Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Fortentwicklung des öffentlichen Personen nahverkehrs in der Region Stuttgart – Drucksache 15/6570
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her ren! Wir legen heute den Entwurf eines Artikelgesetzes vor, in dem wir das umsetzen – auf Gesetzesbasis –, was wir im ÖPNV-Pakt vor ungefähr einem Jahr vereinbart haben. Es geht um die Entwicklung und Stärkung des ÖPNV, die Koordina tion der verschiedenen Verkehrsträger in dieser Region, wie wir dies zukünftig machen können und wie auch zukünftig die Kompetenzverteilung in der Region unter den unterschiedli chen Gremien des Verbands Region Stuttgart, der Landes hauptstadt und der umliegenden Landkreise stattfindet.
Meine Damen und Herren, damit es zu diesem Gesetz kom men konnte, war ein langjähriger Streit zu lösen und zu klä ren, nämlich im Hinblick darauf, dass es in dieser Region die Besonderheit gibt, dass für die S-Bahn der Verband Region Stuttgart zuständig ist und dass für den sonstigen ÖPNV die Stadt bzw. die Landkreise zuständig sind. Zusammen mit den neuen EU-rechtlichen Regelungen, wer eine sogenannte all gemeine Vorschrift macht, gab es einen Dauerstreit hinsicht lich der Fragen: Wer darf das? Wer ist dafür zuständig?
Am Ende eines jahrelangen Hin und Her haben alle Beteilig ten mich gebeten, den Konflikt zu moderieren und zu einer Lösung zu kommen. Man kann sagen, dass wir lange verhan delt haben. Es brauchte viel Geduld, aber am Ende ist etwas Gutes herausgekommen: etwas Gutes für die Region, für die Menschen in der Region und für den öffentlichen Verkehr in dieser Region.
Wir haben es erreicht, im Konsens, den dann alle mitgetragen haben, eine Grundlage für diesen Gesetzentwurf zu schaffen. Wir sortieren und regeln das Ganze neu, und zwar mit einer klaren Perspektive: Wir regeln nicht nur formale Zuständig keiten, sondern wir geben dem ÖPNV insgesamt eine positi ve Entwicklungschance, damit wir uns nicht im Kompetenz streit zerreiben.
Wie sieht es aus, wie ist die Kompetenzaufteilung, und wie geht es weiter? Zum SPNV ist festzustellen: Wir wollen und wir müssen das S-Bahn-Netz, das Nahverkehrsschienennetz insgesamt in den nächsten Jahren gut weiterentwickeln und haben dafür übrigens auch eine Expertenkommission einge richtet, damit dieses Element der Gefährdung des ÖPNV an gegangen wird. Gerade bei der S-Bahn ist ja täglich zu sehen, was passiert, wenn Infrastruktur nicht funktioniert. Wenn die eine S-Bahn zu spät kommt, kommt auch die nächste zu spät. Die Pendler stehen sozusagen im S-Bahn-Stau. Das wollen wir ändern, das wollen wir verbessern.
Wir, das Land, haben auch einen großen Schritt gemacht, in dem wir unser Konzept der Metropolexpressbahnen für die Region entwickelt haben. Wir wollen im 30-Minuten-Takt – das haben wir gestern auch angeführt – die Region erschlie ßen. Diese Metropolexpresszüge stärken auch das S-BahnSystem, weil sie den S-Bahn-Bereich entlasten und außerhalb des S-Bahn-Bereichs der verkehrlichen Metropolregion ein neues, schnelles Angebot bieten.
In der ersten Stufe werden wir auf den Strecken bis Pforzheim, Heilbronn, Murrhardt/Gaildorf, Schwäbisch Gmünd, Süßen, Tübingen und jetzt neuerdings auch Bondorf und weiter nach Horb über die Gäubahn Metropolexpresszüge anbieten kön nen.
So ist die Verabredung. Vieles von dem, was ich heute vortra ge, steht nicht im Gesetz, sondern ist Teil des ÖPNV-Pakts. Man muss und man kann auch nicht alles in diesen Gesetzen regeln. Aber – daher trage ich das hier auch vor – das Ganze ergibt einen Sinn.
Wir haben uns in der Region darauf verständigt, dass wir dort, wo es keine S-Bahn gibt – vor allem bei tangentialen Verbin dungen – und wo wir auf absehbare Zeit auch nicht das Geld haben werden, solche tangentialen S-Bahn-Verbindungen zu schaffen, Expressbuslinien aufziehen, die kostengünstiger sind. Sie stellen schnelle tangentiale Verbindungen dar. Die se sollen dem vorhandenen Nahverkehr keine Konkurrenz ma chen, sondern sollen mit Bussen, überwiegend Kreisgrenzen überschreitend, angeboten werden, die auf eigenen Spuren möglichst schnell vorankommen. Sie sollen nur an größeren Zwischenhalten Menschen aufnehmen. Auch hier gibt es be reits erste Überlegungen. Der Verband Region Stuttgart, der dafür nun neu zuständig ist, hat bereits erste Linien entwor fen. Die Städte und Landkreise sind dabei auch gut beteiligt.
Mit drei Linien werden wir wahrscheinlich im nächsten Jahr starten können, nämlich mit den Linien Leonberg–Flughafen/ Messe, Kirchheim–Flughafen/Messe oder Waiblingen–Ess lingen. Dies sind alles Verbindungen, bei denen wir wissen: Es gibt viel Verkehr, aber kein gutes ÖPNV-Angebot. Das kann durch diese neue Regelung alles verbessert werden.
Es gab übrigens auch eine starke Auseinandersetzung zwi schen dem Verband Region Stuttgart und den Landkreisen, die daraus resultierte, dass der Verband Region Stuttgart sei ne S-Bahnen immer besser gemacht hat, das Angebot ausge baut hat, und die Landkreise die ankommenden Fahrgäste z. B. an Endhaltepunkten oder an Wochenenden bei NachtS-Bahnen nicht aufgenommen haben. Mit diesem Pakt haben sich die Kommunen bzw. die Landkreise verpflichtet, diese Dienstleistung anzubieten und die Fahrgäste aufzunehmen. Damit wird aus dem System ein ganzheitliches System, ein richtig gutes Angebot auch für junge Menschen abends und am Wochenende. Wir haben weiter festgelegt, dass die Ne benbahnen, so wie bisher, bei den Landkreisen verbleiben, al so nicht in das Management der Region Stuttgart übergehen.
Neu ist: Der Verband Region Stuttgart ist für etwas in der Re gion dringend Notwendiges zuständig – dies war vorher in keiner Weise geregelt –, nämlich die Vernetzung der verschie
denen Verkehrsträger z. B. durch die Entwicklung von Parkand-ride-Parkplätzen sowie die kommunikative Verbesserung und die Anbindung auch an den öffentlichen Verkehr, insbe sondere an die S-Bahnen. Denn das Verrückte ist ja, dass eine Kommune, wenn sie im Außenbereich von Stuttgart einen Park-and-ride-Platz einrichtet, nur Kosten hat, aber keine Vor teile. Die Stadt Stuttgart braucht so etwas aber eigentlich, da mit der Verkehr hier entlastet wird.
Durch die neuen klärenden Regelungen und Zuständigkeiten kann die Region das im Interesse aller besser managen und koordinieren. Es geht nicht nur um das Park-and-ride-System, sondern auch um Carsharing und Fahrradverleihsysteme. Das alles ist wiederum Teil des Gesamtkonzepts.
Bei dem Ausgangspunkt, dem Streitfall zur allgemeinen Vor schrift, den ohnehin nur Experten verstehen – es geht um die Regelung der zweiten Verbundstufe und darum, wie Minder einnahmen und Tarifbegünstigungen einheitlich geregelt wer den –, haben wir als Lösung gefunden, dass dies beim Ver band Region Stuttgart angesiedelt wird. Aber das muss im Einvernehmen mit allen anderen geschehen. Den Landkrei sen und der Stadt Stuttgart war es sehr wichtig, dass das Gan ze nicht an ihnen vorbeigeht. Dem Verband Region Stuttgart war es wichtig, dass er die Federführung hat. Ich glaube, das ist ein guter und gangbarer Kompromiss. Vielen Landräten ist es schwergefallen, diesen Weg zu gehen, aber am Ende haben sie zugestimmt, weil es der Sache insgesamt dient.
Auch die Frage der Neuordnung der Finanzierung spielt eine Rolle. Wir brauchen erst noch eine Expertenkommission, die das weiterentwickelt. Das ist aber nicht Teil des Gesetzes, des sen Entwurf heute vorliegt, sondern das wird als Teil des Ge samtpakets weiterentwickelt.
Mit dem heutigen Tag haben wir das Gesetzgebungsverfah ren eingeleitet. Das Artikelgesetz ändert das ÖPNV-Gesetz, in dem es um die Gestaltung und Organisation des Schienen personennahverkehrs geht. Wir ändern auch das Gesetz über die Errichtung des Verbands Region Stuttgart. Dieser hat ja eine eigene gesetzliche Grundlage. Deswegen ist dies ein Ar tikelgesetz.
Ich habe es schon gesagt: Die Zuständigkeit für die allgemei ne Vorschrift – um das noch einmal klarzumachen – liegt beim Verband, aber im Einvernehmen mit der Landeshauptstadt und den Landkreisen. Die Zuständigkeit für die Expressbusse liegt neu beim Verband; das wird aber mit den Kommunen bzw. Landkreisen abgesprochen. Das regionale Verkehrsmanage ment liegt im Interesse aller.
Was kostet das Ganze? Wer muss es bezahlen? Der Verband Region Stuttgart wird seine zusätzlichen Anstrengungen über die Verkehrsumlage finanzieren können. Das ist richtig; da von haben dann auch alle etwas. Deswegen ist das am Ende auch von den Landkreisen akzeptiert worden. Sie sagen: Wir machen das mit, weil es auch den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land dient.
Dem Land entstehen, zumindest was die Umlage anbelangt, keinerlei Kosten. Unser Beitrag ist, dass wir die Metropolex presslinien bestellen. Aber das machen wir aus Regionalisie rungsmitteln. Es belastet also den Haushalt nicht zusätzlich.
Wir haben uns in der Phase der Erarbeitung des Gesetzent wurfs mit allen Beteiligten breit abgestimmt, quasi ein Anhö rungsverfahren vorgeschaltet. Dabei gab es einige Änderungs vorschläge. Aber wir haben nur wenig davon aufnehmen kön nen. Warum? Weil einige, die an dem Kompromissverfahren nicht beteiligt waren, am Ende Vorschläge gemacht haben, die den Kompromiss, den man gefunden hatte, wieder aufgebro chen hätten. Man kann nicht einen einseitigen Vorschlag auf greifen, hinsichtlich dessen im Verfahren ganz klar war, dass die andere Seite nie mitmachen würde. Deswegen sind es maßvolle Änderungen.
Aber wir haben alle Vorschläge geprüft. Uns war sehr wich tig, dass am Ende diejenigen, die bei der Ausarbeitung des ÖPNV-Pakts mitgemacht und unterschrieben haben, die be reit waren, Kompromisse zu schließen, einen Anspruch auf das gegebene Wort haben, dass wir genau das 1 : 1 im Gesetz umsetzen und nicht hinterher wieder etwas anderes machen. Das haben wir hiermit getan, und das ist auch gut so. Deswe gen glaube ich, dass der Pakt trägt.
Ich meine auch, dass Sie alle, weil es ein überparteilicher Pakt ist, dem zustimmen können. Denn eines ist jetzt schon klar geworden: Mit dem ÖPNV-Pakt ist hier in der Region wirk lich eine Aufbruchstimmung erreicht worden. Überall wird an der gemeinsamen Verbesserung des Angebots gearbeitet. Das braucht die Region auch dringend, damit wir weniger Staus, weniger Feinstaubbelastung, insgesamt mehr Lebensqualität und trotzdem einen guten Verkehr haben.
Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen, liebe Kollegen! Der mittlere Neckarraum, die Regi on Stuttgart, ist in vielerlei Hinsicht – nicht nur geografisch – der starke Mittelpunkt unseres starken Landes. Das hat Fol gen. Voraussetzung für diese Stärke ist Mobilität, und Folge der Stärke ist eine hohe verkehrliche Belastung. Es ist und bleibt deshalb eine ständige Herausforderung für die Politik, in der Region Mobilität zu fördern, zu organisieren und die dafür notwendige Infrastruktur zu schaffen.
Verkehrspolitik und Verkehrsinfrastruktur kommen in der Re gion Stuttgart nicht aus einer Hand. Zuständigkeiten haben der Bund, das Land, die Region, die Landkreise und als Part ner die Verkehrs- und die Busunternehmen. Nach über 20 Jah ren Verband Region Stuttgart, nach fast 20 Jahren Regionali sierung des SPNV und nach langjährigem Kompetenzwettbe werb zwischen Region und Landkreisen war es wichtig, dass unter der Moderation des Landes eine Neuaufstellung für die Zukunft angegangen wird.
Das Ergebnis, der ÖPNV-Pakt vom Februar des vergangenen Jahres, war ein Kompromiss; Herr Minister, Sie haben es dar gestellt. Dieser Kompromiss kann Grundlage für ein besseres Miteinander der Aufgabenträger sein, er ermöglicht interes sante Perspektiven, aber – ich glaube, das sollten wir heute nicht verschweigen – er lässt auch entscheidende Fragen of fen. Uns betrifft vor allem der Landesanteil an dem Kompro miss.
Ab heute soll ja die gesetzliche Voraussetzung für den Kom promiss geschaffen werden. Ich will zwei kritische Anmer kungen machen.
Erste Anmerkung: Die geplanten Expressbusverbindungen mögen nützlich, wünschenswert und wichtig sein. Die Schaf fung der Infrastruktur dafür belastet aber die GVFG-Mittel zusätzlich und schichtet sie von der Fläche in die Mitte des Landes um.
Für die geplanten Metropolexpresszüge und das vernetzte Me tropolexpresssystem mit dem 30-Minuten-Takt ist die Finan zierung überhaupt nicht geklärt. Sie schaffen neue Ausgaben. Das Geld soll aus den Regionalisierungsmitteln kommen. Gestern haben wir Regionalisierungsmittel für den Filder bahnhof und für die Gäubahn verteilt, heute für den ÖPNVPakt.
Herr Minister, hier tun Sie genau das, was Sie uns fälschli cherweise immer vorhalten: Sie machen nicht hinterlegte Ver sprechungen. Sie arbeiten mit dem Prinzip Hoffnung, was die Regionalisierungsmittel betrifft. Sie stellen einen ungedeck ten Wechsel für die Zukunft aus. Wie wollen Sie all das be zahlen, was Sie heute für viele Jahre in der Zukunft verspre chen? Mit Regionalisierungsmitteln und mit GVFG-Geld si cher nicht.
Die Hoffnung auf mehr Geld und auf mehr Luft durch neue und bessere Verkehrsverträge verblasst immer mehr entlang Ihrer zögerlichen Ausschreibung und Ihrer verzögerten Ver gabe. Je geringer die Hoffnung auf mehr Geld durch bessere Verträge wird, desto freizügiger verteilen Sie erhoffte Gewin ne. Wenn das die neue Verkehrspolitik der Wahrheit und der Klarheit sein soll, meine Damen und Herren, dann verstehe ich die Welt nicht mehr.
Zweite Anmerkung: Mit Sorge beobachten wir die zunehmen de Schieflage Ihrer Politik zulasten des ländlichen Raums.
Wenn Sie bei den 16 SPNV-Ausschreibungspaketen bessere Ergebnisse erreichen sollten als im großen Verkehrsvertrag, würde es kaum jemanden verwundern, dass bei den drei hoch lukrativen Stuttgarter Netzen ein Gewinn, vielleicht auch ein beträchtlicher Gewinn, möglich sein kann. Doch das Potenzi al, das Sie für Verbesserungen im gesamten Land bei den an deren Ausschreibungspaketen bräuchten, setzen Sie hier gleich von vornherein im städtischen Bereich ein. Da kann man nur sagen: Gute Nacht, SPNV- und ÖPNV-Politik im ländlichen Raum.
Trotz dieser kritischen Fragen und Anmerkungen, Herr Mi nister, stimmen wir dem ÖPNV-Pakt und dem vorgelegten Ge setzentwurf zu. Wir hoffen, dass damit verkehrliche Verbes serungen für die Region Stuttgart erreichbar sind.
Liebe Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme natürlich zu einer deutlich anderen Einschätzung. Das wird Sie nicht verwundern. Herr Kollege Köberle, ich kom me nachher noch auf Ihren Beitrag zu sprechen.
Ich finde, mit dem Gesetz zum ÖPNV-Pakt hat der Verkehrs minister etwas erreicht, von dem wir eigentlich alle nicht ge dacht hätten, dass er es schafft. Dies war einfach so schwie rig angesichts der Tatsache, dass hier Kompetenzen zwischen dem Land, der Region Stuttgart und den Kommunen neu aus tariert werden müssen.