Herr Ministerpräsident, es gilt eben eines: Verantwortung zu übernehmen heißt auch, Entscheidungen zu treffen. Grüne und SPD hätten eine Entscheidung treffen müssen, ob sie zum Pro jekt S 21 stehen – vor, aber spätestens bei der Erstellung des Koalitionsvertrags. Sie hätten den Menschen im Land klar sa gen müssen, in welche Richtung Sie als neue Regierung in dieser zentralen Frage des Landes steuern. Sie hätten klar sa gen müssen, ob Sie an geschlossenen Verträgen festhalten. Das haben Sie nicht getan, und zwar deshalb, weil zumindest eine der beiden Regierungsfraktionen hätte eingestehen müs sen, dass sie ihre Versprechungen aus dem Wahlkampf gebro chen hat.
Sie hätten nach der Wahl aber Befriedungsarbeit für das Land leisten müssen. Diese leisten Sie nicht. Um den Eindruck auf rechtzuerhalten, Stuttgart 21 verhindern zu können, ist Ihnen jedes Mittel recht.
Sie, Herr Minister Hermann, wollen ohne jegliche rechtliche Grundlage Zahlungen für Stuttgart 21 einstellen.
Sie halten sogar die Zahlungen von Vertragspartnern zurück. Man muss wirklich prüfen, ob damit in einer solch zentralen Frage nicht auch der Tatbestand der Untreue erfüllt ist.
Sie machen alte Vermerke zu neuen. Sie versuchen, aus fal schen Tatsachen Wahrheiten zu konstruieren.
Der Streit über das Projekt spitzt sich zu. Die Haltungen der verschiedenen Seiten verhärten sich. Das Volk will eine Ent scheidung, und der Ministerpräsident hofft auf ein Wunder.
Nicht Hoffen, Herr Ministerpräsident, sondern Handeln er warten die Menschen in diesem Land. Das ist angesagt.
Vor vier Monaten haben Sie Ihr Amt angetreten. Jetzt, nach vier Monaten, bringen Sie ein Gesetz ein, das Sie eigentlich schon viel früher hätten vorlegen können. Vier Monate lassen Sie sich Zeit. Aber dann, wenn das Gesetz vorliegt und die wahre Zeit des Gehörtwerdens gefragt wäre, kann es nicht schnell genug gehen.
(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Wir sind Vollzeit parlamentarier, Herr Kollege! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Das ist regulär!)
Das muss so sein, denn sonst käme Ihr plötzlich so ambitio nierter Zeitplan, der in den ersten vier Monaten offensichtlich keine Rolle gespielt hat, durcheinander.
Die betroffenen Verbände hatten im Anhörungsverfahren trotz Urlaubszeit nicht regulär sechs Wochen, sondern nur vier Wo chen Zeit, sich zu äußern. Bedenken aus dieser Anhörung – etwa der kommunalen Landesverbände – wurden komplett ig noriert.
Das Gesetz selbst wurde vor gerade einmal drei Tagen in den Landtag eingebracht – drei Tage, in denen wir uns mit der ak tuellen Gesetzesvorlage überhaupt beschäftigen konnten. Fol gen wird nun auch nicht eine reguläre Ausschusssitzung. Nein, es müssen Sondersitzungen sein, eine Sondersitzung des Stän digen Ausschusses, unter Umständen auch eine des Verkehrs ausschusses. Und dann folgt innerhalb von 14 Tagen – nicht innerhalb von regulär vier Wochen – die zweite Lesung des Gesetzes.
Sie peitschen ein Gesetz durch, von dem sogar Ihr Justizmi nister sagt, dass er damit verfassungsrechtliches Neuland be trete. Es muss alles so schnell gehen, denn der Termin für die Volksabstimmung steht, der Verwaltungsapparat ist in Gang gesetzt, alle Räder rollen bereits. Wer ehrliche und nachhalti ge Politik betreiben will, kann so nicht regieren.
Warum haben Sie das Gesetz nicht viel früher eingebracht, damit alle Zeit hätte genutzt werden können, um es zu prüfen und darüber zu sprechen? Statt einer Politik des Gehörtwer dens praktizieren Sie eine Politik des Überhörens, eine Poli tik mit der Brechstange.
Warum binden Sie die Menschen im Land, die Verbände, die Opposition, aber auch Ihre eigenen Wählerinnen und Wähler nicht mehr mit ein, Herr Ministerpräsident? Wovor haben Sie eigentlich Angst?
Nach alldem hat sich die CDU-Fraktion die Frage gestellt, wie man auf ein solches Verhalten reagieren muss. Wir haben uns in der kurzen Zeit, die uns zur Verfügung stand, so intensiv wie möglich mit dem von der Regierung vorgelegten soge nannten Kündigungsgesetz auseinandergesetzt. Da es ein sol ches Gesetz erstmalig in der Geschichte des Landes gibt, war es uns wichtig, ausgiebig darüber zu sprechen, auch externe Argumente mit einfließen zu lassen.
Das Gesetz und seine Begründung an sich sind eine Zusam menstellung von Unwahrheiten, eine Verdrehung von Tatsa chen, und das Gesetz beruht auf falschen Annahmen. Zum ei nen sprechen Sie von einem Kündigungsrecht, obwohl es doch überhaupt kein Kündigungsrecht gibt. Auf dem Vorblatt Ihres Gesetzentwurfs steht selbst: „Alternative: Beibehaltung der vertraglich vereinbarten Mitfinanzierung.“ Schon allein dies spricht Bände. Aber es ist natürlich klar: Sie haben versucht, das Gesetz in der Frage der Verfassungsmäßigkeit so verfas sungsfest oder klagefest zu machen wie irgend möglich.
Im gesamten Vertrag, den das Land und die Projektpartner un terzeichnet haben – ich wiederhole es –, ist von Kündigungen, zu diesem Zeitpunkt jedenfalls, keine Rede mehr. Die Intrans parenz im vorliegenden Gesetz erreicht dadurch insofern ih ren Höhepunkt, als darin auch kein Wort zu Kostenwirkungen für die Zukunft zu finden ist.
Das müssen Sie aber auch tun. Denn es ist klar, dass bei je dem Gesetz, das vorgelegt wird, auch die Kosten, die Folge wirkungen dargestellt werden müssen. Unstrittig ist es auch bei Ihnen nicht, Herr Hermann, dass Kosten entstehen. Denn gerade aus der Furcht vor diesen Kosten – so begründen Sie es jedenfalls – wollten Sie die Kosten des Gesetzes gar nicht mit aufnehmen, damit nicht aus der Folgewirkung eines ge nannten Betrags X Ihr juristischer Standpunkt in der Frage von Schadensersatzforderungen unterhöhlt würde. Das ist am Ende doch die Wahrheit.
Sie verschweigen, dass beim Ausstieg – Stand November letz ten Jahres; das wurde im Zuge der Schlichtung auch von drei unabhängigen Wirtschaftsprüfern attestiert – mindestens 1,5 Milliarden € Schadensersatz vom Land bezahlt werden müs sen.
Bei den Kosten für den Schadensersatz reden wir tatsächlich von Mitteln des Landes, die auch für andere Zwecke einge setzt werden könnten. Die Regierung ist also bereit, dem Steu erzahler für einen Ausstieg aus dem Projekt doppelt so hohe Kosten aufzubrummen, wie für dessen Realisierung notwen dig sind. Das ist die Wahrheit, Herr Hermann.
Es sind die doppelten Kosten am Ende für nichts – nichts, was wir dann in der Hand haben, überhaupt nichts. Wir zahlen Schadensersatz, und wir müssen gegebenenfalls sogar noch – was Sie wollen – für eine Alternative erneut und wiederum neu zahlen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Logik soll jemand verstehen.
Es ist gut, dass Sie die Gesetzesbegründung beifügen, damit die Menschen im Land sehen, was Sie sich dort geleistet ha ben. Das kann man wohl sagen.
In der Gesetzesbegründung schreiben Sie, dass kaum eine Än derung – Verkürzung von Fahrzeiten – erreicht wird oder bes tenfalls marginale Vorteile entstehen. Wenn sich die Fahrzeit von Ulm nach Stuttgart um die Hälfte verkürzt, dann ist dies mit Sicherheit nicht marginal.
(Zurufe von den Grünen, u. a.: Nicht durch Stutt gart 21! Das ist die Neubaustrecke! Das ist ein gro ßer Unterschied!)
Wenn ein Friedrichshafener in der Zukunft anderthalb Stun den weniger zum Flughafen in Stuttgart braucht, dann ist das sicherlich nicht nur marginal.
Wenn ein Heilbronner, ein Horber und ein Singener deutlich schneller in Stuttgart und am Flughafen Stuttgart sind und wenn die Horber eine direkte Flughafenanbindung bekom men, dann rückt dieses Land Baden-Württemberg näher zu sammen. Das ist doch die Wahrheit.
Dann sprechen Sie von riesigen bahnbetrieblichen Nachteilen – vorhin wieder – und sagen, der Bahnhof würde Verspätun gen aufbauen. Beim letzten Gespräch mit Heiner Geißler ist doch eines klar geworden, und zwar in dem Augenblick, in dem manche der Projektgegner ausgezogen sind: Der Bahn hof baut nicht Verspätungen auf, sondern der Bahnhof baut Verspätungen ab, und zwar deutlich ab. Das ist die Wahrheit.
Durch das, was neu gebaut wird, werden Verspätungen abge baut und ergeben sich zusätzliche Puffer. Es ergibt sich gera de im Umsteigebereich zusätzliche Zeit; das ist vorteilhaft für eine älter werdende Gesellschaft. Die Verspätungen werden auf den alten Strecken aufgebaut – zwischen Heilbronn und dem neuen Knoten, zwischen Göppingen und dem neuen Kno ten, zwischen Horb und dem neuen Knoten.
(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Keine Ahnung! – Abg. Andrea Lindlohr GRÜNE: Was lernen wir denn dar aus?)
Dort, wenn überhaupt, werden Verspätungen aufgebaut. Aber das ist der Status quo, der heutige Stand.