Protokoll der Sitzung vom 29.07.2009

(Abg. Helen Heberer SPD: Jetzt wird es kreativ!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mich noch sehr gut an den Tag vor etwa 20 Jahren erinnern, als Lothar Späth von dieser Stelle aus gesagt hat, dass in der Zukunft als tüchtiger Ingenieur nur ein Mensch vorstellbar wäre, der ein Musikinstrument gelernt hat.

(Abg. Helen Heberer SPD: Recht hat er!)

Er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass das wichtigste Lernziel, das wir in dieser Gesellschaft haben, Kreativität ist. Diese Kreativität ist der Fundus, aus dem heraus sich vieles entwickeln muss. Deshalb ist es gut, dass die Europäische Union das Jahr 2009, also das laufende Jahr, zum Europäischen Jahr der Kreativität und Innovation erklärt hat.

(Abg. Helen Heberer SPD: Der Mann muss Kultus- minister werden!)

Es wurde bereits darauf hingewiesen: Wenn es eine Wachstumsbranche gibt, dann ist es die Kreativwirtschaft. Sie hat bereits heute rund 150 000 Beschäftigte, Tendenz steigend, und einen Umsatz in der Größenordnung von mehr als 20 Milliarden €. Ich spreche wohlgemerkt von Baden-Württemberg, nicht von Deutschland. Wir fangen also durchaus nicht bei null an. Es ist schon ein relativ kräftiges Pflänzlein zu erkennen. Ohne auf die Zahlen einzugehen, die alle genannt worden sind, möchte ich doch sagen: Es ist richtig, dass auch das Land Baden-Württemberg versucht hat, dieses Pflänzlein durch entsprechende Maßnahmen noch stärker zu machen und vor allem dafür zu sorgen, dass es nicht nur bei einzelnen Leuchttürmen bleibt, sondern sich um diese Leuchttürme herum etwas entwickeln kann. Ich finde, Mannheim ist hierfür ein gutes Beispiel. Es geht nicht nur um die Popakademie als solche, sondern z. B. auch um den Musikpark Mannheim.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Da ist ein Lidl eröff- net worden!)

Wenn Sie sich einmal diesen Musikpark Mannheim mit der Popakademie anschauen, werden Sie feststellen, dass dies in der Zwischenzeit auch zu einem Existenzgründerzentrum geworden ist. Aus dem Umfeld dieses Clusters, das sich dort entwickelt hat und in dem sich Forschung, Musik, Wirtschaft, kleinere Unternehmer und viele andere zusammengetan haben – die Aktivitäten sind gebündelt worden –, haben sich längst Existenzgründungen entwickelt, sodass sich die Plattform für diesen Leuchtturm verbreitern konnte.

Im Übrigen, Herr Kollege Walter, ist klar: Alle Instrumente, die es für Existenzgründungen, für Existenzübernahmen, für andere Dinge, die man braucht, gibt, das ganze Tableau, das gesamte Instrumentarium der Unterstützung, auch der finanziellen Unterstützung des Landes, etwa durch die L-Bank, stehen selbstverständlich zur Verfügung.

Ich glaube, dass die Digitalisierung eines jener Schlüsselworte ist, die man hier aufgreifen und erwähnen muss, einfach deshalb, weil diese durchgreifende Digitalisierung im gesamten Musikmarkt natürlich dazu führt, dass neue Geschäftsmodelle entwickelt werden müssen und dass die Frage nach dem Schutz des geistigen Eigentums eine zunehmende Rolle spielt. Dabei ist eine angemessene Einkommensentwicklung nach wie vor eine wichtige Frage für die Künstler.

All diese Probleme können wir nicht ohne Weiteres in BadenWürttemberg lösen, sondern es sind nationale oder europäische Fragen. Aber natürlich muss sich Baden-Württemberg einbringen. Ich nehme das Beispiel der Urheberrechtsreform, die jetzt ansteht und bei der Baden-Württemberg einen aktiven Beitrag leisten muss.

(Beifall des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

All das muss beachtet werden.

Es ist übrigens interessant, dass die Wirtschaftsministerkonferenz kürzlich einmal zu definieren versucht hat, was alles zum Einzelsegment Musikwirtschaft innerhalb der Kreativwirtschaft insgesamt gehört. Man kann es sich vorstellen: Das sind die selbstständigen Musiker, die Komponisten, die Musikensembles, die Tanzensembles, die Produktionen durch Unternehmen, das sind Dienstleister, Musikverlage, Musikfachgeschäfte. Vieles andere mehr wäre zu nennen.

Ich betone jedoch: Die Instrumentenbauer gehören ausdrücklich nicht dazu. Die Instrumentenbauer werden in der Statis tik noch immer beim verarbeitenden Gewerbe geführt. Man muss aus meiner Sicht also zu allen Zahlen, die da genannt worden sind, noch die Zahlen hinzufügen, die die Instrumentenbauer betreffen. Sie gehören meines Erachtens auch zur Musikwirtschaft. In Baden-Württemberg sind es immerhin zwischen 1 500 und 2 000 Personen, die allein im Bereich des Instrumentenbaus tätig sind.

Trossingen als eine der Urzellen des Musikinstrumentenbaus ist ja bereits erwähnt worden. Trossingen ist deshalb erwähnenswert – auch das ist ein wirtschaftspolitischer Aspekt –, weil 85 % aller Instrumente, die in Trossingen gebaut werden – das ist in anderen Städten ähnlich –, exportiert werden. Das sagt etwas über die hohe Qualität dieser Instrumente „Made in Baden-Württemberg“ aus. Darauf weist übrigens auch die Tatsache, dass die Instrumente, die hier hergestellt werden und alle sehr hochpreisig sind, trotz dieser hohen Preise in aller Welt verkauft werden.

Was sind aus meiner Sicht die aktuellen Probleme auf dem Musikmarkt? Wir hatten in den Achtziger- und den Neunzigerjahren in der Tat ein rasantes Wachstum auf dem Musikmarkt. Der Umsatz erreichte schließlich eine Größenordnung von fast 2,7 Milliarden €. Im Augenblick ist die Entwicklung auf dem Musikmarkt jedoch eher rückläufig. Er verliert etwas an Käuferschaft. Es wird eben immer weniger Musik als Konserve gekauft. Das wiederum hängt mit der hohen Zahl der illegalen Downloads zusammen. Musikkonsumenten sind immer weniger bereit – jedenfalls im Augenblick –, für die Nutzung von Musik auch Geld auszugeben. Ein Drittel aller Deutschen brennen Musiktitel selbst. 40 % aller Deutschen haben auf den Festplatten ihrer digitalen Medien Musik gespeichert – durchschnittlich 800 Musikstücke.

Die Mehrzahl dieser downgeloadeten Musiktracks stammen aus illegalen Quellen. Für den Künstler bedeutet das im Klartext im Grunde nichts anderes als Enteignung, wenn sein Produkt gewissermaßen geklaut wird. Die kreativen Akteure werden in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Professor Becker von der GEMA hat das folgendermaßen formuliert – ich zitiere –:

Es ist ein Erziehungsprozess der Öffentlichkeit notwendig: Der Verbraucher muss wieder daran gewöhnt werden, für das zu zahlen, was er konsumiert.

Genau dies findet im Augenblick im Musikbereich eben nicht statt.

Es gibt aber auch eine positive Entwicklung. Positiv für den Musikmarkt in Baden-Württemberg, in Deutschland ist, dass die Nachfrage nach Livemusik wieder deutlich wächst. Der Markt für Livemusik macht heute ein Volumen von fast 3 Milliarden € aus – mit steigender Tendenz. Auch wird gegenwärtig wieder immer mehr selbst musiziert.

Meine Damen und Herren, es ist keine Frage: Die Musikwirtschaft im Land hat durchaus eine Bedeutung. Aber wichtig ist natürlich der Gedanke, dass das nicht nur die Musikwirtschaft für sich genommen betrifft. Vielmehr geht es um das berühmte Cluster, das Zusammenfügen von Musikwirtschaft, Forschung sowie Mittelständlern und kleinen Unternehmen. Aus einer solchen Zusammenfügung kann in der Tat noch wesentlich mehr entstehen.

Die Landesregierung ist bereit, diese Prozesse mitzugestalten, nach vorn zu bringen. Denn wir sind davon überzeugt, dass diese Kreativitätswirtschaft und damit auch die Musikwirtschaft eine Wachstumsbranche par excellence sind.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen einen guten Sommer. Vergessen Sie vor allem nie, Ihr Musikinstrument dabeizuhaben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Georg Wacker CDU: Sehr gut! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Her mit der Hohner! – Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Jetzt hättest du noch etwas spielen können! Frau Präsidentin, er hätte noch spie- len dürfen!)

Nach der Veranstaltung.

Das Wort erteile ich Frau Abg. Berroth.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurde die Frage gestellt, warum wir diese Große Anfrage eingebracht haben. Ich glaube, die Frage hat sich durch diese Debatte schon beantwortet. Wir wollten ein Augenmerk auf diesen Wirtschaftszweig richten und zeigen, dass es auch in diesem Bereich noch einiges zu tun gibt. Dazu muss man zunächst einmal Daten erheben und zusammenfügen. Das haben wir über die Anfrage getan. Ich möchte mich ausdrücklich bei Ihnen, Frau Kollegin Heberer und Herr Kollege Walter, für die konstruktive Beschäftigung mit der Anfrage bedanken. Da ist auch bei Ihnen einiges zutage gekommen, was man aufgreifen kann. Wie Kollege Löff

ler zu Recht gesagt hat, handelt es sich bei diesem Wirtschaftszweig um eine Branche mit äußerst unterschiedlichen und andererseits auf das Vielfältigste miteinander verflochtenen Strukturen.

Die Frage, die wir uns weiter stellen müssen, ist: Was ist zu tun, damit wir die Tradition bewahren und trotzdem die Zukunft nicht verschlafen? Denn es sind zwei ganz unterschiedliche Bereiche.

(Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: Ein Orchester!)

Gerade junge Leute wachsen heute mit einem viel größeren kulturellen Angebot auf als früher. Die Musikwirtschaft hat sich zum Teil schon an die veränderten kulturellen Gewohnheiten angepasst. Wir müssen versuchen, gerade junge Menschen stärker abzuholen und langfristig zu binden.

Es gibt eben die zwei Entwicklungen: Was in den Achtzigerjahren mit den Synthesizern seinen Anfang genommen hat – damals noch elektrische, heute elektronische Musik –, das ist natürlich einerseits viel billiger und bequemer. Andererseits – Reinhard Mey hat es schon vor etwa 25 Jahren gewusst –: „Ein Stück Musik von Hand gemacht“ hat eine ganz andere Qualität und bringt dem Menschen auch etwas anderes.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Back to the roots!)

Deswegen muss man das eine tun und darf das andere nicht lassen. Es ist mir schon wichtig, Herr Walter, deutlich zu sagen – wenn Sie da bisher nicht zugehört hätten, fände ich das schade –, dass wir diese Idee „Jedem Kind ein Instrument“ durchaus auf dem Weg haben. Wir sind halt noch nicht ganz so weit, aber es ist auf dem Weg. Die Kollegin Dr. Arnold hat sich dafür sehr massiv eingesetzt. Sie wird von mir intensiv unterstützt.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: In Schwäbisch Gmünd wird es schon umgesetzt!)

Schwäbisch Gmünd setzt das bereits um. Unser Kompliment an Schwäbisch Gmünd! Es ist ja auch nicht ganz ohne Grund, dass Baden-Württemberg z. B. beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ noch immer weit mehr Preisträger hat, als es unserem Bevölkerungsanteil entspricht. Es wird hier viel Musik gemacht, und auch viele bekannte Komponisten und Musikschaffende kommen aus Baden-Württemberg.

Es wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass von den Musikinstrumentenherstellern ein Sechstel der Betriebe in BadenWürttemberg zu Hause sind. Exportziel Nummer 1 sind nach wie vor vor allem die USA. Ich glaube, z. B. ein Stück Unterstützung bei der Marketingstrategie könnte auch eine Landesaufgabe sein.

Musikinstrumentenbau lernt man nach wie vor in einer dualen Ausbildung. Das sind Bereiche, in denen wir durchaus Bedarf haben. Wir haben auch eine der drei Berufsschulen für Musikinstrumentenbau, nämlich die Oscar-Walcker-Schule in Ludwigsburg, die sich vor allem dem Blasinstrumentenbau, dem Klavier- und Cembalobau, dem Orgel- und Harmoniumbau und dem Handzuginstrumentenbau – dem sich der Herr Wirtschaftsminister und ich besonders verbunden fühlen – widmet. Man kann da auch die Meisterprüfung ablegen.

Die Popakademie und eben auch das weit darüber hinausgehende Angebot in Mannheim, wo laufend Existenzgründungen zustande kommen, wurden schon erwähnt. Das muss weitergeführt werden.

Das Geschäft mit digitaler Musik gewinnt zunehmend an Bedeutung. Auch darauf wurde schon hingewiesen. Wir brauchen ein genaueres Bild über das Wirtschaftspotenzial der Onlinemusikwirtschaft. Wir müssen die Basisdaten verbessern. Auch das ist ein Anstoß, den wir aus dieser Großen Anfrage gewinnen können.

Die Musikindustrie ist eine der wichtigsten Teilbranchen der Kultur- und Kreativwirtschaft in Baden-Württemberg. Eines ist jedoch ganz klar: Es wurde hier vielfach von Förderung gesprochen. Aber Kreative können nicht allein von Preisen und Stipendien leben, sondern wir müssen dafür sorgen, dass auch in dieser Branche mit dem Ertrag der Arbeit die Existenz bestritten werden kann. Es wurde völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass die Wahrung der Rechte von künstlerischer, geistiger Arbeit ein ganz wichtiger Punkt ist, dem sich die Politik widmen muss. Dass das allein durch Kontrolle und Überwachung gelingen kann, glaube ich nicht. Wir müssen in unserer Gesellschaft wirklich Respekt vor der geistigen Arbeit, vor künstlerischer Arbeit anderer entwickeln.

Es wird heutzutage von vielen Jugendlichen leider überhaupt nicht gesehen, dass sie klauen, wenn sie Musiktitel aus dem Internet herunterladen, sondern für sie ist das selbstverständlich. Das ist auch eine Aufgabe, der sich unsere Schulen zu stellen haben, und es ist Aufgabe aller Erwachsenen, der Jugend zu vermitteln, dass auch geistige Arbeit, künstlerische Arbeit ihren Wert hat und geschätzt und bezahlt werden muss. Dafür die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, dazu wollen wir gern auch weiterhin beitragen.

Ich danke allen, die sich so konstruktiv mit unserer Großen Anfrage auseinandergesetzt haben.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Besprechung der Großen Anfrage beendet und Tagesordnungspunkt 11 erledigt.

Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Umweltministeriums – Klimaabgabe für Flüge in einer Bundesratsinitiative einfordern – Drucksache 14/2867

Das Präsidium hat festgelegt, dass der Antrag ohne Aussprache zur weiteren Beratung an den Umweltausschuss überwiesen werden soll. – Sie stimmen der Überweisung zu. Es ist so beschlossen.

Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung angelangt.

Die nächste Sitzung findet morgen, Donnerstag, 30. Juli 2009, um 9:30 Uhr statt.