Protokoll der Sitzung vom 13.11.2014

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich Herrn Abg. Frey das Wort.

(Zuruf: Freie Rede!)

Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Reinhart, in der Tat war der Beitrag von Herrn Werner Schulz heute Morgen eine Sternstunde. Ich hätte mir gewünscht, dass das Niveau, das er vorgelegt hat, in den folgenden Debatten gehalten worden und nicht so stark abgesunken wäre.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Thaddäus Kunzmann CDU)

Aber zu Europa: Belebung der Investitionstätigkeit in Euro pa, also weg von der reinen Austeritätspolitik Merkels, För derung der erneuerbaren Energien und Schaffung einer euro päischen Energieunion mit einer zukunftsorientierten Klima schutzpolitik, Europa als Raum des Rechts und der Grund rechte, eine gemeinsame europäische Asylpolitik im Geiste der Solidarität, eine Union des demokratischen Wandels – das ist nicht das Parteiprogramm der Grünen, auch wenn dies nach Außen den Anschein erwecken könnte. Dies sind vielmehr fünf der zehn Schwerpunkte von Junckers Leitlinien, die er für seine Kommission aufgestellt hat. Dies ist also fast ein grünes Programm. Doch wie stehen denn die Chancen für die Umsetzung, wenn man Junckers Führungspersonal betrach tet?

Nehmen wir Miguel Arias Canete. Dieser hat sich schon 1996 bei der EU für Stierkampfsubventionen eingesetzt, die im Üb rigen Ihre Kollegen von der CDU im Europaparlament erst kürzlich wieder unterstützt haben. Dabei muss man berück sichtigen, dass seine Frau selbst Empfängerin dieser öffentli chen Stierkampfsubventionen in Spanien ist.

(Zuruf: Sauerei!)

Aber Herr Canete ist nicht nur Gatte einer Stierzüchterin. Er hat erst auf Druck der Öffentlichkeit seine Anteile einer Öl firma verkauft

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Ist er jetzt als Torero unterwegs?)

und soll nun, nachdem er seine Hände in Öl gewaschen und damit sein Geld verdient hat, für saubere Energien eintreten. Wie will uns Juncker begreiflich machen, dass dies der beste Mann für eine nachhaltige Klimapolitik in Europa ist, meine Damen und Herren?

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Schauen wir uns noch eine zweite Person, Jonathan Hill, an. Als ehemaliger Berater der Finanzwelt soll nun der Brite Jo nathan Hill nicht nur die insbesondere für die Kommunalwirt

schaft wichtigen Finanzdossiers wie Solvency II, MiFID II oder die Omnibus-II-Richtlinie mitgestalten. Auch bei den Verhandlungen mit den deutschen Sparkassen und bei der Um setzung der Bankenunion soll er nun ein entscheidendes Wort mitreden.

Meinen Sie wirklich, dass der ehemalige Zockerbankenbera ter auch die Interessen unserer Volksbanken und Sparkassen vertritt? Ich glaube, das ist blauäugig und eine schlechte Per sonalentscheidung. Deswegen müssen wir ein Auge darauf werfen, was diese Leute treiben.

Herr Juncker hat heute zumindest wieder die Öffentlichkeit gewählt, um sich für das, was er in Luxemburg angerichtet hat, zu entschuldigen. Er scheut auch ein Stück weit die Ver antwortung, indem er sagt, es seien andere gewesen, er habe nicht zu diesem Steuerparadies Luxemburg beigetragen. Da bei war er der Architekt dieses Steuerfluchtkonstrukts Luxem burg. Ich denke, er sollte dafür auch die Verantwortung über nehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Die Aussage, dass es legal war, ist falsch. Meines Erachtens wurde dort gegen europäisches Beihilferecht verstoßen. Die EU-Kommission untersucht diese Vorgänge in Luxemburg, aber auch in den Niederlanden und in Malta, damit wir in die ser Frage von Steuerdumping, Ungerechtigkeiten und Unso lidarität zwischen den europäischen Mitgliedsstaaten weiter kommen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Wir Grünen stehen als Europapartei hinter einem Programm der EU, in dem das Feld Europa nachhaltig und fruchtbar ge staltet werden soll. Das Feld Europa kann nicht bestellt wer den, wenn die Böcke zu Gärtnern gemacht werden. Für ein fruchtbares Europa brauchen wir neben den richtigen Gärt nern aber auch ein Feld, dessen Ertrag den Menschen zugu tekommt.

Herr Kollege Reinhart, mit TTIP in der bisher vorliegenden Form kommt dieser Ertrag den Menschen sicherlich nicht zu gute.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Denn die TTIP-Verhandlungen sind weiterhin intransparent. Deshalb rate ich Ihrer Fraktion dringend, sich den Beschluss zu eigen zu machen, den der Landtag im Mai getroffen hat. Darin steht, dass wir keine Absenkung von Sozial- und Um weltstandards wollen,

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Das steht in un serem Papier alles drin!)

dass keine Investitionsschutzregeln akzeptiert werden und dass mehr Transparenz Bestandteil der Verhandlungen sein muss.

Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz sagte zu TTIP – ich zi tiere –:

In Wahrheit jedoch haben wir ein gesteuertes Handels system geschaffen, bei dem Konzerninteressen an erster Stelle stehen, und einen Verhandlungsprozess, der unde mokratisch und nicht transparent ist.

Ich begrüße die Aktivitäten unserer Landesregierung in die sem Bereich, Transparenz zu schaffen, damit wir wissen, wo rüber wir abstimmen. Ich begrüße es, dass sie sich mit Sym posien und Tagungen dafür einsetzt. Dienstleistungen und Pro dukte müssen dem Wohl der Menschen dienen und nicht um gekehrt.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Rhetorisch ohne Wert!)

Für die SPD-Fraktion er teile ich Frau Abg. Haller-Haid das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Meine Vorredner haben es bereits an gesprochen: Wir hatten heute eine großartige Gedenkfeier zum 25. Jahrestag des Mauerfalls. Aber auch an einem solchen Tag darf man einmal nachfragen, ob das, was Willy Brandt einst gesagt hat – „Es wächst zusammen, was zusammengehört“ –, in allen Bereichen eingetreten ist.

(Zuruf von der CDU)

Ich denke, in vielerlei Hinsicht, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht, war die Wiedervereinigung eine schwere Geburt. Bis heute konnte das soziale Gefälle zwischen West und Ost nicht wirklich und in allen Punkten beseitigt werden, auch, wenn viel Großartiges geleistet wurde. Manchmal wiegt die Last der Wirklichkeit eben stärker als die große Idee.

Heute ist das vereinte Europa die große Idee, die sich an der Realität messen lassen muss. Das Wohlstandsgefälle verläuft – heute noch ausgeprägter als früher – zwischen Nord und Süd. Gegen Widerstand wurde eine Austeritätspolitik durch gesetzt, die das Gefälle nicht abgebaut und die sozialen Pro bleme nicht gelöst, sondern eher verschärft hat.

Es wäre schön, wenn wir heute sagen könnten, dass es auf wärtsgeht. Aber trotz vieler Anstrengungen verschärft sich die Spaltung in Europa, und zwar von Quartalsbericht zu Quar talsbericht. Im Schnitt gibt es in der Eurozone viel zu wenig Wachstum. Selbst in Deutschland zeichnet sich ab, dass das Wirtschaftswachstum schwächer wird.

Hinzu kommen die politischen Krisen rund um das Mittel meer. Von wegen arabischer Frühling! Davon ist wenig übrig geblieben, wie man u. a. anhand der Flüchtlingsproblematik sieht.

Werner Schulz hat es heute Morgen angesprochen: Wenn wir heute feiern, dass Mauern gefallen sind, dann sollten wir rund um Europa auch keine neuen Mauern aufbauen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Zu der gesamten Situation kommt noch eine neue Problema tik hinzu: eine Abstimmung in Katalonien, die zwar keine Rechtskraft hat, uns in Baden-Württemberg jedoch wegen der „Vier Motoren“ durchaus betrifft.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Wozu eine politische Zergliederung führen kann, haben wir im ehemaligen Jugoslawien bitter erleben müssen. Auch wenn es uns nicht zusteht, anderen Ratschläge zu erteilen, so kann man trotzdem sagen: Beide Seiten, Spanien und Katalonien, haben zu einer Eskalation der Situation beigetragen – der spa nische Staat deshalb, weil er dem Verfassungsgericht noch im Nachhinein ein schon beschlossenes Autonomiestatut vorge legt hat.

Wir können auf unser föderatives System verweisen. Darin liegt auch für Spanien die Lösung. Das kann durchaus ein Vor teil sein. Was wir nämlich ganz sicher nicht brauchen, ist ein Mehr an Nationalstaat, und wir brauchen auch nicht mehr Na tionalstaaten in Europa.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Frey GRÜ NE)

Zusammenfassend lässt sich sagen: Europa ist dabei, aus den Fugen zu geraten, wenn nicht schnellstmöglich gegengesteu ert wird. Das sieht der EU-Kommissionspräsident im Übrigen genauso, der bei seiner Vorstellung der europapolitischen Agenda gesagt hat – ich zitiere –:

Wir müssen offen für Veränderungen sein. Wir müssen zei gen, dass die Kommission zu Veränderungen fähig ist.

Ob er dafür allerdings der Richtige ist – das wurde bereits an gesprochen –, ist nach der Diskussion über das Steuerparadies Luxemburg zu hinterfragen.

Ich hoffe auf jeden Fall, dass die Ratspräsidentschaft in Itali en mehr bewegt. Auch dort sind die Ziele ähnlich formuliert: mehr Wachstum und Beschäftigung. Dafür braucht es natür lich verstärkt das Vertrauen der Bevölkerung. Deshalb hat Ita lien dort, wo die Probleme begründet liegen, gehandelt und zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit bereits einen gro ßen Anlauf gemacht.

Zu diesem Thema gab es jetzt eine erste Veranstaltung in Mai land. Italien hat dort noch einmal deutlich gemacht, dass die Jugendarbeitslosigkeit allein mit Sondermaßnahmen nicht be kämpft werden kann. Vielmehr bedarf es vor allem eines wachsenden Mittelstands. Der Mittelstand wiederum braucht den Zugang zu den Krediten. Das klappt nämlich immer noch nicht. Europa redet zwar viel darüber, aber bisher wurde we nig davon umgesetzt.

Leider hat diese Veranstaltung fast mit einem Skandal geen det. Präsident Hollande hat mehr Mittel zum Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit gefordert, und Kanzlerin Merkel hat dies abgelehnt. Die Vorstellungen liegen in Europa also im mer noch meilenweit auseinander.