Ich habe Sie am Pult gefragt: Haben Sie einen Beleg? Darauf haben Sie gesagt: „Ich war in Alterswilen.“ Super. Das ist zugegebenermaßen ein Beispiel für eine Schule, von denen es viele gibt. Das Problem ist nicht, Schulen zu finden, in denen gute Arbeit gemacht wird, sondern die Frage ist, ob man die Möglichkeit oder gar die Verpflichtung schafft, Einheitsschulen einzuführen, und ob Bildung dann mit dieser Struktur besser gelingt.
Schulen kann man so oder so organisieren. Aber wie sieht die Realität dort aus, wo es so gemacht wird, wie Sie sich dies vorstellen? Da Sie nicht auf die Belege reagieren, die man aus der wissenschaftlichen Literatur zitiert, bringe ich einfach einmal nackte Zahlen, die Herr Professor Tenorth von der Humboldt-Universität Berlin aus den PISA-Ergebnissen 2006 zusammengetragen hat: In Baden-Württemberg sind von den Hauptschülern 47 % auf Kompetenzstufe I und darunter. Das ist zu viel. Wir leisten mit der neuen pädagogischen Konzeption in der Werkrealschule einen Beitrag dafür, dass es besser wird. Das sind bezogen auf die Gesamtschülerschaft 11,6 %. Von den Realschülern sind nur 3,4 % auf Kompetenzstufe I; das sind 1,1 % der gesamten Schülerschaft. Das macht in der Summe einen Anteil von 12,7 %.
Jetzt komme ich zu Hamburg. Das ist das Beispiel, das in der wissenschaftlichen Betrachtung gegenübergestellt wird. Dort sind in der Hauptschule 75 % der Schüler auf Kompetenzstufe I und darunter. In der Realschule sind bis zu 21,8 % der Schüler auf Kompetenzstufe I und darunter, und in der Integrierten Gesamtschule sind 32,8 % der Schüler auf Kompetenzstufe I und darunter. Das macht zusammen 19,2 % aller Schüler gegenüber 12,7 % bei uns.
Das ist die Bildungspolitik, die Sie uns verkaufen wollen und von der Sie behaupten, dass diese für die schwächeren Schülerinnen und Schüler besser sei. Ich kann nur sagen: Sie sind da völlig schiefgewickelt, und Sie haben null Belege dafür, dass Ihre Vorstellung von Einheitsschule bessere Ergebnisse bringt als unsere vielfältige Schullandschaft.
Ich möchte nach der Frage von Herrn Zeller dann gern noch meinen letzten Gedanken vortragen. Aber bitte, Herr Zeller.
Herr Schebesta, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass es zahlreiche Studien gibt, die genau den Vorteil des längeren gemeinsamen Lernens belegen, und dass es vor allem viele praktische Beispiele gibt, nicht nur in Alterswilen, sondern vor allem auch in den Ländern, die PISASpitzenreiter sind – das wissen Sie ganz genau – und wo die Schulen nach dem Prinzip des längeren gemeinsamen Lernens arbeiten? Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass hier erfolgreiches Lernen sehr eng mit der Schulstruktur gekoppelt ist?
Zum Zweiten: Wären Sie – nachdem Sie und Ihr Kultusminis ter sich bisher hartnäckig jedem Ansatz von Schulen verweigern, die in Baden-Württemberg genau diesen Weg gehen wollen – endlich bereit, solche Modelle zuzulassen?
Herr Zeller, zur ersten Frage: Ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es Beispiele dafür gibt. Das habe ich überhaupt nicht bestritten. Ich habe gesagt, dass man gute Schulen in einer Schulform, wie Sie sie vorschlagen, organisieren kann. Mein Thema ist aber: Schaffe ich in Baden-Württemberg flächendeckend die Möglichkeit der Einheitsschule, soll die Einheitsschule sogar der einzige Weg sein? Wenn ja, was ist dann das Ergebnis? Dann sind das nicht nur einzelne Schulen – die jeweils sicherlich gute Arbeit machen –, sondern es wird die Schullandschaft geändert.
Dann müssen Sie aber den Vergleich mit den Ländern zulassen, in denen diese Schullandschaft schon Realität ist.
(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Claus Schmiedel SPD: Ihre Beispiele waren Stadtstaaten! Ich bitte Sie! Das ist doch eine andere Bevölkerungsstruktur als im Schwarzwald!)
Das ist doch Quatsch. Der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund ist in Baden-Württemberg genauso hoch wie in Hamburg. Entschuldigung! Aber wenn Sie wollen, kann ich auch noch Nordrhein-Westfalen anführen. In Nordrhein-Westfalen beträgt der Anteil der Schüler, die nur auf Kompetenzstufe I sind, bereits ohne die Gesamtschulen 15,5 %. Die haben schon ohne die Gesamtschulen mehr Schüler in Kompetenzstufe I und darunter als wir, und das ist auch ein Flächenland. Sind Sie jetzt zufrieden?
Der zweite Teil Ihrer Frage war, ob ich bereit bin, zur Kenntnis zu nehmen, dass es zahlreiche wissenschaftliche Studien mit dem von Ihnen behaupteten Ergebnis gibt. Dazu bin ich nicht bereit. Wenn wir hier zitieren und wenn wir die Ausführungen hierzu hier am Pult machen, dann kommen Sie bitte und bringen Ihre Zitate mit, und dann setzen wir uns mit den Zitaten auseinander. Aber Sie können sich nicht hier hinstellen und einfach Behauptungen aufstellen, ohne dass Sie diese belegen. Sie führen nur einzelne Beispiele an.
Herr Zeller; ich rede über Ihr Gegenmodell, über eine Vision von Schule, die heißt: „Ändert das Schulgesetz, führt die Einheitsschule ein.“ Ich sage Ihnen: Das ist kein besserer Weg als der, den wir mit der Werkrealschule gehen.
Deshalb gehen wir nicht den Weg, den Sie vorschlagen, nämlich eine Einheitsschule ins Schulgesetz zu schreiben.
(Beifall bei der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo! – Abg. Norbert Zeller SPD: Sie haben Angst davor! – Gegenrufe von der CDU – Unruhe)
Sie behaupten heute wieder, Sie seien die Gralshüter der einzügigen Schulen, Sie würden den Tod einzügiger Hauptschulen verhindern. Herr Zeller, ich habe es Ihnen schon beim letzten Mal gesagt: Sie hatten den Begriff „Regionalschule“ für Ihre schulpolitischen Vorstellungen gewählt. Sie haben diesen Begriff später abgelegt, weil schon der Begriff „Regionalschule“ klar erkennen lässt, dass das keine wohnortnahe Schule ist, und Sie sagen: Schaut nach Schleswig-Holstein. Wir waren zusammen in Schleswig-Holstein.
Deshalb wissen Sie so gut wie wir, wie die Mindestschülerzahl in der Sekundarstufe I einer Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein aussieht: mindestens 300 Schüler.
Ich behaupte, Sie finden keine fünf Schulstandorte in BadenWürttemberg, an denen im nächsten Jahr kein Hauptschul- und kein Werkrealschulunterricht stattfindet, an denen der Teil ort, das Einzugsgebiet, die Gemeinde oder die Stadt, 300 Schüler in Sekundarstufe I hat. Ich behaupte, Sie finden keine fünf.
Sie werden wieder eine Debatte beantragen. Kommen Sie ans Pult und belegen es. Andernfalls wiederholen Sie nicht weiter, dass Schule mit der SPD wohnortnäher aufrechterhalten werden könne.
(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Bravo! – Abg. Dr. Klaus Schü- le CDU: Jetzt können wir die Debatte beenden!)
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn Sie jetzt erneut versucht haben, mit einer Schulstrukturdebatte von dem Kernproblem abzulenken, das wir im Augenblick haben,
muss ich an den Anfang meiner Ausführungen ganz klar stellen: Die neue Werkrealschule, die Sie jetzt flächendeckend einführen wollen, ist ein verzweifelter Versuch, die Problematik des Sterbens auf Raten der kleinen Hauptschulen in Baden-Württemberg durch eine gigantische Flurbereinigungsmaßnahme bei den wohnortnahen Schulen zu lösen.
Das ist genau der Punkt. Sie machen hier in Baden-Württemberg mit diesem Konzept der neuen Werkrealschule einen Radikalschnitt. Die in Baden-Württemberg im Prinzip gute Tradition, wohnortnahe Schulstandorte auch im weiterführenden Schulbereich aufrechtzuerhalten, diese konservative Tradition wird jetzt bedroht, und es sind die CDU-Bürgermeister im Land, die jetzt auf die Barrikaden gehen und dies zu verhindern suchen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Prinzip der wohnortnahen Sekundarschule ist ausgehöhlt. Sie haben durch Ihre verzweifelten Stärkungsprogramme in den letzten Jahren lediglich versucht, die Abstimmung der Schülerinnen und Schüler vor Ort mit den Füßen zu verhindern, aber kein einziges Ihrer Stärkungsprogramme hat Wirkung gezeigt. Wir sind mittlerweile beim historischen Tiefstand von 25 %. Das hängt nicht damit zusammen, dass irgendjemand die Hauptschule schlechtgeredet hätte.
Im Gegenteil, wir haben die Konzepte der Hauptschule gelobt. Es gibt hervorragende Profile bei den Hauptschulen.
Es liegt vielmehr in der Natur der Sache, dass Eltern versuchen, ihre Kinder auf eine Schulform zu bringen, die ihnen von vornherein einen höheren Schulabschluss ermöglicht.
(Zuruf des Abg. Volker Schebesta CDU – Gegenruf von der SPD: Quatsch ist das! Dann belegen Sie das einmal!)
Die Bürgermeister vor Ort – das will ich Ihnen jetzt auch einmal aufzeigen – sprechen ganz klar von einer „Nebelkerze der Schulpolitik“. Ich kann Ihnen beispielsweise aus einer Diskussion mit CDU-Bürgermeistern im Landkreis Karlsruhe berichten: Bürgermeister Karl-Heinz Burgey aus Walzbachtal hat gesagt, das sei eine Nebelkerze; die Werkrealschule biete keine Antwort auf die demografische Entwicklung. Man habe keine Chance, dagegen zu sein, und gehe sehenden Auges den falschen Weg. Sein Kollege Reinwald aus Graben-Neudorf sagt, er sei mit den anderen der Überzeugung, dass das Modell der Werkrealschule nicht zukunftsträchtig sei.
So sehen das die Bürgermeister im Landkreis Karlsruhe sowie auch in anderen Kreisen. Sie treiben jetzt die Schulstandorte, die Schulträger in einen Wettbewerb und in eine Diskussion über vertikale Teilung, mehrere Schulleiter, Einzügigkeit, Zweizügigkeit. Es gibt ein Hauen und Stechen, und es sind auch die Schulen und die Eltern, Herr Kollege Schebesta, die jetzt für ihre Schule kämpfen. Sie kämpfen für eine gute Schule, die jetzt möglicherweise geschlossen werden soll, weil die Schülerzahlen nicht mehr stimmen.
Dieser Druck, der jetzt im Land überall ganz deutlich ist, geht einher mit einem beispiellosen Informations- und Genehmigungschaos. Kollegin Arnold und der Fraktionsvorsitzende der FDP/DVP reisen durchs Land,
und es ist auch schon ein Brief an alle Kreise und Bürgermeis ter mit der Auskunft geschickt worden, dass man mit den Klassen 8, 9 und 10 auch eine vertikale Teilung durchführen darf. Gleichzeitig, am 6. November, geht ein Schreiben aus dem Kultusministerium an die Schulverwaltung – 6. November, also fünf Wochen, bevor die Anträge der Schulträger eingereicht sein müssen –, in dem auf drei Seiten in einer absolut komplizierten und nicht leicht nachvollziehbaren Art beschrieben wird, was denn erlaubt ist und was nicht erlaubt ist. Da steht dann z. B.: