Protokoll der Sitzung vom 17.12.2014

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 117. Sitzung des 15. Landtags von Baden-Württemberg.

Urlaub für heute habe ich Herrn Abg. Helmut Rau und Herrn Abg. Dr. Kai Schmidt-Eisenlohr erteilt.

Krankgemeldet sind Herr Abg. Ernst Kopp, Herr Abg. Dr. Markus Rösler und Herr Abg. Alexander Throm.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, kommen wir noch zu zwei Nachwahlen in außerparlamentarische Gremien. Zu nächst geht es um die Nachwahl eines stellvertretenden Mit glieds des Verwaltungsrats des Badischen Staatstheaters. Dem Verwaltungsrat des Badischen Staatstheaters gehören gemäß § 2 des zwischen dem Land und der Stadt Karlsruhe über die Verwaltung des Badischen Staatstheaters geschlossenen The atervertrags sechs vom Landtag namentlich bestimmte Abge ordnete als Mitglieder an. Für diese am 26. Mai 2011 vom Landtag gewählten Mitglieder wurden auch Stellvertreter ge wählt.

Der frühere Landtagsabgeordnete Manfred Groh hat am 16. Dezember 2014 mitgeteilt, dass er auf seine Mitwirkung als stellvertretendes Mitglied des Verwaltungsrats des Badi schen Staatstheaters verzichtet und daher zum nächstmögli chen Zeitpunkt aus diesem Gremium ausscheiden möchte. Das Vorschlagsrecht für die Nachwahl steht der Fraktion der CDU zu, die Frau Abg. Bettina Meier-Augenstein als neues stell vertretendes Mitglied vorschlägt (Anlage 1).

Sind Sie damit einverstanden, dass offen über diesen Wahl vorschlag abgestimmt wird? – Dagegen erhebt sich kein Wi derspruch. Wer der Wahl von Frau Abg. Bettina Meier-Au genstein zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Dem Wahlvorschlag ist ein stimmig zugestimmt. Recht herzlichen Glückwunsch.

Nun kommen wir zur Nachwahl eines stellvertretenden bera tenden Mitglieds im Stiftungsrat des Zentrums für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM). Dem Stiftungsrat des ZKM gehören gemäß § 7 Absatz 1 der Stiftungssatzung u. a. bis zu vier Vertreter des Landes Baden-Württemberg an. Am 28. September 2011 hat der Landtag u. a. den damaligen Land tagsabgeordneten Manfred Groh als stellvertretendes beraten des Mitglied in den Stiftungsrat des ZKM gewählt.

Wie Herr Manfred Groh am 16. Dezember 2014 mitgeteilt hat, möchte er baldmöglichst aus dem Stiftungsrat des ZKM aus scheiden. Das Vorschlagsrecht für die Nachwahl steht der Fraktion der CDU zu, die Herrn Abg. Werner Raab als neues stellvertretendes beratendes Mitglied vorschlägt (Anlage 2).

Sind Sie damit einverstanden, dass offen abgestimmt wird? – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Wer der Wahl von Herrn Abg. Werner Raab zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Die sem Wahlvorschlag ist einstimmig zugestimmt. Herzlichen Glückwunsch.

Auf Ihren Tischen finden Sie einen Vorschlag der Fraktion GRÜNE für Umbesetzungen im Untersuchungsausschuss „Die Aufarbeitung der Kontakte und Aktivitäten des Natio nalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Baden-Württemberg und die Umstände der Ermordung der Polizeibeamtin M. K.“ (Anlage 3). – Ich stelle fest, dass Sie den vorgeschlagenen Umbesetzungen zustimmen. Vielen Dank.

Vor Eintritt in die Tagesordnung weise ich darauf hin, dass heute bereits zum zweiten Mal das Stuttgarter Kunstgebäude als Übergangsquartier des Landtags seinem Namen alle Ehre macht. Ich begrüße den Künstler Matthias Beckmann sehr herzlich. Vorhin war er hier. Wo ist er jetzt?

(Vereinzelt Heiterkeit – Herr Beckmann hebt die Hand.)

Ah, dort sitzt er. – Herr Beckmann, herzlich willkommen! Sie werden heute mit Zeichenblock und Bleistift das Plenar geschehen wieder einmal auf Ihre Weise deutlich machen. Ich mache die Abgeordneten darauf aufmerksam, dass heute mit gezeichnet wird. Achten Sie hinsichtlich der Zwischenfragen und des Benehmens insgesamt darauf. Er muss dies malen. Alle haben jedoch zugestimmt, dass dies heute so durchge führt werden kann. Vielen Dank.

Wir treten nun in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Falsche Weichenstellung in Sachen Ret tungsdienst?! Verlängert die Regierung die Hilfsfristen für Rettungskräfte, statt den Rettungsdienst strukturell zu stärken?! – beantragt von der Fraktion der FDP/DVP

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Präsidium hat für die Aktuelle Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten fest gelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht ange rechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Rednerinnen und Redner in der zweiten Runde gilt je weils eine Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebe nen Redezeitrahmen zu halten.

Schließlich darf ich auf § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

(Stellv. Präsident Wolfgang Drexler)

Für die FDP/DVP-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Professor Dr. Goll das Wort.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Am Montag, also vor zwei Tagen, ist Siegfried Steiger 85 Jahre alt geworden. Ich glaube, wir sind uns einig, dass der erfolgreiche Ausbau der Notfallrettung in der Bundesrepublik Deutschland untrennbar mit dem Namen von Siegfried Steiger und der Björn Steiger Stiftung verbun den ist. Da die Plenardebatte nun so zeitnah stattfindet, mei ne ich, wir könnten den Anlass nutzen, um ihm von hier aus noch nachträglich zum Geburtstag zu gratulieren und alles Gute zu wünschen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich habe mich nun bewusst auf die Bundesrepublik Deutsch land bezogen – sonst sprechen wir immer gleich über BadenWürttemberg –, weil das Rettungswesen in der Bundesrepu blik Deutschland sehr weit gekommen ist. Das erfolgsver wöhnte Baden-Württemberg ist jedoch in diesem Bereich ein mal nicht spitze, sowohl was die Fristen als auch was den Auf wand, den wir betreiben, anbelangt.

Deswegen beunruhigt es etwas, wenn man Medienberichte liest, denen zufolge eine Novellierung des Landesrettungs dienstes bevorsteht und die Fristen, wie es aussieht, verlän gert werden sollen. Die Rede ist von einer Verlängerung der Regelfrist für die Rettung von zehn auf zwölf Minuten, was die Anreise des ersteintreffenden Rettungsmittels angeht. Die bisherige Ausnahmefrist von 15 Minuten wird mit dann 18 Minuten zur Regelfrist für den Notarzt.

Man muss sich vor Augen führen, was bisher im Gesetz steht. Die Formulierung ist ein bisschen schwammig. Sie lässt aber doch nur eine Lesart zu. Es steht drin:

Die Hilfsfrist soll aus notfallmedizinischen Gründen mög lichst nicht mehr als zehn, höchstens 15 Minuten betra gen.

Dies ist etwas weich formuliert. Es geht jedoch daraus hervor, dass zehn Minuten eigentlich die Regel sein sollten.

Nun schauen wir einmal, wie es in Wirklichkeit aussieht. Die FDP/DVP hat im Juli die Zahlen einmal abgefragt. Die Zah len sind interessant. Ich darf aus der Antwort der Landesre gierung zitieren:

Für das ersteintreffende Rettungsmittel – im Regelfall der Rettungswagen... – reicht die Hilfsfrist

quasi je nach Region –

von 58,7 % bis 79,9 % bei zehn Minuten und von 89,5 % bis 96,7 % bei 15 Minuten. Die notärztliche Hilfsfrist reicht von 43,9 % bis 73,7 % bei zehn Minuten und 82,9 % bis 96,3 % bei 15 Minuten.

Im Grunde sieht es daher gerade bei der Zehn-Minuten-Frist ganz schlecht aus. Diese ist jedoch aus medizinischer Sicht von erheblicher Bedeutung.

Wir liegen im Ländervergleich leider ziemlich weit hinten. Noch weiter hinten liegen wir bei dem, was wir für den Ret

tungsdienst pro Kopf ausgeben, und das, obwohl die zehn Mi nuten, die jetzt im Gesetz stehen, aus medizinischer Sicht die Frist sind, die vielleicht gerade noch vertreten werden kann. Die Rettungs- und Notärzte weisen regelmäßig darauf hin, dass beispielsweise bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand eine Hilfsfrist von acht Minuten erforderlich sei, ebenso wie bei einem Herzinfarkt oder bei akuter Atemnot.

Darauf haben andere Länder entschiedener reagiert. Beispiels weise in Nordrhein-Westfalen gilt im Ballungsraum eine Frist von acht Minuten. Nur im ländlichen Raum darf die Frist bis zu zwölf Minuten betragen. Das ist ein ganz anderes Bild als bei uns. In Hessen werden in 90 % der Fälle zehn Minuten – keine zwölf Minuten – eingehalten.

Der Landesvorsitzende der AG Südwestdeutscher Notärzte, Dr. Kehrberger, hat als Ursache ausgemacht, dass zu wenig Geld im System ist. Dem wird man zustimmen müssen. Wie kommt es, dass zu wenig Geld im System ist? Das kann man sich leicht erklären. Bei uns sind im Gegensatz zu anderen Bundesländern die Kassen die Kostenträger. Dass diese auf die Kosten schauen, ist nachvollziehbar. Das kann man irgend wie auch verstehen. In anderen Ländern hingegen sind dafür die Kommunen zuständig. Diese schauen eher darauf, was ge braucht wird. Hier waren es die Kassen, die eher dazu neigen, darauf zu achten, was es kostet.

In unserem System wird vor allem und vielleicht ein bisschen zu sehr auf die Kosten geachtet, sodass sich dann erstaunli che Relationen ergeben. Pro Kopf fallen in Baden-Württem berg in der Notfallrettung Kosten in Höhe von 30 € an. In Hes sen sind es doppelt so viel, nämlich 60 €, und dann ist es na türlich auch einfacher, es in 90 % der Fälle in zehn Minuten zu schaffen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Nicht dass Sie mich falsch verstehen: Ich bin nicht gegen das Sparen. Aber es sollte nicht so sein, dass allein das Thema Geld eine Debatte dominiert. Wir haben es erlebt, wie lange es gedauert hat, die Ausbildung zum Notfallsanitäter einzu richten. Das Bundesgesetz war vorhanden, aber weil man über die Kosten gestritten hat, hat die Ausbildung zum Notfallsa nitäter bei uns noch nicht einmal richtig angefangen. Da ist sehr viel Zeit verloren gegangen. Auch da hat man dieses do minierende Kostenargument gespürt.

Jetzt muss man Schlüsse ziehen und etwas verbessern. Inso fern sind wir auch dafür, die Angelegenheit neu zu regeln. Aber ob es nun richtig ist, sozusagen an den Fristen herum zumachen und von zehn auf zwölf Minuten zu gehen – beim Notarzt auf 18 Minuten –, kann man wirklich bezweifeln. Ich höre die Argumente schon: „Die 15-Minuten-Frist schaffen wir ja jetzt ab und bekommen dafür zwölf Minuten.“ Aber wir haben einfach die Befürchtung, dass die Zwölf-Minuten-Frist an die Stelle der Zehn-Minuten-Frist tritt und von den Vorga ben her alles noch ein bisschen länger dauern kann als bisher.

Wenn alle Rettungsassistenten zu Notfallsanitätern ausgebil det wären, könnte man vielleicht einmal darüber reden, zuzu lassen, dass der Notarzt erst nach 18 Minuten kommen kann. Aber ihm mehr Zeit einzuräumen, ohne dass die Rettungsas sistenten in dieser Weise ausgebildet sind, geht natürlich im Grunde genommen gar nicht.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Im Grunde passiert jetzt das Gegenteil dessen, was passieren sollte. Das Land sollte natürlich regeln, sollte eingreifen. Das bedeutet keine Abkehr von der Selbstverwaltung; so weit muss man nicht gehen. Aber man muss natürlich schauen: Ist die Festsetzung dieser Entgelte transparent? Kann man da Vorga ben machen? Man muss von der Landesseite aus positiv auf die Kostenträger einwirken mit dem Ziel, dass mehr Geld in das System kommt. Was jetzt passiert, ist insofern das Gegen teil, als sich jetzt die Träger sogar noch darauf berufen kön nen, dass es dann vielleicht ein bisschen billiger wird, wenn man die Fristen verlängert. Man nimmt den Rettungsdiensten also eher Argumente weg, die Verhältnisse zu verbessern, als dass man ihnen gute Argumente gibt.

Meine Damen und Herren, wenn es so käme – die Debatte soll Klarheit darüber bringen, was geplant ist –, wäre es kein gu ter Umgang mit diesem Thema. Ich will nicht dramatisieren, aber zwischendurch muss man sich immer klarmachen, dass es um Leute geht, die sterben,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja, so ist es!)

die jedoch vielleicht überleben könnten, wenn das Rettungs mittel zwei Minuten früher käme. Deshalb ist dieses Thema nun wirklich von lebenswichtiger Bedeutung, und ich würde mich freuen, wenn wir da gemeinsam zu Verbesserungen kom men könnten.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Hillebrand.

Herr Präsident, liebe Kolle ginnen, liebe Kollegen! Immer dann, wenn Menschen in Not geraten und Hilfe benötigen, ist der Rettungsdienst zur Stel le. Oftmals geht es um jede Sekunde, insbesondere dann, wenn es um Menschleben geht. Der Rettungsdienst ist also von zentraler Bedeutung für die öffentliche Daseinsvorsorge und geht uns alle an. Wir alle vertrauen darauf, dass uns in Notfällen schnell und zuverlässig die benötigte Hilfe zuteil wird.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Leistungsfähigkeit des Rettungsdienstes kommt nicht von ungefähr, sondern muss durch Gesetze, Vorgaben und die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen gefördert und ermöglicht werden. Ein guter und effizienter Rettungsdienst vor Ort ist für alle Bür gerinnen und Bürger keine Kür, sondern unser aller Pflicht. Ich möchte an dieser Stelle explizit darauf hinweisen, dass die schnelle und zuverlässige Hilfe, die jeden Tag in Einsätzen geleistet wird, nur dank der vielen haupt- und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer des Rettungsdienstes möglich ist.