Protokoll der Sitzung vom 16.10.2014

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, liebe Frau Ministerin, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Sozialminis terium!

(Abg. Andreas Deuschle CDU: Liebe Tiere!)

Nachdem ich am 1. Oktober das 30-Jahr-Jubiläum meiner Tä tigkeit in der Psychiatrie hatte,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Herzlichen Glück wunsch! – Zuruf von der CDU: Das passt!)

möchte ich das, was wir heute präsentieren, erst einmal ganz persönlich mit den Worten zusammenfassen: Dass ich das noch erleben darf –

(Vereinzelt Heiterkeit)

25 Jahre nachdem die sozialpsychiatrischen Dienste regelhaft eingeführt wurden und 25 Jahre nachdem Baden-Württem berg in der Folge des Bundesmodellprogramms Psychiatrie, an dem sich das Land damals leider nicht beteiligt hatte, ei nen wenig ambitionierten Sonderweg eingeschlagen hatte. Da bei begrüße ich einen der Pioniere des Modellprogramms, Herrn Obert vom Caritasverband Stuttgart, der seit 30 Jahren beim CVS wirkt und der auch jetzt ein ganz wichtiger Helfer bei der Formulierung des Gesetzentwurfs gewesen ist. Es ist einfach toll, dass sein Engagement jetzt schon 30 Jahre Früch te trägt.

Was haben wir geschafft? Lieber Stefan Teufel, natürlich hast du recht. Die Schnittstelle zur Jugendhilfe, die ein eigenes Rechtssystem hat, müssen wir aufbauen.

Aber es gibt bereits Landkreise, in denen wir fest definiert nach dem Vorbild der Gemeindepsychiatrischen Verbünde ju gendpsychiatrische Verbünde konstruieren können, die feste Kooperationsaufgaben wahrnehmen und nach demselben Mus ter arbeiten. Es besteht sozusagen eine Ansteckungsgefahr im positiven Sinn.

Das im Entwurf vorliegende Gesetz lebt von drei Grundsät zen: der Unantastbarkeit der Menschenwürde, der Schutz- und Autonomiefunktion des Staates für seine Bürgerinnen und Bürger, der Notwendigkeit, sie ernst zu nehmen, wenn sie krank sind.

Der Psychiater Bleuler hat Ende des 19. Jahrhunderts ganz treffend festgestellt: Psychische Erkrankungen und Psycho sen sind Störungen des Denken, Fühlens und Handelns. Alle drei wichtigen Eigenschaften, über die wir verfügen, wenn wir selbstständig, autonom, teilhabeorientiert leben wollen, sind beeinträchtigt.

Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass diese Formen von Beeinträchtigung nicht dazu führen, dass Menschen, die er krankt sind, die seelisch behindert sind, ausgeschlossen wer den. Deswegen haben wir dieses Gesetz auf den Weg gebracht.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wir haben dieses Gesetz auch deshalb auf den Weg gebracht, weil wir die Menschen ermutigen wollen, sich dazu zu beken nen, wenn sie eine Störung haben, wenn es ihnen nicht gut geht. Wenn wir davon ausgehen, dass jeder Dritte einmal in seinem Leben behandlungswürdig erkrankt, dann können wir uns ausrechnen, dass wir nicht über eine Randgruppe, eine Minderheit reden, sondern dass uns das ganz zentral betrifft.

In dem Gesetzentwurf sind die Schutzfunktion, die Teilhabe funktion, die Hilfsangebote – der Staat, der zu organisieren hilft, aber nichts vorschreibt – prominent formuliert. Zusätz lich sind Regelungen zum Maßregelvollzug enthalten, wo nach psychisch kranke Straftäter nicht darauf zurückzubuch stabieren sind, dass sie eine Straftat begangen haben – sie ha ben eine Straftat begangen, weil sie krank sind –, sondern in besonderer Weise zu fördern sind und einen Rehabilitations

anspruch haben. Es ist in ganz Deutschland einzigartig, dass wir das so ins Gesetz geschrieben haben.

Die Ministerin hat richtigerweise angemerkt, dass die Verweil dauern bei uns heute schon am kürzesten sind. Im Maßregel vollzug haben wir aber natürlich eine Zukunftsaufgabe. Wir werden – das wird auch in der Debatte mit unseren Finanzpo litikern für das nächste Jahr eine ganz wichtige Aufgabe – für dieses System des modernen Maßregelvollzugs mehr Geld be nötigen. Da machen wir uns alle keine Illusionen. Es ist eine große Aufgabe, und wir werden uns auch daranmachen.

Lassen Sie mich noch eine Schlussbotschaft geben: Als wir das Gemeindepsychiatrische Zentrum Friedrichshafen quasi modellhaft – als Vorgängerstruktur zu dem, was wir heute im Gesetz festschreiben – aufgebaut hatten, kamen relativ viele Besuchergruppen aus ganz Deutschland. Am meisten beein druckt waren die Menschen davon, dass direkt am Eingang der Stadt in großen Lettern „Gemeindepsychiatrisches Zent rum“ stand – und nicht irgendwo in einem Hinterhof, wohin jemand schleicht und sagt: „Sorry, ich habe was und brauche Hilfe.“

Wir, die Gesellschaft, müssen lernen, damit umzugehen, dass Krankheit, Behinderung, Störung und Beeinträchtigung ein fester Bestandteil unseres Lebens sind.

Gestern haben wir über das Thema Industrie 4.0 debattiert. Der Psychiater in mir bekommt Schüttelfrost vor dem Hinter grund, dass der größte aller Störfaktoren die Reizüberflutung ist. Wir müssen also in dieser Debatte z. B wieder sorgsam ei nen emanzipierten Umgang mit so etwas lernen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Wir haben hier einen exemplarischen Gesetzentwurf vorge legt. Auch die Nichtfachpolitiker sollten sich diesen in einer ruhigen Minute anschauen. Es ist eine Handreichung, wie man gut durchs Leben kommt.

Ich bin stolz darauf, dass wir das beste und ambitionierteste Psychiatriegesetz in ganz Europa verabschieden werden.

Danke sehr.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Wahl das Wort.

Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Nicht erst durch den Fall Gustl Mollath ist uns wieder ins Bewusstsein gerufen worden, welche Emotionen, welche Ängste und teilweise auch welche Stigmatisierung auch in der Psychiatrie heute noch herrschen, vor allem wel chen Ängsten wir in der Bevölkerung begegnen.

Deswegen sehe ich das jetzt im Entwurf vorliegende Psy chisch-Kranken-Hilfe-Gesetz als ein Musterbeispiel dafür, wie mit dem Bewusstseinswandel, den wir noch stärker in der Be völkerung implementieren müssen, umgegangen wird.

Das eine ist die inhaltliche Ebene – darauf werde ich noch zu sprechen kommen –, das andere ist die Frage der Bürgerbe teiligung, die Frage der Verbändebeteiligung, überhaupt der

gesamte Prozess, der transparent und offen gestaltet worden ist.

Ich möchte mich auch einmal bei all den Menschen bedan ken, die sich die Zeit genommen haben, sich neben ihrer tag täglichen Tätigkeit im psychiatrischen Bereich konzeptionell einzubringen, nach Stuttgart zu fahren, an Sitzungen teilzu nehmen – und das neben ihrem normalen Geschäft. Ich den ke, da ist an dieser Stelle eine besondere Würdigung notwen dig.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Gerade auch um den Ängsten der Menschen zu begegnen, wo nach alles, was in der Psychiatrie laufe, nicht transparent sei, und um mehr Offenheit herzustellen, war es, denke ich, ein wichtiges Zeichen, dass wir das Gesetzgebungsverfahren auf die Beteiligungsplattform gestellt haben und dadurch auch ei nen Diskussionsprozess gestartet haben. Ich denke, das, was dabei herausgekommen ist, kann sich mehr als sehen lassen.

Bestehende Strukturen wie die Gemeindepsychiatrischen Ver bünde haben wir verpflichtend flächendeckend im Land ver ankert. Ich denke, eine stärkere strukturelle Verankerung im ländlichen Raum als durch dieses Gesetz hat es in diesem Be reich noch nie gegeben.

Der nächste Punkt sind die sozialpsychiatrischen Dienste. Es ist nicht nur so, dass wir gleich nach der Regierungsübernah me erst einmal die Mittel verdoppelt und verstetigt und damit praktisch wieder auf ein anständiges Niveau gebracht haben, sondern wir schaffen einerseits für die Beschäftigten Pla nungssicherheit – wir statten das anständig aus –, und wir sor gen andererseits auch dafür, dass vor Ort für die Menschen die Möglichkeit geschaffen wird, frühzeitig Hilfe zu erhalten. Auch das bedeutet übrigens eine Stärkung in der Fläche und des ländlichen Raums.

Was bei diesem Gesetz zudem ganz wichtig ist: Ich glaube, mehr Offenheit, mehr Transparenz, mehr Patientenrechte hat es in diesem Bereich in Baden-Württemberg und wahrschein lich auch im ganzen Bundesgebiet noch nie gegeben.

Angesprochen worden sind bereits die standardisierten Mel deregister über freiheitsentziehende Maßnahmen, die Infor mations- und Beratungsstellen. Wenn man in so eine Situati on kommt, die immer noch mit einem gewissem Stigma be haftet ist –

(Zuruf von der CDU)

nicht nur bei sich, sondern auch im persönlichen Umfeld –, kann man sich an eine Informations-, Beratungs-, aber auch Beschwerdestelle wenden, und zwar vor Ort, im eigenen Landkreis.

(Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Ist das auch mit dem Justizminister besprochen?)

Ich denke, das ist eine ganz wichtige Geschichte.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Wir werden auf Landesebene auch eine Ombudsstelle für die sen Bereich haben, die auch dem Landtag gegenüber berichts pflichtig sein wird.

Wir haben Maßnahmen in Bezug auf § 8 des Unterbringungs gesetzes schon vorgezogen, um mehr Rechtssicherheit für die Beschäftigten in der Psychiatrie zu schaffen, aber auch um ganz klar zu sagen: „Ja, es kann freiheitsentziehende Maßnah men geben, es muss Zwangsmaßnahmen geben, aber diese sind nur in ganz, ganz engen Grenzen vertretbar.“ Diese Maß nahmen gehen jetzt auch in das im Entwurf vorliegende Ge setz über.

Ich denke, wir haben einen wichtigen Beitrag geleistet, indem wir in den Bereichen Psychiatrie und Maßregelvollzug, in de nen – Kollege Lucha hat es richtigerweise angesprochen – uns allen in den nächsten Jahren noch ganz, ganz große Anstren gungen bevorstehen, ordentliche Strukturen geschaffen ha ben. Das Gesetz ist mustergültig. Ich möchte mich bei allen Beteiligten bedanken.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die FDP/DVP-Frak tion erteile ich Herrn Abg. Haußmann das Wort.

Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die UN-Behinder tenrechtskonvention bringt zum Ausdruck, dass Krisen und Krankheiten ganz allgemein gesehen Teil des Lebens und un serer Gesellschaft sind. Kollege Lucha, ich glaube, das kann niemand besser darstellen, als Sie es hier beschrieben haben. Durch die Grundhaltung, die in der Konvention zum Ausdruck kommt, wird jeglicher Form von Stigmatisierung und Diskri minierung der Nährboden entzogen. Daher ist das PsychischKranken-Hilfe-Gesetz ein guter Impuls, um mehr Aufmerk samkeit für die Belange von psychisch kranken und behinder ten Menschen zu erreichen.

In Baden-Württemberg gibt es 67 sozialpsychiatrische Diens te, die im Jahr 2013 26 500 betroffene Menschen betreut ha ben. Das waren immerhin 28 % mehr als noch im Jahr 2010. Der größte Teil der psychisch kranken Menschen lebt häufig isoliert und auch in relativer Armut. Es ist also eine große He rausforderung, die Lebenssituation dieser Menschen zu ver bessern.

Die Bausteine wurden von der Sozialministerin genannt. Wir haben im Rahmen des Unterbringungsgesetzes 2013 vorge schlagen, ein zentrales standardisiertes Melderegister einzu führen. Wir freuen uns, dass dieser Vorschlag hier mit aufge nommen wurde.