Protokoll der Sitzung vom 04.11.2009

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hausmann für die Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Wolf, Sie haben Ihr Statement mit der Aussage begonnen, jede Initiative zur Verbesserung der Situation der Betreuung der Langzeitarbeitslosen sei gut und richtig. Dem möchte ich vorbehaltlos zustimmen. Was Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen – nicht Sie

selbst, sondern Ihre Kollegen auf Bundesebene – allerdings zusammen mit der FDP machen, ist nicht gut und richtig,

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Doch! – Abg. Dr. Ul- rich Noll FDP/DVP: Das ist hervorragend!)

sondern ist schlecht, verantwortungslos und grottenfalsch.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/ DVP: Das ist hervorragend!)

Ich möchte kurz daran erinnern – die Erinnerung muss nicht weit zurückreichen; es genügt das Kurz- und Mittelzeitgedächtnis –: Wir hatten vor dem Sommer 2009 die Situation, dass alle zuständigen Länderminister – die Kollegin von den Grünen hat es bereits gesagt – einer Grundgesetzänderung zugestimmt haben. Wir hatten die Situation, dass im Kabinett zwischen der SPD, Frau Merkel und den Ministerpräsidenten, die dabei waren – auch denen von der CDU –, verhandelt wurde. Es lag ein fertiges Konzept, ein riesiger Entwurf für eine Verfassungsänderung vor. Letztlich ist das Ganze in der Bundestagsfraktion der CDU/CSU gescheitert, nachdem sich alle schon einig gewesen waren. Zu denen, die einer Grundgesetzänderung zugestimmt hatten, zählte auch die komplette Landesregierung Baden-Württembergs und nicht nur die Frau Sozialministerin.

Jetzt war alles nicht mehr wahr. Offensichtlich wurde das Ganze aus wahltaktischen Gründen verworfen. Damit war dies eine Ohrfeige nicht nur für die Kommunen, Herr Wolf – denn die sollten auf gleicher Augenhöhe mit der Bundesagentur verhandeln und agieren können –, sondern auch für die Beschäftigten, deren Verträge im Jahr 2010 auslaufen, und vor allem für die, die in einer entsprechenden Situation sind und betreut werden müssen.

Wenn wir uns jetzt anschauen, was weiter passiert, stellen wir zunächst fest, dass wir einen Wahlkampf erlebt haben, in den die FDP mit dem Wunsch hineingegangen ist, die ganze Bundesagentur aufzulösen.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Sehr richtig! Gute Sa- che! – Gegenruf der Abg. Katrin Altpeter SPD: Hät- tet ihr es doch in Berlin richtig durchgesetzt!)

Wir haben eine CDU, die offensichtlich für eine Grundgesetz änderung eintritt. Was kommt im Koalitionsvertrag heraus? Herr Kollege Wolf, das muss man schon lesen, und des Lesens sind wir mächtig. Wir müssen darüber diskutieren, mehr vielleicht nicht. Im Koalitionsvertrag steht eindeutig: Zerschlagung der Arbeitsgemeinschaften. Darin steht eindeutig: eine Doppelstruktur aufbauen – also Bürokratie aufbauen –, getrennte Aufgabenwahrnehmung und nicht mehr eine Betreuung aus einer Hand. Das steht ausdrücklich so in dem Vertrag. Damit – das sage ich Ihnen – haben Sie eine Zentralisierung besiegelt und keine Dezentralisierung, wie Sie es hier am Mikrofon gerade eingefordert haben.

(Zuruf von der CDU: Oh!)

So ist das. Wenn Sie das nachlesen, dann sehen Sie: Das steht genau so drin.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: „Zerschlagung“ steht nicht drin!)

In Ihrem Koalitionsvertrag steht zwar, wir müssten versuchen, die Kompetenzen von Agentur und Kommunen zu bündeln,

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Genau!)

doch heißt es im gleichen Satz: bei getrennter Aufgabenwahrnehmung. Dann ist noch vom Ziel einer bürgernahen, einfachen Verwaltung die Rede, und an gleicher Stelle steht: aber mit getrennter Aufgabenwahrnehmung und ohne Grundgesetz änderung.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Das hat uns das Bun- desverfassungsgericht vorgeschrieben! – Gegenruf des Abg. Georg Nelius SPD: Quatsch mit Soße!)

Wenn man jetzt meint, das sei nicht genug, und ein bisschen weiter recherchiert, stellt man fest: Es gibt eine Internetseite, die „abgeordnetenwatch“ heißt. Auf dieser Seite hat eine interessierte Bürgerin am 27. Oktober 2009 gefragt – ich zitiere das jetzt –:

Bitte teilen Sie mir mit, welche Gründe dazu geführt haben, dass CDU, CSU und FDP eine so verheerende Lösung zur Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils gewählt haben.

Herr Dr. Brauksiepe – das war in der letzten Legislaturperiode der arbeitsmarktpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion; er ist inzwischen Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales – antwortet folgendermaßen:

Die Koalitionspartner haben sich darauf verständigt, die Aufgabenwahrnehmung im Bereich des SGB II ohne Änderung des Grundgesetzes neu zu regeln. Dies ist nicht die von der Union bevorzugte Lösung, weil sie – wie Sie zu Recht anmerken – zusätzliche Bürokratie verursacht.

Damit nicht genug; es geht weiter:

Wir müssen diesen Weg allerdings so gehen, weil die SPD sich klar festgelegt hat, eine Verfassungsänderung in diesem Bereich nicht mitzutragen.

(Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Das schlägt natürlich dem Fass den Boden aus. Also die, die eine Verfassungsänderung betrieben haben, werden von denen, die in unverantwortlicher Weise diese Verfassungsänderung gekippt haben, noch beschuldigt, sie würden selbst nicht für die Verfassungsänderung eintreten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine unsaubere Art, Politik zu machen, und wenn das zum Stil der neuen Regierung wird, dann schwant mir ganz Böses. Man kann bei dieser Dreistigkeit, mit der der Mann hier auftritt, eigentlich fast sprachlos werden.

Ich sage Ihnen – bei allen Unterschieden in der Einzeleinschätzung –: Ich bin es zumindest hier im Haus nicht gewohnt, dass man so unseriös mit der Wahrheit umgeht und sozusagen Verantwortung für eigenes Tun auf einen anderen schiebt.

(Glocke der Präsidentin)

Ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Ich komme zum Schluss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt für den Bereich der Langzeitarbeitslosen, wir brauchen eine Dezentralisierung, eine verantwortliche Ausübung der Betreuung der Langzeitarbeitslosen vor Ort ohne zentralistische operative Eingriffe, und wir brauchen gleichzeitig Zielsetzungen, die auf der Bundesebene von den Kommunalvertretungen, von den Spitzenverbänden, von den Ministerien, von der Bundesagentur festgelegt werden – Zielvorgaben, nicht operative Eingriffsmöglichkeiten. Nur so erzielen wir eine ordentliche Lösung. Dazu brauchen wir auch eine Grundgesetzänderung.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD – Abg. Ursula Haußmann SPD: Sehr gut, Rudolf!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll für die Fraktion der FDP/DVP.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mich verwundert jetzt schon, Herr Hausmann: Irgendwann hat man bei den Argumentationsketten nicht mehr verstanden: FDP oder SPD?

(Abg. Stephan Braun SPD: Den Unterschied kennen wir schon noch!)

Jedenfalls habe ich gelernt, dass die SPD eigentlich immer auf die zentralen Lösungen setzt – nicht Sie persönlich. Denn es ist schon bekannt, dass wir uns hätten vorstellen können, die Bundesagentur weitgehend auf überregionale oder gar internationale Aufgaben zu beschränken und die anderen Aufgaben noch viel stärker zu dezentralisieren.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Ru- dolf Hausmann SPD: Weshalb machen Sie es denn nicht? – Gegenruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Ruhig bleiben!)

Ja, es ist wieder einmal ein Kompromiss. Aber jetzt einmal ganz ruhig:

Herr Wolf weiß, wovon er spricht, weil er als Landrat im Landkreis Tuttlingen selbst optiert hat. Wenn man jetzt wirklich einmal unvoreingenommen liest, was im Koalitionsvertrag steht, dann stößt man genau darauf: Wir wollen die Stärkung der dezentralen Hilfen aus einer Hand. Das beginnt damit, dass ganz klar von einer Entfristung der Optionskommunen gesprochen wird. Nicht im Vertrag steht – aber dass sich das ändert, daran wollen wir gemeinsam arbeiten –, dass man eine einfachgesetzliche Grundlage macht, dass die, die es können und wollen – Sie wissen auch, dass es nicht überall so ist –, noch ausweiten dürfen. Denn wir wollen in der Tat vom Menschen her denken, und wir wollen Hilfen aus einer Hand. Das kann natürlich am besten dezentral in der Kommune geleistet werden.

Das IAW hat z. B. einmal eine Untersuchung gemacht. Danach haben Optionskommunen in bestimmten Bereichen, nämlich da, wo es um Langzeitarbeitslose mit Defiziten im Bildungsbereich, mit zusätzlichen Handicaps usw. geht, deutlich bessere Erfolge als da, wo es eigentlich eher um Arbeits

lose geht, die dem Arbeitsmarkt relativ problemlos wieder zur Verfügung stehen. Es ist also nicht so, dass nur die Optionskommune oder nur die Option das richtige Modell ist.

Eine Entfristung unterstützen wir also, und es gilt der Appell, möglicherweise auch noch Ausweitungen zu machen.

Jetzt kommt das Zweite. Da wundere ich mich sehr, dass der Kollege Kretschmann – zu Recht – die Grundgesetzänderung gegeißelt hat. Warum? Weil wir genau, nachdem wir in der Föderalismuskommission versucht hatten, Aufgabenwahrnehmung und Zuständigkeit zu trennen, an dieser einen Stelle plötzlich das Grundgesetz genau in die andere Richtung, nämlich zugunsten von Mischverwaltung, wieder ändern woll ten.

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Das haben wir nie gefordert!)

Herr Kretschmann hat genau diese Rolle rückwärts bei der Föderalismuskommission gegeißelt.

(Abg. Stephan Braun SPD: Der ist doch nicht von uns!)

Ich habe jetzt Frau Sitzmann angeguckt. Denn, Frau Sitzmann, ich habe Ihr Modell noch nicht gehört. Ich habe noch nicht gehört, was Sie wirklich machen wollen. Jedenfalls, wenn Sie dazu etwas gesagt haben sollten, habe ich es schlecht gehört.

Deswegen: Bei den bestehenden Möglichkeiten – übrigens auch mit Blick auf den Bundesrat; da muss man auch einmal sehen, ob eine solche Grundgesetzänderung ohne Weiteres möglich wäre – stehe ich dazu, dass es besser ist, jetzt nicht mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, sondern die Lösung zu suchen, die der Kollege Wolf schon angedeutet hat, dass nämlich – Sie haben halt wieder nicht vollständig zitiert – ein Mustervertrag zur Kooperation vor Ort entwickelt werden soll, der – jetzt kommt der entscheidende Satz im Koalitionsvertrag –

... die Zusammenarbeit regelt und die kommunale Selbstverwaltung achtet.