Protokoll der Sitzung vom 10.06.2010

In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Frage ge stellt: „Wieso muss sich die Politik überhaupt um die Fans kümmern? Das können die Vereine doch eigentlich auch selbst machen.“ Um einem Wiederaufflammen dieser kurzsichtig gestellten Frage zuvorzukommen: Die jugendlichen Problem gruppen, die in den Fußballstadien und um die Stadien herum auffällig sind, hat nicht der Sport, also nicht der Fußball, pro duziert. Vielmehr handelt es sich hier um Problemgruppen, die unsere Gesellschaft produziert hat. Wir sind der Ansicht, meine Damen und Herren, dass diese Jugendlichen nicht nur die Vereine, sondern uns alle etwas angehen.

Der Sport selbst unternimmt sehr viele Anstrengungen auf den eigenen Ebenen, um die Fußballfans zu einer deutlich formu lierten Distanzierung nach innen und nach außen zu bewegen, kann allerdings aber auch nicht als Reparaturwerkstatt für Ver säumtes z. B. in der Bildungspolitik geradestehen.

Zum Abschluss möchte ich noch auf eines hinweisen: Wir Grünen erwarten, sehr geehrter Herr Innenminister Rech, dass Sie als Teilnehmer am „Sicherheitsgipfel Fußball“ die Fan projekte als eine notwendige und unabdingbare Einrichtung bewerben, damit ihnen im Zusammenhang mit allen Sicher heitspartnern und Beteiligten rund um den Fußball eine ange messene Stellung eingeräumt wird. Ich denke, das brauchen die Fanprojekte noch. Sie sind hier in Baden-Württemberg noch nicht so sehr im Bewusstsein etabliert. Wenn wir hier in der Präventionsarbeit weiterkommen wollen und auch Erfol ge verbuchen möchten, ist das dringend notwendig.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Innen minister Rech.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Kollegen! Herr Kollege Hofelich, ist Ihnen eigent lich aufgefallen, dass zu diesem Thema „Fußball und Fanpro jekte“ hier Kolleginnen gesprochen haben? Wir beide sind die Einzigen, die die männliche Fahne hochhalten.

(Abg. Peter Hofelich SPD: Ja, ja! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Kriegt ihr das hin?)

Ich könnte, wenn das Thema nicht so ernst wäre, jetzt noch eines draufsetzen und könnte fragen: Was ist morgen?

(Heiterkeit – Abg. Karl-Wolfgang Jägel CDU: Unse re Damen-Nationalmannschaft ist Weltmeister!)

Aber so weit will ich nicht gehen. Das Thema ist in der Tat zu ernst.

Meine Damen und Herren, ich will mich, bevor ich den ers ten Aspekt aufgreife, zunächst einmal herzlich für die Einmü tigkeit und die Einstimmigkeit, die es in diesem Haus über al le Fraktionen hinweg gibt, bedanken. Wir sind uns einig, dass Fanprojekte notwendig sind. Sie beziehen ja nicht nur Jugend

liche in die Prävention ein. Denn da gibt es durchaus auch ge standene Männer, die wieder auf das Gleis zurückgeführt wer den müssen. Deswegen bin ich dankbar dafür, dass wir alle miteinander die Sinnhaftigkeit erkennen, dass wir bereit sind, unsere Unterstützung dafür zu geben, auch wenn es im Mo ment in der Tat nur ein Anfang ist. Finanziell könnte da durch aus noch nachgebessert und nachgesteuert werden. Das wer den wir sehen, wenn wir die Ergebnisse des ersten Sicherheits gipfels evaluiert haben. Ich komme nachher noch darauf zu rück. Wir sind derzeit bei der Auswertung.

Meine Damen und Herren Kollegen, ich möchte zunächst auf greifen, was die Kollegin Brunnemer hier zu Recht angeführt hat und was zeigt, dass wir mittlerweile eine neue Qualität in der Auseinandersetzung rund um die Fußballspiele haben, nämlich die Vorgänge am 29. Mai am Bahnhof Neu-Ulm. Kur ze Stichworte: Ein Spiel der Regionalliga, 30 Hooligans des SSV Ulm haben einen Zug angegriffen, der mit Reutlinger und Stuttgarter Fans besetzt war.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Unverschämt! – Ge genruf der Abg. Ursula Haußmann SPD: Du warst doch nicht dabei, oder? – Abg. Walter Heiler SPD: Ich kann doch den Zug nicht angreifen! Ich kann nur die Menschen angreifen! Gegen den Zug hast du doch keine Chance!)

Die Fans haben sich auf der Rückfahrt von einem Spiel in München – dem Spiel 1860 München gegen SSV Reutlingen – befunden, und das war ein gezielter Angriff. Er hatte also mit der Spielbegegnung überhaupt nichts zu tun.

Wir haben auch nach wie vor das Phänomen, dass sogenann te Drittortauseinandersetzungen stattfinden, die dritte Halb zeit, wie auch immer. Weit weg vom Stadion prügeln sich dann zwei „Mannschaften“. Das Ganze ist also schon bedenk lich.

Noch einmal zurück zum 29. Mai: Das war ein gezielter An griff, der mit dem eigentlichen Spiel überhaupt nichts zu tun hatte. Die Ulmer Hooligans sind einzig deshalb angereist, um Gewalt auszuüben. Die Polizei konnte die Fangruppen nur mit massivem Einsatz von Pfefferspray und Schlagstock vonein ander trennen. Ein Polizeibeamter wurde dabei verletzt.

Wenige Zahlen: Wir haben in Baden-Württemberg rund 1 345 Problemfans, die sich vor allem in der Anhängerschaft der Vereine der ersten vier Ligen befinden. Davon sind 810 soge nannte B-Fans, also gelegentlich gewaltbereit und gewaltge neigt, und 535 sogenannte C-Fans, also gewaltsuchend. Ich habe hier eine Liste, wie die Fans den einzelnen Vereinen, so weit es möglich ist, zuzuordnen sind. Das möchte ich aber hier jetzt nicht vortragen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Das wäre interessant! – Zuruf des Abg. Walter Heiler SPD)

Nein, Herr Kollege Heiler. Das wäre jetzt unfair. Wir kön nen intern einmal darüber reden.

Wir beobachten mit Sorge – auch das ist ein Trend –, dass ju gendliche Fußballfans zunehmend direkt in den gewalttätigen Fangruppierungen zu finden sind, also in der sogenannten Ul traszene. Da gibt es häufig kein Abgleiten, sondern einen di rekten Einstieg in diese Szene. Das zeigt, dass der entschei

dende Ansatz darin besteht, frühzeitig mit präventiven Maß nahmen zu beginnen.

Es gilt, die vielfältigen Aktivitäten aller Beteiligten in gemein samen Konzepten zu vernetzen. Kollegin Neuenhaus hat dies sehr richtig hervorgehoben.

Ich bin übrigens auch allen sportpolitischen Sprechern der Fraktionen dafür dankbar, dass sie auch in der Vergangenheit schon sehr aktiv waren. Kollegin Neuenhaus hat in diesem Haus, glaube ich, auch einmal eine Veranstaltung zu diesem Thema durchgeführt.

(Zuruf der Abg. Ilka Neuenhaus GRÜNE)

Es gibt noch einen weiteren wichtigen Baustein, den ich the matisieren möchte, nämlich das Nationale Konzept Sport und Sicherheit; Kollegin Berroth hat zu Recht darauf hingewie sen. Sie, Frau Kollegin Berroth, haben gesagt, es handle sich um eine besondere Form der Sozialarbeit. Genau das ist es. Es beinhaltet einen langfristigen präventiven Ansatz. In der Struktur sind die Fanprojekte vereinsunabhängig organisiert; auch dies wurde zu Recht gesagt. In der Regel arbeiten sie aber sehr eng mit den Fanbetreuern der Vereine und anderen Initiativen der Jugendsozialarbeit zusammen.

Der Landtag hat sich bei den Haushaltsberatungen 2009 frak tionsübergreifend für die Förderung der Fanprojekte aus gesprochen. Im Doppelhaushalt 2010/2011 stehen dafür 180 000 € bzw. 60 000 € zur Verfügung. Dies unterstreicht zu nächst einmal die Bedeutung der Fanprojekte.

In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass im Rah men der sogenannten Drittelfinanzierung neben dem DFB und dem Land auch die Kommunen ihren finanziellen Beitrag leis ten müssen.

Ich habe einmal die Idee eines Sicherheitseuro ins Spiel ge bracht. Dabei bin ich allerdings gleich ausgepfiffen worden.

(Zuruf des Abg. Walter Heiler SPD)

Ich halte diese Idee jedoch nicht für so schlecht.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Das ist eine sehr gute Idee!)

Der bürokratische Aufwand wäre gleich null. Man könnte den Sicherheitseuro auf bestimmte Ligen oder Problemspiele,

(Abg. Walter Heiler SPD: Bayern!)

wie beispielsweise High-Risk-Spiele, von denen wir im Vor feld wissen, beschränken. Der normale Fan wäre bereit, die sen Sicherheitseuro zu zahlen. Es geht nicht etwa um Perso nalkosten der Polizei. Vielmehr geht es um zusätzliche Maß nahmen, die ergriffen werden können.

Der Sicherheitseuro ist zunächst einmal kein Thema. Der DFB hat mich dabei des Feldes verwiesen.

(Abg. Guido Wolf CDU: Es kommt eine neue Run de! – Abg. Ilka Neuenhaus GRÜNE meldet sich.)

Kollegin Neuenhaus hat eine Zwischenfrage. Ich lasse die se gern zu.

Frau Abg. Neuenhaus, bitte.

Vielen Dank, Herr Minister. – Ich würde das Thema in diesem Zusammenhang gern noch einmal aufgreifen, weil Sie es selbst angesprochen haben. Es geht um die Finanzierung der Polizeieinsätze. In der Spielsai son 2008/2009 haben wir, glaube ich, eine Summe von unge fähr 6 Millionen € aufwenden müssen. Abgerechnet wird nach wie vor über die Einsatzstunden.

In der Stellungnahme zu einem Antrag von uns haben Sie dar gestellt, dass Sie nicht differenziert darstellen können, ob sich diese Großeinsätze auf Fußballspiele oder auf Großveranstal tungen anderer Art beziehen. Könnten Sie uns an dieser Stel le zusagen, dass Sie bei den nächsten Einsätzen einmal ver suchen, differenziert zu erheben, welche Einsätze bei Fußball spielen – ganz konkret in welcher Liga und in welchem Um fang – und welche bei sonstigen Großveranstaltungen statt finden, damit diese Debatte auf sachliche Füße gestellt wer den kann?

Frau Kollegin Neuenhaus, das sage ich gern zu. Allerdings will ich gleich vor übertrie benen Hoffnungen warnen. Der eigentliche Polizeieinsatz, al so das Agieren der Polizei im öffentlichen Raum, kann nicht mit Gebühren zulasten der Vereine aufgewogen werden. Da rüber sind wir uns einig. Das ist Aufgabe der Polizei.

Sie wollen aber Zahlen dazu hören. Es ist etwas klein ge schrieben, aber ich versuche es einmal.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Ein bisschen weiter vorn halten!)

In allen Ligen in Baden-Württemberg haben wir 20 549 Be amte mit rund 127 000 Stunden im Einsatz gehabt. Aufge schlüsselt betrifft dies die erste Liga mit rund 60 000 Stunden, die zweite Liga mit rund 20 000 Stunden und die dritte Liga mit rund 15 000 Stunden. In der Regionalliga Süd betrifft es acht baden-württembergische Vereine, in der Regionalliga West einen baden-württembergischen Verein, den SV Wald hof Mannheim. In der Regionalliga Süd haben wir immerhin noch rund 32 000 Einsatzstunden.

(Zuruf der Abg. Ilka Neuenhaus GRÜNE)

Die haben Sie schon?

(Abg. Ilka Neuenhaus GRÜNE: Das war doch unse re Anfrage!)

Es war trotzdem gut, dass ich die Zahlen hier noch einmal deutlich gemacht habe.

Meine Damen und Herren, wir haben zwei bestehende Fan projekte in Karlsruhe und in Mannheim. Dabei ist es beson ders sinnvoll, dass sie dort agieren.