Protokoll der Sitzung vom 25.11.2009

Berichterstatterin: Abg. Veronika Netzhammer

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Präsidium hat für die Allgemeine Aussprache eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Groh das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU-Fraktion wird heute, in der zweiten Lesung, dem Entwurf zum Wegerechtsgesetz uneingeschränkt zustimmen. Diese Zustimmung – darauf weise ich besonders hin – ist im Kern die Ultima Ratio auf dem Weg zur Errichtung und zum Betrieb der privaten Ethylen-Pipeline von Bay ern über Baden-Württemberg nach Rheinland-Pfalz.

Es erscheint mir wichtig, dies voranzustellen, weil das grundgesetzlich geschützte Privateigentum für die CDU ein sehr hohes Gut ist, mit dem äußerst sorgfältig umgegangen werden muss.

(Beifall des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Wir sind der festen Überzeugung, dies im Verlauf des parlamentarischen Verfahrens mehrfach unter Beweis gestellt zu haben. So haben wir uns selbst gegen verfrühte Forderungen einiger örtlicher CDU-Mandatsträger gewehrt. Dass sich aber parteiübergreifend weitere Politiker und Funktionsträger allzu früh und nur unter Hinweis auf die Wichtigkeit und Notwendigkeit des Projekts für unsere heimische Wirtschaft in der Öffentlichkeit positioniert haben, zeugt nicht gerade von Respekt gegenüber den Betroffenen. Manchmal wäre es durchaus angebracht, mit den Betroffenen zu reden, um deren Sorgen und Nöte kennenzulernen und zu würdigen.

Namentlich – Sie brauchen nicht den Kopf zu schütteln – waren das besonders die Kollegen Schmiedel und Stober mit ihrem Antrag vom Dezember 2008, die allzu leichtfertig mit dem Eigentum anderer umgegangen sind und wenig Verständnis für schutzbedürftige Eigentümerinteressen aufgebracht haben.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: So sind sie halt!)

Gewissermaßen in vorauseilender Themenbesetzung wollten beide eigennützig politische Signale setzen. Zeitweise wollte die SPD geradezu mit dem Kopf durch die Wand und ging mit ihrer Forderung nach Enteignung mit großer Arroganz über das Recht auf Eigentum unserer Bürgerinnen und Bürger hinweg.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte sehr, Herr Kollege Stober.

Lieber Kollege Groh, ich möchte Sie einfach fragen, ob Sie mir zustimmen: Wenn dieses Projekt bereits vor einem Jahr in Angriff genommen worden wäre, dann wäre das genau in die Phase der Konjunkturkrise gefallen, in der man Investitionen brauchte. Das wäre in dieser Phase ein Projekt mit einem dreistelligen Millionenbetrag gewesen, den nicht die öffentliche Hand, sondern allein Private in die Hand genommen hätten. Wäre es nicht besser gewesen, wenn dieses Projekt schon heute fertig wäre?

Herr Kollege Stober, ich antworte mit einem klaren Nein. Sie müssen jetzt nicht wieder mit ir

gendwelchen Winkelzügen irgendetwas hervorheben. Sie brauchen eine vernünftige gesetzliche Grundlage. Sie müssen das gegen das öffentliche Interesse abwägen. Dazu war es jedoch im Dezember, als Sie Ihren Antrag gestellt haben, noch zu früh.

Auch die Argumente des Kollegen Dr. Prewo, das Gesetz hätte zur Wahrung von Rechtssicherheit schon längst verabschiedet werden müssen, stehen für sich und zeigen einmal mehr, mit welchen rhetorischen Winkelzügen die SPD versucht, grundgesetzliche Rechtsnormen auszuhebeln. Mit uns ist das nicht zu machen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD.

(Beifall der Abg. Dr. Reinhard Löffler und Friedlin- de Gurr-Hirsch CDU – Zuruf des Abg. Johannes Sto- ber SPD)

Herr Stober, es gibt einen Unterschied zwischen einer Straße und einer Ethylen-Pipeline. Dabei steht ein ganz anderes öffentliches Interesse im Raum.

Meine Damen und Herren, wir hingegen, die CDU-Fraktion, haben dem Grundgedanken unseres Grundgesetzes folgend stets das öffentliche Interesse ganz oben angestellt. Schließlich handelt es sich beim Bau und Betrieb der Ethylen-Pipeline um eine Privatinvestition, die höchsten Anforderungen genügen muss.

Deshalb haben wir immer wieder gefordert, möglichst alle Eigentümer und Besitzer entlang der 190 km quer durch unser Bundesland führenden Trasse durch freiwillige Zustimmungen zur Eintragung der erforderlichen Dienstbarkeiten zu gewinnen. Nachdem nun 93 % der Betroffenen im Verhandlungsweg ihre Einwilligung erklärt haben, von den ursprünglich sieben anhängigen Klagen vier Klagen zurückgezogen wurden und mit einer weiteren Rücknahme demnächst zu rechnen ist und aufgrund abgeschlossener Planfeststellungen keine Einwendungen mehr gegen den Trassenverlauf erhoben werden bzw. erforderliche Korrekturen im sogenannten Deckblattverfahren bereinigt werden können, ist die Zeit reif für das Wegerechtsgesetz.

Für die CDU-Fraktion ist also erst jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, um Ja zu sagen zu einem Gesetz, das in Bezug auf einen Eingriff in Privateigentum wohl als schärfste Waffe zu werten ist.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Richtig!)

Zurzeit liegt die Freiwilligkeitsquote bei ca. 89 %. Das heißt, etwa 400 Einzelfälle stehen noch aus.

Mit der Verabschiedung des Wegerechtsgesetzes wird es erfahrungsgemäß zu etwa 300 weiteren freiwillig eingetragenen Dienstbarkeiten kommen, sodass letztlich rund 100 Fällen übrig bleiben werden. Im Vergleich dazu: In Bayern waren es 64 Einzelfälle. In drei oder vier dieser Fälle musste letztlich per Gerichtsentscheid tatsächlich eine Enteignung vorgenommen werden – Enteignung allerdings nur insoweit, als die Duldung der Eintragung einer Dienstbarkeit Inhalt des Verfahrens war.

Nach Besitzeinweisung und Gütetermin dürften auch in Baden-Württemberg schließlich nur ein paar wenige sogenannte Totalverweigerer übrig bleiben.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die MiRO in Karlsruhe ist durch einen Abzweig an die Pipeline angeschlossen und kann künftig ca. 80 000 t Ethylen, das zurzeit als Nebenprodukt erzeugt, aber unterfeuert wird, durch Weiterverkauf ertragreich verwerten. Die Investition hierfür beläuft sich auf ca. 100 Millionen €.

Nach eigenen Angaben der MiRO sollen mit dem Bau eines weiteren sogenannten Crackers mit Investitionskosten von ca. 2 Milliarden € die Produktion und der Verkauf von Ethylen auf 1 Million t jährlich gesteigert werden. Die MiRO sieht hierin eine deutliche Kompensation der rückläufigen Ottokraftstoffproduktion und des damit einhergehenden Arbeitsplatzabbaus.

(Glocke des Präsidenten)

Noch zwei Sätze, dann bin ich am Ende meiner Rede.

Ich appelliere erneut an die MiRO, diese Investition, auch wenn sie mit 2 Milliarden € sehr groß ist, zugunsten des Standorts Karlsruhe alsbald vorzunehmen. Ich hoffe, dass sie dies auch tut. Die rechtlichen und technischen Voraussetzungen liegen mit dem Wegerechtsgesetz nunmehr vor.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die CDU ist der festen Überzeugung, dass mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetz eine wichtige Grundlage für den weiteren Ausbau des Wirtschaftsstandorts Baden-Württemberg geschaffen wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Thomas Blenke CDU: Sehr gut!)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Dr. Prewo das Wort.

Herr Präsident, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion unterstützt dieses wichtige industriepolitische Projekt für das Land Baden-Württemberg.

(Abg. Manfred Groh CDU: Bravo! – Abg. Ernst Behringer CDU: Sehr gut! – Abg. Thomas Blenke CDU: Gut!)

Wenn wir Ethylen, das als Grundstoff zwingend gebraucht wird, nicht mehr über Straßen transportieren müssen, erhöht sich die Sicherheit, verbessert sich die Umweltbilanz – das steht alles in der Begründung des Gesetzentwurfs –, und wir verbessern damit den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg. Denn das Chemiedreieck – eigentlich ist es ein Viereck, wenn man es weit zieht – Heidelberg–Mannheim–Karlsruhe– Ludwigshafen braucht die Pipeline unter diesen Umständen. Entlang der gesamten Strecke ist es möglich, Unternehmen anzusiedeln, die Wertschöpfung in der Fläche zu stärken. Hinzu kommen die Zulieferer in der zweiten und dritten Reihe.

Die Wertschöpfungskette wird also gestärkt. Es handelt sich um ein modernes Leitungssystem. Aus diesem Grund unterstützen wir das Ganze.

Auf dem Weg zu diesem Gesetz haben aber Landesregierung und Koalitionsfraktionen durch ihr Taktieren und durch ihr

entscheidungsunfähiges Lavieren Misstrauen, Verdruss und einiges an Kollateralschäden verursacht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU: Ui! – Abg. Thomas Blenke CDU: Jetzt haben Sie Ihre Rede so schön angefangen! – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Schon militärisch! – Zuruf des Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU – Unruhe)

Die Regierung wünscht und propagiert das Projekt schon seit Langem. Sie hat die Investoren von Anfang an ermuntert. Die se haben Vorleistungen erbracht. Aber die Regierung und die Koalition haben sich nicht getraut, die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen.

(Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: Wir leben in einem Rechtsstaat!)

Bayern und Rheinland-Pfalz haben das gemacht. Wir „dackeln“ hinterher.

(Heiterkeit)

Der Wirtschaftsminister hat angesichts des Verhandlungsstands schon im Mai erklärt: „Wir brauchen das Wegerechtsgesetz; wir erkennen bereits heute, dass wir es brauchen werden.“

Was ist denn ein solches Wegerechtsgesetz? Das Gesetz dient dem Schutz aller Beteiligten und schafft Transparenz für die betroffenen Eigentümer und für die Investoren. Es klärt jeweils die Rechte und die Pflichten. Es schützt die Eigentümer, denn das Eigentum ist nach Artikel 14 des Grundgesetzes geschützt.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Wir brauchen ein Gesetz, um allen Beteiligten klarzumachen, wann einer der seltenen Fälle eintritt, in denen der starke Schutz des Eigentums gegenüber öffentlichen Interessen des Gemeinwohls abgewogen werden muss. Dazu braucht man tatsächlich ein Gesetz. Die einzige Partei, die einmal ohne Gesetz zugunsten eines privaten Investors enteignen wollte, war damals, im Fall Boxberg, die CDU in ihrer absoluten Mehrheit. Das ging dann zum Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: So könnt ihr das nicht machen.

(Abg. Manfred Groh CDU: Jetzt haben wir es richtig gemacht!)

Die Bürgerschaft hat ein Anrecht auf eine klare gesetzliche Regelung. Sie hat es der damaligen Regierung ins Stammbuch geschrieben.