Protokoll der Sitzung vom 23.07.2014

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Für die Landesregie rung erteile ich Herrn Verkehrsminister Hermann das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her ren! Die von Bundesminister Dobrindt im Auftrag von Minis

terpräsident Seehofer vorgelegte Pkw-Maut oder Infrastruk turabgabe

(Zurufe von der CDU)

ist und bleibt ein verqueres bürokratisches Konstrukt. Die Idee ist als „Ausländervignette“ in bayerischen Bierzelten entstan den. Was nun vorliegt, ist die Ausländervignette für alle – auch für die Deutschen – und für alle Straßen. Es ist schon eine ver rückte Entwicklung, die diese völlig falsche Idee genommen hat. Mein Kollege Dobrindt muss diese merkwürdige Aufla ge ausbaden, dass eine Vignette eingeführt werden soll, mit der Ausländer belastet und gleichzeitig Pkw-Fahrer aus Deutsch land nicht belastet werden sollen, und dass diese Regelung da bei außerdem europarechtskonform ausgestaltet werden soll.

Dabei kommen solche bürokratischen Monster heraus. Wenn man auf der einen Seite von allen etwas einnimmt und auf der anderen Seite vielen das allermeiste wieder zurückgibt, dann hilft das nicht weiter.

Liebe Frau Razavi, gar nicht weiter hilft es, wenn man so selbstgefällig und selbstgerecht daherredet, wie Sie das ge macht haben.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Zuruf von der CDU: Das sagt der Richtige!)

Die CDU führt jetzt zum dritten Mal in Folge die Bundesre gierung an. Insofern hätten Sie reichlich Zeit gehabt, eine or dentliche Regelung zu erarbeiten und auf den Entscheidungs weg zu bringen. Das haben Sie aber nicht getan. Stattdessen reden Sie nur im Land. Offenbar haben Sie in Berlin keiner lei Einfluss. All das, was hier diskutiert wird, spielt auf Bun desebene offenbar keine Rolle.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Thaddäus Kunzmann CDU)

Ich sage das jetzt an verschiedene Adressen gerichtet: Ich glaube – das ist meine Erfahrung –, die Debatte über eine Nut zerfinanzierung – um es einmal allgemein zu fassen – ist und bleibt eine schwierige Debatte. In jeder Partei gibt es Leute, die nah an der Verkehrspolitik sind und wissen, wie groß die Finanzierungsprobleme sind, und die der Auffassung sind, dass wir auch eine Nutzerfinanzierung brauchen.

Auf der anderen Seite gibt es die Leute, die dem Autofahrer oder dem ADAC nahestehen und die den deutschen Autofah rer nicht belasten wollen. Davon gibt es in der CDU jede Men ge Leute. Schauen Sie sich einmal an, welche Position die Union jenseits von Dobrindt vertritt. Schauen Sie sich einmal die Politik hier im Land an. Das geht doch quer durch die Fraktionen.

Die Frage ist, ob wir den Mut haben, zu sagen, dass wir in Zu kunft auf der einen Seite mehr Haushaltsmittel und auf der an deren Seite zusätzliche, nutzerfinanzierte Einnahmen haben wollen.

(Zuruf der Abg. Nicole Razavi CDU)

Dazu muss man stehen. Dann kann man nicht sagen, dass nie mand dadurch belastet wird. Ich bin dafür, ehrlich zu sagen: Wenn wir eine nachhaltige Verkehrsinfrastrukturfinanzierung wollen, brauchen wir beides, nämlich mehr Haushaltsmittel und mehr Nutzerfinanzierung.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Nicole Razavi CDU: Da stimme ich Ihnen sogar zu!)

Ich will mich außerdem mit der neuen Konstruktion der Aus ländermaut für alle befassen. Einige Punkte sind schon ge nannt worden, die ich deshalb nicht wiederholen möchte. In teressant an der Geschichte ist aber – das ist das Verquere da ran –, dass das eine Maut für die Pkw-Fahrer ist, die auf allen Straßen erhoben wird. Es ist aber nicht der Kleinwagen aus Frankreich, der die Landesstraße oder die Kreisstraße kaputt macht, sondern das ist der Lkw – von woher auch immer.

Dieses Projekt nimmt aber gerade die Lkws aus. Diese müs sen zukünftig weiterhin nur auf der Autobahn bezahlen, aber nicht auf den anderen Straßen. Das ist doch völlig verrückt. Wenn man sich schon für eine Nutzerfinanzierung entschei det, dann müssen doch die bezahlen, die die Infrastruktur ka putt fahren. Das ist doch Sinn und Zweck von Infrastruktur finanzierung.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Im Übrigen gibt es eine weitere Besonderheit. Wie kann es ei gentlich sein, dass der Bund eine Abgabe oder eine Gebühr für die Nutzung von Landes- und Kreisstraßen beschließt? Wie kann der Bund das eigentlich machen? Das sind doch un sere Straßen. Wenn der Bund das beschließt, dann sind das doch unsere Einnahmen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Wie kann der Bund diese Einnahmen bitte schön mit den Ein nahmen aus der Kfz-Steuer verrechnen? An dieser Stelle neh men wir 3 Milliarden € ein, und der Bund will dieses Geld wieder zurückgeben. Dann können wir das Geld auch behal ten. Das wäre doch eine vernünftige Sache.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Das sind nur zwei Aspekte, die deutlich machen, dass dieses Konstrukt nicht nur verquer, sondern auch rechtlich und po litisch unausgegoren ist.

(Glocke des Präsidenten)

Gestatten Sie eine Zwi schenfrage des Herrn Abg. Dr. Rapp?

Bitte schön.

Bitte, Herr Abgeordne ter.

Vielen Dank. – Herr Minister, Sie haben jetzt wortreich erklärt – vielleicht stimme ich sogar in großen Teilen mit Ihnen überein –, was alles nicht geht und was alles aus Ihrer Sicht ein bisschen hinterfragenswert ist.

Sie haben vor geraumer Zeit auch einen Mautvorschlag ge macht und gesagt, die Maut müsse strecken-, verbrauchs-, ta geszeit- und hubraumabhängig sein und letztlich auch noch in der Mischform vorkommen. Ich frage Sie, ob dieses Mo dell dann sinnvoller und weniger bürokratisch wäre.

Ich bedanke mich für Ihre Frage. Sie ist sozusagen die Einleitung für den zweiten Teil meiner Rede.

Kommen wir in der Tat zu der Überlegung: Was macht Sinn? Sinn macht aus meiner Sicht ganz klar eine Regelung, die da zu beiträgt, dass wir Verkehrsströme sinnvoll verändern, len ken, und zwar hin zu einer nachhaltigen Transport- und Mo bilitätspolitik.

Das heißt aber auch, dass wir uns dort, wo Infrastruktur am meisten genutzt und beansprucht wird, um eine Reduzierung bemühen müssen. Deswegen macht die Lkw-Maut Sinn, weil die Lkws die Infrastruktur am stärksten beanspruchen.

Wir brauchen übrigens gerade aus der Lkw-Maut auch Mit tel, um die Verkehrsinfrastruktur insgesamt, also auch Schie ne und Wasserstraße, zu modernisieren – es geht nicht nur um die Straße, sondern auch um die anderen Bereiche. Denn nur so kann es uns gelingen, im Sinne einer nachhaltigen Politik auch eine Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf Schiene und Wasserstraße zustande zu bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Die Hauptkritik der allermeisten an der Ausländervignette ist ja, dass es sich nicht um eine lenkungswirksame Maut han delt. Vielmehr ist ihre Wirkung absolut neutral.

(Zuruf der Abg. Nicole Razavi CDU)

Sie ist ein Instrument, um Einnahmen zu erzielen, aber sie hat keinerlei differenzierende, lenkende Wirkung.

(Zuruf der Abg. Nicole Razavi CDU)

Genau das, Herr Rapp, ist auch in Ihrer Frage intoniert gewe sen: Wenn man eine Abgabe einführt, dann muss diese eine verkehrliche Lenkungswirkung haben, dann muss sie eine ökologische Lenkungswirkung haben. Deswegen haben wir auch in der Bundesverkehrsministerkonferenz beschlossen – übrigens einstimmig –: Wir brauchen erstens eine stärkere Fi nanzierung über den Haushalt und zweitens eine stärkere Nut zerfinanzierung. Aber all das nützt nichts, wenn man nicht zu gleich eine andere, eine an der Nachhaltigkeit orientierte Ver kehrspolitik macht. Das muss man zusammen denken.

Jetzt komme ich auch zu dem Vorschlag: Ich habe mich auf der Verkehrsministerkonferenz sehr dafür eingesetzt, dass wir einen konkreten eigenen Vorschlag machen, wie wir die gro ße Finanzierungslücke von allein 7,2 Milliarden € pro Jahr – bei Erhalt und Sanierung der Verkehrsinfrastruktur – schlie ßen können. Da gibt es eine klare Priorität.

Sie heißt erstens: Wir brauchen einen Sanierungsfonds, 2,8 Milliarden € jährlich aus Haushaltsmitteln zusätzlich, weil in den letzten 20 Jahren genau in diesem Bereich Geld gespart worden ist und wir einen höheren Anteil in die Verkehrsinfra struktur investieren müssen.

Zweitens haben wir gesagt: Wir müssen die Lkw-Maut aus weiten, und zwar erst auf alle autobahnähnlichen Bundesstra ßen, dann auf alle Bundesstraßen, dann auf das nachgelager te Netz und auf kleine Lkws. Über all dies besteht Konsens. Zusammengerechnet macht das gut 4 Milliarden € Einnahmen aus.

Würde dieses System in den nächsten drei, vier Jahren aufge baut, würde es die Finanzierungsprobleme in erheblicher Wei se lindern. Da hätte die Landesverwaltung schon fast Schwie

rigkeiten, dies umzusetzen. Aber dieses System wäre eine Grundlage für eine deutlich bessere Finanzierung der Ver kehrsinfrastruktur.

Jetzt komme ich noch zu der mehrfach angesprochenen PkwMaut. Der Ministerpräsident und ich haben es auch öffentlich gesagt – Sie wissen das –: Wenn schon eine Pkw-Vignette oder eine Pkw-Maut, dann wenigstens eine intelligente – unter Nut zung der neuesten Technologien. Ich muss schon sagen: Heu te mit einem Bäbber aus dem letzten Jahrhundert zu kommen – dieser wäre ohne jeden Lenkungseffekt – ist wirklich hin tergestrig.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Es gibt sehr viel bessere Lösungen.

Ich werde mich in den nächsten Wochen und Monaten auf das konzentrieren, was Konsens ist. Ich sage Ihnen ganz offen: In der Verkehrsministerkonferenz war dieser Vorschlag nicht mehrheitsfähig. Deswegen vertrete ich ihn jetzt auch nicht of fensiv. Denn es ist mir lieber, eine Ausweitung und eine Ver besserung der Lkw-Maut im Konsens hinzubekommen, weil sie ein substanzielles Instrument ist, weil sie eine Lenkungs wirkung hat und weil die Lkws die Infrastruktur am meisten nutzen. Wenn wir dies in den nächsten drei, vier Jahren zu sammen schaffen würden, wären wir wirklich weitergekom men.

Aber jetzt diskutieren wir über eine absurde Vignette. Am En de wird das Ganze wahrscheinlich ausgehen wie das Hornber ger Schießen. Ich hoffe jedenfalls, dass die Vernunft siegt und die Länder, die da ja mitstimmen müssen, diese Vignette mehrheitlich ablehnen. Zu guter Letzt hoffe ich auch, dass die CDU-Fraktion und die SPD-Fraktion im Bundestag aufwa chen und sagen: „Dieses Konstrukt machen wir nicht mit.“