Protokoll der Sitzung vom 10.06.2010

Jeder vierte junge NPD-Kader kommt inzwischen aus BadenWürttemberg. Wir finden in der Freiburger Gegend bomben fähiges Material. Bis heute warten wir auf eine Aussage dar über,

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Sie sind links-links! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie sind ein Schönredner! – Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

wie weit sich hier Tendenzen vom Rechtsextremismus zum Rechtsterrorismus zu verfestigen scheinen. In diesem Punkt ist der Verfassungsschutz etwas ahnungslos.

(Zuruf des Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE)

Vom Minister haben wir bisher in diesem Bereich keine Ant wort bekommen.

(Zurufe von der CDU)

Lassen Sie mich zusammenfassen: Es ist gut, wenn Sie sich mit dem Thema Extremismus befassen. Es ist gut, wenn Sie sich mit dem Linksextremismus befassen. Aber geben Sie die se fatale Gleichsetzung auf. Sie ist nicht zielführend. Sie hilft niemandem. Sie trägt zu einer Trübung der Wahrnehmung bei.

(Beifall bei der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie sind ein Verharmloser! – Abg. Helmut Wal ter Rüeck CDU: Unerträgliche Verharmlosung! – Ge genruf des Abg. Claus Schmiedel SPD: Getroffene Hunde bellen! – Gegenruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Dann sind Sie aber oft getroffen!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Sckerl.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Jetzt kommt ein Feind der linken Szene!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, Kolleginnen und Kolle gen! Es gibt nichts zu beschönigen: Wir haben Herausforde rungen durch extremistische Gewalt von rechts und von links. Das ist überhaupt keine Frage. Die Grünen stellen sich diesen Fakten, aber auch den dahinter stehenden Phänomenen wirk lich schon lange, und zwar im Alltag im Parlament, vor allem aber auch im Alltag in den Kommunen, in denen Auseinan dersetzungen stattfinden.

Weder ist das Phänomen des Rechtsextremismus, noch ist das Phänomen des Linksextremismus gebannt. Beide stellen eine Herausforderung für unsere Demokratie dar. Da gibt es über haupt nichts zu beschönigen.

(Zuruf des Abg. Thomas Blenke CDU)

Wir relativieren auch nichts, Herr Kollege Blenke.

Wenn wir verschiedene Veranstaltungen zum Anlass nehmen, genau hinzuschauen, hat das seine Gründe. Natürlich reden wir in diesem Zusammenhang nicht abfällig über die Polizei, sondern wir reden über Erfolg oder Misserfolg von Deeska lationsstrategien. Darüber werden wir auch in Zukunft noch sehr intensiv und sehr differenziert reden müssen.

Aber wo Gewalt stattfindet, wo Gewalt gegen Personen oder gegen Sachen ausgeübt wird, halten wir dagegen. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Ich denke, dass das ein Grundsatz ist, der uns nicht nur in diesem Haus, sondern darüber hinaus eint. Demokratische Parteien und ihre Mitglieder sind gegen Gewalt als Mittel politischer Auseinandersetzung. Das ist überhaupt gar keine Frage. Dazu steht auch die Fraktion GRÜ NE, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen)

Jetzt gibt es in Baden-Württemberg eine Entwicklung, bei der das eine Mal die rechtsextremistische und das andere Mal die linksextremistische Gewalt im Fokus steht. Laut Verfassungs schutzbericht von 2009 ist das derzeit die linksextremistische Gewalt. Das steht auch im Zusammenhang mit einer entspre chenden Entwicklung auf Bundesebene.

Werfen wir trotzdem, ohne dass ich etwas relativieren will, ei nen differenzierten Blick darauf. Wir glauben nicht, dass sich diese Entwicklung im Jahr 2010 fortsetzen wird. 2009 war ein besonderes Jahr. Es gab den NATO-Gipfel, den unglückseli gen 1. Mai in Ulm und eine Reihe weiterer Veranstaltungen.

Der Verfassungsschutzbericht sagt uns zugleich, dass wir im linksextremistischen Bereich eine Stagnation bei den Mitglie derzahlen haben. Bei den Rechtsextremisten gibt es ebenfalls rückläufige Zahlen, auch wenn die Organisationsmuster un terschiedlich sind. Das ist natürlich kein Anlass, innezuhal ten, sondern es ist Anlass, die Auseinandersetzung fortzuset zen.

Wir halten es für extrem wichtig, die Polizei mehr und mehr aus der Schusslinie zu bekommen. Denn es ist fatal, dass sie mehr und mehr in die Rolle des Prügelknaben der Nation ge raten ist.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Da sind wir uns auch völlig einig. Da müssen bessere Ausrüs tung und mehr Schutz vorhanden sein, da muss man aber als Demokrat auch bereit sein, an der Seite der Polizei zu stehen und zu sagen: So nicht. Es kann nicht sein, dass die Polizei zunehmend zum Prügelknaben in politischen Auseinanderset zungen wird.

(Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Wenn wir uns die – von Baden-Württemberg nicht unterstütz te – Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts über Gewalt gegen Polizeibeamte insgesamt ansehen, dann stellen wir fest, dass das Problem viel weiter gefächert ist. Der Zwi schenbericht lag der Innenministerkonferenz vor wenigen Ta gen schon vor. Gewalt gegen Polizei, Herr Innenminister, ist ein gesellschaftliches Phänomen insgesamt geworden. Wenn die Polizei in Häuser kommt, wenn die Polizei auf Feste kommt, wenn die Polizei auf Streife geht, gibt es immer öfter aggressive Gewaltausbrüche. Da haben wir eine ganz andere Diskussion und ein ganz anderes Maßnahmenbündel vor uns.

Was die politische Gewalt betrifft, kann es keinen Zweifel ge ben: Wir müssen dagegenhalten, wir müssen unsere Polizei schützen. Aber, Herr Kollege Blenke, Demokratie darf in die sem Zusammenhang nicht nur auf der Sicherheitsseite wach sam bleiben, Demokratie muss deutlich mehr tun. Demokra tie muss stärker um Zustimmung werben, gerade bei jungen Menschen. Wenn Sie junge Menschen fragen, die gegenüber dem Linksextremismus offen scheinen – in so genannten An tifa-Gruppen, autonomen Gruppen, Gruppen, die sich kritisch mit den Folgen der Globalisierung beschäftigen –, werden Sie feststellen, dass diese jungen Leute zunächst einmal völlig ed le demokratische und soziale Motive haben. Um solche Leu te müssen wir als Demokraten werben und ihnen Angebote machen.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Was sind edle Motive in diesem Zusammenhang?)

Unsere Demokratie muss nach wie vor mehr Möglichkeiten zum Mitmachen bieten. Da haben wir in Baden-Württemberg Handlungsbedarf. Da ist die Politik stärker gefordert.

In der zweiten Runde können wir uns gern noch darüber un terhalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kluck.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist so gekommen, wie ich es erwartet habe. Die CDU geißelt die Blindheit auf dem linken Auge, die SPD warnt vor der Sehschwäche auf dem rechten Auge, die Grü nen reihen sich in die Antifaschismuseinheitsfront ein.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Das ist ja extre mer Liberalismus! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Und was macht ihr? – Abg. Thomas Blenke CDU: Jetzt kommen die Liberalen!)

Für die Liberalen stelle ich fest, dass Gewalt, egal, woher sie kommt, kein Mittel der politischen Auseinandersetzung ist.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Meine Damen und Herren, für uns sind rechte Schläger, lin ke Randalierer und autonome Brandstifter keine politisch mo tivierten Leute, sondern ganz gewöhnliche Kriminelle, die mit der ganzen Härte des Gesetzes bekämpft werden müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Abg. Walter Heiler SPD: Wer hat etwas anderes ge sagt?)

Die FDP/DVP unterscheidet auch nicht zwischen Gewalt ge gen Menschen und Gewalt gegen Sachen. 48 Gewalttaten von rechts im Jahr 2009 sind 48 zu viel, und 95 Gewalttaten von links sind 95 zu viel. Durch eine Anfrage meines Fraktions kollegen Dr. Hans-Peter Wetzel vom Januar ist die steigende Tendenz deutlich geworden. Die Zahl rechter Straftaten stieg von 1 166 im Jahr 2005 auf 1 268 im letzten Jahr, die Zahl lin ker Straftaten im gleichen Zeitraum von 460 auf 940.

Dieser steigenden Tendenz gilt es Einhalt zu gebieten. Über eine teilweise rückläufige Entwicklung bei Delikten rechter Gewalt können wir uns nicht recht freuen, wenn gleichzeitig die Zahl der Delikte linker Gewalt zunimmt. Wir dürfen der zurückgehenden Anerkennung staatlicher Autorität und dem damit einhergehenden Mangel an Respekt vor Justiz-, Sicher heits- und Ordnungsbehörden nicht tatenlos zusehen. Wich tig ist vor allem, diesem Krawalltourismus ein Ende zu berei ten.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Richtig!)

Dazu brauchen Polizei und Justiz unser aller Unterstützung.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Jawohl!)

Es reicht aber nicht, politisch motivierte Gewalt nur mit Schlag stock und Bestrafung zu bekämpfen; wichtig ist die geistigpolitische Auseinandersetzung mit dem Extremismus. Vor al lem Kinder und Jugendliche müssen gegen rechte wie linke Gewaltparolen immunisiert werden. Hierzu leistet das Lan desamt für Verfassungsschutz wertvolle Beiträge. Wichtig ist auch das von der Landeszentrale für politische Bildung und von der Landesstiftung unterstützte Projekt „Team meX. Mit Zivilcourage gegen Extremismus“, in dessen Beirat ich mit arbeiten darf.

Die FDP lehnt bekanntlich Monopole ab – mit einer Ausnah me: Wir stehen uneingeschränkt zum staatlichen Gewaltmo nopol. Wir wollen eine wehrhafte Demokratie und danken al len, die sie gegen Feinde von rechts wie links verteidigen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger und Abg. Dr. Birgit Arnold FDP/DVP: Sehr gut!)

Das Wort erteile ich Herrn Innen minister Rech.

Herr Präsident, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Ich bin dankbar dafür, dass wir heute

über die Entwicklungen der politisch motivierten Gewalt de battieren. Es ist wirklich so: Wir müssen wachsam sein. Al lerdings müssen die Statistiken hinterfragt und relativiert wer den. Wir müssen lange Zeiträume im Blick haben. Wir müs sen über Entwicklungen und nicht über einzelne Zahlen dis kutieren.

Ich will sagen: Auswüchse wie in Berlin oder Hamburg, wo regelmäßig Autos brennen, haben wir in Baden-Württemberg nicht. Aber es gab dennoch auch in Baden-Württemberg be reits Brandanschläge, zu denen sich militante linksextremis tische Gruppen bekannt haben.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Das FDP-Büro in Heilbronn!)