Es wird übereinstimmend bemängelt, dass die Verhandlungen intransparent geführt wurden, dass dies viele offene Fragen aufwirft und auch zu einem Vertrauensschwund in der Bevöl kerung beiträgt. Deswegen soll eine umgehende Veröffentli chung des Verhandlungsmandats erreicht werden.
Ich gehe davon aus, dass diese von uns allen mit breiter Mehr heit gefasste Resolution nach wie vor gilt – erst recht für die Handelnden in den Regierungsfraktionen.
An der Eindeutigkeit der Haltung fehlt es der SPD nicht. Sie hat sich für Öffentlichkeit statt Intransparenz eingesetzt. Wir haben heute immerhin ein veröffentlichtes Mandat, und es soll landesweit eine breite Beteiligung geben. Unsere Position ist eindeutig, wenn wir sagen: Es darf nicht zu „Normenabsen kungen“ zulasten der Bürger kommen, und es bedarf auch kei ner dubiosen, heimlichen Gerichte.
Wenn andere von dem ausschließlich positiven Ausgang in ih rem Sinn überzeugt sind, dann möchte ich doch den selbst er nannten TTIP-Versteher Hans-Ulrich Rülke fragen, was denn nun in dem Vertrag steht
und auf welch dubiosen Wegen er zu seinen Erkenntnissen kommt. Es gibt allenfalls hie und da „Wasserstandsmeldun gen“. Ich sage: Diese Debatte wird zur Unzeit geführt. Ich sa ge: Eine seriöse Debatte lässt sich erst dann führen, wenn kon krete und belastbare Ergebnisse eines vorläufigen Abkommens vorliegen. Und bis dahin sollten auch Sie sich zurückhalten.
Herr Präsident, meine sehr ge ehrten Damen und Herren! Worum geht es bei TTIP? Es geht nach dem Scheitern der Welthandelsrunde darum, ob man auf dem Wege von Freihandelsabkommen und Investitionsabkom men Globalisierung positiv gestalten kann. Darum geht es im Kern bei TTIP. Es ist der Versuch, mit den Vereinigten Staa ten ein Abkommen zu schließen, mit dem wir das, was wir schon an guten Normen und Standards in ganz vielen Berei chen entwickelt haben, für die beiden größten Binnenmärkte der Welt zu gemeinsamen Standards entwickeln, indem wir wechselseitig Standards anerkennen.
Baden-Württemberg ist in besonderem Maß Akteur und Pro fiteur der Globalisierung. Deswegen haben wir in besonderem Maß ein Interesse daran, dass es gelingt, Globalisierung ge recht zu gestalten.
In der EU wurden hohe Standards und Normen entwickelt, sei es bei den Arbeitnehmerrechten, bei sozialen Standards, beim Arbeitsschutz, in der Berufsqualifikation, bei der Qualität der Produkte und Produktionsprozesse, bei der Frage von ressour censchonenden und effizienten Produkten oder bei der Nach haltigkeit und der Umweltverträglichkeit. Das macht den Qua litätsvorsprung aus, den die Wirtschaft, der Mittelstand, das Handwerk des Landes Baden-Württemberg haben. Sie kön nen nämlich diese Normen in bester Weise mit Produkten und guten Produktionsbedingungen ausfüllen und sind damit welt weit erfolgreich.
Die hohen Standards und Normen sind das Geschäftsmodell für den erfolgreichen Mittelstand Baden-Württembergs. Des wegen ist es unser Ziel, dass genau mit TTIP dieses Geschäfts modell in Zukunft auch in einem fairen Wettbewerb in diesem großen Freihandelsraum, der dort entstehen kann, stattfinden kann.
Wir können in der Medizintechnik, in der Automobilindus trie, in vielen Bereichen sehen: Die hohen Standards, die ho he Qualität und die Anstrengungen, die Innovationsfähigkeit, die wir in Baden-Württemberg in der Industrie, der Wirtschaft, im Bildungswesen entwickelt haben, sind genau der Grund dafür, warum es sich lohnt, darauf zu drängen, dass TTIP ein Erfolg wird. Nicht der niedrigste Preis und die schlechtesten Produktionsbedingungen, sondern Innovation, Qualität und gutes Geld für gute Arbeit müssen die Ziele sein, die in einem solchen Freihandelsabkommen zu verwirklichen sind, damit unsere Wirtschaft weiterhin gut funktionieren kann, aber auch die Menschen etwas davon haben.
Die Haltung der Landesregierung dazu ist völlig eindeutig. Herr Rülke, ich würde Ihnen dazu am Ende der Debatte gern einfach die Beschlüsse überreichen – denn vielleicht haben Sie es nicht gesehen –: Wir haben auf Antrag Baden-Würt tembergs drei Beschlüsse des Bundesrats bewirkt, in denen sich das Land eindeutig positioniert hat.
Wir haben dabei eindeutig darauf gedrängt, dass wir Transpa renz in die Verhandlungen bekommen, dass z. B. der Kultur bereich ausgenommen wird, weil das für uns ein Verfassungs auftrag und kein Markt ist. Wir wollen, dass die Standards im
Umweltbereich, im Arbeitsschutzbereich – die sozialen Stan dards – zum Verhandlungsmandat dazukommen. Wir haben uns bei der Mandatierung der Kommission für das Freihan delsabkommen mit einem Beschluss zu Wort gemeldet, wir haben uns zu den Schiedsgerichten mit einem Beschluss zu Wort gemeldet, und wir haben übrigens auch hier im Landtag einen Beschluss dazu gefasst.
Also: Es gibt überhaupt keine Uneindeutigkeit, die Sie an die ser Stelle konstruieren. Ich gebe Ihnen die Beschlüsse; nach her können Sie es nachschauen. Dann hat sich zumindest der Teil Ihrer Debatte, glaube ich, erledigt.
Lassen Sie mich noch zu ein paar Punkten bei TTIP und den Verhandlungen etwas sagen. Es geht darum, dass wir Stan dards wechselseitig anerkennen und damit auch das schützen, was wir erreicht haben. Wenn ein Bundeslandwirtschaftsmi nister Schmidt sagt: „Wir können nicht jede Wurst schützen“, dann ist das genau das Gegenteil von dem, was wir bei TTIP erreichen wollen.
Darauf hat der Kollege Bonde auch völlig zu Recht hingewie sen. Es geht nämlich darum, dass wir mit TTIP Vereinbarun gen treffen, auf deren Grundlage garantiert ist, dass drin ist, was draufsteht, und dass zu den Bedingungen produziert wird, die als Regeln da sind. Es geht bei TTIP darum, genau diese Standards wechselseitig anzuerkennen, damit dann, wenn ir gendwo „Schwarzwälder Schinken“ draufsteht, auch tatsäch lich Schwarzwälder Schinken drin ist
und dann, wenn „gentechnikfrei“ draufsteht, eben auch klar ist, dass es tatsächlich gentechnikfrei ist. Das können wir mit einem guten TTIP erreichen, und das wollen wir erreichen.
TTIP ist aber kein Selbstzweck; auch Freihandel ist kein Selbstzweck. Es geht da um öffentliche Daseinsvorsorge, da rum, dass es keinen Privatisierungszwang gibt. Auch dafür ha ben wir uns eingesetzt und setzen wir uns ein. Das ist auch in guter Weise im Mandat hinterlegt.
Wir setzen uns dafür ein, dass es eben nicht zu einer privati sierten Paralleljustiz kommt, die letztlich sogar die Gesetzge bungskompetenz von Staaten aushebeln kann. Vielmehr geht es darum, dass wir einen multilateralen, rechtsstaatlichen An forderungen genügenden Handelsgerichtshof schaffen. Dabei, Herr Reinhart, freue ich mich sehr, wenn Sie den Vorschlag, der ja von sozialdemokratischen Regierungen in Europa ge macht wurde, um das Thema Schiedsgerichtsbarkeit aufzulö sen, unterstützen.
Wir, die Landesregierung, waren dazu nicht nur im Bundes rat aktiv, wir waren auch beim Kommissionspräsidenten ak tiv. Der Herr Ministerpräsident hat dort dieses Thema vorge bracht. Wir waren bei der Kommissarin Malmström, haben darüber mit ihr diskutiert. Wir haben einen der Verhandler der Kommission, Herrn Schlegelmilch, zu einer Veranstaltung nach Baden-Württemberg geholt, um über das Thema zu dis kutieren, und wir sprechen mit dem Berichterstatter im Euro päischen Parlament, mit dem Vizepräsidenten der Kommissi on, Herrn Timmermans, darüber, was wir dafür tun können,
damit TTIP ein gutes Abkommen wird, das den Menschen und der Wirtschaft nutzt und das die Sorgen und Befürchtungen der Menschen ausschließt.
Dafür bedarf es Transparenz, dafür bedarf es harter Verhand lungen, dafür bedarf es übrigens auch Bewegung bei den Amerikanerinnen und Amerikanern, die bisher in diesen Ver handlungen wenig zugestanden haben. Deswegen ist es auch keineswegs Gesetz, dass TTIP letztlich ein Erfolg wird, son dern man muss hier auf dem Verhandlungswege noch Verbes serungen gegenüber dem erreichen, was bisher in den Ver handlungen erreicht wurde.
Ich möchte auch sagen: Der Druck, den wir, die Landesregie rung, entfaltet haben, den dieser Landtag mit entfaltet hat, den die Zivilgesellschaft, die Öffentlichkeit mit entfaltet haben, den auch Parteien mit entfaltet haben, bewirkt auch etwas. Es ist gut, dass er etwas bewirkt. Er hat bewirkt, dass das Ver handlungsmandat inzwischen offengelegt ist. Er hat bewirkt, dass wir die Unterlagen für die Verhandlungen bekommen, dass es Briefings und Debriefings zu den Verhandlungen gibt, und er hat vor allem bewirkt – das ist das, was uns besonders wichtig war –, dass klar ist: TTIP wird ein gemischtes Abkom men sein.
Das heißt, es bedarf auch der demokratischen Legitimation durch die Parlamente in den Staaten der Europäischen Union. Bundestag und Bundesrat werden letztlich über die Ratifika tion mit abzustimmen haben. Das ist notwendig, um deutlich zu machen: TTIP ist kein Anschlag auf die Demokratie, son dern TTIP kann ein Beitrag dazu sein, dass wir unsere Wirt schaftsordnung demokratisch weiterentwickeln, sodass es den Menschen, den Verbraucherinnen und Verbrauchern, und der Wirtschaft nutzt. Dafür setzen wir uns ein, und für jede Un terstützung dabei sind wir Ihnen dankbar.
Wir werden nächste Woche im Kabinett noch einen Beschluss fassen, auch in Bezug auf unsere Verhandlungslinie. TTIP ist ein Prozess. Kein Mensch kann heute sagen, wie er ausgehen wird, aber es ist gut, in diesem Prozess für die Interessen des Landes, für die Interessen der Menschen Druck zu machen. Das machen wir.
Ich kann verstehen – auch im parteipolitischen Sinn –, dass Sie, Herr Rülke, sich Sorgen machen, wenn die Wirtschaft die ser Landesregierung vertraut und die Wirtschaft dieser Lan desregierung mehr zutraut als anderen. Ich kann verstehen, dass Ihnen das parteipolitisch Sorgen macht. Im Sinne des Landes sollte es Ihnen, glaube ich, keine Sorgen machen.
Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Einige wenige Anmerkungen zu dem Gesagten. Frau Lindlohr, Sie haben sicher recht, wenn Sie sagen, dass mittelständische Unternehmen vor Schiedsge richten mehr Schwierigkeiten haben als große Konzerne. Da raus kann man aber nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass man sozusagen den Mittelstand irgendwie außer Streit stellen
könnte. Denn mittelständische Unternehmen, die im Export tätig sind, können eben auch in Streitfälle verwickelt werden, und da brauchen sie Lösungen.
Das, was für die Schiedsgerichte gilt, gilt für die ordentliche Gerichtsbarkeit ebenso. Insofern sind die Probleme vor Schiedsgerichten ebenso lösbar wie vor ordentlichen Gerich ten.
Wir brauchen also eine für den Mittelstand taugliche Lösung. Diese taugliche Lösung ist innerhalb der Schiedsgerichtsbar keit durchaus denkbar.
Im Übrigen sind diese Schiedsgerichte mit Sicherheit nicht die ersten, die vereinbart worden sind. Es gibt Dutzende Ver einbarungen darüber – übrigens auch in der rot-grünen Regie rungszeit.
Doch, das hat er gesagt, wörtlich. – Man solle sich zurück halten. Das hat er auch gesagt. Ich würde mich schon über die se Aussage wundern, und zwar vor dem Hintergrund dessen, was ich von Sigmar Gabriel zitiert habe. Ich nehme an, Sie kennen ihn; das ist Ihr Parteivorsitzender.
Er hat erklärt: „Ohne TTIP droht der wirtschaftliche Abstieg.“ Wie passt das denn zusammen, meine Damen und Herren? Der Parteivorsitzende der SPD erklärt: „Ohne TTIP droht der wirtschaftliche Abstieg“, und die SPD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg erklärt: „Darüber redet man am bes ten gar nicht.“ Das passt nicht zusammen, meine Damen und Herren.