Protokoll der Sitzung vom 24.07.2014

a) Wie ist der aktuelle Stand der Neuordnung der Lehreraus

bildung in Baden-Württemberg?

b) Können angehende Lehrerinnen und Lehrer ihre Berufs

tauglichkeit in besonderem Maß im eigenen konkreten un terrichtlichen und erzieherischen Handeln erkennen?

Danke schön.

Für die Beantwortung der Mündlichen Anfrage der Kollegin Kurtz zum Thema Lehrer ausbildung darf ich für die Landesregierung Herrn Minister Stoch ans Rednerpult bitten.

(Minister Andreas Stoch betritt zügig den Saal. – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sportlich, sportlich!)

Frau Präsidentin, ich schätze Ihre deutliche und gesetzte Ar tikulation und Ihre Redegeschwindigkeit, die mir genügend Zeit eingeräumt hat, um rechtzeitig zum Rednerpult zu gelan gen.

Ich beantworte die Mündliche Anfrage der Frau Kollegin Kurtz wie folgt:

Derzeit gibt es im Bereich der Lehrerausbildung nicht nur ei nen Prozess, sondern mehrere; um genau zu sein, sind es zwei Prozesse, die parallel ablaufen. Ich möchte daher gern beide ansprechen.

Zum einen geht es um den Prozess, der bereits im Sommer 2010 begonnen hat. Wie Sie wissen, ist aufgrund eines Minis terratsbeschlusses vom 27. Juli 2010 die Entscheidung getrof fen worden, das Verbundlehramt Grund- und Hauptschule und damit auch die gemeinsame Ausbildung von Grundschul- und Hauptschullehrern aufzugeben und dafür einerseits ein neues Lehramt für die Grundschule und andererseits ein Lehramt für Haupt-, Werkreal- und Realschule zu schaffen.

Die ersten Absolventen dieser neuen Lehramtsstudiengänge sind zum 1. Februar 2016 zu erwarten. In diesem Zusammen hang ist natürlich über eine entsprechende Anpassung der Vor bereitungsdienste zu entscheiden. Wir werden bis dahin die entsprechenden Entscheidungen treffen und damit auch die staatlichen Seminare für Didaktik und Lehrerbildung für den gehobenen Dienst personell und strukturell entsprechend wei terentwickeln, damit für die Anwärterinnen und Anwärter lehramtsbezogene Vorbereitungsdienste zur Verfügung stehen.

Hinsichtlich der Verteilung der Seminare für den allgemein bildenden Bereich ist dabei – das ist der Grundsatz, den wir befolgen werden – eine flächendeckende Versorgung aller Schulen, insbesondere auch der Gemeinschaftsschulen, mit Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern auch künftig möglich.

Der zweite möglicherweise von Ihnen angesprochene Prozess betrifft die Lehramtsausbildung an Pädagogischen Hochschu len und Universitäten. Sie wissen es: Dieser zweite, jüngere Prozess hat mit der Einsetzung der Expertenkommission zur Weiterentwicklung der Lehrerbildung im April 2012 begon nen. Vor dem Hintergrund aller hierzu angestellten Überle gungen wurde die Kabinettsvorlage „Eckpunkte für die Re form der Lehrerbildung in Baden-Württemberg“ am 3. De zember 2013 vom Ministerrat beschlossen.

Zum Wintersemester 2015/2016 werden alle Lehramtsstudi engänge – das ist eine der wesentlichen Eckpunktentscheidun gen – auf Bachelor- und Masterstudiengänge umgestellt. Die Eigenständigkeit der Lehramtsstudiengänge in Baden-Würt temberg bleibt dabei im Hinblick auf die dort beschlossenen Eckpunkte mit ihren spezifischen Profilen auch bei der Um stellung auf die Bachelor- und Masterstruktur erhalten.

Es wird daher auch künftig eigenständige Lehramtsstudien gänge gemäß den KMK-Lehramtstypen für die Grundschule, für die Sekundarstufe I, für das Gymnasium und für die Son derpädagogik geben. Alle angehenden Lehrkräfte werden da zu künftig Module zu Grundfragen der Inklusion absolvieren. Auch das ist, glaube ich, ein Punkt, in dem wir uns einig sind. Es wird zusätzlich dann auch noch um eine stärkere Koope ration zwischen Pädagogischen Hochschulen, Universitäten und weiteren Hochschulen gehen.

Um die Reform der Lehrerausbildung so zu gestalten, dass die gesetzten Ziele erreicht werden, hat das Kultusministerium in enger Abstimmung und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftsministerium eine umfangreiche Kommis sionsarbeit für die Bachelor- und Masterstudiengänge begon nen. In den Kommissionen, die derzeit unter Hochdruck ar beiten, sind Vertreterinnen und Vertreter der betroffenen Hochschularten, das heißt der Universitäten, der Pädagogi schen Hochschulen, der Musik- bzw. Kunsthochschulen, der Kirchen bzw. der Religionsgemeinschaften, aber auch der staatlichen Seminare und der Schulleitungen zusammen tätig. Um das Ziel der Umstellung der Lehramtsstudiengänge zum Wintersemester 2015/2016 zu erreichen, bereiten die Hoch schulen bereits jetzt parallel die Studien- und Prüfungsord nungen für die neuen Studiengänge und damit auch die kon kreten Details der Kooperationen zwischen den Hochschulen vor.

Zu Ihrer zweiten Frage, der Frage nach der Bezugnahme auf die Berufstauglichkeit im eigenen konkreten unterrichtlichen und erzieherischen Handeln: Auch künftig wird es in den Lehramtsstudiengängen die Schulpraxisphasen geben. Inner halb der Bachelorlehramtsstudiengänge haben Lehramtsstu dierende z. B. im Orientierungspraktikum, das von den Hoch schulen begleitet wird, die Möglichkeit, ihre Berufswahl zu prüfen. Ziel ist es natürlich, dabei eine eigene persönliche Re flexion auch bezüglich einer Eignung für den Lehrerberuf zu erreichen.

Ein weiteres Ziel des Orientierungspraktikums ist die eigene Erprobung und auch eine erste Erfahrung im Umgang mit Kin

dern und Jugendlichen als eine wesentliche Entscheidungs hilfe für die Studienwahl, aber auch für die weiteren Entschei dungen, was die Fortsetzung des Studiums angeht.

Hinsichtlich einer weiter gehenden Berufsorientierung oder auch einer Eignungsabklärung können die Hochschulen dies bezüglich auch weitere Instrumente entwickeln. Wie Sie wis sen, waren wir beispielsweise auch im europäischen Ausland und haben uns angeschaut, wie andere Länder mit der Frage von Eignungstests umgehen oder wie sie auch mit der Frage einer Quasiselbstevaluierung umgehen, bei der junge Men schen, die sich möglicherweise für ein Lehramtsstudium ent scheiden, auch kritisch hinterfragen können, ob sie für dieses Studium geeignet sind.

Im Zusammenhang mit der eigenen Erfahrung ist natürlich das zwölfwöchige Schulpraxissemester an den Universitäten bzw. das integrierte Schulpraxissemester an den Pädagogi schen Hochschulen anzusprechen. Dieses dient der Stärkung des Bezugs der Lehramtsstudiengänge zur Schulpraxis und ist an begleiteten Unterricht und eigene Unterrichtsversuche ge knüpft. Um als Studierende im Schulpraxissemester bzw. im integrierten Semesterpraktikum unterrichten zu können, be darf es dabei schon grundlegender sowohl fachwissenschaft licher als auch fachdidaktischer und pädagogischer Kenntnis se und Fähigkeiten. Diese gilt es eben zunächst im Bachelor studium zu erwerben, bevor die Studierenden dann im Mas terstudium im Rahmen der Schulpraxisphasen an einer Schu le für sich und andere gewinnbringend und zunehmend eigen verantwortlich agieren können.

Es ist geplant, für die inhaltliche Ausgestaltung der Schulpra xisphasen ebenfalls in Kürze eine Kommission einzusetzen. Das heißt, auch insoweit kann ich Ihnen noch keine abschlie ßenden Antworten geben. Aber wir wollen ganz bewusst die sen Anteil der Schulpraxisphasen, das eigene kritische Reflek tieren der Eignung für diesen Beruf, deutlich unterstützen und ausbauen.

Es liegt eine Zusatzfra ge der Frau Abg. Kurtz vor. – Bitte schön.

Herr Minister, wenn ich Sie rich tig verstanden habe, dann halten Sie weiterhin am Orientie rungspraktikum und an dem zwölfwöchigen Praxissemester fest. Jetzt frage ich Sie, ob es richtig ist, dass das Orientie rungspraktikum verlängert werden soll und das Praxissemes ter in die Masterphase, möglicherweise ins neunte Semester, verschoben werden soll.

Sie erinnern sich, dass wir in der letzten Legislaturperiode die ses Praxissemester eingeführt und es ganz bewusst in das der zeitige Grundstudium gelegt haben, um den angehenden Leh rerinnen und Lehrern frühzeitig die Möglichkeit zu geben, in der Praxis zu testen, ob sie wirklich an dem Beruf festhalten wollen. Sie wissen auch, dass die Wissenschaftler uns sagen, Praxiserfahrung sei nur so gut, wie sie begleitet wird.

Insofern frage ich Sie, ob Sie als Kultusminister es für sinn voll erachten, wenn dieses Praxissemester so weit nach hin ten geschoben wird – möglicherweise ins neunte Semester bei einem zehnsemestrigen Studiengang –, und ob Sie möglicher weise eine Ausweitung eines Orientierungspraktikums, das ja

keine eigene Praxiserfahrung, sondern nur eine Beobachtung von Praxis ermöglicht, für einen adäquaten Ausgleich halten.

Frau Kollegin Kurtz, wie ich bereits gesagt habe, sind noch keine abschließenden Entscheidungen gefallen. Aber wir müs sen natürlich unterscheiden zwischen dem, was Sie „Orien tierungspraktikum“ genannt haben, welches eine kritische Ei geneinschätzung ermöglichen soll, und dem Praxissemester, in dem natürlich schon Gelerntes angewandt werden soll.

Ich gehe davon aus, dass wir letztlich beides brauchen wer den. Wie und mit welcher konkreten Länge wir das an wel cher Stelle in den Studiengängen konkret verorten, wird noch zu entscheiden sein. Deswegen habe ich auch davon gespro chen, dass wir hierzu auch eine Kommission einsetzen wer den.

Wir wollen bewusst erreichen, dass das, was in anderen Län dern offensichtlich bereits mit Erfolg praktiziert wird – ich ha be deswegen auch von der Mitentscheidung durch die Hoch schulen gesprochen –, geprüft wird. Wir wollen erreichen, dass sich junge Menschen für das Lehramtsstudium entschei den – und zwar aufgrund eigener kritischer Überprüfung –, die diesen Beruf auch wirklich aus fachaffinen Gründen er greifen wollen und nicht aus fachfremden Erwägungen in Be tracht ziehen. Wir wollen natürlich auch – das betrifft das The ma Praxissemester – eine konkrete Anwendung erlernten Wis sens in der Unterrichtspraxis schon während des Studiums. Das heißt, wir brauchen voraussichtlich beides.

Über die konkrete Verortung und die konkrete Dauer kann ich, wie gesagt, noch keine abschließenden Aussagen machen. Aber ich teile Ihr Anliegen, dass wir bereits auch in dieser frü hen Phase eine realistische Selbsteinschätzung brauchen.

Es liegt eine Zusatzfra ge des Herrn Abg. Dr. Bullinger vor. – Bitte.

Herr Minister, Sie und die Wissenschaftsministerin waren ja im letzten Jahr ge meinsam mit einer kleinen Delegation in Finnland und in der Schweiz, um sich darüber zu informieren, wie man dort mit diesen Themen umgeht. Ich war vor allem von der Praxisnä he und auch von der Auswahl dort beeindruckt.

Meine Frage lautet: Halten Sie es nicht für sinnvoll, so wie in Finnland zu verfahren und bei der Auswahl nicht nur die Bes ten zu gewinnen, sondern auch schon abzuprüfen, ob die nö tige Eignung vorhanden ist, um den Studierenden Enttäu schungen im dritten, fünften, sechsten Semester – manchem wird erst dann richtig bewusst, dass man es als Lehrer mit Kindern zu tun hat – zu ersparen?

Zweitens: Ich hatte vor zwei, drei Jahren schon einmal die Frage nach der dualen Ausbildung gestellt. Bei uns gibt es das tolle Erfolgsmodell der Dualen Hochschule mit einem Praxis anteil von rund 40 % und einem theoretischen Anteil von rund 60 %. Halten Sie nicht eine Anlehnung der Lehrerausbildung in diesem acht- bis zwölfsemestrigen Studium in der Art, dass man schon von Anfang an einen viel stärkeren Praxisbezug herstellt, für angebracht, wenn man jetzt schon eine Neuaus richtung der Lehrerausbildung vornimmt?

Herr Kollege Bullinger, zu Ihrer ersten Frage: Sie sprechen die Situation in Finnland an. Dort gibt es eine andere Traditi on der Lehrkräfteausbildung. Dort gibt es auch, was die Nach frage angeht, eine besondere Situation.

Wie Sie sich erinnern können, haben die Lehrkräfte an den dortigen Lehrerbildungseinrichtungen – wir waren ja in Jyvä skylä – davon gesprochen, dass von 100 Bewerbern etwa sie ben bis acht genommen werden.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Die besten!)

Das heißt, nur ein relativ kleiner Teil wird tatsächlich ins Stu dium aufgenommen.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Dieser Teil hat dann auch eine relativ hohe Gewissheit, im staatlichen Schulsystem unterzukommen.

In Deutschland stellt sich natürlich immer die Frage nach dem Zugang zu Studiengängen an Universitäten oder an Pädago gischen Hochschulen. Das hat letztlich also mit dem Vorhan densein von Zugangsbeschränkungen bei den Pädagogischen Hochschulen und den Universitäten zu tun.

Ich glaube, der Anspruch ist zu Recht formuliert. Es stellt sich nur die Frage nach einem Gelingen der Umsetzung: Wie kön nen wir es schaffen, dass tatsächlich die Richtigen ausgewählt werden? Wenn Sie sich an die Schilderungen der Studenten in Jyväskylä erinnern, wissen Sie, dass dort nicht wirklich ein wochen- oder monatelanges Traineeprogramm ablief. Es ging darum, ob sich Jugendliche mit einem vorgegebenen pädago gischen Text auseinandersetzen können und sie damit auch schon zeigen, dass sie sich für die Materie entscheiden. Dass das ein Test oder eine Ausleseschwelle ist, die Qualität von Nichtqualität zu unterscheiden vermag, möchte ich bezwei feln.

Aber ich habe zumindest den Eindruck gewonnen, dass Art und Struktur der Ausbildung in Jyväskylä dazu geführt haben, dass die jungen Menschen dort sehr früh wussten, was der Be ruf eines Lehrers mit sich bringt.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Sie erinnern sich: Dort besteht z. B. die Situation, dass auf dem Campus der jeweiligen Lehrerbildungsanstalt auch regu läre Schulen angesiedelt sind. Das heißt – ich sage es jetzt ein fach einmal so, ohne den Kindern dort unrecht tun zu wol len –: Die Lehrer arbeiten vom ersten Tag an quasi unter La borbedingungen und erproben ihr erlerntes Wissen. Sie erar beiten häufig in Gruppen Lösungen. Die Studenten tauschen sich gut untereinander aus und werden in Praxisphasen immer angeleitet; das ist das, was Frau Kollegin Kurtz vorhin ange sprochen hat. Das ist offensichtlich von großem Erfolg ge prägt.

Zu der Frage nach der Dualen Hochschule. Ich gebe Ihnen vollkommen recht: die Duale Hochschule bildet für manche Ausbildungsgänge ein hervorragendes Modell, in dem sehr praxisnah ausgebildet wird. Wir hätten hier aber, was die Übertragung angeht, große Schwierigkeiten, weil da die ECTS-Punkte im Weg stehen. Das heißt, dann gäbe es eine

Diskussion über die Inhalte und die Qualität der Lehreraus bildung. Sie wissen, dass wir die Dauer des Studiums für das Sekundarlehramt von acht auf zehn Semester erhöhen. Daran können Sie erkennen: Bei einem dualen Hochschulausbil dungsgang mit sechs Semestern gäbe es zu wenige theoreti sche Phasen, um die entsprechenden ECTS-Punkte zu errei chen.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)