Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte nehmen Sie Platz. Ich eröffne die 13. Sitzung des 15. Landtags von Baden-Württemberg und rufe Tages ordnungspunkt 1 auf:
Ich erteile Herrn Minister für Bundesrat, Europa und interna tionale Angelegenheiten Peter Friedrich das Wort.
Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete! Es ist ein Novum, dass eine Regie rungserklärung allein zu einem europäischen Thema erfolgt. Sie mögen darin vielleicht den Stellenwert erkennen, den die Landesregierung dem Thema Europa insgesamt beimisst.
Ich möchte den Landtag heute im Vorfeld der morgigen Be fassung des Deutschen Bundestags und der Befassung des Bundesrats am Freitag, dem 30. September, über die Haltung der Landesregierung zu den anstehenden gesetzlichen Maß nahmen zur Bekämpfung der Staatsschuldenkrise in der Eu ropäischen Union unterrichten. Entscheidend ist für die Re gierung, einen öffentlichen und einen politischen Dialog im Land über dieses bei den Bürgerinnen und Bürgern sehr kon troverse Thema zu erreichen. Dabei geht es heute weniger um europäisches Pathos. Eine Regierungserklärung zu diesem Thema ist eher harte und trockene Kost. Aber ich denke, da für sind Sie gerüstet. Es wäre falsch, an den Details, die in die sem Fall entscheidend sein können, vorbeizugehen.
Mir ist wichtig, dass wir heute nicht nur über den Euro und technische Rettungsmaßnahmen sprechen, sondern das The ma in den gesamteuropäischen Kontext einordnen, in den es gehört. Es geht längst nicht mehr nur um den Euro, sondern um den Erhalt und den Zusammenhalt der Europäischen Uni on.
Der Stellenwert dieser Frage fordert daher von uns, uns unse rer europapolitischen Tugenden bewusst zu werden. Der Landtag hat mit dem Gesetz über die Beteiligung des Land tags in Angelegenheiten der Europäischen Union vom März 2011 deutlich gemacht, dass er an der europapolitischen Dis kussion stärker mitwirken will. Ich habe deshalb bereits am 16. September 2011 den Europaausschuss bei einem informel
len Gespräch mündlich umfassend informiert. Jetzt geht es der Regierung darum, uns nicht auf Unterrichtungspflichten zurückzuziehen, sondern eine politische Diskussion über sol che grundsätzlichen Themenfelder auch hier im Landtag von Baden-Württemberg anzustoßen.
Der Euro ist das sichtbarste und greifbarste Zeichen für unser gemeinsames Schicksal und zugleich unser stärks tes Instrument.
Mit diesen Worten hat es der Präsident des Europäischen Ra tes, Herman Van Rompuy, auf den Punkt gebracht.
Ich habe bereits gesagt, dass das Schicksal des Euro nicht vom Schicksal der EU als Ganzes zu trennen ist. Anders gesagt: Es geht um die Frage, ob das vereinte Europa, das seit 1958 ei nen Raum von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Wohlstand, Sicherheit und Frieden geschaffen hat, so fortbesteht. Das al les steht auf dem Spiel, wenn wir über die Zukunft des Euro reden. Die Einigung Europas wollen, dürfen und können wir nicht ernsthaft infrage stellen. Vor allem dürfen wir das Par kett jetzt nicht den Euroskeptikern überlassen, all denen, die nur zu gern einen Anlass suchen, Europa schlechtzureden und die Solidarität unter den Mitgliedsstaaten zu vergiften.
Das europäische Projekt steht angesichts umgreifender EUfeindlicher Tendenzen an einem Scheidepunkt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die mahnenden Worte des polnischen Präsidenten Tusk vor dem Europäischen Parlament zu Beginn der polnischen EU-Ratspräsidentschaft. Tatsäch lich besteht aktuell ein enormes Gefahrenpotenzial aus der Verbindung von Islamophobie, Nationalismus und Europa feindlichkeit, das sich auch im Erfolg von Parteien wie den „Wahren Finnen“, den „Schwedendemokraten“, der österrei chischen FPÖ oder Wildersʼ PVV in den Niederlanden prägt. Die anhaltende Krise bei der Rettung von „Euroschuldenstaa ten“ droht den Konsens für das Gemeinschaftsprojekt Euro pa aufzubrechen. Die Grundfreiheiten im Binnenmarkt wie etwa die Reisefreiheit werden derzeit in einzelnen Mitglieds staaten infrage gestellt.
Diese Tendenzen treffen auf eine weit verbreitete Europamü digkeit, weil vieles, was uns erst das europäische Projekt er möglicht hat, inzwischen Gott sei Dank selbstverständlich ge worden ist. Aber was uns wie Selbstverständlichkeiten er scheint, muss immer wieder neu erarbeitet werden.
Wir müssen uns zurückbesinnen. Europa hat immer die Poli tik der kleinen Schritte gemacht. Das zieht sich durch die ge samte Entwicklung der Europäischen Union. Aber jede Krise hat Europa wieder ein Stück nach vorn gebracht.
So ist es auch jetzt. Ich bin fest davon überzeugt, dass Euro pa diese Krise überstehen wird. Aber wir werden sie nur über stehen, wenn wir bereit sind, mehr Europa zu wagen. Dann wird die EU gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.
Aber eines ist auch klar: Das wird uns nur gelingen, wenn wir gemeinsam an die Kraft der europäischen Idee glauben.
Diese Botschaft müssen wir an die Bürgerinnen und Bürger herantragen. Ohne die Einbindung in die Europäische Union hätten Baden-Württemberg und Deutschland ihren Wohlstand nicht erarbeiten können. Wir müssen auch das Bewusstsein dafür schärfen, dass wir ohne EU und Euro unseren Wohlstand nicht erhalten können. Dass uns dies mit der Ausreichung von Garantien auch verpflichtet, Risiken einzugehen, müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern offen und ehrlich sagen.
Wenn ich aber sehe, wie knapp die Bundesregierung selbst die Gesetzgebungsorgane, den Deutschen Bundestag und vor al lem den Bundesrat, hält, was Informationen und Erklärungen angeht, kann ich nur sagen: Dies ist nicht der Weg, um Ak zeptanz zu erlangen. Bis heute hat die Bundesregierung dem Bundesrat nicht einmal die Dokumente zum jetzt zu verab schiedenden EFSF zugeleitet, obwohl wir am Freitag im Bun desrat darüber entscheiden sollen.
Was noch schwerer wiegt: Die Bundesregierung hat es auch versäumt, der Öffentlichkeit die Maßnahmen zu erklären. Die se komplizierten Maßnahmen sind nicht selbsterklärend, und jenseits der reinen Information wurde auch niemals erklärt, warum dies für Deutschland gut und richtig ist.
Ich sage ganz klar: Wir – Deutschland – sind Zahlmeister der EU; das stimmt. Wir sind aber auch der größte Profiteur der EU.
Es ist daher in unserem ureigensten Interesse, dass Not lei dende Staaten nicht fallen gelassen werden.
Aber selbst diese einfachen Botschaften kommen bei den Menschen nicht an. Stattdessen herrscht Konfusion über den Kurs der Koalition im Bund und die Haltung Deutschlands zur Eurorettung.
Da ist es nicht verwunderlich, wenn eine Vielzahl der Bürge rinnen und Bürgern den Rettungsschirm ablehnen. Nach ak tuellen Umfragen sind ungefähr drei Viertel der Bürgerinnen und Bürger gegen die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms; nur 19 % unterstützen sie. Diese Ablehnung zieht sich quer durch alle politischen Lager. Das muss uns alarmieren.
Wir müssen den Menschen daher ein ums andere Mal klar sa gen: Ja, wir gehen Risiken ein; es kann viel Geld kosten, aber diese Investition lohnt sich, um die EU und damit auch Deutschland aus der Krise, in der wir mit drinstecken, heraus zubekommen. Das Geld ist gut angelegt.
Im Übrigen war es schon immer eine Konstante deutscher Eu ropapolitik, auf die großen Vorteile, die die EU Deutschland bringt, mit entsprechenden Verpflichtungen der größten Volks wirtschaft zu antworten. Damit sind wir gut gefahren.
Meine Damen und Herren, die gemeinsame Währung hat seit ihrer Einführung zu einem regelrechten Exportboom inner
halb der Eurozone geführt. Gerade die baden-württembergi sche Wirtschaft mit ihrer mittelständisch geprägten Unterneh mensstruktur lebt vom ungehinderten grenzüberschreitenden Austausch von Gütern, Dienstleistungen und Ideen. So expor tierten die Unternehmen in unserem Land allein im Jahr 2010 Waren im Wert von gut 103 Milliarden € nach Europa. Das sind zwei Drittel des gesamten baden-württembergischen Au ßenhandels. 60 Milliarden € entfielen auf Exporte in die Eu rozone. Das heißt, 40 % aller baden-württembergischen Ex porte finden innerhalb der Eurozone statt.
Was wäre aus der baden-württembergischen Wirtschaft in der jüngsten Finanz- und Staatsschuldenkrise ohne den Euro ge worden? Was würde aktuell passieren, wenn wir die D-Mark noch hätten? Da lohnt sich ein Blick in die angrenzende Schweiz, um zu erkennen: Ohne den Euro hätte es eine deut liche Aufwertung der nationalen Währung mit negativen Ef fekten für unsere Exportwirtschaft gegeben.
Ganz anders ist die aktuelle Situation jetzt, da wir den Euro haben. Der Euro ist für Deutschland sogar etwas unterbewer tet, was dazu beiträgt, dass die deutsche Wirtschaft besser als viele andere Volkswirtschaften aus der Krise gekommen ist.
Ich darf daran erinnern, dass die Wirtschaft zu Zeiten der D-Mark bisweilen unter Aufwertungsdruck stand. Schwan kungen und Spannungen im europäischen Währungsgefüge waren an der Tagesordnung, und Exporteure und Importeure mussten sich gegen Wechselkursrisiken absichern. Planungs sicherheit war nicht gegeben. Ich nenne nur die Anfang der Neunzigerjahre daraus resultierende Krise der baden-würt tembergischen Automobil- und Maschinenbauer. Die damali ge Währungskrise hat unsere Exporte so verteuert und damit auch die Produktionsstandorte einem verstärken Kosten- und Wettbewerbsdruck ausgesetzt, dass Standortverlagerungen nach Osteuropa die Folge waren. Seit der Einführung der ge meinsamen Währung haben deutsche Unternehmen viele Mil liarden Euro gespart, weil Absicherungsgeschäfte gegen Fremdwährungsrisiken und Währungsschwankungen wegge fallen sind. Darüber hinaus entfielen Transaktionskosten in zweistelliger Milliardenhöhe.
Der Euro nutzt aber nicht nur unserem Export. Die Bundes republik als sicherer Anlagehafen kann sich derzeit an den Ka pitalmärkten günstiger refinanzieren als je zuvor, zum Teil zum Nulltarif. Ein Beispiel: Am 15. September verkaufte der Bund bei riesiger Nachfrage Staatsanleihen von über 5 Milli arden € und musste dafür gerade einmal 0,51 % Zinsen bie ten. Internationale Anleger nehmen zurzeit sogar Negativren diten in Kauf, nur damit ihr Geld sicher investiert ist. Dank der niedrigen Zinszahlungen sinkt auch das eigene Haushalts defizit. Das muss auch in dieser Debatte gesagt werden.
Nach einer Studie der staatlichen Kreditanstalt für Wiederauf bau vom Juli 2011 hat die Mitgliedschaft Deutschlands in der Währungsunion aufgrund der genannten Vorteile allein in den letzten beiden Jahren der deutschen Volkswirtschaft 50 bis 60 Milliarden € an Wohlstandsgewinnen garantiert. Das ent spricht einem Wachstumsimpuls von 2 bis 2,5 Prozentpunk ten. Das sind evidente Vorteile, die wir in Deutschland durch den Euro haben, und deswegen ist es unser ureigenstes Inter esse, den Euro zu sichern.
Deswegen sind auch alle Überlegungen, die auf einen Austritt oder eine Ausgrenzung Griechenlands aus der Eurozone ab stellen, verfehlt. Zunächst gilt die Vertragslage, die ohnehin nur einen freiwilligen Austritt aus der EU als Ganzem ermög licht, nicht aber aus dem Euroraum. Aber auch ökonomisch wäre ein Austritt oder eine Ausgrenzung Griechenlands ins gesamt eine teure Angelegenheit für die Eurozone. Leider wurde aus der diesbezüglichen Stellungnahme von EU-Kom missar Oettinger nur der Vorschlag der Beflaggung zitiert. Der richtige Teil seiner Äußerung war, dass ein Austritt Griechen lands Europa spalten würde und der Eindruck entstünde, dass die EU nicht einmal in der Lage ist, ein vergleichsweise klei nes Land zu stabilisieren. Ich ergänze: Es geht um ein Land, das gerade einmal 2 % der Wirtschaftskraft der EU ausmacht.
Meine Damen und Herren, worum geht es nun am Freitag im Bundesrat konkret? Es geht um die sogenannte Europäische Finanzstabilisierungsfazilität – kurz EFSF. Sie ist als private Zweckgesellschaft organisiert. Sie kann gegen strenge Aufla gen Kredite an Eurostaaten vergeben, wenn die Notlage eines Eurostaats den ganzen Euroraum gefährdet. Die Länder der Eurogruppe garantieren für die Mittel der EFSF in Höhe von 120 % ihrer Kapitalanteile bei der EZB. Damit hat die EFSF ein Finanzvolumen von 440 Milliarden €. Deutschland garan tiert davon gemäß dem Kapitalschlüssel 211 Milliarden €.
Im Gegensatz zum bisherigen Rettungsschirm soll die EFSF über zusätzliche Instrumente verfügen. Neben der Vergabe von Darlehen an Mitgliedsstaaten zur Rekapitalisierung von Banken kann die EFSF nunmehr auch Staatsanleihen an den Primär- und Sekundärmärkten aufkaufen und vorsorgliche Kreditlinien zur Verfügung stellen. Sie ist befristet bis Mitte 2013 und soll dann durch den Europäischen Stabilitätsmecha nismus als dauerhafte Einrichtung abgelöst werden. Dazu wird voraussichtlich Anfang 2012 die entsprechende Gesetzgebung in Deutschland erfolgen.
Die jetzt zu beschließende Ertüchtigung der EFSF ist notwen dig und richtig. Es geht auch nicht darum, dass sich die Län der hier eine Blockadeposition erarbeiten wollen. Ohne die sen erweiterten Rettungsschirm drohen unkalkulierbare Fol gen für die Europäische Union und die gemeinsame Währung. Das ist übrigens nicht nur unsere Einschätzung. Die Verbän de der Wirtschaft, die Gewerkschaften, die meisten Parteien und die Wissenschaft teilen diese Einschätzung. Das Instru ment ermöglicht es, kurzfristig Sicherheiten und Darlehen zur Verfügung zu stellen, um Not leidende Staaten zu unterstüt zen und ihnen Zeit zu geben, Anpassungsmaßnahmen vorzu nehmen. Dabei ist es richtig, dass die EFSF darüber hinaus verstärkt vorsorgliche Kreditlinien einräumen kann, damit es nicht dazu kommt, dass wir erst dann gerufen werden, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.
Auch andere Maßnahmen wie Ankäufe von Staatsanleihen an den Primär- und Sekundärmärkten sind bei der EFSF deutlich besser aufgehoben als bei der EZB, die diese bereits in erheb lichem Umfang durchgeführt hat und jetzt selbst zum Akteur im Markt geworden ist, anstatt Schiedsrichter zu sein.
Die Entscheidung über die Einrichtung und die parlamentari sche Ausgestaltung dieses Instruments steht nun an. Der Bun destag wird morgen entscheiden, der Bundesrat am Freitag. Allen Beteiligten ist klar: Die EFSF ist ein Notfallinstrument. Dieses muss schnell und gegebenenfalls auch vertraulich ein
Aber, meine Damen und Herren, auch in Krisenzeiten ist auf einen ordentlichen Ablauf der Verfahren zwischen den Ver fassungsorganen zu achten – ich möchte fast sagen: gerade in Krisenzeiten. Deshalb: Auch die edelste und beste Sache rechtfertigt es nicht, dass die Bundesländer auf ihre europa politische Verantwortung und auf ihre Rechte verzichten. Es geht nicht allein um die Legalität von Maßnahmen, es geht auch um deren Legitimation. Die immer stärkere Verlagerung von Entscheidungsgewalt und Entscheidungsmacht an die Ex ekutive über Vertragskonstruktionen, wie sie hier vorgenom men wurden und wie wir sie bei diesem Gesetzesvorhaben er leben, halte ich zunehmend für problematisch.
Ich habe es vorhin schon gesagt: Der Bundesrat wurde zu kei nem Zeitpunkt über den Entwurf des EFSF-Vertrags unter richtet. Es gab zu keinem Zeitpunkt auch nur den Versuch, den Bundesrat über die hochkomplexe und hochtechnische Arbeit der EFSF zu unterrichten. Gleichzeitig soll er unter maxima ler Fristverkürzung auf einen Tag am Freitag das Gesetz mit beschließen.
Wenn dieses Instrument erst einmal in Kraft ist, soll es gera de so weitergehen. Die Bundesregierung sieht keine Notwen digkeit, den Bundesrat bzw. die Bundesländer über die Maß nahmen der EFSF zu unterrichten.
Ich habe deshalb als Vorsitzender des Bundesratsausschusses für EU-Angelegenheiten sowohl gegenüber der Bundesregie rung als auch gegenüber dem Haushalts- und dem Europaaus schuss frühzeitig auf die Rechte des Bundesrats gedrängt und dies am letzten Freitag im Bundesrat auch noch einmal deut lich gemacht.