Im Unterschied zu den Kosten ist der verkehrliche Nutzen des Projekts – das haben der Stresstest und die Schlichtungsge spräche deutlich gemacht – sehr bescheiden. Die Fahrzeitge winne gehen im Wesentlichen auf die Neubaustrecke zurück. Der Bahnhof ist nur begrenzt in der Lage, Verspätungen ab zubauen. In den Zuläufen und Abläufen wachsen sie eher an. Da bleiben die Engpässe bestehen. Dort, wo man ranmüsste, geht man nicht ran. Die Fahrplangestaltung hat sich als schwie rig erwiesen. Das zeigt sich daran, dass schon nach den Pla nungen die meisten Gleise in der Spitzenstunde doppelt be legt werden müssen. Die Praxis, die die Engpassbahnhöfe in Köln und Hamburg so schlecht bewältigen, wählt man als Konzept für Stuttgart 21. Das kann nicht Zukunft sein.
Die unterirdischen Kapazitäten sind kaum mehr erweiterbar, höchstens zu extrem hohen Kosten. Insgesamt sind die Vor teile für den Schienenverkehr im Knoten Stuttgart und in der ganzen Region deutlich geringer als behauptet.
Fazit: Kosten, Risiken und Nutzen stehen in einem krassen Missverhältnis zueinander. Die Kosten sind premium, die Ri siken sind abenteuerlich, und der Nutzen ist fragwürdig.
Meine Damen und Herren, heute vor einer Woche hat der Bun desverkehrsminister im Bundestag den Offenbarungseid leis ten müssen. Er hat dem Deutschen Bundestag in aller Klar heit sagen müssen, wie gravierend die Unterfinanzierung bei den Schienenausbauprojekten und den Straßenausbauprojek ten des Bundes ist, wie gravierend das Missverhältnis zwi schen dem ist, was die Umsetzung der Projektliste kostet, und dem, was dem Minister zur Verfügung steht.
Die mageren Mittel des Bundes reichen zur Finanzierung vie ler, wirklich wichtiger, wirklich vordringlicher Projekte für Baden-Württemberg nicht aus. Das gilt etwa für die Strecke Frankfurt–Mannheim, für die Südbahn, die wir alle schon seit Langem fordern, für die Strecke Kehl–Appenweier. Sie alle sind nicht mehr im Investitionsrahmenplan.
Der Ausbau der Rheintalbahn – das ist das wichtigste Güter verkehrsausbauprojekt – kommt nicht voran. Wenn ich mir einmal anschaue, was der Bund in den nächsten Jahren in die sem Bereich zur Verfügung stellen will, kann ich nur sagen: Wir brauchen nicht Jahre, sondern Jahrzehnte, um fertig zu werden.
Angesichts dieser Situation muss Politik mit knappen Mitteln wirklich sparsam und bewusst umgehen. Sie muss sich auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist, und darf sich nicht auf Prestigeprojekte konzentrieren.
Meine Damen und Herren, dieses Kündigungsgesetz eröffnet Chancen für einen Neuanfang, für eine wirtschaftlich und ver kehrlich vernünftige und vor allem bezahlbare Investitions politik, für einen guten Schienenverkehr im ganzen Land und
nicht nur in Stuttgart, für einen Nutzen für alle Fahrgäste und – vergessen wir das nicht – für das Klima.
(Anhaltender lebhafter Beifall bei den Grünen – Abg. Klaus Herrmann CDU: Kein Wort zu 1,5 Milliarden € Ausstiegskosten! – Abg. Thomas Blenke CDU: Nor malerweise redet man über die Kosten eines Geset zes! Das gehört dazu! – Zuruf des Abg. Bernd Hitz ler CDU)
Meine Damen und Herren, für die Aussprache wurde eine Redezeit von 15 Minuten je Fraktion festgelegt, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.
Herr Präsident, meine sehr verehr ten Damen und Herren! Was wir eben gehört haben, war wie der ein echter „Hermann“.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP – Beifall bei den Grünen – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Ein Qualitätsbegriff, Herr Kollege!)
Dass Sie stolz darauf sind, beweist genau unsere Linie. Er ist jemand, der Realitäten verkennt, jemand, der juristische Spiegelfechtereien ausführt, der einen offenen Rechtsbruch letztlich als rechtskonform bezeichnet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf den, der sich mit diesem Verkehrsminister identifiziert, fällt dieser Schat ten selbst zurück.
Seit dem Amtsantritt der grün-roten Regierung hat man ir gendwie das Gefühl, Baden-Württemberg werde nach Absur distan geführt. Man könnte auch meinen, Baden-Württemberg stehe auf dem Kopf. Eine Koalition bildet sich, obwohl die Partner bei einem ganz zentralen Thema, nämlich S 21, kom plett unterschiedlicher Meinung sind. Demokratische Beschlüs se aus der Vergangenheit mit Bindungswirkung für die Zu kunft, Recht, auch Gesetz werden seither ignoriert. Ein rechts widriger Haushalt wurde verabschiedet.
Die Regierung, deren Pflicht es eigentlich ist, den Rechtsstaat durchzusetzen, Verträge einzuhalten, demokratische Beschlüs se umzusetzen, tut genau das Gegenteil.
Die Regierung bringt ein Gesetz zu Stuttgart 21 ein, aber nicht mit dem Ziel, dass es angenommen wird, wie dies normal wä re. Nein, gewollt ist, dass es scheitert,
um dann eine Volksabstimmung durchzuführen, bei der man so verquer fragt, dass die Befürworter des Projekts mit Nein und die Gegner mit Ja stimmen müssen.
Viele Menschen im Land stellen zu Recht die Frage, welchem Zweck die heutige Sondersitzung und das Kündigungsgesetz der neuen Landesregierung eigentlich dienen sollen.
Der Ministerpräsident hat in einem Interview mit der „Zeit“ vom 18. August dieses Jahres diese Frage beantwortet. Ich zi tiere:
Wir sind eine Koalition eingegangen, die in einer zentra len Frage, S 21, keine gemeinsame Grundüberzeugung hat.
Damit wird eines klar: Es geht der Regierung eigentlich nicht darum, den Bürger in einer Sachfrage entscheiden zu lassen.
Es geht nicht darum, die Einwände, die Gegenstimmen und die guten Argumente für das Projekt zu hören. Es geht zum einen um das Ziel der Grünen, jede Chance zu nutzen, Stutt gart 21 zu verhindern. Das ist die wahre Motivation.
Zum anderen starten Sie damit einen verzweifelten Versuch, den Koalitionsfrieden in einer Regierung, der sich bereits nach wenigen Wochen verbraucht hat, wiederherzustellen –
den Koalitionsfrieden in einer Regierung, die ihrer Verantwor tung für dieses Land nicht gerecht wird, einer Regierung mit einem Ministerpräsidenten, der nicht die Kraft und auch nicht den Willen aufbringt, sich in einer zentralen Sachfrage fest zulegen.
Es wird nicht regiert, sondern inszeniert. Sie machen sich nicht die Mühe, eine Lösung zu suchen, und Sie erfüllen nicht den Kern Ihrer Regierungsarbeit, den Kern dessen, wofür Sie gewählt wurden. Sie übernehmen nämlich keine Verantwor tung.
Herr Ministerpräsident, es gilt eben eines: Verantwortung zu übernehmen heißt auch, Entscheidungen zu treffen. Grüne und SPD hätten eine Entscheidung treffen müssen, ob sie zum Pro jekt S 21 stehen – vor, aber spätestens bei der Erstellung des Koalitionsvertrags. Sie hätten den Menschen im Land klar sa gen müssen, in welche Richtung Sie als neue Regierung in dieser zentralen Frage des Landes steuern. Sie hätten klar sa gen müssen, ob Sie an geschlossenen Verträgen festhalten. Das haben Sie nicht getan, und zwar deshalb, weil zumindest eine der beiden Regierungsfraktionen hätte eingestehen müs sen, dass sie ihre Versprechungen aus dem Wahlkampf gebro chen hat.