Protokoll der Sitzung vom 28.09.2011

Deswegen finde ich, dass man wieder zu einer Situation kom men muss, in der man fragt – so schwierig das auch gewor den ist, weil das Kapital nicht mehr so leicht als jemand mit Zylinderhut und Zigarre personalisierbar ist –: Wer ist eigent lich verantwortlich für das, was gerade passiert? Tatsache ist, dass man darüber reden muss, welche Rhetorik drei Jahre nach der Pleite von Lehman Brothers in diesem Land wieder ein gerissen ist, obwohl wir alle uns geschworen haben, dass wir das nicht mehr wollen.

Ich finde, dass wir da als Parlamentarier gemeinsam gefordert sind, es nicht mehr zuzulassen, dass mit Sprache Fremdherr schaft über demokratische Prozesse ausgeübt wird. Das ist ein Problem, vor dem wir stehen. Deswegen sage ich: Kollegin nen und Kollegen, an diesem Punkt müssen wir uns einigen. Die Politik ist gefordert, nicht sozusagen Dominanz auszu üben, sondern in dieser Situation auch Orientierung zu geben. Denn das ist unsere Aufgabe über Griechenland hinaus.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP)

Für die Fraktion der FDP/DVP erteile ich Herrn Abg. Dr. Rülke das Wort.

Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Zunächst herzlichen Dank an die Landesregierung für die Debatte über dieses Thema. Ich glaube, dass es wichtig und notwendig ist, auch im Landtag von Baden-Württemberg über dieses Thema zu reden, weil es natürlich die Mitwirkungsrechte des Bundesrats berührt und auch die Menschen in diesem Land interessiert.

Allerdings haben Sie, Herr Kollege Hofelich, gerade ein biss chen den Anschein erweckt, als sei es, wenn man sich diese Krise anschaut, eine Krise der Märkte, und die Lösung sei ein Mehr an Staat.

(Abg. Peter Hofelich SPD: Das habe ich nicht ge sagt!)

„Dass der Staat das zulässt!“ Was soll der Staat tun? Man kann sicher, wenn man die Lehman-Krise erwähnt – das haben Sie getan –, zu dem Ergebnis kommen, der Markt habe versagt. Aber ich glaube, bei dieser Krise ist relativ klar, wer versagt hat, nämlich Staaten und Regierungen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Deshalb kann, glaube ich, die Lösung dieser Krise nicht sein: Wir brauchen ein Mehr an Staat. Wir brauchen sicher Politik und politische Lösungen. Aber ich glaube, es ist die falsche Antwort auf diese Krise, zu sagen: „Der Staat ist gut. Wenn man den Staat absolut setzt, kann so etwas nicht passieren.“ Denn diese Krise ist eindeutig eine Schuldenkrise, die sich durch das Versagen von Regierungen und Staaten zum Teil über Jahrzehnte ergeben hat. Ich glaube, daran kann es an die ser Stelle keinen Zweifel geben.

Wir stimmen, Herr Minister Friedrich, mit den meisten Ihrer Schlussfolgerungen überein. Natürlich bekennen wir uns ein deutig dazu: Der Bundesrat muss informiert werden. Natür lich muss der Bundesrat auch gefragt werden, insbesondere wenn es um den ESM geht. Wir unterstützen Sie dabei, dies in Berlin vorzutragen, auch wenn die Bundesregierung – auch wenn sie von meiner Partei mitgetragen wird – die Länder bei diesen Mitwirkungsrechten ausbremsen möchte.

Wir haben uns auch dagegen gewehrt, dass die Bundesregie rung zum Teil den Versuch unternommen hat, den Deutschen Bundestag nicht in ausreichendem Maß mitzunehmen. Wenn wir fordern, den Bundestag mitzunehmen, muss eindeutig auch der Bundesrat mitgenommen werden. Denn wir brau chen auch die entsprechende Akzeptanz in den Ländern und in der Bevölkerung.

Selbstverständlich will niemand eine Rückkehr zur D-Mark. In diesem Haus bekennen sich, glaube ich, alle eindeutig zum Euro. Wir müssen uns die Frage stellen: Wie können wir den Euro stützen, wie können wir den Euro zukunftsfähig ma chen? Es mag Unterschiede bei der Antwort auf die Frage ge ben: Wie führt der Weg dorthin? Aber ich glaube, zwischen uns besteht Konsens in der Zielsetzung.

Die deutsche Volkswirtschaft hat vom Euro enorm profitiert. Das gilt für Baden-Württemberg als exportorientiertes Bun desland mit der Wirtschaftsstruktur, wie sie hier besteht, ganz besonders. Deshalb brauchen wir den Euro. Wir brauchen Eu ropa.

Das war ein wesentlicher Beitrag, den Europa zum Frieden auf unserem Kontinent geleistet hat. Ich brauche das nicht al les zu wiederholen. Das ist evident.

Ich glaube, man muss auch deutlich machen, dass das Gewicht Europas, das Gewicht der Europäischen Union, das Gewicht der Staaten und letztlich auch das Gewicht unseres Bundes lands Baden-Württemberg – so, wie die Staatenstruktur des 21. Jahrhunderts sein wird – ganz eindeutig von Europa ab hängen wird. Wir brauchen ein einiges Europa, das mit einer Stimme spricht. Andernfalls werden wir in der Staatenwelt des 21. Jahrhunderts kein hinreichendes Gewicht haben.

Wir brauchen Wachstum, um die Schuldenkrise bewältigen zu können. Wir brauchen auch Wachstum bei uns, die wir in

einem starken Land leben. Kollege Reinhart hat die Zahlen vorhin genannt. Wir bekennen uns dazu, dass unser Land als Profiteur des Euro und als dasjenige Land, das in Europa be sonders stark ist, auch eine höhere Last tragen muss, wenn es darum geht, solche Krisen zu bewältigen.

Es kann nicht darum gehen, zu sagen: „Wir kassieren nur die Benefits der Währungsunion, aber wenn es um das Tragen von Lasten geht, stehlen wir uns davon.“ Unser Land muss sich natürlich dazu bekennen, auch die Lasten mit zu schultern – als die größte Volkswirtschaft in Europa ohnehin.

Deshalb bekennen wir uns auch zu der vorläufigen Konstruk tion der EFSF. Deshalb glaube ich auch, dass kein Weg daran vorbeiführen wird, morgen die Fortschreibung der EFSF in Berlin zu beschließen. Denn es ist notwendig, den Euro zu si chern. Es ist auch notwendig, so weit es geht, Spekulanten ab zuschrecken.

Dennoch glaube ich nicht, dass man sagen kann, die EFSF – so, wie die Konstruktion vorliegt – sei das Gelbe vom Ei. Ich glaube nicht, dass man sagen kann, niemand dürfe diesen Weg kritisieren. Schon gar nicht, meine Damen und Herren, glau be ich, dass es richtig ist, jeden, der die EFSF kritisch hinter fragt, in eine nationalpopulistische Ecke zu rücken. Das ist mit Sicherheit falsch.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Deshalb ist auch nicht jeder, der über eine geordnete Insol venz von Staaten wie Griechenland nachdenkt, ein dumpfer Rechtspopulist – beispielsweise Professor Burghof heute oder Professor Issing, der von Herrn Kollegen Reinhart schon zi tiert worden ist.

Es gibt mit guten Gründen auch andere Lösungen. Es gibt gu te Gründe dafür, die EFSF jetzt nicht dauerhaft fortzuschrei ben, ihr nicht auch noch eine Hebelwirkung zuzubilligen, so dass wir letztlich nicht mit Summen in Billionenhöhe immer weiter bürgen. Diejenigen, die über unsolide Haushalte ver fügen und unsolide wirtschaften, dürfen sich nicht darauf ver lassen können, dass andere für sie einstehen. Das wird nicht der dauerhafte Weg sein.

Weder wird durch Rettungsschirme noch durch wirklichen Schuldenabbau die Situation in den Krisenländern verbessert, noch wurde diese Krise bisher eingedämmt. Selbst nach der Aufstockung der EFSF läge ihr Garantievolumen „nur“ bei 440 Milliarden €. Das reicht vielleicht für kleinere Länder wie Griechenland, dessen Anteil am Bruttoinlandsprodukt der Eu ropäischen Union 2 % ausmacht, aber ganz sicher nicht für Italien und Spanien. Deshalb führen wir diese Diskussion über die Hebelwirkung. Für die Refinanzierung dieser Länder müss te mittelfristig eine Verschuldung von 2,5 Billionen € bis 3 Billionen € umgeschlagen werden.

Dies zu leisten sind weder die EFSF noch der dauerhafte Euro päische Stabilisierungsmechanismus imstande. Folglich dro hen bei einer Ausweitung der Krise horrende Verluste für den deutschen Steuerzahler – bis hin zur jeweiligen Obergrenze. Das löst weder die Krise, noch kann es in unserem Interesse sein, dies immer weiter auszuweiten – mit immer größerem Haftungsvolumen.

Zudem bleibt mit Blick auf die Verteilungsgerechtigkeit her vorzuheben, dass sich etwa 70 % des betroffenen Kapitals von Banken und Finanzinvestoren im Besitz von vielleicht 5 % reichen Individuen auf der Welt befinden. Der Rettungsschirm infolge der Übernahme von Verlusten dieser kleinen Vermö genselite bedeutet letztlich eine Umverteilung zugunsten die ser Investoren und zuungunsten des durchschnittlichen Steu erzahlers. Das kann eigentlich niemand wollen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, deshalb kann es nicht falsch sein, über Alternativen nachzudenken. Schauen wir uns einmal die se Alternativen in der Geschichte an. Russland war vor etwa zehn Jahren insolvent und hat heute etwa die Hälfte seiner Schulden zurückbezahlt. Für die Ukraine gilt in etwa das Glei che. Pakistan und Ecuador haben jeweils etwa 70 % ihrer Staatsschulden zurückbezahlt. Uruguay und die Dominikani sche Republik haben in den vergangenen Jahren zwischen 86 % und 98 % ihrer Schulden zurückbezahlt. Es gibt also Beispiele in der jüngeren Geschichte, die zeigen, dass eine ge ordnete – das betone ich – Insolvenz durchaus eine Alternati ve zu immer neuen Rettungsschirmen gewesen ist.

Ich habe schon erwähnt, dass die griechische Volkswirtschaft mit einem Anteil von 2 % zum Bruttoinlandsprodukt der Eu ropäischen Union beiträgt. Es gibt eine Reihe von seriösen In stituten und Experten – hierzu gehören auch Professor Burg hof und Professor Issing –, die davon ausgehen, dass bei deut schen Banken Verluste in Höhe von etwa 20 Milliarden € zu verkraften wären. Das sind weniger als 10 % der 253 Milliar den €, die zu verbürgen sich der Deutsche Bundestag jetzt an schickt.

Meine Damen und Herren, das sind Alternativen. Über diese Alternativen muss man erstens diskutieren dürfen. Zweitens müssen diese Alternativen dann gegebenenfalls in den dauer haften Stabilisierungsmechanismus einfließen. Wer zur Kas se gebeten wird, der muss auch mitbestimmen dürfen. Das gilt sowohl für den Bundesrat als auch für die deutschen Steuer zahler insgesamt. Man muss außerdem das Recht haben, auf Fehlentwicklungen hinzuweisen. Das heißt: Hilfen künftig nur gegen klare Auflagen.

Insofern kommen wir in diesem Haus zu unterschiedlichen Analysen. Ich sage in aller Deutlichkeit, dass auch wir uns mit der Einführung von Eurobonds schwertun, weil dieser Schritt schnurstracks in die Transferunion führt. Es besteht natürlich die Gefahr, dass sich irgendwann der Fokus der Spekulanten auf Deutschland richtet. Wenn man davon ausgeht, dass der deutsche Steuerzahler im Wege von Eurobonds für große Volkswirtschaften wie vielleicht Italien herhalten muss, dann sagen diese Spekulanten irgendwann, dass die Deutschen das nicht schaffen. Damit ziehen wir die Pfeile auf uns.

Insofern dürfen wir keinen Weg einschlagen, an dessen Ende sich alle Schuldenmacher auf Deutschland verlassen. Dass da raus eine reinigende Wirkung erwächst, ist im Moment nicht zu erkennen, sondern das Gegenteil ist der Fall. Herr Kollege Hofelich, Sie haben zutreffend den Weg beschrieben, wie man zunächst versucht hat, so etwas zu vermeiden, und dann fest gestellt hat, dass man doch stützen muss.

Dann hat man festgestellt: Das, was man an Stützungsmitteln bewilligt hat, reicht nicht. Dann musste ständig aufgestockt

werden. Das spricht doch dafür, dass es nicht der Stein der Weisen sein kann, immer weiter zu stützen und darauf zu hof fen, dass die betreffenden Länder irgendwann die Kurve krie gen. Offensichtlich kriegen sie die Kurve nicht, und deshalb muss man über andere Alternativen nachdenken. Deshalb muss man, glaube ich, wenn man diesen Stabilitätsmechanis mus macht, auch die anderen Möglichkeiten einbauen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wir können gern über eine Finanztransaktionssteuer diskutie ren. Wir sind nicht grundsätzlich dagegen. Doch sie muss eben auch wirken. Es macht keinen Sinn, zu sagen: „Wir führen mit einigen wenigen Ländern eine Finanztransaktionssteuer ein – vielleicht bestenfalls in der Eurozone – und lassen Großbri tannien außen vor“; denn das Einzige, was wir damit errei chen, ist eine massive Schädigung des Standorts Frankfurt zu gunsten von London. Das kann nicht die Lösung sein.

Wenn Sie sagen, Herr Kollege Hofelich: „Herr Barroso hat verkündet, die Finanztransaktionssteuer kommt“, muss ich entgegnen, mit Verlaub: Verkünden kann man viel.

(Heiterkeit des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU)

Herr Barroso wird wohl kaum im Wege des Erlasses eine sol che Finanztransaktionssteuer implementieren können. Dafür bedarf es des politischen Willens aller in Europa. Wenn alle in Europa dazu bereit sind,

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Sehr richtig!)

werden auch wir – das sage ich Ihnen zu – diesen Schritt un terstützen, aber eben nicht isoliert und nicht ohne Großbritan nien.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Herr Minister Friedrich, von Ihnen wurde in Ihrer Regierungs erklärung richtig angesprochen, dass vieles von dem, was man gemacht hat – beispielsweise in Irland und in Portugal –, ge griffen hat, aber in Griechenland offensichtlich nicht. Deshalb brauchen wir künftig Instrumente, die eben auch in solchen Fällen wie der Situation in Griechenland greifen. Der ESM muss ein verlässliches, ein wirksames Instrument werden. Wenn Sie, Herr Hofelich, jetzt richtig beschrieben haben, welch tastenden Weg – das will ich gar nicht bestreiten – die Bundesregierung bei der Bekämpfung dieser Krise einschla gen musste, spricht das doch dafür, dass die notwendigen In strumente, die man eigentlich brauchte, noch nicht vorhanden sind. Deshalb müssen wir darüber nachdenken: Was sind die richtigen, was sind die wirksamen Instrumente?

Ich glaube schon, dass wir diese Schuldenkrise in Europa nicht bekommen hätten, wenn man ganz einfach den Vertrag von Maastricht eingehalten hätte.

(Zuruf von der FDP/DVP: Sehr richtig!)

Unser Problem ist doch, dass wir beim Vertrag von Maastricht zwar ganz eindeutig definierte Kriterien beschlossen haben – beispielsweise die Begrenzung der Neuverschuldung auf 3 % des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr oder die Obergrenze für die Gesamtverschuldung von 60 % des Bruttoinlandsprodukts –, dass man diese jedoch von vornherein nicht eingehalten hat

und dass man – Sie haben es ja zugegeben – diese Kriterien seitens der Regierung Schröder/Fischer vor knapp zehn Jah ren aufgeweicht hat und die deutsche Bundesregierung da mals zusammen mit Frankreich beschlossen hat: Das halten wir jetzt einfach nicht mehr ein. Das hatte eine verheerende Präzedenzwirkung auf andere Staaten in Europa.

Gleiches gilt dafür, dass man Griechenland mit einer ange kündigten Gesamtverschuldung in Höhe von 60 % des Brut toinlandsprodukts – mittlerweile sind sie bei 160 % – aufge nommen hat. Man hat also im Grunde mutwillig die Kriteri en des Vertrags von Maastricht verletzt und dadurch diese Schuldenkrise politisch verursacht. Genau das war der Feh ler. Hätte man die Kriterien des Vertrags von Maastricht ein gehalten, hätten wir diese Krise so nicht. Auch das gehört zur Wahrheit.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)