Die schlechte Nachricht ist, dass die Bundeskanzlerin durch ihr Taktieren in der Frage der Präsidentschaft von Herrn Jun cker das Amt des Kommissionspräsidenten, aber auch das Eu ropäische Parlament geschwächt hat. Was machte sie? Sie hat Herrn Juncker bis zum Schluss zappeln lassen, ob sie ihn bei seiner Kandidatur zur Präsidentschaft unterstützt oder nicht, und das, obwohl klar war, dass die Fraktion, die im Europäi schen Parlament die stärkste Fraktion bildet, den zukünftigen Kommissionspräsidenten stellen soll.
(Abg. Karl Zimmermann CDU: War das so klar? – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Warum habt ihr ihn dann nicht gewählt, wenn ihr so begeistert von ihm seid?)
Wenn der Parteifreund von Frau Merkel nicht unterstützt wor den wäre, wäre das auch ein Vertrauensverlust für das Euro päische Parlament gewesen. Sie hat vor allem deswegen so gehandelt, um ihre eigene Position in Europa weiterhin zu stärken und um in der Kommission einen möglichst schwa
Durch die Lissabon-Verträge konnte Europa zum ersten Mal einen Spitzenkandidaten mit einem Gesicht verbinden, und auf dieses Gesicht haben sich die Menschen dann auch einge lassen. Diesen Kandidaten wollten sie dann auch an der Spit ze der Kommission sehen. Herr Juncker hat in seiner Vorstel lungsrede durchaus bemerkenswerte Punkte angesprochen, die auch hier in Baden-Württemberg unsere Unterstützung fin den können. Er hat sich nämlich beispielsweise für mehr Transparenz bei dem Freihandelsabkommen TTIP eingesetzt. Er will ein verbindliches Lobbyregister für die europäischen Institutionen schaffen, er bekennt sich zur Schaffung von le galen Einreisemöglichkeiten nach Europa, und er wendet sich außerdem – das wird Frau Merkel eben nicht so gefallen – ge gen eine dogmatische Austeritätspolitik.
Das sind neue Signale, die aus Europa kommen: dass es hier nach Lissabon auch einen Demokratiefortschritt gibt und dass in Zukunft Europa für mehr Solidarität steht.
Der Europabericht der Landesregierung legt auch ein gutes Zeugnis für die Landesregierung selbst ab. So hat der Minister präsident innerhalb eines Jahres den Vorstoß aus dem Europa ausschuss umgesetzt, ein Fachkräfteabkommen mit Kataloni en zu unterzeichnen. Vor einigen Wochen ist dies geschehen. Unser Dank gilt dem Ministerpräsidenten und dem Europami nister für dieses Zeichen der europäischen Solidarität.
Auch die Kommunen, die Städte und Gemeinden, und die Kammern sind aktiv und zeigen sich bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit solidarisch. Beim jüngsten Besuch des Arbeitskreises Europa der grünen Landtagsfraktion in Wies loch haben wir Portugiesen aus der Partnerstadt Amarante kennengelernt. Diese Gruppe umfasst 27 Menschen – alle un ter 35 –, die im Rahmen des MobiPro-Programms der Agen tur für Arbeit in Wiesloch und Umgebung in Unternehmen un tergekommen sind, um dort eine Ausbildung zu machen. Wir hatten im Gespräch mit den jungen Leuten und mit der Kom mune wirklich den Eindruck, dass es auf diesem Feld nur Ge winner gibt. Wir sollten diese Städtepartnerschaften noch viel mehr nutzen, um bestehende Strukturen und Netzwerke dafür einzusetzen, Menschen aus den südlichen europäischen Län dern eine Chance zu geben.
Leider ist das Programm MobiPro seit dem 8. April auf Eis gelegt, weil die Bundesregierung für dieses Projekt viel zu wenig Geld zur Verfügung gestellt hat. Das hat jetzt zu einem erheblichen Vertrauensverlust in den südlichen Ländern, aber auch bei den Unternehmen hier in Baden-Württemberg ge führt. So, meine Damen und Herren, kann man keine Politik machen. Es geht nicht an, mitten im Jahr ein Programm plötz lich völlig auf Eis zu legen.
Die Menschen dort, aber auch die Unternehmen hier brauchen Planungssicherheit, sie müssen der Politik vertrauen können. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, die Mittel für dieses MobiPro-Programm sofort aufzustocken, damit wir hier
eine Win-win-Situation auf dem europäischen Fachkräfte markt schaffen bzw. diese weiter fortsetzen können. Denn es gibt hier durchweg positive Beispiele, wie ich sie auch aus meinem Landkreis Lörrach kenne.
Letztlich gilt doch: Wenn dieser Fachkräftemangel nicht be seitigt wird, wird der Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg geschädigt. Meine Damen und Herren, dies darf auf keinen Fall passieren. Wir müssen schauen, dass hier bei uns genü gend Fachkräfte ankommen oder ausgebildet werden. Dafür sind wir unseren Freundinnen und Freunden im solidarischen Europa, auch in den südlichen Ländern, dankbar.
Frau Präsidentin, ver ehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Europabericht – er ist Ihnen allen zugegangen – ist mit knapp 30 Seiten sehr umfas send. Ich denke, angesichts einer solch spannenden Zeit, wie wir sie in der Phase der Wahlen zum Europäischen Parlament erlebt haben, ist es gut, wenn wir einen solchen Bericht vier teljährlich erhalten.
Es braucht weiterhin Reformbereitschaft zum Struktur wandel, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu stärken.
Das hat der designierte und wieder zu nominierende und zu berufende EU-Kommissar Deutschlands, Günther Oettinger, gesagt. Wir wollen ihm an dieser Stelle gratulieren, dass er von der Bundesregierung auch für die kommende Periode als Kommissar vorgeschlagen werden soll. Ich glaube, das ist gut für Europa, gut für Deutschland und damit auch gut für Ba den-Württemberg.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Kommissar wofür?)
Vorab ein paar Sätze zu meinem Vorredner. Wenn Sie meinen, dass es schlecht sei, dass Frau Merkel taktiert hat, will ich zu nächst sagen: Ich glaube, es war wichtig, dass die Bundesre gierung und die Bundeskanzlerin die Bedenken Großbritan niens ernst genommen haben. Denn wir wollen, dass Groß britannien – ebenso wie Ungarn – in der EU bleibt. Insoweit hat sie sich klar und deutlich – allerdings nach vielen Gesprä chen – für die Berufung Junckers als Präsidenten ausgespro chen. Das war richtig und verantwortlich. Frau Merkel ist der zeit die Regierungschefin in Europa, die das höchste Ansehen genießt – nicht nur in Deutschland, sondern in Europa. Sie macht auch in Bezug auf die Austerität eine verantwortungs volle Politik.
Lieber Kollege, wenn ich Ihre Ausführungen richtig überset ze, wollen Sie, dass man in Europa noch mehr Schulden macht. Das kann nicht die Lösung sein.
Diese Woche haben wir die entsprechenden Zahlen erhalten. In der „Börsen-Zeitung“ war gestern zu lesen: „Schuldenor gie ohne Ende“. Mittlerweile hat Europa in den Eurozonen ländern eine Gesamtverschuldung von 94 %. Wie wir wissen, lag diese zur Zeit des Maastricht-Vertrags bei 60 %. Deutsch land belegt aktuell einen Mittelplatz mit 77 %. Wir müssen daher Schulden abbauen und Wachstum über die Angebots seite bekommen. Denn Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit sind die zentralen Aufgaben für Europa. Das schaffen wir nicht mit mehr Schulden, sondern mit Solidität.
(Beifall bei der CDU – Abg. Willi Stächele CDU: Sehr gut! – Zurufe der Abg. Daniel Andreas Lede Abal und Alexander Salomon GRÜNE)
Wie gesagt: Juncker wurde mittlerweile zum neuen Kommis sionspräsidenten gewählt. Natürlich ist die EVP-Fraktion die stärkste Fraktion geworden. Sie hat ihn auch unterstützt, aber die Regierungschefs durften ihn vorschlagen. Wir haben diese Woche gehört, dass 82 % aller Wirtschaftsführer in Deutsch land es für gut und richtig halten, dass Juncker ausgewählt worden ist. Ich glaube, damit können wir auch sehr gut leben.
Meine Damen und Herren, Sie fragen, welches Ressort Oet tinger bekommen wird. Das wird Juncker in Absprache mit den Nationen und den Kommissaren zu bestimmen haben.
Herr Kollege, von den 28 Kommissaren werden nur noch sieben ein zweites Mal dabei sein. Deshalb sind wir hier sehr zuversichtlich, dass er, nachdem Barroso ihn am 1. Juli zu ei nem der Vizepräsidenten ernannt hat, eine verantwortungs volle Aufgabe übertragen bekommt.
In diesem Europabericht wurden auch die Europawahlen be leuchtet. Deutschland verzeichnet, denke ich, einen erfreuli chen Zuwachs bei der Wahlbeteiligung. Baden-Württemberg hatte eine Wahlbeteiligung von 52 % und liegt damit 9 % über dem europaweiten Durchschnitt. Das ist ein sehr gutes Ergeb nis. Ich darf hinzufügen: Sigmaringen und der Main-TauberKreis – Wahlkreise im ländlichen Raum – haben mit etwa 58 % die höchste Wahlbeteiligung im Land. Es ist sicherlich gut und sinnvoll gewesen, dass man die Kommunal- und die Europawahlen verbunden hat. Wir sehen, wie es in Bayern ge laufen ist, wo das nicht der Fall war.
Es wird darum gehen, in den kommenden Jahren verlorenes Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der EU zurückzugewin nen. Wir haben in der EVP-Fraktion mit Manfred Weber auch einen deutschen Fraktionsvorsitzenden. Übrigens hat er zu Recht mit der Fraktion betont, dass die Aufgaben in den kom menden fünf Jahren mehr Wachstum und Wettbewerbsfähig keit, weniger Schulden, Respekt für die Kompetenzen der Na tionalstaaten und auch der nationalen Parlamente sowie ein starkes Europa in der Welt sein werden. Wir wollen, dass Eu ropa seinen Job macht und liefert. Das heißt, Europa muss sich auf seine Kernkompetenzen besinnen. Das halte ich für den richtigen und guten Weg.
In diesem Zusammenhang begrüßen wir natürlich alle vertie fenden Abkommen – auch mit Katalonien –, die „Vier Moto ren“, die makroregionalen Strategien wie die Donauraumstra tegie und neuerdings die Strategie für den Alpenraum. Das
unterstützen wir. Das finden wir in Ordnung. Ebenso finden wir positiv, was gegen den Fachkräftemangel getan wird.
Wir begrüßen auch die Ankündigung von Kommissionspräsi dent Juncker, das Thema Mittelstand zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit machen zu wollen und Bürokratieentlastung an zugehen. Damit hatten wir uns in Anhörungen selbst schon befasst. Auch Edmund Stoiber hat hier gute Arbeit geliefert.
Ja, natürlich. Er war der Vorsitzende dieser High Level Group. Insoweit ist Bürokratieabbau eine Daueraufgabe.
Das ist eine Aufforderung. Daran sollten wir uns beteiligen. Auch die Landesregierung sollte prüfen, wo man Verwaltungs vorschriften abbauen kann.
Die Vollendung des Binnenmarkts, digitale Wirtschaft, auch Energiepolitik sind weitere wichtige Aufgaben in diesem Zu sammenhang, vor die man sich gestellt sieht. Gerade bei der Energiepolitik ist es wichtig, zu wissen, dass der Vorschlag von Gabriel bezüglich der Novellierung des EEG zum 1. Au gust akzeptiert worden ist. Das heißt, die Novelle ist europa rechtskonform. Almunia hat diese jetzt auch durchgewinkt.
Weniger Energieverbrauch ist eines der Ziele. Man will den Energieverbrauch um 30 % reduzieren. Das ist der Vorschlag des Energiekommissars. Das Strategiepapier ist auch befür wortet worden.
Litauen wird für den Eurobeitritt grünes Licht bekommen. Dann gehören 19 von 28 Staaten dem Euroklub an.
Der Kollege hat im Bericht zu Recht das Freihandelsabkom men der EU mit den USA angesprochen. Ich halte dieses für wichtig, richtig und wesentlich. Es wird viel darüber gestrit ten. Ich glaube, wir müssen die Chancen in den Vordergrund stellen. Schon heute sind die USA und die EU die wichtigs ten Handelspartner. Sie erwirtschaften fast die Hälfte der welt weiten Wirtschaftsleistung. Die Chancen überwiegen hier. Man erwartet eine Erhöhung des Austauschs um 100 Milliar den €. Damit sind auch Vorteile für Jobs – es werden 1,3 Mil lionen zusätzliche Jobs prognostiziert –, weniger Zölle, we niger Handelsschranken und ein Abbau von Handelshemm nissen insgesamt verbunden. Maschinenbau und Automobil bau werden profitieren. Das ist gut für Deutschland,
aber vor allem auch für Baden-Württemberg. Das sollten wir für Baden-Württemberg als Exportland in diesem Zusammen hang immer sehen, gerade auch im Hinblick auf die mittel ständische Wirtschaft in Baden-Württemberg. Natürlich ge hört auch Investorenschutz etc. dazu.
In dem Bericht wird auch Albanien, der Westbalkan insgesamt hinsichtlich der Erweiterung der EU angesprochen. Dem ge samten Balkan werden Beitrittsperspektiven eröffnet. Ich glaube allerdings, dass Vertiefung teilweise vor Erweiterung gehen muss. Vor allem muss die Beitrittsfähigkeit auch mit sich bringen, dass die Kriterien erfüllt werden.
Heute Morgen haben wir über das Thema Asyl gesprochen. Eines geht nicht, auch nicht vonseiten der Regierung, näm lich dass man sagt: „Wir stimmen im Bundesrat bezüglich der Asylfrage nicht zu, dass Serbien, Mazedonien, Bosnien-Her zegowina sichere Herkunftsländer sind, und gleichzeitig wol len wir aber den Ländern des Westbalkans die Perspektive er öffnen, Mitglied der EU zu werden.“ Ich bin der Meinung, man muss die Beitrittsperspektive eröffnen. Man muss im Bundesrat aber auch zustimmen, dass eine Einstufung als si cherer Herkunftsstaat keine Blockade beim Asyl darstellen darf.