Ich bin schon davon ausgegangen, dass Sie dies gestatten; herzlichen Dank. – Mich würde interessieren, um welche drei Städte es sich dabei han delt, damit ich mir ein Bild machen kann.
Wir haben von Stuttgart eine Nachfrage, wir haben von Bad Urach eine Nachfrage, und die Antwort darauf, welches die dritte Stadt war, werde ich Ihnen nachliefern.
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das war bestimmt Tübingen mit Boris Palmer! – Gegenruf des Abg. Claus Schmiedel SPD: Da gibt es noch viel mehr! – Glocke der Präsidentin)
Herr Staatssekretär, Sie führten gerade aus, dass eine solche Quartiersregelung der Zu stimmung durch zwei Drittel der Betroffenen bedürfe. Wenn ich den Gesetzentwurf richtig lese, steht dort eine Negativbe schreibung. Hier heißt es nämlich:
Man geht also nicht von einer Zustimmung aus, sondern man geht von der Ablehnung aus. Diese Darstellung unterscheidet sich von Ihrer Darstellung.
Gut, ganz formal gesehen ist es so. Aber ich bin davon ausgegangen, dass, wenn ein Drittel widerspricht und zwei Drittel nicht widersprechen, diese zwei Drittel dies unterstützen. Denn sonst hätten sie ja widerspro chen.
(Zurufe: Genau! – Abg. Manfred Hollenbach CDU: Dann müssen Sie das so in den Gesetzestext schrei ben!)
Sie können mir gern erklären, was der Unterschied ist und weshalb jemand nicht widerspricht, wenn er eigentlich dagegen ist. Mich würde interessieren, wa rum sich jemand daran gehindert fühlen könnte, zu widerspre chen, wenn er dagegen ist. Das müsste man dann noch einmal darstellen, welchen Grund jemand haben könnte, nicht zu wi dersprechen, obwohl er dagegen ist.
Aber noch einmal, meine Damen und Herren: Ich halte das geplante Gesetz für ein wichtiges und dringendes Instrument für die Kommunen, die dies umsetzen wollen. Haben Sie – gerade auch Sie, Herr Hollenbach – doch bitte Vertrauen in die kommunalen Mandatsträger, in die Rathäuser, in die Bür germeister.
Denn ein Antrag kann jederzeit von der Kommune abgelehnt werden. Es wird also nur dort zustande kommen, wo die Kom mune und die Einzelhändler – und zwar zwei Drittel der Ein zelhändler – nicht widersprechen – dann formuliere ich es eben so –, und wenn die Kommune dafür ist. Warum wollen Sie es diesen Kommunen verwehren? Ich finde, das ist ein hervorragendes Instrument, um dies den Menschen zu ermög lichen.
Meine Damen und Her ren, das Präsidium hat für die Aussprache über diesen Gesetz entwurf in der Ersten Beratung eine Redezeit von fünf Minu ten je Fraktion festgelegt.
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Was unter dem für uns geradezu preu ßisch klingenden Titel „Stärkung der Quartiersentwicklung“ daherkommt, ist nichts anderes als ein Konzept, das vor 30 Jahren in den USA als „Business Improvement District“ ent stand und das bei uns in den letzten zehn Jahren in mehreren Bundesländern – die Hansestadt Hamburg war Vorreiter – be kannt wurde.
Grundstücksbesitzer, Handel- und Gewerbetreibende, Dienst leister und Freiberufler können ihren Stadtteil und ihr Quar tier gemeinsam gestalten und so den Standort aufwerten und ihn wettbewerblich attraktiver machen. Sie müssen den Kom munen dann Maßnahmen- und Finanzierungskonzepte vorle gen. Der Gemeinderat erlässt eine Satzung, sodass auch die, die nicht mitmachen wollen – im Gesetzentwurf als „Tritt brettfahrer“ abqualifiziert –, mit eingebunden werden und al le ihren Beitrag zur Verbesserung der Standortqualität und der Wettbewerbsstruktur des Quartiers leisten.
Das hat irgendwie Charme. Aber gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht. Die Eigentümer müssen sich in einer Art BGBGesellschaft zusammensetzen, über investive und nicht inves tive Maßnahmen ein Verfahren festlegen und die Lagevortei le einzeln ermitteln – viel Raum für Streit. Dann können 15 % der Eigentümer auf Vermögen und Eigentum anderer einwir ken. Das ist neu. Im Wohnungseigentumsgesetz – WEG – ken nen wir qualifizierte und einstimmige Beschlüsse; im Gesell schaftsrecht braucht es dafür Dreiviertelmehrheiten, bei ei nem Squeeze-out müssen sogar 95 % der Eigentümer zustim men. Das macht auch Sinn. Wie kommt man dann auf die Idee, dass 15 % der Eigentümer in einem Quartier über das Geld von 85 % bestimmen können?
(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Darum geht es doch gar nicht! Sie sollen einen Prozess einleiten! – Abg. Claus Schmiedel SPD: So ein Käse! – Abg. Klaus Maier SPD: Nichts verstanden!)
Wenn 15 % eine „Lange Einkaufsnacht“ oder überdachte Fahrradstellplätze haben wollen, müssen, damit dies abgelehnt wird, 33 % dagegen sein. Wo ist denn da die Logik? Wem fällt denn so etwas ein? Ist denn die Mengenlehre in der Gemein schaftsschule abgeschafft?
Für mich ist eine Mehrheit noch immer erst dann gegeben, wenn die 50 % überschritten werden. Es wäre sinnvoll, sich hier am WEG zu orientieren.
Es ist auch wenig hilfreich, dass Eigentümer, die nicht mit machen wollen, sich auf unbillige Härte berufen müssen, da der Gesetzentwurf diesen unbestimmten Rechtsbegriff nicht definiert.
Der Gewinner sind die Kommunen. Sie sind die eigentlichen Trittbrettfahrer. Sie unterstützen, wie hier in Stuttgart, neue Einkaufszentren und vernachlässigen ganze Stadtteile. Jetzt sollen die Betroffenen in Privatinitiative alles selbst richten. Die Kommune erlässt großzügig eine Satzung und kassiert da für noch eine fette Gebühr – und das, obwohl die Eigentümer Erschließungsbeiträge entrichten, Gewerbesteuer und Grund steuer zahlen, neben den Abgaben für Straßenreinigung oder für die Inanspruchnahme des öffentlichen Raums.
Malls und Shoppingcenter sind hipp und erweisen sich als Verbrauchermagnete. Der Einzelhändler hat das Nachsehen. Läden, auch in guten Lagen, schließen für immer – nicht nur in Stuttgart, und es geht auch nicht nur um Karstadt. Die In nenstädte aller deutschen Großstädte werden sich immer ähn licher. Überall finden sich die gleichen Franchise-Läden, FastFood-Ketten und Drogeriemärkte – alle wegen der Corporate Identity mit gleicher Fassadenarchitektur. Unsere Innenstäd te sehen im ganzen Land gleich langweilig und uniform aus.
Der Einzelhandel wird jetzt gezwungen, sein Geld auszuge ben, weil die Kommunen die gewachsenen Einzelhandels strukturen vernachlässigen. Die Kommune muss sich ja finan ziell nicht beteiligen. Was passiert bei Haftungsfragen?
Was passiert, wenn der Finanzierungsrahmen überschritten ist? Der Onlinehandel wirkt als zusätzlicher Brandbeschleu niger, und Sie haben als Antwort hierauf ein kommunales „En tenklemmergesetz“. Fällt Ihnen in der Regierung nicht mehr ein, als Gesetze von anderen Bundesländern abzuschreiben, Gesetze, die keine nachhaltige Wirkung gezeigt haben? Seit zehn Jahren gibt es solche Gesetze, und gerade einmal 31 Business Improvement Districts gibt es – drei pro Jahr.
Es gibt auch andere Konzepte. Dazu gehören aber nicht die seit Jahren von den Grünen befeuerten Montagsdemonstrati onen der S-21-Gegner, die beim Einzelhandel in der Königstraße und am Marktplatz zu erheblichen Umsatzeinbußen führen. Vielmehr denke ich da an das ehrenamtliche Engage ment der Handels- und Gewerbevereine oder an Citymanager
wie Hans Pfeifer, ehemaliger SPD-Oberbürgermeister von Freudenstadt, der mit der City-Initiative für Stuttgart – CIS – vorgemacht hat, wie es gehen kann. Er hat kreative Ideen zu sammen mit dem Einzelhandel entwickelt, ohne kommunale Satzung.
(Abg. Claus Schmiedel SPD: Ein glühender Befür worter des Gesetzes! – Gegenruf der Abg. Edith Sitz mann GRÜNE: Sogar bei der Anhörung!)
Vielleicht sollten Sie ihn einmal befragen. Die Kommune muss sich dabei engagieren und darf sich nicht aus der Ver antwortung stehlen. Die Kommunen haben drängendere Pro bleme zu lösen, wie etwa die Nahversorgung im ländlichen Raum vor dem Hintergrund einer älter werdenden Gesell schaft. Da aber kommt von Ihnen nichts.
Mit Ihrem Gesetzentwurf erweisen Sie dem Einzelhandel ei nen Bärendienst, und Sie wiegen die Kommunen in den Win terschlaf. Diese werden erst dann wieder erwachen, wenn die Innenstädte verödet sind.
Sehr geehrter Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass der von Ihnen gerade so herausragend ge lobte Hans Pfeifer ein glühender Befürworter des geplanten Gesetzes ist und dass er schon längst darauf wartet, dass es endlich verabschiedet wird?