus diesem Grund müssen wir eine Leitlinie haben, wo unsere Werte angesiedelt sind, und diese Leitlinie kann der christliche Glaube sein, den wir in einer anderen Wertigkeit sehen, als Sie ihn eben beschrieben haben.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abg. Hoffmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Rust?

Herr Rust kann gern am Ende fragen, wenn ich fertig bin. Ich weiß, dass Herr Rust da auch sehr interessant und konservativ denkt. Nachher, lieber Herr Rust.

Was uns wichtig ist, kommt wahrscheinlich noch in der laufenden Diskussion. Uns wird immer wieder gesagt, unsere Haltung, unsere christlichen Religionen zu privilegieren, führe dazu, dass Integration schwieriger werde, und zwar für diejenigen, die nicht christlichen Glaubens sind. Ich will es einmal herumdrehen. Ich habe viele Begegnungen mit Muslimen gehabt. Dort ist eines klar geworden: Eine unklare Haltung, eine unpräzise Haltung, was ein Staat eigentlich will und was er zum Thema Religion zu sagen hat, wird bei Muslimen und anderen Kulturen viel abfälliger wahrgenommen als eine ganz eindeutige und klare Positionierung. Wenn wir unsere Wurzeln nicht kennen oder nicht zu unseren Wurzeln stehen – und wir sind Teil des christliches Abendlands –, tun sich andere Religionen und Kulturen sehr viel schwerer mit uns. Dort herrschen sehr klare Vorstellungen, was ein Staat privilegiert und was nicht. Ich will jetzt gar nicht näher darauf eingehen. Ich glaube, dass wir bei anderen Kulturen wesentlich mehr Respekt bekommen, wenn wir uns zu unserem christlichen Glauben und der christlichen Glaubensvielfalt in Deutschland bekennen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Die Leute wollen Respekt und klare Aussagen. Die anderen Kulturen haben diese klaren Aussagen. Wir brauchen kein Multikulti-Larifari, sondern ein klares Bekenntnis zu unseren christlichen Religionen. Deswegen ist der Ethikunterricht im besten Fall die zweite Alternative.

Jetzt will ich Ihnen sagen, wie ich die zweite Alternative sehe. Im Ethikunterricht, der sicherlich qualitativ hochwertig angeboten wird, wird im Grunde bestellt, was man in Berlin gut erleben kann. Wir haben dort nämlich eine Art Supermarkt des Glaubens angesiedelt. Es wird alles erklärt, aber nichts gewertet oder bewertet. Es erfolgt keine Auseinandersetzung mit der Wertigkeit einzelner Religionsaussagen, sondern die verschiedenen Kulturen und Religionen werden nebeneinander dargestellt, so wie man vielleicht in einer Fortsetzungsserie bestimmte Dinge darstellen kann. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn sich anschließend jeder aus dieser Glaubenskis te den Teil heraussucht, der ihm am besten gefällt, und eine Art Glaubenssetzkasten aus der Geschichte entwirft – jeder so, wie er es braucht. Ich finde, wenn man zulässt, dass man eine Art Ethik-Glauben-Supermarkt gleichwertig zu Religion anbietet, darf man sich nicht wundern, wenn wir immer mehr Strömungen bekommen, wenn Religionsgemeinschaften wie z. B. die Pius-Bruderschaft, die uns nicht nahesteht, Zulauf haben und wenn sich Leute Nischen suchen.

Ich will es verkürzen: Wenn jemand Ethikunterricht gleichwertig mit Religionsunterricht einsetzt, dann befördert er Pius im Sinne von Separatisten und verhindert Paulus im Sinne von Gemeinschaft.

Vielen Dank.