Protokoll der Sitzung vom 04.02.2015

Diese Kinder freuen sich normalerweise, wenn sie auf eine weiterführende Schule gehen,

(Zuruf der Abg. Sandra Boser GRÜNE)

weil sie sagen: „Jetzt geht es richtig los; die Grundschulzeit ist vorbei.“ Was bringt dieses Kind jedoch mit einer Schule in

Verbindung, in der der Lehrer, die Lehrerin zum permanenten Überbringer schlechter Nachrichten wird? Das ist für den wei teren Lebensweg der Kinder doch verheerend. Das müssen wir hier einmal diskutieren,

(Abg. Gerhard Kleinböck SPD: Wovon reden Sie denn?)

ohne so locker-flockig, wie Sie es machen, über diese Prob leme hinwegzugehen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Können Sie eigentlich bei der gegenwärtigen Situation noch gut schlafen?

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja, genau!)

Unter dem Tiefschlaf, den Sie bei diesem Thema machen, lei den die Kinder in Baden-Württemberg in den fünften und sechsten Klassen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Unruhe bei den Grünen und der SPD)

Für diese unsägliche Situation trägt hier im Parlament nie mand anders als Sie die Verantwortung. Sie können nicht be haupten, Sie hätten das nicht gewusst, und das sei auch nicht vorherzusehen gewesen. Ich kann mich noch sehr gut erin nern, was Sie mir hier im Parlament entgegengehalten haben, als ich Sie vor den Folgen der überstürzten Abschaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung gewarnt habe. Das war Klassenkampf pur, den Sie hier veranstaltet haben.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Lachen des Abg. Gerhard Kleinböck SPD)

Grün-Rot hat alle Warnungen in den Wind geschlagen. Sie wollten einfach nur ein Wahlversprechen schnellstmöglich umsetzen. Ihnen waren im Grunde die Warnungen von Wis senschaftlern völlig egal. So hat beispielsweise Herr Profes sor Dollmann ganz klar gesagt, was passieren kann, wenn man das nicht entsprechend vorbereitet. Aber das war Ihnen wirk lich egal. Im Übrigen haben Sie auch die Alternativen, die wir Ihnen damals vorgeschlagen haben, in den Wind geschlagen und ohne jegliche Empathie für die Kinder Ihren Mehrheits willen durchgesetzt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Deshalb tragen Sie und niemand anders die Verantwortung für diese Situation.

Wenn nun Teile der CDU fordern, nach einem erfolgten Wahl sieg bei der kommenden Landtagswahl die Verbindlichkeit wieder einzuführen, so muss ich sagen: Die Freien Demokra ten halten von diesem Vorgehen zunächst einmal nicht viel.

(Lachen bei Abgeordneten der Grünen)

Denn die Bildungspolitik in unserem Land krankt doch gera de daran, dass es in diesem Bereich keine Verlässlichkeit und keine Planbarkeit gibt.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Was denn jetzt?)

Genau aus diesem Grund haben wir ein konkretes Konzept für einen Schulfrieden vorgelegt – das wissen Sie –, um zu mehr Verlässlichkeit und zu mehr Planbarkeit zu kommen. Deshalb: Um die ungute Situation möglichst rasch und kon kret zu heilen, schlägt die FDP/DVP-Landtagsfraktion Fol gendes vor:

Erstens: Wir müssen zunächst die bestehenden Bedingungen verbessern, indem die Grundschulen eine bessere Personal ausstattung zur Beratung der Eltern erhalten.

Zweitens: Bereits zum kommenden Schuljahr müssen die auf nehmenden Schulen das Recht erhalten, über den Inhalt der jeweiligen Grundschulempfehlung informiert zu werden. Da teilen wir die Einschätzung der CDU.

Drittens: Es muss so schnell wie möglich ein differenziertes Stützkursangebot für abschulungsgefährdete Schüler einge führt werden.

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einen Blick in die Zu kunft werfen: Sollte sich diese dramatische Situation bis zum Jahr 2017, also fünf Jahre nach der Abschaffung der Verbind lichkeit der Grundschulempfehlung, nicht deutlich gebessert haben, dann wird sich die FDP/DVP auch nicht scheuen, da rüber nachzudenken und sich dafür einzusetzen, dass die Ver bindlichkeit der Grundschulempfehlung wieder eingeführt wird.

(Beifall bei der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)

Der aufnehmenden Schule würden wir allerdings das Recht einräumen, sich über die Grundschulempfehlung hinwegzu setzen, wenn sie der Meinung ist, dem jeweiligen Kind zum angestrebten Schulabschluss verhelfen zu können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zahlen sind so alarmie rend, dass sich ein weiteres Aussitzen der Probleme verbietet. Die jungen Menschen in unserem Land haben es nicht ver dient, dass die Landesregierung noch länger die Augen vor der untragbaren Situation verschließt. Die Vorschläge der FDP/DVP zur nachhaltigen Verbesserung der Situation liegen vor. Aus unserer Sicht könnten sich die Landtagsfraktionen sehr zügig auf dieses Maßnahmenpaket einigen.

Ich bin nun sehr gespannt, ob und wie der Kultusminister auf die Situation reagiert. Unsere konkreten, konstruktiven Vor schläge liegen auf dem Tisch.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die Landesregie rung erteile ich das Wort Herrn Kultusminister Stoch.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Zunächst muss man an dieser Stelle wohl betonen, dass in dieser De batte zumindest die CDU-Fraktion nicht deutlich bekundet, ob sie jetzt den Wegfall der Verbindlichkeit der Grundschul empfehlung kritisiert oder welche Verbesserungsvorschläge sie wirklich hat. Die Debatte, die Sie führen, ist vielmehr ei ne sehr grundsätzliche.

Jetzt zitiere ich Ihnen, wenn Sie mir gestatten, einmal aus Ar tikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes, und bin dann ganz schnell auch bei einem Zitat Ihres früheren Fraktionsvorsitzenden vom Februar 2014. In Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes steht nämlich:

Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.

Herr Kollege Hauk hat im Februar des vergangenen Jahres er klärt – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

Aber wir können nicht einerseits Erziehungsrechte für El tern einfordern

Grundgesetz –

und andererseits... die Eltern aus der Verantwortung ent lassen und ihnen vorschreiben, auf welche Schule sie ihr Kind schicken müssen.

Herr Hauk, ich habe Ihnen von dieser Stelle aus noch nicht oft recht gegeben. Hier tue ich es ausdrücklich.

(Abg. Peter Hauk CDU: Sehr schön!)

Ich möchte auf ein Weiteres hinweisen: Wenn wir über die Frage sprechen, ob es ein Element der Lösung sein könnte, wenn die weiterführende Schule den Inhalt der Grundschul empfehlung kennt, dann müssen wir dies genau betrachten und fragen: Ist es tatsächlich so, oder gibt es bessere Möglich keiten? Darauf möchte ich im Folgenden eingehen.

Ich darf vorwegschicken, dass die Regierungsfraktionen und die Landesregierung nach wie vor überzeugt sind, dass es die richtige Entscheidung war, die Verantwortung der Eltern für den Bildungsweg ihrer Kinder zu stärken. Diese Verantwor tung zu stärken und sie den Eltern zu übertragen, birgt natür lich auch das Risiko, dass Eltern eine falsche Entscheidung treffen. Deswegen sollten wir doch vielleicht zusätzlich zu der von Ihnen aufgeworfenen Frage, ob eine verbindliche Grund schulempfehlung hier problemlösend sein kann oder ob die Kenntnis der jeweiligen Grundschulempfehlung die Lösung sein kann, auch die Frage stellen: Was bringt Eltern dazu, ei ne möglicherweise falsche Entscheidung für ihre Kinder zu treffen? Dann sind wir ganz schnell bei dem von Frau Kolle gin Boser angesprochenen Element der Beratung, die schon in den Grundschulen ansetzen muss.

Damit sind wir bei einem weiteren Element, das ich für we sentlich halte, wenn wir Eltern dazu bringen wollen, eine ver antwortliche Entscheidung zu treffen. Wir müssen es nämlich schaffen, den Eltern die Angst davor zu nehmen, dass sie am Ende von Klasse 4 eine falsche Entscheidung, eine vermeint lich falsche Entscheidung treffen, die für ihre Kinder schlech tere Zukunftschancen beinhalten würde.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist doch der Grund, warum in der Vergangenheit viele Eltern wollten, dass ihr Kind mindestens eine Realschule oder ein Gymnasium be sucht. Sie hatten das Gefühl – wir wissen alle um die Vielfalt der Wege –, dass diese Wegmarke für die Zukunft ihrer Kin der extrem wichtig ist. Deswegen geht es bei der Diskussion über die Grundschulempfehlung auch um die Frage: Wann

müssen denn Eltern entscheiden, welches der richtige Ab schluss ist, den ihr Kind mit seinem konkreten Leistungsver mögen erreichen kann?

Damit sind wir wieder bei der Ausgangsfrage: Ist es denn tat sächlich notwendig, diese Frage bereits in diesem Alter zu stellen, oder ist es nicht viel wichtiger und richtiger, den El tern diese Angst zu nehmen, damit eine richtige Entscheidung getroffen wird?

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch Kollege Kern, ich nehme diese Zahlen, auch was die Nichtversetzungen an geht, sehr, sehr ernst. Das darf ich Ihnen versichern. Aber wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht monokausale Erklärun gen zurechtlegen, die uns halt zufällig passend erscheinen.

Ich nenne Ihnen ein weiteres Beispiel, das Sie nicht mit dem Hinweis auf die Grundschulempfehlung erklären können. Am Ende des vergangenen Schuljahrs war in den Stuttgarter Zei tungen eine große Berichterstattung über Daten des Schulamts Stuttgart, in denen erstaunlicherweise zum Ausdruck kam, dass an den weiterführenden Schulen – Realschulen und vor allem Gymnasien – in der Klasse 9 die Zahl der Nichtversetz ten erheblich angestiegen ist. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das sind alles Schülerinnen und Schüler, die aufgrund einer verbindlichen Grundschulempfehlung an dieser Schule waren. Deswegen müssen wir doch auch dies berücksichtigen. Wir können es nicht auf das Element „verbindliche Grund schulempfehlung“ reduzieren,

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Das macht doch keiner!)