Protokoll der Sitzung vom 10.06.2010

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut! Genau so machen wir es!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Ho felich.

Sehr geehrter Herr Präsident, wer te Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Die Spannung steigt.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Für was der alles zu ständig ist!)

Die Kollegin Margot Queitsch ist heute nicht da, und ich darf als Amateursportler heute hier antreten.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Wir alle sind Fans von Ihnen! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist schon in Ordnung so! – Abg. Hagen Kluck FDP/ DVP: Wo ist der Schal? – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Die Kollegin hatte wenigstens eine Hoffen heim-Brille auf!)

Die ersten Fußballexperten tauchen auf, es gibt erste Panik käufe in Media Märkten usw.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Deswegen debattieren wir heute auf der Grundlage der Gro ßen Anfrage der FDP/DVP ein wichtiges Thema.

Ich erinnere mich noch ganz gut an meine Kindheit auf dem Sportplatz in Salach: zwischen den Sechzehnmeterräumen Ra sen, im Sechzehnmeterraum Schlacke. Am Ende des Spiels rannte ein Teil der Zuschauer hochemotional in Richtung An spielkreis – damals hat man nach Spielschluss noch Spalier gestanden –, und es entwickelte sich ein wildes Knäuel aus Spielern, Schiedsrichtern und Zuschauern. Dazwischen stan den ein paar Menschen, die eine weiße Binde mit der Auf schrift „Ordner“ am Arm trugen, die aber eher eine Statisten rolle gespielt haben.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das kenne ich auch noch!)

Bei den Menschen in diesem Knäuel gingen die Emotionen hoch. Es kam zu Handgreiflichkeiten, die aber durch allge meine Appelle, zur Besinnung zu kommen, dann wieder ab ebbten, meist mit dem im Schwäbischen besonders überzeu genden Satz: „Leut, morge müsset mer alle wieder schaffe gange.“ Das war eigentlich die Situation, wie ich sie zu die sem Thema aus meiner Kindheit kannte.

(Heiterkeit der Abg. Sabine Fohler SPD)

Natürlich muss man jetzt ernsthaft werden. Das Bild hat sich dramatisch gewandelt.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Genau! Es gibt keine Ordner mehr!)

Gewalt, verbale und auch nonverbale Agitationen auf Sport plätzen – nicht nur auf Fußballplätzen, aber vor allem dort, weil Fußball ein Massensport ist – haben eine ganz andere Di mension angenommen. Sie sind geplanter geworden, sie sind extremer geworden, sie sind uniformer geworden, sie sind aber auch spontaner und manchmal auch „verkehrter“ gewor den, indem sie sich gegen den eigenen Verein richten, wenn es eine Enttäuschung gibt, die man als so groß empfindet, dass man sie sozusagen ventilieren muss.

Wir erschrecken darüber, und deswegen haben wir auch zu Recht eine Debatte angesetzt. Denn wir wissen wenig über das Innenleben dieser Vorgänge. Deswegen gibt es so etwas wie Fanprojekte, um dieses Innenleben kennenzulernen und auch steuern zu können. Es gibt aber auch eine Fanbetreuung durch die Vereine, insbesondere die großen Bundesligaverei ne, die einfach dazu da ist, nicht unbedingt die Schattenseiten anzugehen, sondern auch in den Fangemeinschaften Sinnvol les anzustiften und den Menschen zu sagen: „Wir haben hier einen Raum im neuen Benz-Center, in dem ihr eure Fahnen ablegen könnt, und wir haben Möglichkeiten für euch, mit den Spielern in Kontakt zu kommen.“ Das ist etwas Gutes, was da passiert. Das, was in unseren Vereinen und Bundesligaverei nen in der Fanbetreuung passiert, ist alltäglich.

Bei den Fanprojekten reden wir vor allem über das, was sich in der letzten Zeit entwickelt hat. Da geht es vor allem um Ge waltverhinderung. Es geht aber auch um Deeskalation. Dees kalation ist wichtig, weil wir wissen, dass wir eine Eskalati on – chauvinistische Sprüche, Aufrufe zur Gewalt und ande res – gesellschaftlich nicht akzeptieren können. Das wollen wir nicht, und deswegen ist es gut, dass wir im Land auch auf Druck aus der SPD diese Fanprojekte jetzt fördern.

Das ist heute eine Zwischenbilanz. Der Herr Innenminister wird uns nachher auch seine Zwischenbilanz vorlegen.

Was wurde getan? Es wurde ein Nationales Konzept Sport und Sicherheit auf Bundesebene eingerichtet. Es wurden Fanpro jekte im Land – in Karlsruhe und in Mannheim – eingerich tet. Es gibt eine Koordinierungsstelle und ein Budget dafür. Das findet unsere Zustimmung, ist gut und sollte im Rahmen der Möglichkeiten, die vorhanden sind, auch so weitergeführt werden. Es gibt örtliche Ausschüsse Sport und Sicherheit. Es gibt eine Kommunikation über das Thema, es gibt Menschen, die sich fachlich austauschen. Das alles ist gut.

Es gab vor ziemlich genau einem Jahr, Herr Innenminister, ei nen Fußballgipfel zum Thema Sicherheit, bei dem sich Ver

treter von Kommunen, Sport, Politik und Polizei getroffen ha ben. Sie, Herr Minister, werden uns sicherlich auch nach ei nem Jahr berichten, was hierzu zu sagen ist.

Was ist zu tun? Ich denke, das ist die interessante Frage, die man heute noch einmal anschneiden kann. Manches sollte man zurechtrücken. Das Erste ist die Begriffsklärung.

(Unruhe – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Pst!)

Es geht in der Tat oft um Gewaltverhinderung. Es geht bei der Zielgruppe aber auch um mehr als die Jugend. Es gibt Men schen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren und sogar darüber hinaus, die Spaß daran haben, wenn es im Sportbereich, im Zusammenhang mit Fußballspielen zu einer Eskalation kommt, wenn es zu Gewalt kommt. Es geht teilweise sogar um etab liertes Publikum. Es gibt z. B. den Bankkaufmann – oder die Bankkauffrau; diese aber vermutlich weniger –, der sagt: „Ich arbeite fünf Tage in der Woche ganz ordentlich, und danach lasse ich einfach einmal die Sau raus.“ Das gibt es auch. Das heißt, die Zielgruppe ist diffuser geworden, auch wenn man sich dabei besonders um die Jugend kümmern muss.

Es geht um eine Problemklärung. Die Problemklärung besagt: Es gibt in unserem Land Menschen, die Illegalität als Spiel ball begreifen und dafür den Sportplatz als Abenteuerwirk lichkeit suchen. Das ist nicht akzeptabel. Es gibt auf der an deren Seite Menschen – in diesem Fall die Polizisten und die Vereinsverantwortlichen –, die eigentlich nur als Folien für diese Aggressivität genutzt werden. Wenn es nicht der Fuß ball als Massensport wäre, dann wäre es in unserer Gesell schaft vielleicht etwas anderes.

Man muss die Frage des Ortes klären. Der Ort – das ist heute noch nicht angesprochen worden – ist in letzter Zeit weniger der Erstligaklub, weil dort die Dinge auch strukturierter be handelt werden. Es ist ein Ventilieren, ein Hinüberschwappen in die dritte und die vierte Liga zu sehen. Wenn ich mit dem Leiter des Polizeireviers in Geislingen spreche, dann sagt er manchmal: Es kann sein, dass ich an diesem Wochenende mit meinen Mannschaften und Frauschaften sozusagen blockiert bin, weil ich in Aalen, in Ulm oder in Reutlingen – um ein mal drei Orte zu nennen – zum Einsatz gefordert bin. Das heißt, es geht also in die niederen Klassen hinein, in die drit te und die vierte Liga. Der DFB verlangt ja, dass auch dort Fanbetreuer eingesetzt werden. Dies passiert auch vor und nach dem Spiel und nicht nur während des Spiels. Das ist das Besondere daran, weil damit auch das Fanprojekt wichtiger wird.

Man kann ferner über die Klärung der Verantwortlichkeiten reden. Die Verantwortung ist natürlich wie immer in der Ge sellschaft zu suchen. Es gibt aber Anhaltspunkte im Verein, z. B. dort, wo Mitternachtsturniere stattfinden – das ist eine lobenswerte Sache, die von uns auch auf kommunaler Ebene unterstützt werden sollte –, dort, wo Schulen gefordert sind, vor allem dort, wo es darum geht, dass Bewegung selbst an geboten wird und man die Bewegung nicht in der Aggressi vität sucht. Es gibt sie natürlich auch in den Institutionen und Vereinen, die sozusagen Supportervereine für Bundesligaver eine sind, in denen sich die Fans zusammenschließen, damit klar ist, dass in diesem Verein die Freude im Vordergrund steht.

Das ist das, was geschieht. Ich bin gespannt, welche Zwi schenbilanz der Innenminister zieht. Wir selbst unterstützen die Aktionen, die bisher vorangekommen sind. Wir wünschen uns, dass noch mehr Vereine im Land davon erfasst werden und dass sich die Kooperation mit den staatlichen Stellen, auch mit der Polizei, verbessert.

Insgesamt ist zu sagen: Prävention steht im Vordergrund. Prä senz dort, wo es zu Gewalt kommen kann, ist wichtig. Kom munikation über das Thema ist genauso wichtig, weil wir se hen müssen, dass dieses gesellschaftliche Phänomen etwas ist, was wir gemeinsam angehen müssen, vor allem dann, wenn es um Gewalt geht.

Wir müssen bei allem aber auch sehen: Es gibt immer einen Pfad, den man gehen sollte, um sich dem Problem zu nähern. Aber der Sport selbst, der Fußball selbst, die großartigste Ne bensache der Welt, darf nicht „Dinge“ als Bremse erfahren. Als Angebot, das den Menschen Freude bereitet – Freude, die wir auch in den kommenden Wochen wieder erleben dürfen –, ist der Fußball mit das Großartigste, was es gibt.

Lieber Walter Heiler, wenn es außer uns beiden Experten beim Thema Fußball unter den Deutschen bald 98 % Experten gibt, dann wird es so sein, dass wir mit dem Fußball etwas haben, was wir nicht verlieren wollen. Dafür sind die Fanprojekte gut, über die heute hier debattiert wird.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD – Abg. Reinhold Gall SPD: Mit Ausnahme des Hinweises auf den Experten Walter Heiler als HSV-Fan war es gut! – Zurufe: Sie sind ein richtiger Allrounder! – Hofelich ist der Libero!)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Neu enhaus.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

(Unruhe – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Pst!)

Wir wollen jetzt nicht noch länger darauf herumreiten, dass Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, die not wendige Zeit gehabt hätten, hier Unterstützung zu geben. Denn seit 1993 hätte die Möglichkeit hierfür bestanden. Da mals ist das Projekt vom Nationalen Konzept für Sport und Sicherheit auf den Weg gebracht worden. Dennoch stellen wir heute fest, dass in der Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion der FDP/DVP eine positive Bewertung der Fanpro jekte seitens der Landesregierung zum Ausdruck gebracht wurde. Das begrüßen wir sehr.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

An dieser Stelle möchte ich sagen, dass ich die Antwort auf die Große Anfrage sehr begrüße. Sie zeigt durchaus, dass sich die Landesregierung und vor allem das zuständige Ministeri um mit dem Inhalt und der Thematik der Fanprojekte ausein andergesetzt haben. Ob allerdings die 180 000 €, die wir in den Haushalt eingestellt haben, ausreichen werden, können wir im Moment noch nicht sagen. Denn jetzt liegt es an den Kommunen, den Ball aufzufangen, den wir ihnen zugespielt

haben, indem sie nämlich die Fördergelder, die zur Verfügung stehen und die auch seitens des Sports bereit liegen, abrufen.

Der VfB freut sich darauf, wenn endlich auch hier im Land Fanprojekte initiiert werden. Die Städte Karlsruhe und Mann heim, die bislang angeführt wurden, sind – das müssen wir klipp und klar sagen – früher dran gewesen als die Landesre gierung. Sie haben erkannt, wie wichtig Fanprojekte für die Präventionsarbeit vor Ort sind, und haben bislang eigene Mit tel – also ohne Landesmittel – zur Verfügung gestellt. Ulm, Freiburg und Stuttgart sind sicherlich die nächsten Protago nisten.

Wir wissen, dass Aktive vor Ort auch in enger Abstimmung mit den Zuständigen für die Fanprojekte, nämlich der Koor dinationsstelle, zusammenarbeiten, um hier die Konzepte für den Gemeinderat vorbereiten, wo es auch noch notwendig ist, das Ganze inhaltlich aufzuarbeiten. Erst dann können über haupt Anträge an die Landesregierung gestellt werden. Das ist eher die formale Ebene, meine lieben Kolleginnen und Kol legen.

Dass in unserem Ländle so erfolgreich gekickt wird, freut uns alle natürlich sehr. Daraus erwächst auch die Verantwortung, für geordnete Rahmenbedingungen zu sorgen, denn auch Ba den-Württemberg ist kein Land der Glückseligen, was die Fanproblematik angeht.

Nach Aussage des Ministeriums gibt es unter den baden-würt tembergischen Fans 1 260 Personen, die als „Problemfans“ kategorisiert sind. Das ist, meine Damen und Herren, keine geringe Zahl, und wir dürfen vor diesem Phänomen nicht die Augen verschließen. In allen anderen Bundesländern, in de nen Fanprojekte seit Jahren und zum Teil Jahrzehnten schon etabliert sind, haben die Polizei, die Vereine und die Ord nungsdienste die Fanprojekte als herausragend gelobt. Sie können sich eine Arbeit ohne diese Fanprojekte überhaupt nicht mehr vorstellen.

Um die Fans kümmern sich kontinuierlich Sozialarbeiter und Fanbetreuer. Geleistet wird, wie schon mehrfach erwähnt wur de, Präventionsarbeit. Es ist auch unstrittig, dass dieser An satz geeignet ist, um jugendlichen Gruppen bei der Bewälti gung ihrer Schwierigkeiten zu helfen und sie von aggressi vem Verhalten abzuhalten.

Mit ihrem Wirken verhindern die Fanprojekte, dass insbeson dere sehr junge Fans in Problemgruppen abgleiten. So kann das positive Potenzial des Fußballs und seiner Anhänger in Fanprojekten viel stärker aufgegriffen werden, als das bisher geschehen ist. Unterstützt und gefördert – das ist der andere Ansatz bei diesen Fanprojekten – werden die positiven Poten ziale der Jugendlichen, die in diesem Rahmen von den Sozi alarbeitern aufgegriffen werden.

Ein ganz wichtiger Punkt bei den Fanprojekten ist, dass sie unabhängig von den Institutionen und den Vereinen sind. Die Fanprojekte arbeiten selbstständig und haben keine wirtschaft lichen Interessen. Ganz wichtig ist dieser Aspekt bei der Zu sammenarbeit mit den Sicherheitsvertretern, und zwar im Zu sammenhang mit der Vorbereitung von Großsportveranstal tungen. Es ist ganz oft so, dass bei den Fans ein Abwehrver halten vorhanden ist und sie sich eher zurückziehen, wenn sie mit der Polizei konfrontiert werden. Die Fanprojekte können

dadurch, dass sie unabhängig sind, die Vermittlerrolle über nehmen, um ihre eigenen Interessen zu kommunizieren und zu wahren, um dann in der ganzen Entwicklung für die Si cherheitsvorbereitung ihre eigene Stellung zu beziehen.

In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Frage ge stellt: „Wieso muss sich die Politik überhaupt um die Fans kümmern? Das können die Vereine doch eigentlich auch selbst machen.“ Um einem Wiederaufflammen dieser kurzsichtig gestellten Frage zuvorzukommen: Die jugendlichen Problem gruppen, die in den Fußballstadien und um die Stadien herum auffällig sind, hat nicht der Sport, also nicht der Fußball, pro duziert. Vielmehr handelt es sich hier um Problemgruppen, die unsere Gesellschaft produziert hat. Wir sind der Ansicht, meine Damen und Herren, dass diese Jugendlichen nicht nur die Vereine, sondern uns alle etwas angehen.