Es geht aber über den Aufschwung hinaus auch um nachhal tiges Wachstum. Hierbei ist die jüngste gutachterliche Stel lungnahme durchaus hilfreich. Ich wundere mich bloß darü ber, dass Sie, Herr Mappus, heute deutlich weniger Problem bewusstsein gezeigt haben als damals bei der Präsentation des Gutachtens auf der Regierungspressekonferenz.
Sie haben ganz wenig zum Thema Integration gesagt. Sie ha ben das Thema Fachkräftemangel nur gestreift und die Ver einbarkeit von Familie und Beruf beschworen, aber nicht kon kret angepackt. Sie haben erst recht wenig zu den Umset zungsstrategien gesagt, mit denen diese altbekannte Forde rung, Wachstumsbranchen im Land zu fördern, hier umgesetzt werden soll. Wir haben hier im Land kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsdefizit, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Zwei Sachverhalte des McKinsey-Gutachtens möchte ich he rausstellen. Die Erkenntnisse sind nicht neu, aber sie sind zum ersten Mal so präzise formuliert und sind von Ihnen zumin dest auf der Regierungspressekonferenz anerkannt worden.
Erstens: In den letzten beiden Jahrzehnten ist die Wachstums dynamik und damit die wirtschaftliche Dynamik in BadenWürttemberg im Vergleich zu anderen Bundesländern und vor allem zu den europäischen Wachstumsregionen zurückgegan gen. Wenn wir also die gute Position von Baden-Württemberg halten wollen, dann brauchen wir eine Trendumkehr zu einem
Für diese Entfaltung von wirtschaftlicher Dynamik ist der Fachkräftemangel ein zentrales Hemmnis. Wir brauchen des halb eine Strategie zur Weiterqualifizierung von Beschäftig ten. Wir brauchen eine Verbesserung bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine leichtere Anerkennung auslän discher Bildungsabschlüsse. Das Potenzial von Migranten muss besser erschlossen werden, und wir brauchen in der Tat die verstärkte Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften nach Baden-Württemberg.
obwohl wir in Baden-Württemberg in der Bildungspolitik selbst tätig werden können. – Darauf will ich gern eingehen.
Zunächst komme ich aber zu der Frage, wie wir das derzeit schwache wirtschaftliche Wachstum in Baden-Württemberg stärken können. Das Problem ist nicht neu. Die Empfehlun gen aus dem Jahr 2000 – Roland-Berger-Gutachten, Vorberei tung Landesstiftung – haben die gleichen Wachstumsfelder genannt: Automobilität, Gesundheit sowie die Querschnitts technologien, nämlich Umwelttechnologie und Ressourcenef fizienz, und den Bereich der IT-Dienstleistungen. Das sind seit zehn Jahren im Kern die gleichen Handlungsempfehlungen.
Trotz der Landesstiftung ist offensichtlich nicht viel in Pro duktion und Beschäftigung angekommen. Damit sind wir beim ersten Kernproblem einer nachhaltigen Wachstumsstra tegie in Baden-Württemberg: Wir schaffen es zu wenig, gute Forschungsergebnisse wirklich in Produkte umzusetzen.
Wir plädieren dafür, Forschung und Umsetzung dezentral in Unternehmen zusammenzuführen, statt neue zentrale Anlauf stellen zu schaffen. Wir haben mit den sogenannten For schungshäusern für den Mittelstand Vorschläge dafür unter breitet. Es ist überfällig, dass wir im Land nach der Ära der Steinbeis-Transferzentren, die schon lange zurückliegt, die sen Wissenstransfer wieder in die Hand nehmen und dass wir dezentral über den Mittelstand und die Forschungseinrichtun gen neue Produkte für Beschäftigung nutzen können.
Ein zweites Kernproblem ist die nachlassende Dynamik bei den Existenzgründungen im Land, vor allem bei Hightech gründungen. So stellte unlängst das ZEW in Mannheim fest, dass das Land hinsichtlich der Zahl von Gründungen im Be reich der forschungsintensiven Industrie den Spitzenplatz ver
Um den weiteren Rückgang der Zahl an Hightechgrün dungen in Baden-Württemberg... zu stoppen und die ne gativen Entwicklungen der letzten Jahre umzukehren, ist eine Verbesserung und Stärkung des Angebots an Wag nis- und Beteiligungsfinanzierung zusammen mit einem weiteren Ausbau des Unterstützungsangebots dringend geboten.
Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Von Ihnen ha ben wir heute kein Wort dazu gehört. Im Vergleich zu ande ren Bundesländern ist das, was wir mit dieser Wachstumsfi nanzierung machen, einfach nur lächerlich. Wir müssen das endlich tatkräftig angehen.
Wir haben schon Anfang dieses Jahres einen konkreten Vor schlag unterbreitet, nämlich die Einrichtung eines EFRE-Ei genkapitalfonds für Existenzgründungen im Hightechbereich, um diese europäischen Mittel effizient für Existenzgründun gen einzusetzen. Sie haben diesen Vorschlag mit einem kla ren Nein abgelehnt. Seitdem ist nichts mehr geschehen. Scha de um diesen guten Vorschlag.
Aber auch bei der traditionellen Stärke unseres Landes, näm lich bei der Forschung, der anwendungsnahen Forschung, gibt es eine Entwicklung, die mich mit Sorge erfüllt. In BadenWürttemberg gibt es 14 Fraunhofer-Institute. Dies sind ein Viertel aller Fraunhofer-Institute bundesweit. Diese wurden allerdings schon vor Jahren gegründet, und zwar noch in der Ära Späth. Seitdem Fehlanzeige.
Aktuell gibt es drei Beispiele, die belegen, dass sich Fraun hofer-Institute in andere Bundesländer zurückziehen und sich dort stärker engagieren als in Baden-Württemberg. Dies ist erstens das ISE in Freiburg. Dieses geht nun stärker zum Fraunhofer Center for Silicon Photovoltaics in Halle. Dabei geht es um solare Energiesysteme, also um eine wichtige Zu kunftsindustrie.
Ein weiteres Beispiel ist das Zentrum für Polymere, das in Leuna entsteht. Aus dem Bereich des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik geht nun Herr Pro fessor Hirth nach Leuna.
Ich sage Ihnen: Die Entwicklung bei den Fraunhofer-Institu ten ist Ihnen zuzuschreiben, weil Sie trotz der Appelle von Herrn Bullinger zu wenig für die Pflege unserer FraunhoferLandschaft tun. Das ist gefährlich.
Ich komme jetzt zu wichtigen Wachstumsfeldern. Das eine betrifft die Automobilität. Das ist hinlänglich bekannt. Dabei unterstützen wir die Initiativen des Landes, die jetzt in die Gänge gekommen sind. Ich möchte jedoch vor einem warnen, weil Sie einen großen Schwerpunkt auf die E-Mobilität ge legt haben. Die Anhörung des Wirtschaftsausschusses und al le anderen Erkenntnisse dazu haben nämlich gezeigt: Wir soll ten unabhängig von der Antriebsart auf einen geringeren Schadstoffausstoß von Autos hinwirken. Dabei kann die Elek tromobilität eine wichtige Rolle spielen. Wir dürfen aber nicht eine bestimmte Technologie herauspicken. Wir müssen viel mehr auch die Optimierung des klassischen Verbrennungsmo tors vorantreiben, der auch in den nächsten Jahren noch in über 95 % der Fahrzeuge eingesetzt werden wird. Dies müs sen wir neben der Elektromobilität genauso fördern wie an dere Antriebsformen, die emissionsfrei sind.
Dabei appelliere ich an Sie: Wenn die Strategie weiterentwi ckelt wird, muss eine Ausgewogenheit erreicht werden. Vie le Vertreter der Autoindustrie sind in allen Feldern unterwegs. Reden Sie beispielsweise einmal mit Herrn Zetsche darüber. Auch die Aussage des Referenten von Audi hierzu im Wirt schaftsausschuss ist eindeutig: Es sollte nicht allein auf die E-Mobilität, sondern auf eine ausgewogene Entwicklung ge setzt werden. Die Politik sollte dazu klare Rahmenvorgaben machen. Eine Nullemission sollte schrittweise erreicht wer den. Der Weg dorthin ist Sache der Industrie.
Bei der Frage, wie wir Elektrizität optimal nutzen, können wir durchaus mehr Engagement des Landes bei der Fortentwick lung der Modellregionen für E-Mobilität fordern, die durch das Konjunkturpaket angestoßen worden ist, z. B. in Karlsru he. Ich habe selbst das KIT und Herrn Professor Schmeck be sucht. Dort haben wir ein „Smart Home“ gesehen, ein De monstrationslabor, das zeigt, wie wir die Energieerzeugung und den Energieverbrauch sowie die Mobilität eines Elektro autos optimal miteinander verbinden können. Denn es gibt ei ne Ladestation, die Elektrofahrzeuge als Verbraucher und als Speicher einbindet. Damit kann die Batterie des Fahrzeugs in Niedriglastzeiten überschüssigen Strom aufnehmen und in Höchstlastzeiten an das Netz zurückspeisen. Dadurch kann man Lastspitzen ausgleichen, was für die erneuerbaren Ener gien ein ganz wichtiges Thema ist.
Diese Forschung, diese Systemforschung von E-Mobilität, ist ganz wichtig und muss unbedingt auch vom Land unterstützt werden.
Wir haben aber auch zahlreiche Beispiele dafür, dass die Ener giewende und die erneuerbaren Energien gerade in BadenWürttemberg Jobs schaffen. Wenn man nach Blaubeuren schaut und dort die Firma centrotherm ins Auge nimmt, wo Kollege Rivoir und ich neulich waren, dann sieht man: Das ist typisch baden-württembergisch, Maschinenbau für Solar zellenfabriken. Wir sind da in den Bereichen unserer klassi schen Stärke unterwegs, im Maschinen- und Anlagenbau, und profitieren von erneuerbaren Energien. Das – und nicht die Rückkehr zur Atomkraft – ist der richtige Weg.
Wer erneuerbare Energien ernst nimmt, der darf auch den Wirtschaftsminister nicht so gegen die Wand laufen lassen, wie Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, es in den letzten Tagen getan haben.
Wenn endlich doch einmal die Einsicht wächst, dass wir auch in Baden-Württemberg mehr Windkraft brauchen, und sich der arme Herr Pfister da abmüht und die Genehmigungen von Standorten etwas ausweitet, er dann aber von den konserva tiven Kräften hier im Landtag ausgebremst wird, dann ist das ein Trauerspiel für diese Landesregierung.
Herr Mappus, wer für sich Verlässlichkeit in Anspruch nimmt, der sollte gerade bei den langfristigen Investitionszyklen in der Energiewirtschaft diese Verlässlichkeit bewahren und nicht dauernd infrage stellen.