Protokoll der Sitzung vom 05.11.2009

Das war Zivilcourage, sich hinzustellen und dieser Regierung aus der praktischen Erfahrung heraus zu sagen: Das Schulsys tem bringt es nicht mehr; wir brauchen etwas anderes. Das ist Zivilcourage! Was haben Sie gemacht? Anstatt auf diese Menschen zuzugehen, sich das anzuhören und mit denen zu diskutieren – die Menschen ernst zu nehmen und Zivilcourage zu fördern –, haben Sie sie einbestellt, abgekanzelt und ihnen dienstrechtlich gedroht.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Mappus hat gesagt: Der muss weg!)

Der künftige Ministerpräsident hat gesagt: Wenn der noch lange Rektor ist, verstehe ich die Welt nicht mehr.

Wenn das der Umgang mit Zivilcourage in Baden-Württemberg ist, ist es im Land schlecht bestellt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Oder aber die Misstrauenskultur in der Gesellschaft insgesamt: Bürgerinnen und Bürger sind Ihnen dann recht, Herr Blenke, wenn sie im Sportbereich und in sonstigen Ehren ämtern – die sind wichtig; das hat niemand von uns schlechtgeredet – aktiv sind und Aufgaben übernehmen. Sobald die Menschen kritisch werden, kommen sie Ihnen ins Gehege, werden sie unbequem, und dann gibt es z. B. Polizeigesetze mit Einschränkungen von Bürgerrechten, die weit über das Ziel hinausschießen. Es gibt Gesetzentwürfe zum Versammlungsgesetz, die demokratische Rechte einschränken sollen. Sobald es von Bürgerseite her in diesem Land kritisch zugeht, wird es für sie unbequem. Auch das ist kein Klima, in dem Zivilcourage wachsen kann, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Thomas Blenke CDU: Welche Bürger meinen Sie? Z. B. die, die Pflastersteine werfen?)

Oder die Politik gegenüber jungen Leuten: Die Gesellschaft hat da ein paar Probleme, Stichwort Alkoholmissbrauch. Darüber haben wir gestern diskutiert. Aber glauben Sie im Ernst, wir werden diesen Problemen mit einer neuen Verbotskultur gerecht? Meinen Sie, dass dann, wenn wir alle neuen Formen von Jugendkultur mit Verboten belegen, anstatt in den Dialog mit den jungen Leuten zu treten, eine Gesellschaft dabei herauskommt, die selbstbewusst Themen aufgreift, Verantwortung übernimmt und Mut zeigt? Das glauben Sie selbst nicht. Die werden sich eher von der Gesellschaft abwenden.

(Zuruf des Abg. Thomas Blenke CDU)

Summa summarum: Wer ernsthaft über Zivilcourage reden will, muss erst ein Klima schaffen, in dem es möglich wird, dass Bürgerinnen und Bürger ermutigt werden, für ihre Rechte einzutreten. Davon sind wir hier in Baden-Württemberg ein gutes Stück entfernt.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Thomas Blenke CDU: In der ersten Runde waren Sie bes- ser!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kluck.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Sckerl, wie man es macht, ist es falsch. Erst mahnen Sie Aktivitäten des Staates an, und dann werfen Sie dem Innenminister vor, er würde über solche Aktivitäten immer nur positive Bilanzen ziehen. Was wollen Sie eigentlich? Das ist doch irgendwie ganz komisch. Sie sagen, der Staat solle sich nicht überall einmischen, aber gleichzeitig bemängeln Sie, dass wir keine landesweiten Präventionsprogramme hätten.

Wie stellt man sich das denn vor, Herr Kollege Heiler? Sie sagen, wir brauchten ein landesweites Programm für dieses und jenes. Wie soll das funktionieren? Damit zerstören Sie doch gerade Zivilcourage, die vor Ort entwickelt wird. Wir haben z. B. im Kreis Reutlingen einen kreisweit tätigen Verein zur Unterstützung der Kriminalprävention gegründet. Darin engagieren sich Bürgerinnen und Bürger. Jetzt wollen Sie, dass das staatlich gemacht werden soll. Womöglich soll die Poli

zei alles allein machen. So zerstören Sie doch die Ansätze zu einer Bürgergesellschaft.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Quatsch! – Abg. Wal- ter Heiler SPD: Wer soll das gesagt haben?)

Nachdem Sie in Baden-Württemberg keine Negativbeispiele gefunden haben, weichen Sie nach Nordrhein-Westfalen aus und beziehen sich auf diese merkwürdigen Vorfälle, die darauf zurückzuführen sind, dass dort in diesem Land unter jahrzehntelanger roter und rot-grüner Regierung die Sicherheit vernachlässigt wurde.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Wal- ter Heiler SPD: Diese Szenen gibt es bei uns nicht! Sagen Sie das laut!)

Dann erwarten Sie, dass die erste bürgerliche Regierung, die versucht, das in Ordnung zu bringen, alles gleich perfekt macht. Das geht auch nicht. Das wird genauso schwierig sein wie im Bund, wo Sie uns einen „Sauladen“ hinterlassen haben, den wir jetzt auf Vordermann bringen müssen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Lachen bei der SPD – Abg. Walter Heiler SPD: Um Gottes willen! – Abg. Katrin Altpeter SPD: Da waren auch andere dabei, oder wie war das?)

Sie bemängeln, dass man zu wenig gegen Rechtsextremismus tue, anderswo werde mehr gegen Rechtsextremismus getan. Herr Kollege Sckerl, wir haben glücklicherweise in BadenWürttemberg nicht so viele Extremisten – weder rechte noch linke –, dass wir so viel tun müssten wie andere. Seien wir doch stolz darauf, und beklagen wir uns nicht darüber!

(Abg. Stephan Braun SPD meldet sich. – Abg. Thomas Blenke CDU: Beim Wort „Rechtsextremismus“ wacht Herr Braun wieder auf! – Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Die Reps waren doch schon zweimal hier im Parlament, falls Sie das vergessen haben sollten! – Ge- genruf des Abg. Jörg Döpper CDU – Glocke des Prä- sidenten)

Herr Kollege Kluck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Braun?

Jawohl.

Bitte schön, Herr Abg. Braun.

Herr Kollege, geben Sie mir recht, dass wir zum einen die NPD und zum anderen zweimal die Republikaner hier im Landtag hatten, dass der Jugendverband der NPD in Baden-Württemberg ein Viertel aller Mitglieder bundesweit hat und sich deren Mitgliederzahl innerhalb von zwei oder drei Jahren verdoppelt hat?

Sie wissen aber ganz genau, wie viele es insgesamt sind. Wenn Sie dann noch die abziehen, die vom Verfassungsschutz dabei sind,

(Heiterkeit bei der FDP/DVP)

dann bleibt nicht mehr viel übrig.

Zum Thema „NPD und Republikaner“: Das hat doch die Bevölkerung von Baden-Württemberg beendet. Dazu bedurfte es keiner staatlichen Maßnahmen und Repressalien. Die Bevölkerung von Baden-Württemberg hat gesagt: Die Republikaner waren jetzt zweimal im Parlament und haben sich zweimal in keiner Weise beteiligt, also wählen wir sie wieder ab. Das ist die beste Methode, sich politisch damit auseinanderzusetzen. Nicht mit polizeilichen Maßnahmen, sondern politisch müssen wir uns damit auseinandersetzen, um der Bevölkerung klarzumachen, was für Deppen und Idioten das sind.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Thomas Blenke CDU)

Ich will noch einmal sagen: Insgesamt müssen wir bei Gewalttaten davon wegkommen, dass immer mehr über die Täter als über die Opfer gesprochen wird. Das ist leider ein Zug in dieser Gesellschaft, dass es nichts Interessanteres gibt, als das Täterprofil von allen Seiten auszuleuchten.

Wer Gewalttätern mit Zivilcourage entgegentritt, der muss sich darauf verlassen dürfen, dass er im Falle eines Angriffs Hilfe und Unterstützung von staatlicher Seite bekommt. Das ist in Baden-Württemberg der Fall.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Die FDP-Bundestagsfraktion hatte zu Zeiten der Regierung unter der Großen Koalition einen entsprechenden Antrag im Bundestag eingebracht. Die SPD hat gegen ihn gestimmt.

Eine Bürgergesellschaft, wie wir Liberale sie anstreben, ist auf den mutigen Einsatz mündiger Bürger angewiesen. Nur so können Solidarität und Zusammenhalt entstehen. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen und dafür streiten. Davon lassen wir uns auch durch Ihre Miesmacherei nicht abbringen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Ursula Haußmann SPD: Oje!)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Aktuelle Debatte unter Tagesordnungspunkt 1 ist damit beendet.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Die Gesundheitspolitik der neuen Bundesregierung: Chancen für eine flächendeckende und qualitätsorientierte Versorgung im Land – beantragt von der Fraktion der FDP/DVP

Es gelten die üblichen Redezeiten: fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Jetzt bin ich aber ge- spannt! – Gegenruf der Abg. Katrin Altpeter SPD: Ich auch!)

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die innere Sicherheit ist ein wichtiges Thema. Die Gesundheitsversorgung, insbesondere im Krank

heitsfall, ist ein mindestens genauso wichtiges Thema. Deswegen könnte es, glaube ich, eine wertvolle Debatte werden – um den Kollegen Blenke zu zitieren –, wenn wir jetzt, kurz nachdem die neue Bundesregierung im Amt ist, analysieren, welche Auswirkungen der Koalitionsvertrag auf die Gesundheitsversorgung der Bürgerinnen und Bürger in Baden-Würt temberg hat. Ich werde mir – mit Erlaubnis des Präsidenten – erlauben, immer wieder aus dem Koalitionsvertrag zu zitieren.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Lieber nicht! – Ge- genruf des Abg. Jörg Döpper CDU: Das musst du aushalten, Ursula!)

Liebe Ulla Haußmann, ich habe ein bisschen das Gefühl, dass viele über den Vertrag reden, ihn aber nicht lesen. Dieses Gefühl beschleicht mich sogar bei Herrn Seehofer, der diesen unterschrieben, aber möglicherweise auch nicht gelesen hat.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Und Herr Rösler!)

Denn sonst könnte er eigentlich nicht sagen, dass sich nichts ändert.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Es kommt da- rauf an, mit wem man koaliert! – Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)