Protokoll der Sitzung vom 10.03.2010

Meine Damen und Herren, nach 20 Jahren Aufbau Ost ist es im Interesse von ganz Deutschland, dass wir jetzt endlich den Ausbau Südwest forcieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr gut!)

Wir wollen erreichen, dass Berlin die Gelder für Autobahnen und Bundesstraßen in Zukunft nicht mehr nach starren, jahrzehntealten Verteilerschlüsseln, sondern nach aktuellem Be

darf, nach aktuellem Verkehrsaufkommen und vor allem nach aktuellen demografischen Prognosen vergibt.

Wir müssen ernsthaft über neue Wege der Verkehrsfinanzierung sprechen. Ziel muss es sein, dass im Ergebnis Straße Straße finanziert.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr gut! Genau!)

Das hätte gleich drei Vorteile:

Erstens: Für die Autofahrer könnten wir den Systemwechsel kostenneutral machen, indem wir andere Belastungen absenken.

(Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Das glauben Sie doch selbst nicht!)

Zweitens: Die Einnahmen könnten als zweckgebundenes Vermögen bewirtschaftet werden und wären so dem Zugriff kurzfristiger Haushaltspolitik entzogen.

Drittens: Auch die ausländischen Autofahrer auf unseren Straßen würden wir so an den Kosten des Straßennetzes beteiligen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, ich lade Sie alle ein: Lassen Sie uns gemeinsam über ein intelligentes und handhabbares PkwMautsystem nachdenken. Dazu gibt es auch hier im Haus schon richtige Überlegungen und diskussionsfähige Konzepte. Knüpfen wir daran an. Ich bin gesprächsbereit.

Das größte Infrastrukturvorhaben des neuen Jahrzehnts in Baden-Württemberg ist das Bahnprojekt Stuttgart–Ulm. Wir werden dafür sorgen, dass diese historische Chance für unser ganzes Land m i t den Menschen realisiert wird und ihre Sorgen Berücksichtigung finden. Wir werden Bund und Bahn darauf verpflichten, dass der Anschluss Baden-Württembergs an die europäische West-Ost-Magistrale nicht zulasten gleichrangiger Eisenbahnprojekte im Land geht, wie in erster Linie des bürgerfreundlichen Ausbaus der Rheintalbahn von Karlsruhe nach Basel.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf der Abg. Theresia Bauer GRÜNE)

Wir werden uns mit dem Bund und der Bahn noch stärker über die Bürgeranliegen auseinandersetzen. Das Land wird am Ende dieses Prozesses einen eigenen finanziellen Beitrag nicht verweigern. Aber klar muss immer sein: In der Hauptverantwortung bei diesem Projekt stehen Bund und Bahn.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Sehr richtig!)

Im Landesstraßenbau setzen wir auf die flächendeckende Erhaltung. Entlang der finanziellen Möglichkeiten und ausgerichtet an den Vorgaben des Landesrechnungshofs möchten wir mehr für die landesweite Erhaltung der Landesstraßen tun. So wollen wir die begrenzen Ressourcen gerecht in allen Landesteilen einsetzen, statt einzelne Neubaugroßprojekte mit wenigen Gewinnern zu finanzieren.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Stuttgart 21!)

Auch das gehört für mich zu einer Politik des fairen Ausgleichs, wenn die Folgen der Krise zur Selbstbeschränkung zwingen.

Meine Damen und Herren, bei allen Herausforderungen, vor denen wir stehen, sage ich selbstbewusst: In Baden-Württemberg bleiben die Lichter an.

(Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Das ist die beste Weisheit! – Heiterkeit der Abg. Helen Heberer SPD)

Wir werden an dieser Krise nicht scheitern. Wir werden daraus lernen und einmal mehr daran wachsen. Wenn sich andere mit Untergangsszenarien überbieten, krempeln wir die Ärmel hoch und machen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wir wissen, was uns das neue Jahrzehnt abverlangt. Aber wir wissen auch, was wir können, was in diesem Land steckt und was seine Menschen jeden Tag leisten. Darauf sind wir stolz.

Am Wendepunkt der Krise können wir auf unsere angestamm ten kreativen Kräfte vertrauen. Wir stehen zusammen, wenn wir wirklich gefordert sind. Das ist unsere Identität. Das ist unser gemeinsamer Baden-Württemberg-Weg. Ich will auf diesem Weg alle Baden-Württemberger mitnehmen,

(Abg. Helen Heberer SPD: Nur die Männer? – Abg. Katrin Altpeter SPD: Nicht nur die Männer!)

die Unternehmer, Gewerkschaften und Arbeitnehmer, die in schwieriger Zeit und in starker Tarifpartnerschaft Flexibilität und Verantwortung beweisen, die Familien, die für ihre Kinder eine gute Zukunft wollen, die Seniorinnen und Senioren, auf deren Erfahrung und Teilhabe wir gerade auch künftig nicht verzichten dürfen, nicht verzichten wollen und nicht verzichten können, die Menschen, die in unserem Land eine neue Heimat gefunden haben und die sich hier bei uns integrieren, und auch alle, die die Solidarität unserer starken Gemeinschaft ganz besonders brauchen.

Wir lassen niemanden allein. Ich sage das umso nachdrücklicher mit Blick auf das morgige Datum. Meine Damen und Herren, ganz Baden-Württemberg, ganz Deutschland denkt morgen an die Menschen, die bei der noch immer unfassbaren Amoktat in Winnenden und Wendlingen vor einem Jahr Kinder, Geschwister, Familienmitglieder und Freunde verloren haben. Wir danken von Herzen allen, die bis heute helfen, das Unverständliche zu bewältigen und in der Trauer neuen Halt zu geben. Wir brauchen diesen Zusammenhalt, und wir brauchen diese Mitmenschlichkeit.

Im Übrigen gilt das genauso über Grenzen hinweg. Gerade nach einer Wirtschaftskrise mit weltweiten Folgen müssen wir auch unsere Verpflichtung gegenüber den Menschen weltweit im Blick behalten, für die unser Wohlstand unerreichbar ist. Ich sage Ihnen ganz offen, dass für mich eines immer klar war: Wenn ich einmal führende Gestaltungsverantwortung wahrnehmen darf, möchte ich auch für die Menschen auf der Erde, die in existenzieller Armut und unter unwürdigen Bedingungen leben müssen, konkrete Hilfe zumindest mit bewirken können.

Wir werden deshalb die Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit nach und nach ausbauen und ihre Aktivitäten mit neuen

gezielten Projekten in unseren Partnerländern verstärken. Insbesondere werden wir die weltweiten Initiativen für Kleinkredite, Mikroversicherungen und Sozialunternehmen unterstützen, um den Menschen eine eigene Perspektive zu geben und Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge- ordneten der SPD)

Wir werden stärker und verbindlicher als bisher darauf achten, dass das Land Waren, Güter und Materialien einkauft, die aus zertifizierter Produktion unter Wahrung sozialer, ökologischer und humanitärer Standards stammen.

Insbesondere aber werden wir den Entwicklungsländern unsere weltweit hoch geschätzte Erfahrung in der beruflichen Bildung noch besser zugänglich machen. Mit internationalen Bildungspartnerschaften werden wir arme Länder beim Aufbau erfolgreicher Ausbildungsstrukturen beraten und begleiten. Die Weitergabe von Bildungs-Know-how ist die wirksamste Hilfe zur Selbsthilfe, meine Damen und Herren.

Für mich ist es eine Frage von Moral und Anstand: Ein gesegnetes Land wie Baden-Württemberg kann über die Not in anderen Teilen der Welt nicht einfach hinweggehen. Hier müssen wir uns offen zeigen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge- ordneten der SPD)

Überhaupt wünsche ich mir einen Politikstil, der sich für das Nachdenken und für das Gespräch miteinander Zeit nimmt. Wir müssen wieder eindeutiger klären, welche Werte uns verbinden, wie wir eine Balance zwischen Vielfalt und Zusammenhalt finden und wie wir Wohlstand und Lebenszufriedenheit nicht nur durch Wachstum und Konsum definieren.

Ich möchte deshalb den Dialog mit den Kirchen, den Kulturen und Religionen unseres Landes noch stärker fördern. Strittiges muss auf den Tisch, damit wir Gemeinsames erreichen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Die Menschen in Baden-Württemberg bekommen hier und heute von mir das Angebot einer Politik der offenen Tür. Ich möchte in fairer Partnerschaft mit den Städten und Gemeinden, mit den Kirchen, den Gewerkschaften, den Arbeitgebern, der Kultur, der Jugend-, Kinder- und Seniorenarbeit und dem Sport dieses Land ins neue Jahrzehnt führen, seine alten Stärken fördern und seine neuen Chancen ergreifen.

Ich will eine gute und produktive Zusammenarbeit mit den Beamten und Angestellten des Landes. Meine Damen und Herren, 263 000 Frauen und Männer stellen sich jeden Tag in den Dienst Baden-Württembergs und seiner Bürger. Das Land ist der größte Arbeitgeber in Baden-Württemberg. Ich will dazu beitragen, dass sie diesen Dienst engagiert und motiviert tun.

Vor allem will ich gemeinsam mit Ihnen, den Abgeordneten und Fraktionen des Landtags, für eine Politik der klaren Linien und der klaren Ergebnisse arbeiten. Das erwarten die Bürger von uns.

Vertrauen, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit: Ich bin der tiefen Überzeugung, dass es in der Politik der nächsten Jahre

wieder mehr denn je darauf ankommen wird. Dieses Vertrauen möchte ich gewinnen.

Ich danke Ihnen.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wir treten in die Aussprache über die Regierungserklärung ein. Für die Aussprache über die Regierungserklärung hat das Präsidium eine Redezeit von 30 Minuten je Fraktion festgelegt.

Nach § 83 a Abs. 3 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abg. Kretschmann das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident Mappus, als ich mir Ihre Regierungserklärung angehört habe, habe ich mich gefragt: Was wollen Sie uns eigentlich sagen? Was ist Ihre Idee?

Sie haben hier etwas gemacht, worauf ausgerechnet bei Ihnen niemand gekommen wäre: Sie haben peinlichst genau sämtliche Konfliktthemen vermieden. Zum Schluss haben Sie gesagt, Strittiges müsse auf den Tisch.