Protokoll der Sitzung vom 28.07.2010

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Regierungsbefragung

Zur Vorbereitung der Regierungsbefragung hat die Landesre gierung folgende drei zentrale Themen der Kabinettssitzung am 27. Juli 2010 mitgeteilt:

1. Neustrukturierung der Studiengänge für die Lehrämter des

gehobenen Dienstes

2. Neugestaltung des Studiengangs Lehramt an Sonderschu

3. Mittelstandsbericht 2010

Die Frau Ministerin für Kultus, Jugend und Sport, Professo rin Dr. Marion Schick, wird zu den beiden erstgenannten The men eine einleitende Erklärung für die Landesregierung ab geben. – Bitte, Frau Ministerin.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Her ren! Wir alle wissen nicht erst seit PISA, dass die optimale Förderung der jungen Menschen in den Schulen entscheidend von den Lehrern und Lehrerinnen, von deren Qualität, von de ren Ausbildung und von deren Engagement abhängt. Entschei dend ist, dass wir die Ausbildung der Lehrer und Lehrerinnen entsprechend den veränderten Entwicklungen und Anforde rungen in den Schulen weiterentwickeln und damit den gro ßen Erfolg unseres Bildungssystems nachhaltig sichern – ei nen Erfolg, der heute schon einmal angesprochen und z. B. in den Ländervergleichsstudien der KMK wiederholt nachge wiesen wurde. Unsere Reformen im Bereich der Lehreraus bildung sind eine logische und konsequente Fortführung der Orientierung an der individuellen Förderung der jungen Men schen in den unterschiedlichen Schultypen.

Heute geht es um die Neuordnung der Lehramtsstudiengänge an den Pädagogischen Hochschulen, das heißt, der Studien gänge für das Lehramt an den Grundschulen, den Hauptschu len, den Werkrealschulen, den Realschulen und den Sonder schulen.

Ein wesentlicher Aspekt hierbei ist, dass wir der veränderten Bedeutung der Bildungsphase in der Grundschule durch die Einrichtung eines eigenen Lehramts für die Grundschule Rechnung tragen. Das früher vorhandene und im Moment noch – auslaufend – praktizierte Verständnis eines gemeinsa men Lehramts für Grund- und Hauptschulen hat sich in den letzten Jahren ein Stück weit überholt. Wir sehen heute, dass die Primarphase sowohl in der frühkindlichen Bildung als auch in der Schule eine ganz eigenständige Bildungsphase ist, die man auch in der Ausbildung entsprechend abbilden muss.

Deshalb gibt es ab dem Wintersemester 2011 in Baden-Würt temberg ein separates Studienfach Lehramt an Grundschulen. Gleichzeitig wird dieser Studiengang auf acht Semester ver längert. Das ist ein ganz wesentlicher Ausweis der Orientie rung an Qualität, aber auch ein Abbild der gestiegenen Anfor derungen an die Grundschullehrer und Grundschullehrerin

nen. Insbesondere die Diagnosefähigkeiten zur individuellen Förderung der jungen Menschen müssen ganz entscheidend weiterentwickelt werden. Darüber hinaus wird es ebenfalls wichtig sein, den Grundschullehrer und die Grundschullehre rin in ihrer Funktion, Brücken zum frühkindlichen Bereich und dann zum weiterführenden Bereich zu bauen, stärker zu positionieren.

Ein weiteres Aufgabenfeld kommt hinzu, und zwar nicht nur, aber auch in der Grundschule. Das ist die Umsetzung von An geboten zur gemeinsamen Bildung von jungen Menschen mit und ohne Behinderung. Auch diesem muss im Lehramt künf tig Rechnung getragen werden. Deshalb werden auch Inhalte hierzu in die Ausbildung für das Grundschullehramt einge hen.

Das Grundschullehramt wird sich in verschiedenen Kompe tenzfeldern im Studium abbilden. Verpflichtend studiert wer den müssen die zwei Kompetenzfelder, die für den Erfolg im weiteren Bildungsverlauf besonders entscheidend sind: Das sind die Fächer Deutsch und Mathematik. Wir bekennen uns mit der Verpflichtung zu diesen beiden Fächern eindeutig zu der klaren Erkenntnis, dass vertiefte Fachkenntnisse in diesen Fächern nicht nur in der Grundschule, sondern auch für den späteren Bildungserfolg entscheidend sein werden.

Die Schaffung eines eigenen Lehramts für Haupt-, Werkreal- und Realschulen zeigt, dass diese Bildungsphase ebenfalls sehr spezifische Herausforderungen hat. Hier steht die Fach lichkeit – orientiert am akademischen Fächerkanon – im Mit telpunkt des Studiums.

Für alle Lehramtsstudiengänge gilt aber, dass der Anteil der erziehungswissenschaftlichen Inhalte deutlich erhöht wird und dass die personale Kompetenz der Studienbewerber bzw. der künftigen Lehrkräfte bereits zu Beginn des Studiums stärker abgefragt und hinterfragt wird. Deswegen ist zu Beginn des Studiums ein verpflichtender Orientierungstest, ein Orientie rungspraktikum vor Beginn des Studiums oder im Verlauf des ersten Semesters zu machen, und das dritte oder vierte Studi ensemester wird zu einem Praxissemester.

Die schulische Praxis hält also wesentlich stärker Einzug und hat noch mehr Einfluss auf die Lehramtsausbildung. Ich den ke, das ist für die Qualität extrem wichtig.

Ein letzter Satz zur neuen Konzeption für das Lehramt im Be reich der Sonderpädagogik: Wir haben hier intensiv über die inklusiven Bildungsangebote diskutiert. Für die Lehrer und Lehrerinnen mit sonderpädagogischer Fachkompetenz bedeu tet diese Konzeption eine Veränderung ihres Berufsbilds. Sie sind künftig nicht vorrangig oder gar ausschließlich Lehrer und Lehrerinnen an Sonderschulen, sondern sie sind als Leh rer und Lehrerinnen mit fachpädagogischer und mit sonder pädagogischer Kompetenz auch stark im Brückenschlag zu den allgemeinen Schulen tätig. Denn wir wollen ja die inklu sive Beschulung ganz stark nach vorn bringen.

Das hat Rückwirkungen auf das Lehramt für die jungen Men schen mit einem späteren Tätigkeitsfeld in der sonderpädago gischen Fachkompetenz. In Zukunft ist das nicht immer die Sonderschule. Wir haben hier also wechselnde Einsatzorte.

Meine Damen und Herren, mit diesen Veränderungen – –

Frau Ministerin, ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen. Sie haben nur fünf Minuten Redezeit.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Obwohl es eine Freu de ist, ihr zuzuhören! – Gegenruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Eine große Freude!)

Herr Präsident, ein letzter Satz. – Mit diesen Verän derungen bereiten wir die Lehramtsstudierenden auf den ver änderten Schulalltag vor und sichern die Perspektiven der jun gen Menschen an unseren Schulen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Hel mut Walter Rüeck CDU: Da kann man halt zuhören!)

Trotz der großen Freu de muss ich auf die Zeit achten, liebe Kolleginnen und Kol legen von der CDU.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Es hat doch nie mand das Präsidium oder den Präsidenten kritisiert!)

Jetzt hat Herr Abg. Zeller für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Ministerin, endlich kann man sagen: Was lange währt, wird endlich wahr. Vieles, was Sie jetzt dargestellt haben, fordern wir schon seit Langem. Dazu gehört vor allem auch, dass es ein achtsemestriges Studium für den Grundschulbereich gibt. Dabei bestand ja die Gefahr, dass hier abgespeckt werden sollte. Das wäre natürlich fatal gewesen. Insofern stimmen wir Ihnen zu: Es ist ein Erfolg – der auch durch das Bohren dicker Bretter erzielt wurde.

Sie haben im Grundschulbereich schwerpunktmäßig die In klusion und die Diagnostik angesprochen. Dabei sind wir al lerdings der Auffassung – ich bitte Sie, dazu noch etwas zu sagen –, dass dies natürlich nicht nur in der Grundschule ei nen wichtigen Stellenwert haben muss, sondern insgesamt auch für alle weiterführenden Schulen gilt. Diagnosefähigkeit und Inklusion hören nicht in der vierten Klasse auf, sondern sind auch danach noch wichtig. Das muss also auch Bestand teil der Lehrerbildung für die weiterführenden Schularten sein.

Ja.

Für uns ist es wichtig, dass die Fachlichkeit in der Grundschule nicht nachlässt, sondern dass auch in der Grundschullehrerausbildung die wissenschaftli che Fachlichkeit ihren Stellenwert behält.

Sie haben noch die Sekundarstufe I beschrieben. Dabei wer den Realschullehramt und Hauptschullehramt zusammenge zogen. Meine Frage ist: Ist das eine Vorwegnahme der Zwei gliedrigkeit? Denn das wäre die logische Konsequenz. Wes halb sollte nicht auch eine Haupt- oder eine Werkrealschule einen Realschulabschluss anbieten?

Die Praxis war für uns schon immer ein wichtiger Bestand teil. Deswegen begrüßen wir den Ausbau des praktischen Teils der Lehrerbildung. Wir haben immer wieder gefordert – ich

verweise auf das Biberacher Modell, das Ihnen sicherlich be kannt ist –, in der Lehrerbildung schon zu Beginn einen stär keren Praxisbezug vorzunehmen. Wenn dies nun verankert wird, kann ich das nur voll und ganz unterstützen.

Nicht nachvollziehbar ist allerdings – hierzu bitte ich Sie noch um Auskunft –, weshalb Sie die gymnasialen Lehramtsstudi engänge ausklammern. Es macht keinen Sinn, wenn Sie das Lehramt für die Sekundarstufe I einführen und das Gymnasi um dabei außen vor lassen. Es wäre sinnvoller, wenn eine Prü fungsordnung kommt, die auch den gymnasialen Bereich um fasst, sodass dann sowohl die Pädagogischen Hochschulen als auch die Universitäten die Lehrerausbildung für den gymna sialen Bereich übernehmen könnten. Damit würde die Sekun darstufe I eine ganz andere Qualität bekommen.

Noch ein kurzes Wort zum Sonderschulbereich. Klar ist: Das Lehramt an Sonderschulen oder das Berufsbild des Sonder schullehrers wird sich verändern, auch in Richtung allgemein bildende Schule. Das ist eine Konsequenz aus der Inklusion. Aber wichtig ist natürlich auch, dass wir weiterhin genügend Sonderschullehrerinnen und Sonderschullehrer ausbilden. Vielleicht können Sie dazu noch etwas sagen. Es darf nicht dazu kommen, dass dieser Bereich vom Finanzminister qua si als willkommenes Einsparpotenzial gesehen wird. Wir le gen großen Wert darauf, dass auch die Qualität beibehalten wird, sodass sowohl grundständig als auch im Aufbaustudi um Sonderpädagogik studiert werden kann.

Bitte, Frau Ministerin.

Herr Präsident, sehr geehrter Herr Abgeordneter! Ich versuche, alle Punkte kurz zu beantworten.

Zum letzten Punkt: Die Ausbildung der Sonderpädagogen wird nicht nachlassen. Sie als Fachmann auf diesem Gebiet, Herr Zeller, wissen selbst sehr gut, dass wir die sonderpäda gogische Fachkompetenz auch außerhalb der Sonderschulen brauchen. Deswegen wird es nicht dazu kommen, dass bei der Ausbildung quantitativ – vor dem Hintergrund, dass es ja In klusion gibt – zurückgefahren wird. Ich darf Sie hier auf je den Fall beruhigen.

Sie sprechen die Fachlichkeit an. Wir haben in Deutschland gerade eine Studie von Jürgen Baumert, die COACTIV-Stu die, vorliegen. Dort wird eines sehr deutlich: In der Fachlich keit des Lehrers bzw. der Lehrerin liegt der spätere Bildungs erfolg begründet. Deswegen kann ich Ihre Ausführungen nur unterstützen. Auch mir geht es wesentlich darum, dass in der Lehrerausbildung die Fachlichkeit – speziell in den beiden Fachbereichen Deutsch und Mathematik, aber auch darüber hinaus – gewahrt bleibt. Deswegen legen wir einen so starken Schwerpunkt auf diese Fächer. Auch hier kann ich nur unter streichen, was Sie gesagt haben.

Sie haben Ausführungen zu den weiterführenden Schulen im Hinblick auf die Umsetzung von mehr inklusiven Bildungs angeboten angemahnt. Auch dies kann ich unterstreichen. Selbstverständlich gilt auch jetzt für die Neuordnung des Lehramts an Haupt-, Werkreal- und Realschulen die Forde rung nach einer Integration von notwendigen Kompetenzen, um später inklusive Bildungsangebote umsetzen zu können. Ich wiederhole hier, was ich gesagt habe: Keine Schule in Ba

den-Württemberg kann sagen, sie habe mit diesem Thema nichts zu tun. Selbstverständlich muss dies auch in die Leh rerbildung integriert werden. Ich habe es hier auf die Grund schule fokussiert. Aber ich unterstreiche Ihre Äußerung, dass dies auch für die weiterführenden Schulen gelten muss. Wir haben dies jetzt bei der Neuordnung berücksichtigt.

Ihre Vermutung, jegliche Handlung der Regierung biete Stoff für eine Schulstrukturdebatte, muss ich ein bisschen entkräf ten. Die Neuordnung der Lehramtsstudiengänge im Bereich der Pädagogischen Hochschulen zielt deshalb auf ein gemein sames Lehramt an Haupt-, Werkreal- und Realschulen, weil wir im Bereich der Hauptschulen und Werkrealschulen nach einem einheitlichen Bildungsplan vorgehen und mit der Werk realschule die mittlere Reife in die Fläche bringen.

Das heißt, auch für die verbliebenen Hauptschulen und die Schüler und Schülerinnen dort müssen die Lehrer und Lehre rinnen so ausgebildet sein, dass sie das Bildungsziel mittlere Reife immer im Blick haben, auch wenn sie selbst die Schü ler nicht bis zur mittleren Reife ausbilden. Das kommt aus der Logik des gemeinsamen Bildungsplans und ist kein Abklatsch einer Schulstrukturdiskussion.

Für die Realschulen ist sowieso klar: Hier haben wir schon immer die mittlere Reife angepeilt. Wir streben hier ein ge meinsames Lehramt an, weil wir gemeinsam die mittlere Rei fe als Bildungsziel anpeilen. Damit ist keine Aussage zur Schulstruktur verbunden. Zu diesem Thema werden wir heu te vielleicht später noch kommen.

Habe ich einen Punkt vergessen, oder war meine Beantwor tung vollständig?

(Abg. Norbert Zeller SPD: Vielleicht können Sie noch auf die Frage eingehen: Weshalb die Gymnasi en nicht?)