Protokoll der Sitzung vom 28.09.2011

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Deshalb muss man darüber nachdenken: Was tut man in sol chen Fällen wie bei Griechenland? Deshalb muss es legitim sein, über eine – ich betone es – geordnete Insolvenz, über so etwas wie Schuldenschnitte und – ich sage das in aller Deut lichkeit – im äußersten Fall auch über die Frage eines Aus tritts aus der Währungsunion nachzudenken, aber nur im äu ßersten Fall. Wir wollen das nicht, aber man kann das nicht grundsätzlich ausschließen, wenn wir die Währungsunion und damit den Euro auch in Zukunft schützen wollen.

In der Griechenland-Krise wird deutlich, dass der deutsche Steu erzahler nicht ganz zu Unrecht befürchtet, dass dem schlechten Geld immer mehr gutes Geld hinterhergeworfen wird, und dass wir im Gegenzug verlangen: Die Griechen sollen immer weiter sparen. Allmählich habe ich den Eindruck, da lässt Brü ning grüßen. Die sollen immer weiter sparen, gleiten immer weiter in die Rezession ab, und wir versuchen, das durch im mer weitere Milliarden aufzufangen. Das ist offensichtlich nicht der richtige Weg.

Deshalb empfehle ich, über so etwas nachzudenken, wie es jetzt auch Roland Berger vorgeschlagen hat: beispielsweise eine Treuhand-Holding zu schaffen einerseits mit dem Ziel der Entschuldung und andererseits mit dem Ziel, der griechi schen Wirtschaft und dem griechischen Staat wieder Möglich keiten zur Verfügung zu stellen, um wirtschaftlich zu wach sen. Denn das ist das Ziel, und das kann eben nicht allein durch eine EFSF und dadurch, dass man immer neue Sparauf lagen beschließt und die Löcher mit immer neuen Milliarden – vornehmlich des deutschen Steuerzahlers – stopft, erreicht werden.

Insofern, glaube ich, müssen wir darüber nachdenken, wie wir wirksam mit solchen Krisen umgehen. Da darf es natürlich keine Denkverbote geben. Ich hoffe auf einen weiterhin kri tisch-konstruktiven Dialog.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Damit sind die Regierungserklärung und die Aussprache da rüber – Punkt 1 – abgeschlossen.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Grün-rote Schulmodelle schaffen Schü ler zweiter Klasse – beantragt von der Fraktion der CDU

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Präsidium hat für die Aktuelle Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten fest gelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht ange rechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Redner in der zweiten Runde gilt jeweils eine Rede zeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesre gierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Rede zeitrahmen zu halten.

Schließlich darf ich noch auf § 60 Abs. 4 der Geschäftsord nung hinweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Wacker das Wort.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Er hat einen Haufen Zettel dabei!)

Sehr geehrter Herr Präsident, mei ne Damen und Herren! Der Bildungsmonitor 2011 hat erst vor wenigen Wochen bekannt gegeben, dass sich Baden-Württem berg mit seinem differenzierten Bildungssystem nach wie vor auf einem sehr guten Weg befindet. Wir befinden uns vor al lem auf einem sehr guten Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit und zu weniger Bildungsarmut. Die Zahl der Schulabbrecher ist weiter gesunken. Wir haben weiterhin einen deutlichen Zu wachs bei der Zahl der Hochschulzugangsberechtigten, vor allem an den beruflichen Schulen. Das belegt auch, dass der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungser folg in Baden-Württemberg deutlich reduziert wird. Und wir haben an unseren Schulen deutschlandweit die niedrigste Wie derholerquote.

Meine Damen und Herren, das differenzierte Bildungssystem in Baden-Württemberg produziert also keine Bildungsverlie rer, sondern eröffnet Bildungsschancen.

(Zuruf des Abg. Walter Heiler SPD)

Selbst das Kultusministerium hat dies gerade in diesem Zu sammenhang vor wenigen Wochen durchaus anerkannt, in dem Sie, Frau Ministerin, davon gesprochen haben, dass sich das baden-württembergische Bildungssystem an der nationa len Spitze befindet. Nur derjenige, der sich an der nationalen Spitze befindet, kann auch die internationale Spitze erreichen. Deswegen fordern wir Sie auf: Stärken Sie unsere bestehen den Bildungsgänge im differenzierten Bildungswesen, und lassen Sie ab von einem Systemwechsel.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Claus Schmiedel SPD: Das ist Frau Mer kel, die den Systemwechsel will! Frau Schavan will den Systemwechsel! Ihr habt doch in Freiburg ap plaudiert! – Zuruf von der SPD: Frau Merkel und Frau Schavan sind hier angesagt!)

Herr Kollege Schmiedel, mit der Abschaffung der verbind lichen Grundschulempfehlung haben Sie bereits den ersten

Schritt in die Wege geleitet. Nur vordergründig ging es Ihnen um die Einführung des Elternwahlrechts. Ihr Ziel ist es, dass nach und nach immer weniger Schüler die Hauptschulen und die Werkrealschulen besuchen und dass Sie damit Platz schaf fen für Ihre neue Schulart. Sie ignorieren, dass der Experten rat „Herkunft und Bildungserfolg“ die Abschaffung der ver bindlichen Grundschulempfehlung deswegen kritisierte, weil dadurch der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg verschärft und nicht entspannt wird.

Frau Ministerin, Sie weisen immer auf Rheinland-Pfalz hin. Sie sagen immer wieder, dort gäbe es nur geringe Auswirkun gen. Das Gegenteil ist der Fall. Dort hat die Landesregierung die verbindliche Grundschulempfehlung abgeschafft mit dem Ziel, dass eine geräuschlose Steuerung ermöglicht wird, um eine Änderung der Schulstruktur in die Wege zu leiten. Die Übergangszahlen belegen dies eindeutig.

Nun zur Frage der Gerechtigkeit im Hinblick auf die Ressour cen: Ursprünglich hatten Sie die Absicht, 6 400 neue Stellen einzurichten. Nach wenigen Tagen wurde dieser Vorschlag einkassiert. Jetzt wollen Sie den Klassenteiler an den Gemein schaftsschulen auf 28 senken. Auf der einen Seite sagen Sie, die weitere Senkung des Klassenteilers sei pädagogisch nicht zielführend. Auf der anderen Seite aber wollen Sie den Ge meinschaftsschulen eine Senkung des Klassenteilers zugeste hen. Das ist ungerecht gegenüber den anderen weiterführen den Schulen, meine Damen und Herren, die eine hervorragen de pädagogische Arbeit leisten.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Fried linde Gurr-Hirsch CDU: Und unlogisch!)

Weiter behaupten Sie, dass in unserem differenzierten Bil dungssystem sogenannte homogene Lerngruppen unterrich tet würden.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ein Quatsch!)

Wir wissen, dass die Heterogenität gerade in unseren diffe renzierten Bildungsgängen, vor allem an den Realschulen, aber auch an den Gymnasien, zunimmt. Insbesondere die Re alschulen erbringen eine große integrative Leistung. Sie, Frau Ministerin, würdigen die Realschulen nicht, Sie beachten sie nicht einmal.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie will sie ja gar nicht mehr!)

Deswegen fordern wir Sie auf: Unterstützen Sie die Realschu len bei ihrer besonders integrativen Arbeit.

(Beifall – Zuruf des Abg. Siegfried Lehmann GRÜ NE)

Zum Schluss noch eines: Gerechtigkeit hat auch etwas mit Qualität zu tun. Sie prophezeien eine Schule mit paradiesi schen Verhältnissen, tun dies aber ohne jegliche Vorlage ei nes Konzepts. Die Stärke unserer differenzierten Bildungs gänge liegt jedoch darin, dass alle weiterführenden Schular ten ihren Schülerinnen und Schülern besondere Profile anbie ten, die es ihnen möglich machen, sich gerade auch in persön licher Hinsicht in besonderem Maß zu entwickeln. Erklären Sie uns, Frau Ministerin, wie sich in einer einzügigen Gemein schaftsschule eine solche Profilvielfalt überhaupt entwickeln

kann. Dies hat etwas mit Qualität zu tun. Diesen qualitativen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler können Sie in ein zügigen Gemeinschaftsschulen überhaupt nicht Rechnung tra gen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Dieter Hillebrand CDU: Nivellierung!)

Meine Damen und Herren, etwas stimmt uns besonders be denklich: Sie laden zu einem Kongress am 6. Oktober in Lud wigsburg ein; dort wollen Sie über Ihre neue Schulform in formieren. Das ist zunächst einmal Ihr gutes Recht.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Schöne Stadt! Meine Stadt! – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: „Meine Stadt“! – Abg. Nicole Razavi CDU: Das klingt ja wie „Mein Bahnhof“! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: „Meine Stadt, mein Land“!)

Wir leben doch nicht mehr im Zeitalter des Feudalismus, Herr Kollege Schmiedel.

(Zurufe)

Wenn man sich den Einladungstext genau anschaut, wird klar – das muss einem schon aufstoßen –: Sie sprechen davon, dass Ihre neue Schule, die sogenannte Gemeinschaftsschule, dem Zweck dient, dass Schülerinnen und Schüler „arbeiten, spie len und lachen“ sollen.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Genau!)

Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen. Meine Damen und Herren, unterstellen Sie denn den anderen Schularten, dass dort nicht gelacht wird, dass dort nicht gear beitet wird und dass dort auch nicht gespielt wird?

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Helmut Walter Rüeck und Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Bravo! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Bei Ihnen haben die Schüler nichts zu lachen!)

Hören Sie auf, weiterführende Schulen, die hervorragende pä dagogische Arbeit leisten, zu stigmatisieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Eine sehr gute Rede! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo!)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich Frau Abg. Boser das Wort.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Jetzt kommt In halt!)

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Herr Kollege Wacker, vielen Dank, dass Sie den Bildungsmo nitor aufgegriffen haben. Ich hätte ihn hier jetzt nicht ange sprochen, aber er eignet sich sehr gut als Einleitung. Denn welche Erkenntnis hat der Bildungsmonitor neben der Tatsa che, dass Baden-Württemberg nach Sachsen und Thüringen auf dem dritten Platz gelandet ist, noch erbracht? Das ist die

ganz klare Aussage, dass wir im Hinblick auf die Chancenge rechtigkeit und die Betreuungsangebote einen enormen Nach holbedarf haben

(Lebhafter Beifall bei den Grünen und der SPD)

und dass die Schere zwischen denen, die Leistungen erbrin gen, und denen, die bei diesem Schulsystem durch das Raster fallen, immer weiter auseinandergeht. In kaum einem ande ren Bundesland besteht eine so große Abhängigkeit zwischen der sozialen Herkunft und dem Bildungserfolg wie in BadenWürttemberg.