Protokoll der Sitzung vom 12.03.2015

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 123. Sitzung des 15. Landtags von Baden-Würt temberg.

Krankgemeldet sind Frau Abg. Anneke Graner und die Her ren Abg. Halder, Kopp, Schwehr und Stächele.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich Frau Mi nisterin Öney, Herr Minister Dr. Schmid und Herr Minister Stoch.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Vier Jahre nach Fukushima – vier Jah re verantwortliche Atompolitik in Baden-Württemberg – beantragt von der Fraktion GRÜNE

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Rednerinnen und Redner in der zweiten Runde gilt jeweils ei ne Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

Das Wort erhält Herr Kollege Raufelder.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte meinen Redebeitrag mit fol genden Worten einleiten:

Harrisburg 1979, Tschernobyl 1986, Fukushima 2011. In dem Zeitraum, der durch diese Ereignisse abgesteckt ist, ist viel passiert, auch in Bezug auf die Energieversorgung. Auch dies ist für mich wichtig. Führen wir uns die Bilder von Tscherno byl vor Augen: Dort haben Feuerwehrleute sozusagen mit blo ßen Händen Sand in einen offenen Druckreaktor hineinge schmissen. Man hat gesehen, wie gefährlich diese Technolo gie ist und wie leidvoll dieser Unfall auf die Menschen, die dort gearbeitet haben, heute noch zurückwirkt. Dies gilt nicht nur für Tschernobyl, sondern auch für Harrisburg und Fuku shima.

Mir ist ganz wichtig, eingangs meine Gefühle angesichts die ser Form der Energieerzeugung zum Ausdruck zu bringen. Denn ich denke, solche Gefühle haben viele Menschen in Ba den-Württemberg, ja die überwiegende Mehrheit der Menschen in Baden-Württemberg, dazu bewogen, sich gegen Stromer zeugung durch Atomkraft auszusprechen. Das ist meiner An sicht nach auch richtig.

Leider hat der erste Versuch eines Atomausstiegs in Deutsch land nicht geklappt. Erst infolge der Katastrophe in Fukushi ma, die zeigte, dass diese Technologie auch in einem Hoch technologieland nicht mehr zu halten ist, ist man ausgestie gen. Auch die schwarz-gelbe Regierungskoalition hat darauf hin eine 180-Grad-Drehung vollzogen

(Zuruf von der CDU: Seid froh!)

und hat endlich ebenfalls eingesehen, dass Atomstrom keine Technologie der Zukunft ist. Bedauerlicherweise kamen dar aufhin jedoch keine Anweisungen beispielsweise dazu, wie ein Rückbau stattzufinden hat, und keine Regelungen für ei ne Endlagersuche.

Unserem Ministerpräsidenten sowie unserem Umweltminis ter ist es nun zu verdanken, dass die Debatte endlich neu be lebt wurde, dass die Sacharbeit vorankam und die Endlager suche wieder aufs Tapet kam.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das war eine ganz wichtige Leistung dieser Landesregierung. Es ist auch klar: Bei einem Atomstromanteil von über 50 % im Land war es für uns und für die Regierung wichtig, diese Verantwortung zu übernehmen und Impulse zu setzen, damit wir für hoch radioaktive Abfälle, aber auch für mittel radio aktive Abfälle – wie sie beispielsweise im Schacht Konrad, bei dem es ebenfalls nicht vorangeht, eingelagert werden sol len – eine Lösung finden.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Es ist ganz wichtig, dass wir deutlich machen, dass diese Lan desregierung wirklich eine verantwortungsvolle Atompolitik betreibt. Natürlich wäre es auch mir am liebsten, wenn man zum Ausstieg aus der Atomkraft einfach nur einen Hebel um legen müsste. Aber noch immer gibt es in Baden-Württem berg, aber auch in anderen Bundesländern Restlaufzeiten von 30 bis 40 Jahren. Zudem muss eine Nachsorge stattfinden. Da hat der Umweltminister, auch durch die Infokommissionen, sehr viel dazu beigetragen, dass gerade in Philippsburg und in Neckarwestheim die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger gehört werden und dass gezeigt wird, wie ein geordneter Rückbau letztlich vorgenommen werden kann.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Es ist nämlich ganz wichtig, dass ein solcher geordneter Rück bau stattfindet. Der Unfall in Tschernobyl, aber auch Unfälle in anderen Atomkraftwerken haben nämlich gezeigt, dass die Beschädigungen immer ein Gefahrenpotenzial darstellen. In

Tschernobyl – Sie wissen es – versucht man jetzt ganz schnell, noch eine Art Sarkophag zu bauen. Die Technologie an sich ist jedoch eine falsche Technologie, und in Baden-Württem berg gibt es nun Gott sei Dank einen geordneten Rückbau. Auch die EnBW hat viel dazu beigetragen, dass dieser geord nete Rückbau beantragt werden konnte. Auch dieser Erfolg ist auf unseren Minister zurückzuführen; denn nun kann mit dem geordneten Rückbau begonnen werden.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

In diesem Zusammenhang ist allerdings völlig kontraproduk tiv, dass nun vonseiten der Opposition die Diskussion über ei ne Zwischenlagerung von Atomabfällen in Philippsburg in Gang gesetzt wird. Dort geht es um acht Castorbehälter. Wenn vonseiten der Opposition nun die Frage aufgeworfen wird: „Warum muss das nach Philippsburg?“, dann lautet die Ant wort: Es ist Müll aus Philippsburg, und warum soll dieser Müll nicht auch wieder in Philippsburg zwischengelagert wer den?

Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, daher, doch noch ein mal in sich zu gehen: Die Politik, den Atommüll, den wir selbst verursacht haben, auch wieder zurückzunehmen, ist richtig. Es geht nicht an, immer wieder in populistischer Ma nier vor Ort zu sagen: „Das wollen wir hier nicht mehr.“ Denn die Abfälle kommen ja aus Philippsburg, und sie sollen des wegen auch wieder nach Philippsburg zurück. Bitte betreiben Sie keine Opposition vor Ort, sondern helfen Sie mit, dass die Zwischenlagerungsmöglichkeiten für Atommüll in Philipps burg und auch in Neckarwestheim genutzt werden.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Die Verantwortung für einen geordneten Rückbau tragen wir alle hier im Parlament. Wir sollten daher keine Parteipolitik in Philippsburg oder Neckarwestheim zulasten einer vernünf tigen Energiepolitik betreiben, und wir sollten diese Themen auch nicht für den Landtagswahlkampf missbrauchen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So, wie beim letzten Mal!)

Es ist nicht richtig, so vorzugehen, sondern man muss voraus schauend handeln.

Auch deswegen ist der Ausstieg aus der Atomenergie wich tig. Wir müssen jetzt noch den Einstieg in die Energiewende finden. Auch hier hat unser Ministerium sehr viel geleistet, und wir hoffen, dass sich auch die Opposition diesem Weg an schließt und bei der Energiewende tatkräftig mitarbeitet.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Lusche.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Zunächst, Herr Kollege Raufelder, ein Kompliment an Sie: Der Präsident weist ja immer einmal wieder darauf hin, dass nach § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung die Aus sprache in der Aktuellen Debatte in freier Rede geführt wer den soll. Ich nehme gern das auf, was auch Sie vorgemacht haben, und verlese hier nichts.

Fukushima: Wer gestern in die Zeitungen geschaut hat und die Bilder im Fernsehen gesehen hat, der sollte sich, glaube ich, noch einmal daran erinnern, dass wir es dabei nicht nur mit einer Reaktorkatastrophe zu tun hatten. Wir reden über 18 500 Tote unmittelbar durch den Tsunami, über eine Umwelt katastrophe auch in anderer Hinsicht, also über eine mensch liche und auch wirtschaftliche Tragödie in Japan.

Gleichzeitig reden wir natürlich – ich will es beim Namen nennen – über eine Bruchlandung, über die desaströse Bruch landung einer Hochtechnologie in einem Hochtechnologie land. Wenn man gestern wieder lesen konnte, dass von den drei Reaktoren, in denen es zur Kernschmelze, zu Wasserstoff explosionen gekommen ist, immer noch nicht bekannt ist, wo die Brennstäbe sind, dann zeigt das, was für eine Dimension diese Problemlage hat und ausmacht. Dies hat auch dazu ge führt, dass beispielsweise in Deutschland – Sie haben es an gesprochen – die Frage der Energieversorgung virulent wur de und die Energieversorgungslandschaft vollkommen im Umbruch ist.

Allerdings muss man auch festhalten: In Japan beispielswei se redet man jetzt darüber, die Reaktoren wieder hochzufah ren. In Großbritannien plant man – mit europäischer Unter stützung – den Bau von zwei neuen Reaktoren. Wir sind in Deutschland – das muss man hier sagen – in gewisser Hin sicht auch solitär.

Allerdings stellt man sich jetzt die Frage: Was ist der Hinter grund Ihrer Debatte am heutigen Tag? Denn Sie haben nicht „Vier Jahre Fukushima“ als Titel dieser Aktuellen Debatte ge wählt, sondern „... vier Jahre verantwortliche Atompolitik in Baden-Württemberg“. Jetzt will ich Ihnen zugestehen, dass dies ein grünes Leib- und Magenthema ist, dass es ein identi tätsstiftendes Thema für Sie ist. Jawohl, es wäre albern, wenn beispielsweise wir eine Art Copyright beanspruchen würden. Ja, Sie vonseiten der Grünen haben von Anfang an gesagt: „Diese Technologie hat keine Zukunft, wir wollen da raus.“ Das konzedieren wir. Nur ist das heute keine Erkenntnis, die uns – vier Jahre nach Fukushima – neu ist, sondern wir müs sen uns doch jetzt damit beschäftigen, was die Konsequenz daraus ist.

Da erlauben Sie mir, zunächst erst einmal zu sagen: Ihr Titel impliziert ja quasi, dass wir seit etwa vier Jahren eine verant wortliche Atompolitik in Baden-Württemberg haben. Sie schreiben auf Ihrer Homepage, Herr Minister, dass verant wortliche Atompolitik bedeute, dass die höchsten Sicherheits standards gelten müssten, und verweisen darauf, dass dies von internationalen Kommissionen, etwa im September 2011, be stätigt worden sei. Dabei wissen Sie natürlich ganz genau, dass die dafür zugrunde liegenden Überprüfungen und Unter suchungen von 2008/2009 an gelaufen sind. Ich lege schon großen Wert darauf, dass in puncto Sicherheit auch schon vor 2011 von der vorherigen Regierung verantwortliche Atompo litik in Baden-Württemberg betrieben worden ist.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Vereinzelt Beifall bei den Grünen – Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE: Was hat der Kollege Map pus gemacht?)

Ich will da aber – ich denke, auch in Ihrem Sinn – gar keinen parteipolitischen Streit entfachen. Ich habe auch kein Prob lem, Herr Minister, Sie an dieser Stelle zu loben. Es gab im

Zusammenhang mit Fukushima Stresstests. Es gab Anforde rungen, die Sicherheitsfragen fortzuentwickeln. Ich glaube, da haben wir inhaltlich einfach überhaupt keinen Konsens.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Was? Dissens!)

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Das kommt da von, wenn man frei spricht!)

Man kann natürlich über solche Themen reden. Sie loben sich besonders für die Transparenz, indem Sie jetzt Meldungen der Stufe 0 oder der Kategorie N per Pressemitteilung herausge ben. Das kann man machen; das ist sehr transparent. Ob der Erkenntnisgewinn so gewaltig ist, sei einmal dahingestellt.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Rösler?

Ich möchte jetzt gern erst im Zu sammenhang reden, lieber Kollege Rösler. Dann können wir es gern anschließen.

Aber – Sie haben es ja schon angesprochen – nehmen wir ein mal das Thema Castoren. Was war die Situation? Wir haben an dieser Stelle eine Regierungsinformation, eine Regierungs erklärung des Ministerpräsidenten erhalten, in der es sinnge mäß hieß: „Der Durchbruch bei der Endlagersuche ist ge schafft. Gorleben ist noch im Rennen, aber nicht mehr als ge nehmigtes Zwischenlager. Wir bieten an: Wir nehmen auch ein paar Castoren zurück, wenn noch andere mitmachen.“

Wenn ich es richtig gelesen habe, ist der Befund der Bundes umweltministerin aus den letzten Tagen, dass diese Vereinba rung, diese Überlegung komplett gescheitert ist. Ich denke, das hat auch ein bisschen mit dem Vorgehen zu tun. Der Kol lege in Schleswig-Holstein, der ursprünglich dabei war, zieht sich jetzt hinter die Aufhebung der Genehmigung zu Bruns büttel zurück. Im Grunde haben Sie etwas in den Raum ge stellt als eine scheinbare Lösung, einen scheinbaren Kompro miss. Sie haben vor Ort die entsprechenden Sorgen ausgelöst, aber einen wirklichen Lösungsansatz, den haben Sie bis heu te nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)