Ihre Änderungsanträge beinhalten zumindest einmal ganz un terschiedliche Zielsetzungen. Wenn Sie z. B. voraussetzen, dass ein Sonderpädagoge an einer allgemeinbildenden Schu le erst angestellt werden darf, wenn an den Sonderschulen sonst überall 100 % Schulausstattung gewährleistet sind, dann stellen Sie eine Bedingung auf, die Sie in Ihrer Regierungs zeit nicht ein einziges Mal erfüllt haben. Es gäbe null inklu sive Angebote, wenn das, was Sie hier fordern, tatsächlich um gesetzt worden wäre.
(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und des Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist ein schwaches Argument! Sind Sie für die Kompetenzzentren, oder sind Sie nicht da für?)
Wir stocken die Zahl der Sonderpädagoginnen und Sonder pädagogen über den Ersatzbedarf hinaus auf. Das hätten Sie auch machen können.
Natürlich schaffen wir auch mit diesem Gesetz keine heile Welt, sondern nur eine bessere. Es gibt unverändert Baustel len, die geschlossen werden müssen, die es aber – siehe An hörung – nicht rechtfertigen, das Gesetz auf die lange Bank zu schieben. Beispielsweise müssen wir eine rechtlich ein wandfreie Regelung finden, wenn Lehrerinnen und Lehrer aus privaten Sonderschulen an inklusiven staatlichen Schulen un terrichten. Das Kultusministerium hat eine entsprechende Lö sung skizziert. Wir erwarten eine zeitnahe Umsetzung, und dazu passt auch der gemeinsame Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen.
Das überzeugt weit mehr als die völlig unterschiedlichen Schnellschüsse – das sind ja zwei völlig verschiedene Ziel richtungen, die Sie jetzt vorschlagen –, die die Oppositions fraktionen last minute auf den Tisch gelegt haben. Und: Wie soll man etwas über Nacht prüfen, was rechtlich weitgehen de Schlussfolgerungen nach sich zieht?
Wir müssen beim Umbau auch darauf achten, dass keine fal schen Anreize gesetzt werden, indem inklusiv beschulte Kin der finanziell – das ist ja ein ziemlich komplexes Konstrukt – schlechtergestellt werden würden als an Sonderschulen. Des halb muss auch der Organisationserlass für die Zuteilung der Lehrerinnen und Lehrer dem neuen Gesetz angepasst werden.
Wir müssen die mit dem Gesetz ermöglichten Pilotversuche, die Eltern von Kindern mit Beeinträchtigungen zusätzliche Gänge zu den Sozial- und Jugendämtern ersparen, schnellst möglich auf den Weg bringen und zum allgemeinen Standard machen.
Jetzt hört es sich ja ganz gut an, wenn Sie sagen: „Die Positi onen haben sich angenähert.“ Das mag vielleicht in der per sönlichen Verständigung der Fall sein. Ich möchte nur fest stellen, dass wir unsere Position an keiner Stelle verändern mussten, dass wir, der grüne Teil, uns nicht weiter bewegen mussten als andere. Wir waren uns in der Koalition sehr schnell einig – das wird der Kollege Käppeler bestätigen –, wie wir das Gesetz gestalten,
Interessanterweise beziehen Sie sich auch noch auf den Lan des-Behindertenbeauftragten. Er war aus durchaus nachvoll ziehbaren Gründen der Meinung, dass wir an einigen Stellen vielleicht sogar zu kompromissbereit waren. Daher, glaube ich, hilft es Ihnen nicht, wenn Sie sich auf ihn beziehen.
Die Nebenbaustellen, die ich ehrlicherweise erwähnt habe, ändern nichts daran, dass das Hauptwerk insgesamt gelungen ist und auf breite Zustimmung stößt – als solide Grundlage für eine inklusive Schulentwicklung. Es stimmt natürlich: Wir schaffen damit keine heile oder konfliktfreie Welt, aber die Voraussetzung für eine bessere, eine inklusive Welt. Und das ist aller Ehren wert.
Frau Präsidentin, meine sehr ge ehrten Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meiner Rede möchte ich Ihnen heute gern ein Gedicht vorlesen, das der Bil dungsausschuss auf seiner Reise nach Südtirol im Juni hören durfte:
Auf der Schaukel sitzt ein Kind. Es kann nicht gehen, es kann nicht stehen. Es ist lahm und blind. Es sitzt zum ersten Mal auf der Schaukel. „Aber es hat doch gar nichts davon“, sagen die Leute, „das arme Kind ist lahm und blind!“ „Warum soll es nicht trotzdem schaukeln?“, fragt die Schwester. Und das Kind schaukelt und lacht und ruft ganz aufgeregt: „Ich spüre den Wind! Ich spüre den Wind!“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute werden wir das Ge setz zur Inklusion an Schulen in Baden-Württemberg beschlie ßen. Mit dem heutigen Tag erlangen alle Kinder mit sonder pädagogischem Förderbedarf in diesem Land das Recht auf inklusive Beschulung an einer Regelschule. Mit anderen Wor ten: Mit dem heutigen Tag gehört die Sonderschulpflicht in diesem Land der Geschichte an.
Was bei uns viele Jahrzehnte gebraucht hat und nur durch den Druck der UN-Behindertenrechtskonvention auf den Weg kam, ist in anderen Ländern längst Realität; Kollege Poreski hat darauf hingewiesen. In Italien gibt es beispielsweise be reits seit rund 40 Jahren keine Sonderschulpflicht mehr. Dass und vor allem wie das funktioniert, davon konnte sich der Bil dungsausschuss bei seiner Reise nach Südtirol überzeugen.
An dieser Stelle möchte ich die von der Opposition initiierte – beinahe möchte ich sagen: inszenierte –
Am Ende, als es an die Abstimmung zum Gesetz ging, haben Sie nicht etwa gegen dieses Gesetz gestimmt, sondern Sie ha ben sich enthalten.
Auch dies machte mir – zumindest bis gestern Abend – Hoff nung für die Zukunft. Es hatte den Anschein, wir wären uns darin einig,
Es kann nicht oft genug betont werden: Inklusion ist eine Auf gabe für alle Schularten, auch wenn Vertreter des Beamten bunds immer wieder die Möglichkeit einer zieldifferenten Be schulung am Gymnasium infrage stellten.
Erst jüngst brachte eine Studie der Bertelsmann Stiftung zu tage, dass die Zufriedenheit jener Eltern, deren Kinder eine inklusive Schule besuchen, höher ist als die jener Eltern, de ren Kinder eine Regelschule besuchen.
Die Studie zeigt jedoch auch, dass Zweifel und Vorurteile ge genüber Inklusion dann groß sind, wenn man Inklusion nicht oder nur vom Hörensagen kennt. Das heißt, wer Inklusion nicht erlebt hat, der ist skeptisch und hegt Zweifel daran, dass dieses Modell gelingen kann. Daher rate ich den Vertretern des Philologenverbands dringend, sich dieser Aufgabe zu stel len und sich nicht weiter zu verschließen. Wer einmal erlebt
hat, wie befruchtend Inklusion für Lernende wie für Lehren de sein kann, für den führt kein Weg mehr zurück.
Nach dem heutigen Tag werden wir einen großen Schritt nach vorn gegangen sein. Inklusion wird nicht mehr grundsätzlich infrage gestellt. Es geht lediglich darum, wie sie am besten organisiert werden kann. Wenn der Fokus künftig allein auf dieser Frage liegt, dann stehen wir am Anfang einer neuen Entwicklung, einer neuen Haltung gegenüber Menschen mit Behinderungen.
Die Rückläufe aus der Anhörungsphase bestätigen uns in die ser Einschätzung. Alle gehörten Verbände begrüßen diesen ersten rechtlich verbindlichen Schritt in ein inklusives Schul system. Wo noch Nachbesserung in der Ausgestaltung not wendig ist, werden wir dem nachkommen. So zeigte sich in einigen Gesprächen, dass die Regelungen, die hinsichtlich der Privatschulen getroffen werden müssen, noch nicht zufrieden stellend ausgestaltet sind. Wir sind bereits dabei, uns diesen Bereich nochmals genauer anzusehen und entsprechende Er gänzungen vorzunehmen. Unserem Entschließungsantrag dür fen Sie daher nachher gern zustimmen.
Noch ein Wort zu der von der Opposition präferierten Form der Außenklasse. Sicher ist die Außenklasse ein Weg der In tegration, die Inklusion anbahnen, Begegnungen ermöglichen, Hürden wegräumen kann. Wir werden diese Form auch wei terhin ermöglichen, aber sie ist keine Inklusion. Wenn behin derte Kinder ein eigenes Klassenzimmer in der allgemeinen Schule haben, werden sie Teil der Schule. Aber erst wenn sie selbstverständlich Teil einer Klassengemeinschaft sind, kön nen wir von Inklusion reden.
Abschließend danke ich auch heute noch einmal ausdrücklich unserem Kultusminister Andreas Stoch dafür, mit welch in nerer Überzeugung er sich hinter die Ausgestaltung dieses Ge setzes gemacht hat, dass er sich die Zeit genommen hat, die er brauchte, um einen Gesetzestext vorzulegen, der beispiel haft ist, und sich nicht von den Rufen der Opposition drängen ließ.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir wollen, ist ein Ge setz, das hilft, dieses Land noch ein wenig lebenswerter zu machen, als es ohnehin schon ist. Wir wünschen uns, dass die ses Gesetz dabei hilft, Schranken in den Köpfen einzureißen, das Denken und die Herzen weit zu machen. Ich erinnere mich an die Zeit, als ich Kind war. Damals sah man im Alltag kaum Menschen mit Behinderungen. Sie waren mehr oder weniger weggesperrt und damit unsichtbar. Dass dies nicht mehr so ist, dafür bin ich dankbar.
Nun machen wir uns daran, diesen besonderen Menschen wei terhin den Weg in die Mitte unserer Gesellschaft, in unsere Schulen zu bahnen, damit jedes Kind, jede Schülerin und je der Schüler schaukeln und lachen und den Wind spüren kann.
In der Tat hätte ich mir gewünscht, dass ein noch breite rer Diskussionsprozess über die Parteigrenzen hinweg stattgefunden hätte.
Dies sagte nicht etwa ein Oppositionspolitiker über den Ge setzentwurf zur Inklusion, sondern der Behindertenbeauftrag te der Landesregierung Gerd Weimer bei der öffentlichen An hörung im Bildungsausschuss am 1. Juli. Der Behindertenbe auftragte bestätigte damit die FDP/DVP-Fraktion in ihrer Hal tung,