Dies, meine Damen und Herren, führt zu einem elementaren Recht im bürgerlichen Geschäftsleben: dem Recht, aus einem bestehenden Vertrag auszusteigen.
Das gilt auch für Verträge, die wie die Finanzierungsverein barung so gestaltet wurden, dass eine Kündigung gar nicht mehr vorgesehen ist.
Es ist ein Gebot der Vernunft, auf neue Erkenntnisse zu re agieren, auf vertragliche Bindungen zu verzichten, die fatale finanzielle Konsequenzen für das Land hätten.
Diese weitreichenden Entscheidungen soll der Gesetzgeber treffen, sei es der Landtag oder sei es das Volk selbst.
Ich begrüße es, dass die CDU- und die FDP/DVP-Fraktion darauf verzichtet haben, den juristischen Weg zu gehen, und ebenfalls sagen: Das soll politisch entschieden werden.
Heute wissen wir mehr als vor einigen Jahren. Stuttgart 21 bringt verkehrlich wenig, ist unfassbar teuer
Ziel des von uns vorgelegten Gesetzentwurfs ist, Stuttgart 21 endgültig zu beenden. Die rechtliche Basis ist die Kündigung aufgrund des Wegfalls der Geschäftsgrundlage.
(Zuruf von der CDU: Falsch! – Abg. Volker Schebes ta CDU: Das Juristische macht Herr Stickelberger!)
Die Geschäftsgrundlage ist, dass in finanzieller Hinsicht von einem festgeschriebenen Kostenrahmen von 4,5 Milliarden € ausgegangen wurde. Darin ist bereits ein Risikopuffer von 1,5 Milliarden € eingerechnet. Er ist darin enthalten. Der Kosten rahmen im Jahr des Vertragsabschlusses betrug 3,1 Milliar den €, und schon wenige Monate danach sind wir bei 4,1 Mil liarden € gelandet. Heute sind wir – das wissen wir – vermut lich schon an der 4,5-Milliarden-€-Grenze, wenn man alle Ri siken, die sich inzwischen aufgetan haben, wirklich einpreist. Niemand sollte glauben, dass ein Projekt, dessen Realisierung zehn oder vermutlich eher 20 Jahre dauert, in der Folgezeit nicht noch teurer wird,
Geben wir uns nicht naiver, als wir sind. Wir wissen mehr. Wir können die Papiere der Bahn, etwa die Entwurfspapiere, die Entwurfsrechnung, genauer nachrechnen. Schon dort ha ben die Insider der Bahn mit den Preisen von 2008 im Jahr 2009 mit Kosten von 4,9 Milliarden € gerechnet. Sie haben nur mit großer Mühe 900 Millionen € schön herausgerechnet, und bis zum heutigen Tag ist die Bahn den Beleg schuldig ge blieben, dass man diese 900 Millionen € Einsparung, die nö tig sind, um auf 4,1 Milliarden € zu kommen, tatsächlich er reicht.
Längst sind einige Positionen, die zusätzliche Kosten verur sachen, klar, z. B. die Nachrüstung hinsichtlich ETCS und das zweite Gleis beim Flughafen, was inzwischen ja nicht umstrit ten ist. Das macht zusammen schon 78 Millionen € aus. Üb rigens liegt noch immer kein Flughafen-Planfeststellungsbe schluss vor, es wurde noch nicht einmal das Planfeststellungs verfahren eingeleitet. Wer könnte da glauben, dass es dabei billiger wird? Natürlich werden die Änderungen eher teurer als billiger werden. Das ist die Erfahrung aus allen Projekten.
Zusätzliche Kosten entstehen übrigens auch aus dem Schlich tungsverfahren, bei dem alle immer wieder verlangt haben, man müsse das Vereinbarte einhalten. Da geht es z. B. um Brandschutz, Katastrophenschutz, Verkehrssicherheit, das Ver setzen der Bäume, das Erhalten der Gäubahn. Die DB hat bis heute keine Zahlen dazu genannt. Aber man kann sicher sa gen: Ein dreistelliger Millionenbetrag ist das allemal. Wenn man die Veröffentlichungen der Bahn der vergangenen Tage liest, muss man feststellen: Das will sie bereits auf andere ab drücken und nicht selbst finanzieren.
und dass die Große Wendlinger Kurve zwingend notwendig ist, wenn die Anforderungen bei um 30 % erhöhter Leistungs fähigkeit in alle Richtungen wirklich eingelöst werden sollen.
Meine Damen und Herren, man kann aus den vielen Großpro jekten der DB Konsequenzen ziehen und Einsichten gewin nen. Eines zeichnet alle aus: Die Kostensteigerungen bei die sen Projekten sind so sicher wie das Amen in der Kirche.
Ich nenne aus der Vielzahl der aus dem Ruder gelaufenen Großprojekte der DB nur zwei Beispiele – selbst diese haben nicht einmal die Dimension von Stuttgart 21 –: Bei dem Pro jekt Köln–Frankfurt am Main waren 2,9 Milliarden € geplant, realisiert wurde es mit 6,0 Milliarden €; bei Nürnberg–Ingol
Allein bei diesen Projekten ergaben die Kosten mindestens das Doppelte! Ich könnte Ihnen auch noch eine Reihe von Pro jekten darlegen, bei denen die Kosten das Dreifache oder das Vierfache des Betrags ergeben haben, von dem man am An fang ausgegangen ist. Klar ist bei all diesen Projekten: Die Kostensteigerungen treten immer in der Schlussphase auf.
(Abg. Thomas Blenke CDU: Von wem werden sie verursacht? – Abg. Klaus Herrmann CDU: So etwas Lächerliches!)
Das heißt, die heutigen Meldungen der DB „Wir sind im Plan“ sagen – gemessen an der Geschichte all dieser Projekte – ziemlich wenig aus. Die Aufschläge kommen später; das wis sen wir. Kein Vertrag wurde je zur Vergabesumme schlussge rechnet; auch das wissen wir und alle Experten.
Wir halten also fest: Der Risikopuffer ist faktisch aufgebraucht, bevor der Bau richtig begonnen hat. Er war aber eigentlich dafür da, dass er die Kostensteigerungen danach abdeckt.
Stuttgart 21 – da sind wir uns ziemlich sicher – wird eher 5 oder 6 Milliarden € kosten und mit 4,5 Milliarden € eben nicht finanziert sein.
Wenn die Kosten über 4,5 Milliarden € steigen, dann greift die sogenannte Sprechklausel. Das heißt, die Projektpartner müssen sich erneut zusammensetzen, müssen erneut beraten, wer bereit ist, die Mehrkosten oder einen Teil davon zu über nehmen. Es haben jedoch bereits alle Beteiligten – die Stadt, die Region, das Land, der Gemeinderat und übrigens auch der Bund und die Bahn – gesagt: Wir zahlen nicht mehr; wir über nehmen keine Mehrkosten.
Was wird geschehen, wenn während der Bauphase die Kos ten explodieren? Dann wird man in die Zwangssituation kom men, dass man entweder einen teuren Torso hat oder gezwun gen ist, den Torso fertig zu bauen. Wer muss dann nachlegen? Die öffentliche Hand. Wir als Land werden gezwungen sein nachzulegen, weil wir uns keinen Torso leisten können. Das ist das große Kostenrisiko, vor dem wir stehen und das wir abwenden müssen.