Protokoll der Sitzung vom 29.07.2009

(Glocke des Präsidenten)

Frau Abg. Rastätter, kommen Sie bitte zum Ende.

… für die hervorragende politische Arbeit danken, die sie leistet, und ich danke auch den Lehrerinnen und Lehrern, die sich bemühen, unsere Schülerinnen und Schüler zu mündigen und selbstbewussten Staatsbürgern, zu Staatsbürgern mit einem demokratischen Bewusstsein zu erziehen. Auch ihnen muss an dieser Stelle einmal gedankt werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Dr. Frank Mentrup und Katrin Altpeter SPD)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Berroth.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eines ist ganz deutlich geworden: Nicht nur bei Schülern – ich wundere mich, dass sich die Debatte jetzt nur darauf konzentriert –, sondern auch bei den Erwachsenen, bei uns allen muss die Erinnerung an die DDR-Diktatur wachgehalten werden. Denn ich möchte doch an Folgendes erinnern: Auch in Baden-Württemberg leben noch heute Täter – die Stasi war überall, leider – und Opfer der DDR-Diktatur, und hier leben auch deren Nachfahren, die unter den Traumata noch heute leiden.

Ich frage mich jetzt, Herr Kollege Mentrup, wen oder was die SPD hier eigentlich verteidigt.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Uns geht es doch in erster Linie überhaupt nicht um den Blick zurück und um die Frage, wer da was falsch gemacht haben sollte,

(Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE – Abg. Rein- hold Gall SPD: Um was denn sonst? – Abg. Ute Vogt SPD: Aus der Vergangenheit lernen! – Weitere Zu- rufe, u. a.: Sie greifen nach dem letzten Strohhalm! – Unruhe)

sondern uns geht es – – Wenn Sie so reagieren, muss ich Sie fragen, warum Sie denn aus dem Antrag Drucksache 14/3303 den Satz streichen wollen, der sich auf die unmenschliche Verfolgung der Sozialdemokraten bezieht. Dieser Satz steht doch aus gutem Grund in unserem Antrag.

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Den will doch niemand herausstreichen!)

Sie haben das total übergangen; das scheint Ihnen nicht wichtig zu sein.

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Wir wollen die Block- parteien drin haben! Die CDU war eine Blockpartei! – Zurufe, u. a. des Abg. Claus Schmiedel SPD – Un- ruhe)

Aber noch einmal: Unser Blick geht mit diesem Antrag ganz deutlich nach vorn.

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Genau! Auf den 27. Sep- tember gerichtet!)

Ich sage Ihnen auch, warum: Ich will nicht dämonisieren. Aber es darf nicht sein, dass Menschenfänger wie die Linke als demokratiefähig angesehen werden, weil die DDR verniedlicht und idealisiert wird. Das darf uns nicht passieren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Deshalb müssen Schulklassen und Besuchergruppen, die nach Berlin fahren, nicht nur den Bendlerblock, sondern auch die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen besuchen, und deshalb müssen auch Ausflüge zu der Erinnerungsstätte „Gegen das Vergessen“ in Pforzheim zum Programm von Schulen und Erwachsenenbildungseinrichtungen gehören.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullin- ger FDP/DVP: Sehr gut!)

Auch im Stuttgarter Haus der Geschichte ist das Thema einer intensiveren Beschäftigung wert.

Nochmals zu unserem Abstimmungsverhalten beim Änderungsantrag Drucksache 14/4916: Wir werden Ziffer 1 ablehnen, und wir werden Ziffer 2 selbstverständlich zustimmen, weil auch wir diesen Bericht wollen. Aber ich möchte zum Schluss noch einmal deutlich daran erinnern: Jede und jeder von uns hat in diesem Erinnerungsprozess eine wichtige Aufgabe, und die sollten wir wahrnehmen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr gut!)

Das Wort erteile ich Herrn Minister Rau.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Deutschen tun gut daran, aus ihrer Geschichte zu lernen. Sie haben große Verantwortung und Erfahrungen. Zwischen menschenverach tenden Diktaturen und Freiheitsbewegungen liegen ihre Erfahrungswelten.

Vor 20 Jahren hat eine Freiheitsbewegung die letzte Diktatur in Deutschland weggefegt. Die Menschen der Bürgerbewegung haben viel riskiert und alles gewonnen: Einigkeit und Recht und Freiheit. Sie haben Willkür und Spitzel, parteiische Rechtsprechung und Psychoterror, Gängelei, Anpassungsdruck und Unterdrückung, Zerstörung ihrer Umwelt und ein bankrottes Wirtschaftssystem abgeschüttelt. Sie haben subtile und brutale Methoden, die sie zur Anpassung zwingen sollten, erlebt und zum Teil durchlitten. Das ist auf eine sehr präzise Art und Weise zuletzt von Uwe Tellkamp in seinem Buch „Der Turm“ beschrieben worden. Eine Idyllisierung dieser Verhältnisse ist heute völlig fehl am Platz, greift aber um sich, weil wir uns bei der Gestaltung der Einheit in den Mühen der Ebene befinden.

Die Überwindung von Unfreiheit führt nicht automatisch zur Zufriedenheit in der Freiheit.

Wenn es uns ernst ist mit dem Lernen aus der Geschichte, müssen wir die Chance nutzen, Zeitzeugen einzubinden, mediale Quellen zu erschließen, die Ereignisse der Jahre 1989 und 1990 lebendig zu erhalten und die Ursachen der Revolution – das war keine Wende; das war eine friedliche Revolution – in Deutschland deutlich zu machen.

Diese Zeitgeschichte gehört in unsere Schulen. Wer Grenzregime und Willkür, Mangelwirtschaft und Vergiftung der Umwelt nicht erlebt hat, sollte die Chance haben, möglichst direkt etwas davon zu erfahren. Deshalb habe ich bereits im Februar dieses Jahres alle Schulen in Baden-Württemberg zu einer intensiven Befassung mit dem Thema DDR und zur Gestaltung von Projekttagen im Herbst aufgerufen. Die Kultusministerkonferenz hat dies am 18. Juni mit einem einstimmigen Beschluss ebenfalls empfohlen.

(Zuruf von der FDP/DVP: Sehr gut!)

Wir unterstützen die Schulen bei der Gestaltung von Projekttagen, aber auch bei der Behandlung des Themas im regulären Unterricht. Experten der Landeszentrale für politische Bildung haben unter Mitwirkung des Landesinstituts für Schulentwicklung und des Landesmedienzentrums ein Onlineportal mit vielfältigen Materialien und Informationen erstellt. Dieses neue Portal bietet unter „www.ddr-im-unterricht.de“ zahlreiche Hilfestellungen und nützliche Hinweise, wie das Lernfeld DDR im Schulunterricht sinnvoll vermittelt werden kann. Es bietet Hintergründe zum Thema DDR-Wissen, stellt Materialien für die Unterrichtspraxis zur Verfügung, verweist auf Literatur und Medien und informiert über weiterführende Links. Lieber Herr Kollege Mentrup, vielleicht haben Sie das mit Google noch nicht so richtig im Griff; das kann man aber auch lernen.

(Heiterkeit des Abg. Stefan Mappus CDU – Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP – Abg. Claus Schmiedel SPD: Machen wir einmal einen Wettbewerb!)

Zu den landesweiten Angeboten zählen Vorführungen des Films „Das Leben der Anderen“. Darüber würde ich mich hier vorn nicht lustig machen. Natürlich bildet dieser Film die DDR nicht 1 : 1 ab. Ich glaube aber, dass er auf eine gute und nachvollziehbare Art und Weise Mechanismen deutlich macht, unter denen die Menschen leben und sich auch arrangieren mussten – mit zum Teil fatalen Folgen. Wir verbinden diese Filmvorführungen mit Zeitzeugengesprächen, die vom Landesmedienzentrum in Zusammenarbeit mit den Kreis- und Stadtmedienzentren organisiert werden. Die Auftaktveranstaltung am 22. Juni in Karlsruhe habe ich selbst besucht, um mir ein Bild davon zu machen, wie wir damit die Schülerinnen und Schüler erreichen können.

Wir arbeiten bei diesem Thema u. a. mit dem hier zitierten Professor Klaus Schroeder zusammen. Er hat uns zu allem beraten, was wir in diesem Jahr unternehmen. Wir arbeiten mit der Stiftung Aufarbeitung in Berlin und natürlich mit dem Museum in Pforzheim, Frau Kollegin Berroth, mit Klaus Knabe und seiner einmaligen Sammlung zusammen. Wir müssen alles dafür tun, dass diese Sammlung erhalten bleiben kann,

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

auch wenn Klaus Knabe sich selbst einmal zu alt dafür fühlt.

Wir empfehlen, bei Berlinfahrten auf jeden Fall die Stasizentrale zu besuchen. Wir haben in Baden-Württemberg ein Studienhaus der Jugendbildung, das sich über Jahrzehnte hinweg ganz gezielt mit Ost-West-Themen befasst hat. Dort ist das größte Know-how in Sachen DDR zu Hause. Das ist das Studienhaus Wiesneck bei Freiburg. Wir arbeiten mit dem SWR zusammen, der gemeinsam mit Experten des Studienhauses Wiesneck bereits in den Achtzigerjahren hervorragendes Schul fernsehmaterial zusammengestellt hat und es derzeit aktualisiert, damit auch dieses Material unter heutigen Gesichtspunkten den Schulen zur Verfügung gestellt werden kann.

Wir haben Angebote der Lehrerfortbildung auf den Weg gebracht. Gemeinsam für Lehrkräfte aus Baden-Württemberg und Sachsen finden sie in den Akademien in Esslingen und auf der Comburg statt. Daran werden auch Zeitzeugen aus Sachsen mitwirken. Ich halte es für wichtig, dass wir die Chance nutzen, Verbindungen zwischen den Schulen in Baden-Württemberg und Sachsen wieder zu intensivieren und die Thematiken „20 Jahre Mauerfall“ und „Wie war das damals in der DDR? Was ist geschehen, damit diese Diktatur gestürzt werden konnte?“ gemeinsam erarbeiten.

Baden-Württemberg und Sachsen haben eine gute Tradition der Zusammenarbeit, und die Tatsache, dass in Sachsen nach der Neugründung des Landes die Mehrheit des Landeskabinetts aus Vertretern der Bürgerbewegung bestand, hat damit zu tun, dass sich Baden-Württemberg, dass sich auch die CDU aus Baden-Württemberg in Sachsen sehr um diese Menschen gekümmert hat, ihnen einen Weg in die Politik bereitet hat. Diejenigen, die die Verantwortung in der Revolution hatten, haben dort die Chance gehabt, auch in die Verantwortung im neuen Land Sachsen zu kommen.

Am 22. Oktober werde ich gemeinsam mit der Schriftstellerin Susanne Schädlich im Literaturhaus in Stuttgart eine Veranstaltung mit Schülerinnen und Schülern der neunten und zehnten Klassen durchführen. Susanne Schädlich ist die Tochter des bekannten Schriftstellers Hans Joachim Schädlich, der eine der Schlüsselfiguren in der kritischen Literatenszene in der DDR war, der die DDR 1977 verlassen musste und der auch in der Bundesrepublik unter dem massiven psychischen Druck der Stasi stand. Die Arme dieser Krake haben über die Grenzen der DDR hinaus gereicht.

Seit 1991 gibt es immer über den 3. Oktober hinweg eine vier- bis fünftägige Begegnung von Jugendlichen aus Baden-Würt temberg und Sachsen. Dafür kommen jeweils 300 Jugendliche zusammen, in einem Jahr in Sachsen, in einem Jahr in Baden-Württemberg. Sie musizieren miteinander, aber sie tauschen sich auch über ihre Erfahrungen aus. Im letzten Jahr fand diese Begegnung in Torgau in Sachsen statt. Dort haben die Schülerinnen und Schüler den Jugendwerkhof besucht, eine Einrichtung, in der Jugendliche unter unwürdigsten Bedingungen, unter Anwendung von Gewalt und in Rechtlosigkeit gehalten wurden. Die Jugendlichen, die vorher keine Erfahrungen mit solchen Verhältnissen hatten, waren tief beeindruckt. In diesem Jahr wird Marianne Birthler nach Karlsruhe zur sächsisch-baden-württembergischen Schulmusikbegegnung kommen und mit den Jugendlichen den geschichtlichen Teil bearbeiten.

„Wir müssen uns erinnern!“ Dieser Satz der DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier ist eine Aufforderung, das in der DDR

geschehene Unrecht stets zu vergegenwärtigen und daraus zu lernen, auch über die Geschichtsjubiläen der Jahre 2009 und 2010 hinaus.

In Baden-Württemberg mögen wir nicht verantwortlich sein für das, was in der DDR war, doch wir sind mitverantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, wir kommen zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung der Anträge. Abstimmungsgrundlage ist der Antrag Drucksache 14/3303.

Abschnitt I dieses Antrags ist ein Berichtsteil, der durch die Aussprache erledigt ist.

Ich lasse nun abstimmen über die Abschnitte – –

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE meldet sich.)