Protokoll der Sitzung vom 05.05.2010

(Lachen der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich darf um Ruhe bitten.

Ich finde das nicht ganz so lustig. Aber Sie scheinen es lustig zu finden, Tageszeitung zu lesen.

Am vergangenen Montag hat die Leiterin der Bundesagentur für Arbeit für den Bezirk Stuttgart bestätigt: Immer mehr Ju gendliche fahren zwei- oder mehrgleisig.

(Abg. Elke Brunnemer CDU: Genau! – Abg. Sieg fried Lehmann GRÜNE: Warum?)

Das heißt, sie bewerben sich selbstverständlich für eine schu lische Ausbildung und gleichzeitig für einen Ausbildungsplatz im dualen System. Diese Mehrfachbewerbungen sind es, mei ne Damen und Herren, die zum jetzigen Zeitpunkt zu einem Bewerberüberhang führen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich habe verstanden, dass Sie nicht gern in die Zukunft schau en. Aber blicken Sie vielleicht einmal auf den September die ses Jahres, auf das, was bisher in jedem Jahr im September der Fall war. Was passiert im September? Die jungen Men schen haben sich nach der Phase der Mehrfachbewerbungen für einen der verschiedenen zukunftweisenden Wege entschie den

(Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE: Sie müssen! – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Sie müssen! Was sol len sie sonst machen?)

und sind ab September auf unseren unterschiedlichen Wegen gut versorgt. Das heißt, 50 % der jungen Schüler und Schüle rinnen gehen auf die Berufskollegs, deren Funktion wir gera de noch einmal klargestellt haben.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Das war nicht deren Wunsch! Sie wollten nicht dahin!)

20 % der Schüler und Schülerinnen wechseln in das duale Sys tem. Nur ein Drittel der Realschüler und Realschülerinnen ge hen auf das berufliche Gymnasium.

(Zuruf der Abg. Theresia Bauer GRÜNE)

Wenn Sie also vom beruflichen Gymnasium als dem einzigen Weg sprechen oder dies hier so darstellen, dann diskreditie ren Sie die 70 %, die sich mit gutem Grund für einen anderen Bildungsweg entscheiden.

Meine Damen und Herren, wenn Sie vielleicht einmal voraus schauen – aber Sie schauen gern zurück in die Vergangenheit –, dann sehen Sie, dass die Kapazitäten an den beruflichen Gym nasien auch heute nicht zu 100 % ausgelastet sind. Das ist die Folge dieser Mehrfachbewerbungen. Wir hatten im letzten Schuljahr eine Kapazitätsauslastung von 93 %. Da ist noch Luft drin. Aber Sie können die jungen Menschen nicht in die se Schulen hineinzwingen, auch wenn das Ihrer politischen Überzeugung entsprechen würde.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Jawohl! – Abg. Reinhold Gall SPD: Jawohl, es wird immer schlim mer! Meine Güte!)

Meine Damen und Herren, im letzten Schuljahr hat die größ te Wirtschafts- und Finanzkrise seit dem Bestehen der Bun desrepublik Deutschland natürlich auch bei jungen Menschen Ängste ausgelöst und die Zahl der Mehrfachbewerbungen noch deutlich erhöht. Selbst da konnten wir für alle Absolven tinnen und Absolventen in den verschiedenen Zweigen eine Vollversorgung sicherstellen. Das muss man uns erst einmal nachmachen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Bitte lösen Sie sich doch auch von dem Bild, dass in einem dualen Ausbildungsverhältnis zu stehen ein Menschendasein zweiter Klasse sei

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Wer sagt denn so etwas? – Abg. Reinhold Gall SPD: Das sagt doch niemand! Das ist eine Unverschämtheit, so etwas zu unterstellen! Die wird ja schlechter als die Schavan mit ihrer Arroganz!)

und dass diese Möglichkeiten nur deswegen gewählt würden, weil nicht genügend Plätze im beruflichen Gymnasium vor handen seien.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU zu SPD und Grü nen: Da wird reiner Wein eingeschenkt, Freunde!)

Meine Damen und Herren, Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass Baden-Württemberg deutschlandweit die niedrigste Quo te von vorzeitig gelösten Ausbildungsverträgen hat. Das ist nur möglich, wenn die jungen Menschen im dualen System auch wirklich sein wollen und dort gut versorgt werden. Und das ist ein Faktum in Baden-Württemberg; das ist so.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

Dass wir außerdem die niedrigste Jugendarbeitslosenquote ha ben, interessiert vielleicht auch nur am Rande. Mich interes siert es aber nicht nur am Rande, sondern das ist ein Ziel un serer Bildungspolitik. Sie können diese Zahlen dem jüngsten Berufsbildungsbericht entnehmen. Auch daraus könnten Sie, wenn Sie es wollten, die Zuversicht schöpfen, dass die ange botenen Wege bereits heute in der nötigen Differenzierung und in dem wachsenden Ausbau entsprechend den Schüler zahlen vorhanden sind. Aber ein Rechtsanspruch – so, wie Sie ihn fordern – brächte niemandem etwas – außer Ihnen die Be friedigung, wieder einmal etwas per Gesetz geklärt zu haben, was in der Realität durch die Bildungspolitik in Baden-Würt temberg bereits lange geklärt ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Lachen bei der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Schmiedel.

Frau Ministerin Schick, mit Ih nen es scheint wirklich schwierig zu werden. Ich sage Ihnen auch, warum.

(Zuruf von der CDU: Für die SPD! – Abg. Klaus Herrmann CDU: Eine Minderheit im Land! – Gegen ruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Eine ver schwindende Minderheit!)

In diesen Wochen geht es vielen Familien so, wie Frau Ber roth es geschildert hat: Da gibt es Absagen für die Kinder, die auf eine gymnasiale Oberstufe an einer beruflichen Schule wollen, und das zuhauf. Dass Sie hier hinstehen und sagen, das seien Spaßbewerbungen, das ist Zynismus pur.

(Beifall bei der CDU – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Das hat doch niemand gesagt! Unglaublich! Jetzt müssen Sie sich schon wieder entschuldigen! – Abg. Klaus Herrmann CDU: Das verstehen Sie nicht!)

Jetzt zeige ich Ihnen einmal die Messlatte: Das sind die Lan desverfassung und das Schulgesetz von Baden-Württemberg. In Artikel 11 der Landesverfassung heißt es:

Jeder junge Mensch hat... das Recht auf eine seiner Be gabung entsprechende Erziehung und Ausbildung.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Jetzt frage ich Sie einmal, Frau Krueger: Stellen Sie auch dann, wenn jemand am Gymnasium einen mittleren Bildungs abschluss erreicht hat, die Frage, ob für ihn nicht die duale Ausbildung besser sei? Warum soll denn jemand, der an ei nem Gymnasium einen Bildungsabschluss erwirbt, automa tisch das Recht haben – das hat er –, die Hochschulreife zu er werben? Da machen Sie kein Fragezeichen. Da heißt es auch nicht, dass er das aus Spaß macht und etwas anderes abquali fiziert, wenn er das macht. Warum wollen Sie das einem Re alschüler nicht ermöglichen?

Sie haben ein Menschenbild, das bedeutet: Wer einmal das Gymnasium von Anfang an besucht, ist prädestiniert für die akademische Laufbahn.

(Unruhe bei der CDU – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Die Kollegin hat doch etwas anderes gesagt!)

Ein junger Mensch, der die Realschule besucht, der soll sich das erst erstreiten.

(Unruhe bei der CDU)

Jetzt komme ich zu Frau Berroth. Das verstehe ich jetzt über haupt nicht. Sie haben mehrfach gesagt, das koste nicht mehr, das sei eine Umschichtung, potenzielle Lehrer seien auch vor handen, man müsse es eigentlich nur wollen. Aber Sie sind gegen einen gesetzlichen Anspruch. Wie soll ich denn das ver stehen, wenn Sie sagen, die Schulverwaltung müsse endlich einsehen, dass sie dieses Recht realisieren müsse? Lassen Sie uns doch gemeinsam das Gesetz machen. Dann macht die Schulverwaltung das schon. Dann macht sie das.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Frau Ministerin Schick, dass Sie die Realität so verdrehen, dass Sie sagen, am Ende würden alle Wünsche befriedigt, denn irgendwo seien sie im Schulsystem gelandet – –

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Quatsch! Das stimmt doch gar nicht!)

Sie haben mit keinem Satz begründet, warum Sie nicht um schichten wollen, und zwar den Wünschen der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern entsprechend vom Berufskolleg auf das berufliche Gymnasium. Warum wollen Sie denn nicht umschichten? Sie sagen: „Wir haben doch das Berufskolleg; dann sollen die gefälligst ins Berufskolleg.“ Ich frage Sie ein mal: Wer macht denn hier Planwirtschaft, Sie oder wir?

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Wir hatten viele Jahre mühsamer Bildungsdiskussion mit Herrn Rau. Ich sage Ihnen auch, was der Grund war. Der Grund war, dass er sich geweigert hat, einen Blick auf die Re alität zu werfen, wie sie ist. Wenn Sie wenigstens zugestehen würden, dass es ein Problem gibt, wenn Sie das wenigstens aufnehmen würden und sagen würden: „Wir bemühen uns, das Problem zu lösen“, wäre es gut. Aber Sie stellen sich hier hin und sagen: „Wir haben überhaupt kein Problem, wir sind sowieso die Besten, wir müssen überhaupt nichts anders ma chen, und falsch liegen nur die, die das kritisieren.“ Das ist der Gipfel! Damit haben Sie Herrn Rau noch übertroffen. Das ist Herr Rau in Potenz.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU)

Immer dann, wenn ich einen Wahlkreis besuche, gehe ich in eine Berufsschule. In jeder Berufsschule ist dies ein Thema. In jeder Berufsschule! Ich kann Ihnen nur raten: Gehen Sie vor Ort, und reden Sie einmal mit den Berufsschullehrern und Schulleitungen. Dann werden Sie erleben, was die GEW ge sagt hat und was der Berufsschullehrerverband gesagt hat. Die unterstützen nämlich die Initiative der SPD, weil sie die Re alität kennen. Sie verweigern sich der Realität, und deswegen sind Ihre Antworten auch falsch.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Wenn die Landesverfassung und das Schulgesetz von BadenWürttemberg ernst genommen werden sollen, dass jeder jun ge Mensch ein seiner Begabung entsprechendes Angebot be kommt, also einen Anspruch auf dieses Angebot hat, dann ist es überfällig, dass wir in den beruflichen Gymnasien die Gleichstellung mit den allgemeinbildenden Gymnasien her beiführen. Das ist das Ziel unseres Antrags, und wir werden Sie aus dieser Diskussion nicht entlassen. Wir wissen, dass wir die Eltern hinter uns haben, die Lehrerschaft hinter uns haben und auch die Schulträger hinter uns haben; denn das Raumthema stellt sich binnen Kurzem überhaupt nicht mehr. Wir haben zurückgehende Schülerzahlen in den Berufsschu len; da gibt es jetzt Räume zuhauf, in denen man das machen kann. Wir haben auch Berufskollegs. Man muss nur umschich ten.