Protokoll der Sitzung vom 08.10.2009

Viertens: Was ist nach den Erfahrungen mit den bisherigen Verträgen kritikwürdig, und wo können wir dieser Kritik begegnen? Ein paar Beispiele: Das, was in den Verträgen an Pönalen enthalten ist, ist fast die Tinte nicht wert, weil die Strafen so gering sind, dass es niemanden wirklich kümmert, wenn er Pönalen bezahlen muss. Das muss geändert werden.

Ich finde auch, dass wir bei unseren Entlohnungen und Geldleistungen in viel stärkerem Umfang Rücksicht darauf nehmen müssen, wie sich während der Laufzeit eines Vertrags die Frequenz verändert hat. Wenn in einem Zug plötzlich 10 %, 20 % mehr Fahrgäste sitzen, kann es nicht sein, dass wir den gleichen Preis bezahlen. Dann macht nämlich nur der Betreiber Gewinn, und wir haben von einer solch günstigen Entwicklung überhaupt keinen Vorteil.

Ich schließe mit einer Frage an den Staatssekretär, die er vielleicht beantworten kann: Ist es denn rechtlich zulässig, dass wir bestehende Verträge einfach verlängern, ohne dass es vorher eine Ausschreibung gegeben hat? Ich habe einen Fall genannt, bei dem ich mir ohne Weiteres zutraue, zu sagen: Das wäre ein solcher Fall.

Meine Damen und Herren, wenn es um unseren öffentlichen Personennahverkehr in Baden-Württemberg geht, bin ich beinahe versucht, zu sagen: Er ist mustergültig.

(Zuruf des Abg. Franz Untersteller GRÜNE)

Das Bessere ist immer der Feind des Guten. Bei den zukünftigen Vertragsgestaltungen bemühen wir uns um das Bessere. Ich glaube, darin sind wir uns hier im Haus sogar einig.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Bachmann für die Fraktion der FDP/DVP.

Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Walter, es war zu viel der Ehre, uns hier für den alten Verkehrsvertrag zu würdigen.

(Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Wenn nur alle so wären wie wir!)

Weder Herr Staatssekretär Köberle noch ich, noch viele andere waren damals selbst daran beteiligt – schon deshalb nicht, weil wir mit diesem Thema noch gar nicht befasst waren. Wir meinen auch, es ist nicht an uns, heute im Nachhinein zu beurteilen, ob dieser Vertrag in allen Einzelheiten richtig war. Er ist aus seiner Zeit heraus zu beurteilen, und die seinerzeit Verantwortlichen haben nach unserem Eindruck vernünftig gehandelt. – Das einmal vorweg.

Kollege Scheuermann hat darauf hingewiesen, dass der Nahverkehr in Baden-Württemberg eine Erfolgsgeschichte ist; auch Kollege Haller hat das noch einmal gesagt. Wir haben überfüllte Züge, aber das ist uns lieber, als wenn wir leere Züge hätten. Denn überfüllte Züge zeigen, dass der Umstieg auf

das ökologische Verkehrsmittel Bahn funktioniert. Und das ist uns allen im Haus doch wichtig.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Natürlich müssen wir schauen, dass diese überfüllten Züge der Vergangenheit angehören, dass die Leistungen besser werden, dass die Leute sitzen können, dass sich der Service verbessert usw. Aber ich darf daran erinnern, dass wir auf einen Antrag des Kollegen Haller hin vor einiger Zeit schon einmal über dieses Thema diskutiert und dabei auch die überfüllten Züge zur Sprache gebracht haben. Wenn ich es richtig mitbekommen habe, gab es in der Zwischenzeit etliche Verbesserungen, die wir den Verhandlungen der Landesregierung zu verdanken haben. Dafür gebührt Staatssekretär Köberle unser ausdrücklicher Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf von der CDU: Bravo! – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Das ist er gar nicht gewohnt!)

Es bleibt das spannende Thema Ausschreibungen. Jetzt ist Kollege Walter wieder einmal bei den Journalisten, aber man kann ihm ja ausrichten, dass ich ihm auch hier recht geben wollte. Denn wir sind uns alle einig, dass die Leistungen ausgeschrieben werden müssen. Es gibt niemanden, der das anders sieht. Kollege Scheuermann hat uns, meine ich, in bemerkenswerter Klarheit – wenn es mir überhaupt ansteht, dies über einen Kollegen zu sagen, der über so viel mehr Erfahrung verfügt – dargelegt, wie man so etwas machen sollte. Wir sind der festen Überzeugung – wir sind den Grünen trotzdem dankbar, dass sie es abgefragt haben; denn sicher ist sicher –, dass uns die Landesregierung wie immer in bemerkenswerter Klarheit frühzeitig, umfassend und detailliert über ihre Planungen informieren wird.

Deswegen kann der Kollege Köberle nun gern über den Rest meiner Redezeit verfügen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Der Kolle- ge Walter ist wieder da!)

Das Wort erteile ich Herrn Staatssekretär Köberle.

Liebe Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu relativ später Stunde haben wir nun ein sehr gewichtiges Thema auf der Tagesordnung. Das Innenministerium und auch ich selbst sind zugänglich für Lob und Dank;

(Heiterkeit der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

wir sind genauso offen für kritische Bemerkungen. Lieber Kollege Walter, wenn es Ihnen aber nur darum geht, alte Klischees zu pflegen und Teilwahrheiten vorzutragen, dann hilft das wirklich nicht weiter. Wir sind vor allem dankbar für kritische Bemerkungen und Anregungen, die sich bei diesem Thema ja nicht danach sortieren lassen, ob sie von Regierungs- oder von Oppositionsseite kommen; Lob, Dank, Anregungen und Kritik sind hier bunt gemischt. Dies spiegelt im Grunde die Situation des ÖPNV in unserem Land wider.

Der öffentliche Personennahverkehr auf der Schiene hat eine hohe Bedeutung für die Menschen in unserem Land, für die Wirtschaft in unserem Land, für die Lebensqualität in unserem Land. Öffentlicher Personennahverkehr kostet unwahrscheinlich viel Geld.

(Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Ja!)

Es ist eine sehr umweltfreundliche Politik, die wir mit der Förderung des ÖPNV betreiben. Ich will nur zwei Zahlen nennen. Wenn wir jedes Jahr wieder alles in allem 1,2 Milliarden € oder sogar mehr in den ÖPNV investieren, in den Straßenbau des Landes – Neubau und Erhaltung – aber weniger als 200 Millionen €, dann wird deutlich, wo auch wir den Schwerpunkt setzen und in welchem Bereich der Mobilität wir Zuwachspotenziale lieber sehen. Sie haben bereits dargestellt, aus welchen Gründen dies so ist.

Der öffentliche Personennahverkehr muss sich aber, meine Damen und Herren, auch Veränderungen gegenüber offen erweisen und sich den vorhandenen Schwierigkeiten stellen. Die Veränderung heißt: eine weitere Zunahme der Mobilität, noch mehr Menschen, die in Züge einsteigen wollen, und das trotz der eher problematischen demografischen Entwicklung. Experten sagen uns, dass bei uns trotz stagnierender Bevölkerungszahl die Mobilität zwischen 2005 und 2050 um über 30 % zunehmen wird.

Um alles, was wir hier an Wünschen in Richtung ÖPNV formulieren, umsetzen zu können, muss auch Geld aufgebracht werden. Das ist eine teure Geschichte. Deshalb müssen wir zunächst einmal, bevor wir an neue Bahnverträge denken, darauf achten, was auf Bundesseite geschieht.

Wir haben 1996 eine Aufgabe bekommen. Ich glaube, wir haben Hervorragendes aus dieser Aufgabe gemacht. Da brauchen wir uns nicht selbst auf die Schulter zu klopfen; das tun andere, und zwar bundesweit, die Respekt vor dem haben, lieber Kollege Walter, was sich bei uns in Landeszuständigkeit bewegt hat.

Ich habe es hier an diesem Pult schon einmal gesagt: Es hat mich sehr gefreut, dass es einmal einen Antrag der Grünen gab: „Die Erfolgsgeschichte des ÖPNV in Baden-Württemberg fortsetzen“. Das war ein hohes Lob für das, was sich bei uns getan hat. Darin sollten wir uns zunächst einig sein.

(Zuruf des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)

Jetzt können wir darüber streiten,

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Konstruktive Kri- tik!)

ob wir trotz dieses Vertrags, den Sie dauernd kritisieren, oder ob wir wegen dieses Vertrags so erfolgreich sind. Wahrscheinlich liegt die Antwort irgendwo in der Mitte.

Worum geht es jetzt zunächst einmal? Es geht darum, dafür zu sorgen, dass bei der Zuteilung von Regionalisierungsmitteln an uns nicht weiter gekürzt wird. Koch und Steinbrück sind beide an unterschiedlichen Orten und haben unterschiedliche Aufgabenstellungen, aber sie sind immer wieder gemeinsam unterwegs mit Ideen, die beide für gut halten, die aber für unseren ÖPNV weniger gut sind.

(Abg. Hans-Martin Haller SPD: Künftig nur noch Koch!)

Besonders wichtig ist mir, dass wir uns an den Verkehrsentwicklungen orientieren und sehen, dass in Baden-Württemberg aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke und seiner demografischen Entwicklung die Mobilität auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten besonders stark sein wird. Deshalb müssen wir mit dem Bund und mit den anderen Ländern ernsthaft darüber diskutieren, ob nach 2015 die Verteilung der Regionalisierungsmittel einfach nach einem starren Schlüssel fortgeschrieben werden soll oder ob dieser Verteilungsschlüssel nicht neu auf die jeweils konkrete und sehr unterschiedliche Situation und Entwicklung in den Ländern ausgerichtet werden muss.

Wo stehen wir, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen? Die Angebotskonzepte, die das Land nach der Regionalisierung des SPNV entwickelt und in den Jahren 1996 bis 2006 umgesetzt hat, sind durchweg erfolgreich. Die Fahrgastzahlen sind massiv gestiegen. Das gilt für alle unsere Angebote. Wir haben jetzt eher das Problem, dass uns dieser erfolgreiche Kurs einholt. Die Kritik, die wir jetzt ständig erfahren, hat nicht mit Misserfolg, sondern mit Erfolg zu tun. Wir haben überall Überlast, zu viele Leute wollen den ÖPNV nutzen, und die Infrastruktur kann die Nachfrage überhaupt nicht mehr aufnehmen. Wir werden von unserem Erfolg geradezu überrollt.

Von diesem Erfolg gehen wir auch in der Zukunft aus. Deshalb stellen wir uns heute gemeinsam diese Fragen. Ich lade Sie alle ein. Lieber Kollege Scheuermann, wir nehmen die Fraktionen des Landtags mit auf diesen Weg in Richtung 2016, in Richtung neue Verkehrsverträge dort, wo es vergaberechtlich möglich ist. Wir wollen Transparenz schaffen. Es ist auch für uns angenehmer, wenn wir eine große Gemeinsamkeit haben und gemeinsam auf dem richtigen Weg sind, als wenn sich die Opposition immer in der Rolle des Kritikers fühlen muss, immer irgendwo Punkte suchen muss, die sie jetzt gegenüber diesem erfolgreichen Kurs kritisch einbringen kann.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Konstruktive Kritik! – Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Ist der Kollege Scheu- ermann jetzt auch Opposition?)

Wie geht es jetzt weiter?

(Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Jetzt betrachten Sie erst einmal die Vorschläge des Kollegen Scheu- ermann!)

Bundesweit laufen die Verkehrsverträge der ersten Generation allmählich aus. In Baden-Württemberg wird der Verkehrsvertrag mit der DB Regio AG über ein Leistungsvolumen von etwa 40 Millionen Zugkilometern pro Jahr zum 30. September 2016 auslaufen. Diese Leistungen sowie die Leistungen aus anderen auslaufenden Verkehrsverträgen mit der DB Regio AG und weiteren nicht bundeseigenen Eisenbahnen sollen – jetzt kommt das Entscheidende – entsprechend den europäischen und nationalen Rechtsregeln grundsätzlich im Wettbewerb vergeben werden. Es handelt sich dabei um ein Leistungsvolumen von bis zu 65 Millionen Zugkilometern pro Jahr mit einem Gesamtwert von jährlich 600 Millionen €.

Das Investitionsvolumen für die Beschaffung neuer Fahrzeuge wird bei den Auftragnehmern voraussichtlich mehrere Hundert Millionen Euro betragen. Hierfür sind umfangreiche Vorarbeiten in planerischer und vergaberechtlicher Hinsicht zu erledigen. Das Innenministerium hat deshalb die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg beauftragt, den Entwurf eines Konzepts für die Ausschreibungen auszuarbeiten. Hieran wird seit geraumer Zeit gearbeitet.

Was müssen wir bei diesem Ausschreibungskonzept beachten? Was müssen wir sicherstellen? Es ist sicherzustellen, dass die Anforderungen an den SPNV in Baden-Württemberg hinsichtlich Qualität und Quantität auch nach 2016 mindestens auf dem heutigen Stand gehalten werden, nach Möglichkeit – das liegt ja im Interesse von Ihnen allen – aber gesteigert werden können, dass die verfügbaren Finanzmittel hierfür ausreichen und dass diese Leistungen in einem den Anforderungen des Vergaberechts entsprechenden Wettbewerbsprozess vergeben werden können.

Insofern müssen folgende Umstände berücksichtigt werden: Um einen Wettbewerb unter möglichst vielen Eisenbahnunternehmen zu ermöglichen, versuchen die Aufgabenträger, auch untereinander ihre Leistungen zeitlich versetzt auszuschreiben. Es wird deshalb auch in Baden-Württemberg erwogen, nicht alle Leistungen zum 30. September 2016 auslaufen zu lassen, sondern diese Leistungen zeitlich gestaffelt an den Markt zu geben. Erfahrungen aus einer Vielzahl von Ausschreibungen in Baden-Württemberg und in anderen Ländern haben gezeigt, dass weder die Aufgabenträger noch die Verkehrsunternehmen oder die Fahrzeugindustrie in der Lage sind, Ausschreibungsvolumina, wie sie in Baden-Württemberg für eine Neuvergabe anstehen, als Gesamtpaket in Losen und aufgeteilt auf verschiedene Ausschreibungen zeitgleich zu bearbeiten.

(Zuruf von der SPD: Ja! Das stimmt!)

Auch ist die Fahrzeugindustrie nicht in der Lage, die benötig ten Neufahrzeuge zeitgleich zu produzieren bzw. Alt- oder Gebrauchtfahrzeuge aufzuarbeiten. Bereits heute zeigt sich bundesweit die Tendenz, dass sich Anbieter von Eisenbahnverkehrsleistungen nicht mehr an allen Ausschreibungen beteiligen, sondern nur noch um besonders lukrative Leistungen bewerben. Dies ist auch nicht verwunderlich, weil die An gebotserstellungen sehr kosten-, zeit- und personalintensiv sind.

Deshalb plant die Landesregierung, sowohl die von der DB Regio AG im Rahmen des landesweiten Verkehrsvertrags erbrachten Leistungen als auch die Leistungen der anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen entsprechend der soeben dargestellten Kriterien nach dem Auslaufen der jeweiligen Verträge im Wettbewerb zu vergeben.